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Ein biographisches Denkmal für das Zeitalter Kaiser Franz Josefs I.

Vortrag, gehalten am 12. April 1913 zum Besten der Kriegspatenschaft im Festsaal der Niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer in Wien.

Kaiser Franz Josef war langlebig wie sein Vater Erzherzog Franz Karl. Er hat ein Alter von 86 Jahren erreicht und 68 Jahre seines Amtes als Herrscher gewaltet. Es war die längste Regierungszeit, die jemals einem Kaiser, nicht bloß aus dem Hause Habsburg, beschieden war und eine der ereignisreichsten der Geschichte. Seine Thronbesteigung bleibt untrennbar verknüpft mit den Wirren des Jahres Achtundvierzig und seine letzten Regierungsjahre fallen zusammen mit dem Werden und Wachsen des Weltkrieges und beide Male war ihm das Los zugeteilt, bestimmend einzugreifen in diesen Umwälzungen.

Als der 18jährige Neffe des Kaisers Ferdinand in Olmütz zum Herrscher ausgerufen werden sollte, da waren nach dem Bericht eines Augenzeugen, des Herrn v. Hübner, buchstäblich bis zum letzten Tage alle Staatsakte, Manifeste, Proklamationen ausgefertigt auf den Namen Kaiser Franz II. und erst in zwölfter Stunde wurde in geflissentlicher Anlehnung an den Namen des volkstümlichsten Regenten der Dynastie der Name Josef beigefügt Alexander Graf v. Hübner: Ein Jahr meines Lebens 1848 bis 1849. Leipzig, Brockhaus, 1891. (Dezember 1848. S. 317.). Der Doppelname sollte die Doppelaufgabe des neuen Herrn umschreiben. Man erwartete von ihm, daß er mit starker Hand den Aufstand niederhalten und die Ordnung der franzisceischen Ära wieder herstellen, zugleich aber dem schlaffen Greisenregiment der Jahre 1835 bis 1848 ein Ende machen würde, dessen einzige Weisheit den zahmsten Beschwerden gegenüber die Maxime gewesen war: Liegenlassen ist die beste Erledigung. Angesichts dieser einander vielfach widerstreitenden Anforderungen, halb franzisceisch und halb josefinisch zu regieren, begreift man, daß der neue Herrscher im Gefühl seiner Verantwortung im Augenblick seiner Berufung gesagt haben soll: Lebe Wohl, meine Jugend!

Und ebenso prophetisch war der Ausruf des Vierundachtzigjährigen, als der Vielgeprüfte, Vielerfahrene, Friedfertige in Ischl jählings die Kunde vom Mord in Sarajewo erhielt: Mir bleibt doch gar nichts erspart. Das wehmütige Wort erschöpft das schicksalsreiche Dasein des Hausvaters und des Herrschers. Heil und Unheil, den Verlust der italienischen Provinzen und die Einverleibung Bosniens, den Verzicht auf den Vorsitz im Frankfurter Bundespräsidium und das Bündnis mit dem Kaisertum der Hohenzollern, Absolutismus und allgemeines Stimmrecht, die von Grillparzer besungene und im ganzen Reich jubelnd willkommen geheißene Geburt eines Thronfolgers, dann die Tragödie von Mayerling, Makarts Huldigungsfestzug zur silbernen Hochzeit und die Genfer Katastrophe der Kaiserin Elisabeth, – das und unendlich viel mehr erlebte der Pflichtgetreue, der schon durch die außerordentliche Dauer seiner Regierung Millionen und Millionen Österreichern aller Altersstufen als die leibhaftige Verkörperung der Staatseinheit, als Bürge für den Bestand und die Beständigkeit der Monarchie erschien. Und das war Franz Josef nicht weniger als dem Inland dem Ausland: Niemand hat häufiger und nachdrücklicher auf diese Geltung des Kaisers hingewiesen, als Bismarck. Kaiser Franz Josef, so sagte er gelegentlich, hat ein Dutzend Minister in Österreich und ein Dutzend Minister in Ungarn, wenn immer aber eine neue, große Sache zu entscheiden ist, muß der Kaiser selbst nach dem Rechten sehen. Eingedenk dieser seiner ausschlaggebenden Bedeutung für die Geschicke des Staates von 1848 bis 1916 wird die Geschichte dieser Epoche von einem Zeitalter Kaiser Franz Josefs in demselben Sinne sprechen, in dem Voltaire von einem Siècle de Louis XIV. und Kant von einem Zeitalter Friedrichs des Großen geredet hat.

Denn nicht als Höfling oder Hofhistoriograph wählte Voltaire die Bezeichnung eines Jahrhunderts Ludwigs XIV. So hoch er die Naturgaben und Herrscherleistungen des Sonnenkönigs einschätzte, nicht den Lebenslauf eines einzelnen wollte Voltaire verherrlichen. Er gedachte den Kulturfortschritt eines Jahrhunderts zu schildern, das er für das größte aller bisher erschienenen ansah, schon weil es nach seiner Ansicht die Errungenschaften von drei andern großen Zeitaltern geerbt und sich zunutze gemacht hatte. Diese drei Jahrhunderte waren nach Voltaires Angabe einmal das Zeitalter Philipps von Mazedonien und Alexanders des Großen oder, wie er bezeichnend beifügte, das Zeitalter von Perikles, Demosthenes, Aristoteles, Plato, Phidias, Praxiteles, dann das Zeitalter von Cäsar und Augustus oder, wie er wiederum erläuternd umschrieb, das Zeitalter des Lucretius, Cicero, Livius, Virgil, Horaz, Ovid, Vitruv, Varro, endlich das Zeitalter, das mit dem Fall Konstantinopels anhebt und die Neublüte antiker Forschung und Kunst unter den Mediceern in sich schließt. Und da Voltaire das Jahrhundert Ludwigs XIV. nicht auf die 78 Lebensjahre des Königs, sondern auch auf die Jahrzehnte vor seiner Geburt und nach seinem Hinscheiden erstreckt, zieht er die Entdeckungen der großen englischen Denker und Naturforscher, obenan seine geliebtesten Lehrmeister Locke und Newton, in seinen Kreis, so daß er einmal geradezu sagt: ebensowohl wie von einem Siècle de Louis XIV. hätte er von einem Siècle des Anglais sprechen können Voltaire: ?vres complètes. (Gotha, Ettinger, 1785. XX/XXI.) J'ai appelé ce siècle celui de Louis XIV, non seulement parce que ce monarque a protégé les arts beaucoup plus que tous les rois ses contemporains ensemble, mais encore parcequ'il a vu renouveler trois fois toutes les générations des princes de l'Europe. J'ai fixé cette époque à quelques années avant Louis XIV et quelques années après lui; c'est en effet dans cet espace de temps que l'esprit humain a fait les plus grands progrès (XXI. 279 ff.) La société royale ou plutôt la société libre de Londres travailla pour l'honneur de travailler. C'est de son sein que sortirent de nos jours les découvertes sur la lumières … et cent autres inventions qui pourraient à cet égard faire appeler ce siècle le siècle des Anglais aussi bien que celui de Louis XIV (XXI, 245). Vergleiche auch Voltaires Brief an Milord Harvey: sur Louis XIV vom Juli 1740. ?uvres LVII, 353.. Niemand las Voltaires bedeutende Studie gelehriger und begeisterter, als der Preußenfürst, dem es nach Kants Urteil beschieden war, selbst ein neues Zeitalter heraufzuführen: Friedrich der Große. Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter? fragte der Königsberger Philosoph Kant: Was ist Aufklärung? 1784. Zuerst Berlinische Monatsschrift, jetzt Werke. IV. 159. 1868.. Er verneinte diese Frage, fügte jedoch hinzu: wohl aber in einem Zeitalter der Aufklärung. Denn wir leben unter einem Herrscher, der seinen Untertanen in der allerheikelsten Sache, in Religionsfragen, Freiheit des Denkens verstattet. Räsoniert, so viel ihr wollt und worüber ihr wollt, nur gehorcht! sage der König. Zugleich gewährleistete er ihnen aber durch sein starkes Heer und gute Finanzen die Möglichkeit, aus ihrer selbstverschuldeten geistigen Unmündigkeit sich zu befreien, zuerst in religiösen, dann in anderen Dingen. Kant und Voltaire begegnen sich somit in derselben Grundauffassung, daß der einzelne, noch so mächtige Monarch nicht für sich allein, vielmehr nur im Bunde mit den Tüchtigsten seines Landes der Träger, Führer, Schöpfer eines ganzen Zeitalters sein könne. So beginnt Voltaire Le siècle de Louis XIV. auch nicht mit der Würdigung des Königs: er schickt seinem Buch ein paar hundert Seiten eines alphabetischen Kataloges voraus, in dem er alle Prinzen, Minister, Marschälle, Künstler, Admirale, Schriftsteller aufzählt und bald wuchtig, bald witzig kennzeichnet, ohne die es ein Jahrhundert Ludwigs XIV. gar nicht gegeben hätte.

Nicht anders wollen und können wir dem Zeitalter Kaiser Franz Josefs gerecht werden. Was der Monarch vom Eingang bis zum Ausgang seiner Regierung wollte, läßt sich in vier, fünf Worten sagen: ein starkes, einiges, glückliches Österreich. Und was in seiner Macht stand, dieses Ziel zu erreichen, hat er mit dem Einsatz seiner ganzen Natur getan. Kaiser Franz Josef, so schrieb der bereits einmal genannte Herr v. Hübner zehn Jahre nach der Thronbesteigung in sein Tagebuch, ist ein Fürst, der das Gute will und es nach Möglichkeit tut Alexander Graf v. Hübner: Neun Jahre der Erinnerungen eines österreichischen Botschafters in Paris unter dem zweiten Kaiserreich, 1851 bis 1859. (September 1857. S. 32.) Berlin 1904.. »Alles an ihm ist echt.« And in der Tat haben wir alle seine Ritterlichkeit, seine Würde, seine Standhaftigkeit, seine Selbstverleugnung gesehen, in seinem Wesen war etwas, das man mit Shakespeare zu reden gern Herr nennen mochte. So sichtbar und zugänglich er aber auch jedermann blieb: sein Innerstes blieb verschlossen. Mit kleinen Mitteln hat er die Gunst der Massen niemals gesucht. Und wenn wir uns vor Augen halten, daß eine unvergleichlich mitteilsamere, ungestüme Frauennatur Maria Theresia erst 60, 80, 100 Jahre nach ihrem Tode durch die Aufschlüsse der Familienpapiere und Staatsarchive in ihrem Wesen und Wirken vollkommener verständlich wurde, müssen wir bekennen, daß Menschenalter vergehen werden, bis aus Denkwürdigkeiten, Briefen, diplomatischen und Staatsakten Klarheit über die Motive der Entschließungen Franz Josefs im ganzen und einzelnen zu gewinnen sein wird. Desto sorgsamer müssen wir alles prüfen, was zu seinem Machtbereich gehört und da hätte Franz Josef auf die Frage: Was alles ist denn dein? das stolze Wort von Goethes Prometheus wiederholen können: Der Kreis, den meine Wirksamkeit erfüllt. Diese Wirksamkeit erstreckte sich auf Staat und Heer, auf Kirche und Kunst, auf Wissenschaft und Wirtschaft und wer auch nur an die ersten Würdenträger, an die Politiker und Parteiführer aller Völker, an die Größten aller Gebiete und Fächer denkt, die mit Franz Josef von 1848 bis 1916 sein Zeitalter bedingten und bestimmten, sieht Legionen vor sich aufsteigen. Wer immer aber diesen Wald von Menschen mustern, wer diese Tausende und Zehntausende von Persönlichkeiten kritisch würdigen will, wird gut tun, einer Methode sich zu bedienen, die zumal für das 19. Jahrhundert in einer Reihe von Monumentalwerken sich erprobt hat. Diese Methode ist die biographische. Sie macht den Menschen zum Maßstab der menschlichen Dinge. Sie untersucht in geduldiger und doch aussichtsreicher Kleinarbeit den Lebenslauf des Individuums. Und sie sammelt zu Tausenden und aber Tausenden so viel und so zuverlässige Einzelbiographien als möglich und macht sie zur Grundlage für die Beurteilung und Erkenntnis der Gesamtheit einer Epoche.

Napoleon stand auf der Höhe seines Glückes; er war der Herr eines Weltreichs, der Gemahl einer Habsburgerin, der Vater des Königs von Rom, unser Goethe nannte den dämonischen Mann ein Kompendium der Welt, als ein Kreis französischer und ausländischer Gelehrter im Sinne seiner weltumspannenden Ideen eine Biographie universelle in Angriff nahm, die als enzyklopädisches biographisches Lexikon die Lebensläufe der hervorragendsten Persönlichkeiten aller Zeiten und Zungen behandeln sollte. Unter Michauds Leitung arbeiteten 300 namhafte Forscher, unter ihnen Cuvier und Humboldt, an dieser Biographie universelle, die in erster Auflage einige 50 und mit den Ergänzungen über 80 Bände füllte. Das Werk hatte in und außer Europa gewaltigen Erfolg. Es kam zu einer zweiten Auflage, die Biographie universelle machte Schule und fand Nachahmer. So ernst es die Leitung aber auch mit ihrem Vorhaben nahm: unwillkürlich wurden die Franzosen dermaßen bevorzugt und die anderen, besonders die kleinen Länder und Stämme fühlten sich dermaßen vernachlässigt, daß der Rückschlag nicht ausblieb. Ein Zeichen des erstarkenden Nationalgefühls war es, daß gerade die entlegeneren Gegenden mit landsmannschaftlichen biographischen Wörterbüchern auftraten. Zuerst Schweden, dann Holland, hernach Belgien.

In Österreich ging mit der Pflege landsmannschaftlicher Biographien das Deutschtum voran. Lessing war ein junger Journalist, der für die »Kgl. Berliner privilegierte Zeitung«, die heutige Vossische, Bücheranzeigen schrieb, als ihm 1754 ein Versuch der Geschichte österreichischer Gelehrter von einem 20jährigen Wiener, Franz Konstantin Florian v. Khautz, in die Hände fiel Lessings Werke: (Hempelsche Ausgabe. XIX. Teil. Zur Geschichte und Gelehrtengeschichte. Herausgegeben von Karl Christian Redlich.) Rezensionen 1754: (Versuch einer Geschichte der österreichischen Gelehrten von Franz Konstantin Florian v. Khautz. Frankfurt und Leipzig bei Johann Friedrich Zahn, 1755.) S. 56/57.. Es waren das zwölf, mit altväterischer Umständlichkeit behandelte Österreicher, Enenkel, Ottokar v. Horneck, auch Kaiser Maximilian erschien unter diesen österreichischen Gelehrten als Anreger des »Theuerdank« und »Weißkunig«. Der unersättliche Leser Lessing besprach diesen Versuch einer Geschichte österreichischer Gelehrter aufmunternd, er anerkannte die Berechtigung der Klage, daß die Österreicher bisher nicht genügend biographisch gewürdigt würden, rühmte es, daß Khautz von dem engsten Österreich nach Krain und Tirol ausgriff und munterte zur Fortsetzung seiner Arbeit auf. 20 Jahre später, ungefähr in den Tagen der Begründung des Burgtheaters, kam Lessing nach Wien. Der große Dramatiker und Kritiker wurde von Maria Theresia und Kaiser Josef empfangen. In Wien ging die Rede, daß er zur Begründung einer Akademie ausersehen sei und wer phantasieren will, mag sich, falls der Plan Wahrheit gewesen und geworden wäre, ausmalen, wie Lessing, einer der größten Kenner und Sammler von Gelehrtengeschichten, eine österreichische Gelehrtengeschichte großen Stiles verwirklicht hätte. Sie wäre jedenfalls von anderem Zuschnitt gewesen, als die zwei Bändchen eines Gelehrten Österreichs, die um dieselbe Zeit (1776 bis 1778) ein Schüler und Schützling von Sonnenfels, der erste Professor der Statistik an der Universität in Wien, Ignaz de Luca, in die Welt schickte und die wohlgemeint, nur schwach gedacht und gemacht, wenig Triebkraft hatten. Ehrliche Patrioten veröffentlichten immer mit der Klage, daß Österreich biographisch nicht genügend beachtet würde, eine Reihe vaterländischer Blätter, »Österreichische Plutarche«, »National-Enzyklopädie«: all diese Vorgänger Armbruster, Hormayr, Gräffer-Czikann, Kunitzsch, verdunkelte und überflügelte aber ein Autodidakt, Konstant v. Wurzbach, der vom Jahre 1856 bis 1891 60 Bände eines Biographischen Lexikons des Kaisertums Österreich in die Welt schickte, das die Lebensskizzen der namhaftesten Persönlichkeiten enthält, die von 1750 bis 1890 in unserer Monarchie wirkten. Wurzbachs 100. Geburtstag fiel auf den gestrigen Tag, den 11. April dieses Jahres, und die heimische Gelehrtenwelt ehrte den Gedenktag am wirksamsten und würdigsten durch ausgedehnte Vorarbeiten, die Wurzbachs Lexikon ergänzen, verjüngen und gemäß den heutigen unvergleichlich strengeren Anforderungen biographischer Kunst und Forschung vollkommen umgestalten und neu aufbauen sollen. Das bedeutet in keiner Weise eine Kränkung seiner Person, eine Verkleinerung seiner Verdienste. Es ist eine Notwendigkeit. Sein Lexikon war und bleibt dessenungeachtet eine Tat. Seit Menschenaltern ist es ein wichtiger Behelf, ein Nachschlagebuch für die meisten, die über österreichische Dinge im 18. und 19. Jahrhundert eingehenden Aufschluß suchen und für alle Zukunft wird Wurzbachs Werk Zeugnis legen für die Zähigkeit, den Sammlerfleiß und das Finderglück seines Urhebers. Bei Lebzeiten von den Landsleuten nicht entfernt nach Gebühr anerkannt und bedankt, für seine Riesenmühen kläglich entlohnt, fand er Genugtuung in der Anerkennung guter Patrioten aller Parteien: Schmerling, Bruck, Bach, Hammer-Purgstall, Harter, Halm, vor allem aber tröstete ihn sein gesundes Selbstgefühl, das ihn in einer seiner vielen Vorreden triumphierend aufjauchzen ließ: Auch in meinem Lager ist Österreich.

Die Wege und Umwege, auf denen Wurzbach zu seinem Lebenswerk geführt wurde, waren wunderlich genug. Er entstammte wie so viele, die für die geistige Entwicklung Österreichs von Bedeutung wurden, einem reichsdeutschen Geschlecht. Die Wurzbach waren im Reußischen ansässig, im 16. und 17. Jahrhundert büßten sie ihre Güter und ihren Adel ein. Wurzbachs Großvater wurde österreichischer Offizier, sein Vater, der zehn Söhne hinterließ, wirkte hochangesehen als Advokat jahrzehntelang in Laibach und Konstants älterer Bruder Karl brachte es als Anwalt und Politiker zum Landeshauptmann und Landespräsidenten von Krain und zur Baronie. Auch Konstant v. Wurzbach sollte seinen Neigungen entgegen Jurist werden. Er legte auch wirklich in Graz seine Prüfungen ab; er bekam überall gute Noten, nur der Kanonist Wiesenauer erteilte ihm die Zensur: genügend. Infolgedessen kam es zu Zerwürfnissen zwischen Konstant und dem Vater, so daß Konstant umsattelte und wie sein Großvater Soldat wurde. In der kleinen Biographie, die Wurzbach seinem strengen Examinator Wiesenauer in seinem Lexikon widmet, nennt er diesen humoristisch den eigentlichen, unbewußten Urheber seines Biographischen Wörterbuches. Denn, so scherzt Wurzbach, hätte ich bei Wiesenauer besser bestanden, so wäre ich nicht Offizier geworden, ich wäre nicht in so viele Länder gekommen und ohne die Wechselfälle meines Lebens wäre ich nicht auf den Gedanken meines Lexikons gebracht worden. In Wirklichkeit dürfte nicht bloß das Examen bei Wiesenauer den Berufswechsel Konstant v. Wurzbachs verursacht haben. Der Maler Seligmann erzählt in seinem Bilderbuch aus dem alten Wien A. F. Seligmann: Ein Bilderbuch aus dem alten Wien. 1913. S. 160 ff. Nachdem ich meinen Vortrag gehalten, schrieb mir Karl Glossy: »Kurz nach Erscheinen der ›Spaziergänge‹ veröffentlichte Braun v. Braunthal in dem von Teubner in Dresden herausgegebenen Musen-Almanach fünf Gedichte, unterzeichnet A. Grün, gegen deren Autorschaft Anastasius Grün in der ›Allgemeinen Zeitung‹ wegen des Mißbrauches seines Namens Einspruch erhob und den Vorgang einen literarischen Gaunerstreich nannte. Man schob diese Gedichte zunächst dem damals zwanzigjährigen Konstantin v. Wurzbach zu, der zu Podgorze als Kadett des Infanterieregiments Nr. 30 diente, wogegen dieser jedoch lebhaft protestierte und seiner Meinung Ausdruck gab, daß Braun v. Braunthal selbst der Autor sei, was auch der Fall war.« – Wurzbachs erste Dichtungen »Mosaik« erschienen 1840 unter dem Pseudonym W. Konstant, die zweite Reihe »Parallelen« 1849 anonym. – Über Wurzbach gibt sein Biographisches Lexikon und Glossys Artikel in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Band 55, guten, nur lange nicht erschöpfenden Aufschluß. Konstant von Wurzbach wäre längst einer besonderen Studie wert. Ebenso die Leidensgeschichte seines Lexikons, die er selbst zu schreiben vorhatte als Beitrag zur Zeitgeschichte Österreichs. – Liber Wurzbachs letzte Schicksale, den Undank der offiziellen Kreise vgl. Anton Bettelheim, Marie v. Ebner-Eschenbachs Wirken und Vermächtnis. 1920. S. 266 und 231., Wurzbach habe ihm selbst einmal gesagt, daß er als junger Mensch mit bescheidener Reisezehrung von Haus weggegangen sei; gleich in den ersten Tagen sei er Professionsspielern in die Hände gefallen, die ihm nicht nur seine Barschaft, sondern alles, was er an Wertsachen bei sich hatte, wegnahmen, so daß er verzweifelt Hand an sich legen wollte. Ein Vorhaben, von dem ihn nur ein zufällig des Weges kommender vornehmer, großmütiger Reisender zurückhielt. Mag nun das schlechte Examen oder dieses böse Reiseabenteuer Wurzbachs Eintritt beim Militär veranlaßt haben: gewiß ist, daß er jahrelang Galizien kreuz und quer durchstreifte und als Leutnant, der sich musterhaft hielt, die Landessprachen und alle Stände, Bauern, Beamte, Adelige gründlich kennen lernte. Mit außerordentlicher Energie setzte Wurzbach zugleich seine akademischen Studien fort: er war der erste österreichische Offizier, der das Doktorat der Philosophie machte. Als begeisterter Verehrer seines engeren Landsmannes Anastasius Grün versuchte sich Wurzbach mit pseudonym herausgegebenen freiheitsatmenden Dichtungen. Überdies machte er sich mit Büchern und Zeitungsartikeln dermaßen bemerkbar, daß der große Gouverneur Galiziens, Graf Franz Stadion, auf den jungen Wurzbach aufmerksam wurde und ihn in Lemberg, späterhin, als Stadion Minister wurde, auch in Kremsier publizistisch beschäftigte und nachmals in das Ministerium des Innern berufen ließ. Dort waltete Wurzbach als Archivar und Bibliothekar. Alexander Bach erkannte richtig die eigentliche Begabung, die Sammlernatur Wurzbachs. Bach betraute ihn deshalb mit der Ordnung sämtlicher aus der ganzen Monarchie einlaufenden Pflichtexemplare. Sie gaben Wurzbach Gelegenheit zu einer Reihe wertvoller statistisch-bibliographischer Übersichten über die geistigen Fortschritte in allen Provinzen: eine Publikation, die leider unter Bachs Nachfolger Goluchowski, der Wurzbach und dem Deutschtum abhold war, eingestellt wurde. Zuvor aber war Wurzbach durch seine vielseitige Tätigkeit und ausgebreitete Sprachenkenntnis einem Wiener Drucker Zamarski als der rechte Mann erschienen, für das Sammelwerk eines österreichischen Hausschatzes ein paar Bände biographischen Inhaltes zu übernehmen. Vom Anfang an schwoll ihm indessen nach Wurzbachs Wort der Stoff an, wie ein Gebirgswasser im Frühling. Und da namhafte Historiker, Hammer-Purgstall und der Vizedirektor des Archivs Chmel ihn ermunterten, die Aufgabe in größerem Stil anzufassen; da ihm die Akademie der Wissenschaften für den Band einen Zuschuß von 200 bis 300 Gulden gewährte und die Staatsdruckerei den Verlag übernahm, widmete Wurzbach nach angestrengter Amtstätigkeit seinen ganzen Feierabend und viele Nachtstunden der Ausgestaltung des Lexikons. Über den Umfang, den es erreichen sollte, war er so wenig im klaren, daß er zehn Jahre nach dem Beginn der Arbeit, bei der Ausgabe des 13. Bandes öffentlich erklärte, mit dem 25. Bande werde er das Unternehmen abschließen können. Als aber der 25. Band in den Siebzigerjahren erst bis zum Buchstaben R gelangt war, wurde Wurzbach freigestellt, sich eine Gnade vom Kaiser auszubitten. Sein Wunsch, sich fortan ausschließlich der Arbeit an dem Lexikon widmen zu dürfen, wurde gewährt und Wurzbach zog sich nach Berchtesgaden zurück. Dort hauste er in einem Bauernhäuschen wie ein Patriarch der Biographie, der in seinem Äußeren einem Rubensschen Erzvater verglichen, ja, von Louise von François, der großen Erzählerin, die während einer Kur in Reichenhall mit ihm bekannt wurde, nach einem ungedruckten Tagebucheintrag von Marie v. Ebner-Eschenbach der schönste Greis genannt wurde, den sie jemals gesehen. Unermüdlich arbeitete Wurzbach weiter. Eine Feuersbrunst, die seine unersetzlichen Sammlungen, Bilder, Zettel, Zeitungsausschnitte seiner »Cahiers« bedrohte, wurde mit großer Mühe bewältigt; sie brachte seine Bücher und Schriften indessen dauernd in Unordnung. Schwere Krankheiten suchten ihn infolge dieser Aufregungen heim. Trotz alledem war es ihm beschieden, sein Lexikon eigenhändig am 3. Juli 1891 bis zum letzten Z-Namen zu Ende zu schreiben und wehmütig-resigniert ließ er den Schlußvers drucken.

Gottlob, das große Werk ist nun zu Ende,
Es war daran, daß ich es nicht vollende –
Ich ganz allein schrieb diese sechzig Bände!
Lexikonmüde ruhen aus die Hände.

So ansehnlich die Leistung Wurzbachs war, buchstäblich von A bis Z sein Lexikon ganz allein geschrieben zu haben: die Frage steht frei, ob das für ihn und sein Werk ein Glück war? Auf den ersten Blick ist klar, daß nicht einmal ein Universalgenie ein Universalbiograph sein kann, der über 23 Provinzen, 12 Landessprachen, über alle Heerführer, Kirchenfürsten, Gelehrte, Künstler, Landwirte, Techniker, über 24.000 Namen, von denen Wurzbach behauptet, 16.000 zum erstenmal eingereiht zu haben, mit gleicher Sachkunde zu richten oder auch nur zu berichten imstande wäre. Michaud in der Biographie universelle hat darum auch Hunderte von Mitarbeitern herangezogen, die mit einem Stab von Fachredakteuren unter einheitlicher Oberleitung zusammenwirkten. Allein Wurzbach hat dieses in Frankreich und Belgien bewährte System nicht nur verworfen, er hat den großen Organisator der Allgemeinen Deutschen Biographie bei Beginn dieses Riesenwerkes geradezu gewarnt, sich mit einem Kreis von Nothelfern zu umgeben: Liliencron würde, so prophezeite Wurzbach, unmöglich genug Mitarbeiter finden, die bei ihm aushielten. Die Erfahrung hat Wurzbach gründlich widerlegt. Die beiden gewaltigsten Nationalbiographien, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, die Allgemeine Deutsche Biographie und die National Biography, wissenschaftlich und künstlerisch Wurzbachs Lexikon in jeder Beziehung weit überlegen, sind in Anlage und Ausführung Wurzbachs altväterischer, überholter Arbeitsweise völlig entgegengesetzt. Bezeichnend für den Unterschied des Volkscharakters ist die Geschichte des deutschen und des englischen biographischen Monumentalwerkes. Die Allgemeine Deutsche Biographie verdankt ihre Entstehung dem großmütigen Entschluß eines Fürsten, die National Biography der Freigebigkeit eines Großkaufmannes Anton Bettelheim: Leben und Wirken des Freiherrn Rochus v. Liliencron. Mit Beiträgen zur Geschichte der Allgemeinen Deutschen Biographie. Berlin, Georg Reimer, 1917..

König Maximilian II. von Bayern war ein überzeugter Freund der Wissenschaften; wär' ich nicht in einer Königswiege geboren worden, so sagte er einem Vertrauten, Bluntschli, dann wär' ich am liebsten Professor geworden Karl Heigel: König Maximilian II. Allgemeine Deutsche Biographie. XXI. S. 40.. Er wollte für die Wissenschaften leisten, was sein Vater Ludwig I. für die bildenden Künste getan, und Döllinger rühmt ihm mit Recht nach, daß er keinen Fürsten gekannt habe, der aus seiner Privatkasse für die Förderung wissenschaftlicher Zwecke mit gleicher Liberalität sich eingestellt habe. Der Berater König Maximilians war Leopold Ranke. Ursprünglich wollte er eine Akademie für deutsche Geschichte schaffen. Aus Rücksicht auf die bereits bestehende bayrische Akademie in München dotierte König Max in seinem Stiftsbrief deshalb eine historische Kommission bei der königlich bayrischen Akademie der Wissenschaften. Im Verein mit Jakob Grimm, Waitz, Sybel, Giesebrecht und anderen Größen der deutschen Altertumskunde, denen später auch unser Arneth beigezogen wurde, rief Ranke eine Reihe der folgenreichsten fundamentalen Unternehmungen ins Leben: Die Jahrbücher der Deutschen Geschichte, die Ausgaben der deutschen Städtechroniken, die historischen Volkslieder der Deutschen, die Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Von Anfang aber war Rankes Absicht auf ein Biographisches Lexikon der Deutschen gerichtet, das in der Art der Michaudschen Biographie universelle, nur wissenschaftlich gründlicher, ausschließlich die Lebensläufe der bemerkenswertesten Landsleute aller Stände, Stämme und Zeiten enthalten sollte. Und dem meisterhaften Leiter der Allgemeinen Deutschen Biographie, Liliencron, gelang es in der Tat, in mehr als vierzigjähriger Arbeit, von 1868 bis 1912, in 56 Bänden von 1800 Gelehrten in 26.000 Artikeln die Lebensläufe aller namhaften Deutschen von Arminius bis auf Bismarck behandeln zu lassen. Eine Heerschau, die ebenso bewundernswert ist durch die Dargestellten, wie durch die Darsteller. Mit einem besser gemeinten als geratenen Vergleich hat man die Allgemeine Deutsche Biographie das literarische Gegenstück der »Walhalla« genannt. Das trifft nicht zu. Die Allgemeine Deutsche Biographie zieht nicht bloß die Allergrößten in ihren Kreis. Sie behandelt, wie schon die Zahl von 26.000 Artikeln bezeugt, auch die Leute zweiten und dritten Ranges in ihre Kreise, sie zeigt neben den Führern die Verführer der Nation, Licht und Schatten. Von Künstlerhand sind, wie in der Walhalla, allerdings auch in der Allgemeinen Deutschen Biographie ungemein viele Gestalten geformt: in erquicklichem Gegensatz zu der Einförmigkeit des Wurzbachschen Lexikons. Abgestuft nach der geschichtlichen Bedeutung der Persönlichkeiten, ist dem einen sozusagen eine Bildsäule, anderen Büsten, wieder anderen Medaillen, noch anderen nur ein lapidares Biogramm, eine Grabschrift zugedacht: Kaiser Wilhelm I. und Bismarck erscheinen in überlebensgroßer Gestalt, so daß der betreffende, elf Bogen starke Artikel von Erich Marcks und der noch umfangreichere Bismarcks von Max Lenz hinterdrein in besonderen Bänden erscheinen konnten. Ebenso die Studien von Ranke: Friedrich der Große und Friedrich Wilhelm IV. An Ungleichmäßigkeiten, Fehlurteilen und Mißgriffen fehlt es selbstverständlich im einzelnen nicht: die Allgemeine Deutsche Biographie wäre das Buch der Bücher, eine hohe Schule der Menschenkenntnis, wenn auch nur in einem einzigen Bande, über 500 Persönlichkeiten das letzte, alle Charakterrätsel lösende Wort zu finden wäre. Trotz all dieser Lücken und Mängel bleibt aber als ganzes die Allgemeine Deutsche Biographie ein Monumentum Germaniae, das die Jahrhunderte überdauern wird als Abbild deutscher Kunst, deutscher Arbeit und deutscher Größe.

Die National Biography begann ein halbes Menschenalter nach der Allgemeinen Deutschen Biographie zu erscheinen und wurde ein Dutzend Jahre früher abgeschlossen. Ihr Urheber war ein großer Verleger schottischer Abkunft, Smith, der zuerst als Teilhaber eines Exporthauses nach Indien, dann als Verleger und Freund von Thackeray, Darwin, Ruskin, der Elliott, als Begründer des Cornhill-Magazine und der Pall-Mall-Gazette ein mächtiges Vermögen gesammelt hatte. Als Mann der Tat wollte sich Smith, als er älter wurde, nicht ganz zur Ruhe setzen. Er beschloß deshalb, eine große Universalbiographie aller Völker ins Leben zu rufen. Die Vertrauensmänner, die er berief, insbesondere Leslie Stephen, rieten ihm jedoch, lieber eine lediglich auf England beschränkte National Biography zu schaffen. Smith gab sich damit zufrieden. Nach den Kosten fragte er nicht weiter. Und nun erschien mit kalendarischer Pünktlichkeit jedes Vierteljahr einer der Riesenbände der National Biography und, was noch erstaunlicher ist, die von vornherein festgesetzte Raumeinteilung wurde so streng eingehalten, daß kein Artikel durchschnittlich mehr als eine Seite beansprucht. Da jedoch viele Artikel nur eine halbe Seite oder noch weniger austragen, finden die Weltgrößen Englands umfangreichere Biographien: Shakespeare zum Beispiel wird von Sidney Lee gewürdigt auf 42 Seiten, die wie der Kaiser Wilhelm- und der Bismarck-Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie nachmals in Buchform ausgegeben wurden und das Beste und Vollständigste sind, was nach archivalischen Quellen über Shakespeare zu sagen ist. Von den Anfängen der englischen Geschichte bis zum Tode der Kaiserin Viktoria gibt die National Biography sicheren Aufschluß über die meisten nennenswerten Persönlichkeiten. Ein Monumentum Britanniae, das seinem Anreger Smith außerordentliche Ehren und bei der Kaufkraft des englischen Büchermarktes auch außerordentlichen Gewinn einbrachte. John Morley pries die Verdienste von Smith wiederholt öffentlich, bei einem Festmahl zu seinen Ehren erschien der Prinz von Wales, sein Bild wurde in die Nationalgalerie ausgenommen, nach seinem Tode wurde ihm eine Gedenktafel in der Paulskirche geweiht, und bis zur Stunde gilt er als ein Wohltäter seines Vaterlandes.

Gleich nach dem Abschluß von Wurzbachs Lexikon wurde in unserer Heimat die Frage aufgeworfen, ob wir nicht imstande wären, ein Monumentum Austriae zu schaffen, das mit dem Monumentum Germaniae der Allgemeinen Deutschen Biographie und dem Monumentum Britanniae der National Biography sich zu messen vermöchte. An Werkmeistern und Mitarbeitern hätte es nicht gefehlt. Mit die wichtigsten Österreicher erscheinen in der Allgemeinen Deutschen Biographie von Österreichern gewürdigt: Prinz Eugen, Maria Theresia und Kaunitz von Arneth; unsere großen Poeten und Prosaiker von Wilhelm Scherer und seinen besten Schülern Minor, Schönbach, Sauer; und viele Nichtösterreicher finden in Österreichern Meisterbiographen, so Lassalle in Ernst v. Plener. Die Schwierigkeiten liegen anderwärts. Einmal in der Geldfrage. Wir haben in Österreich niemals einen Verleger von dem Wagemut und Großmut eines Smith gesehen, und haben in absehbarer Zeit seinesgleichen leider nicht zu gewärtigen. Wir können auch nicht voraussagen, ob unsere Akademie der Wissenschaften, die Wurzbach in 36 Jahren für 60 Bände beiläufig 20.000 Gulden Zuschuß gewährte, für 20 bis 25 Jahre zum voraus Bürgschaft für eine viertel oder eine halbe Million übernehmen kann und wird. Noch heikler als die Kostenfrage, deren Lösung nicht unüberwindlich scheint, ist aber auch hier das Urproblem Österreichs, die nationale Frage. Als Wurzbach sein Lexikon begann, war er Großösterreicher, wie Schmerling und Grillparzer, dabei oder gerade deshalb unbefangen und wohlwollend gegen alle anderen Stämme. Trotz dieser Haltung fand aber sein Werben bei Magyaren, Slawen, Romanen keine besonders wohlwollende Aufnahme. Heute stehen wir vor noch verwickelteren Verhältnissen. Wir wissen nicht, wie sich die anderen Nationalitäten zur Mitarbeit an einer gemeinsamen Neuen Österreichischen Biographie stellen würden, und haben erst die Probe darauf zu machen, ob innerhalb der deutschen Gelehrtenrepublik genügende Kräfte sich finden, die mit voller Sachkunde und bei deutschen Forschern selbstverständlicher Gerechtigkeit über die entlegendsten Stämme unparteilich berichten und richten würden.

Als überlegener Geist hat ein Kenner und Schiedsrichter ohnegleichen einen Ausweg gezeigt. Nach Bismarcks 80. Geburtstag erschien Ostermontag 1895 eine Abordnung aus der Steiermark in Friedrichsruh. Die Steirer brachten ihm einen Strauß, gemischt aus Blumen der Ebene, dem Heidekraut und der Alpen, nach Bismarcks Wort ein Symbol unserer Zusammengehörigkeit. »Man kann wohl sagen, die Farben kleiden sich gegenseitig und sie passen zusammen.« Den Stammesgenossen in Österreich legte Bismarck die Pflege und Stärkung des Bündnisses mit Deutschland ans Herz. Dazu sei Zusammenhalten mit der Dynastie und erträgliches Zusammenleben auch mit reizbaren, nichtdeutschen Reichsgenossen notwendig. Die Vorsehung, so meinte Bismarck, habe offenbar nicht gewollt, daß Europa von einer einzigen einheitlichen Nationalität bewohnt werde. Wir sähen darin das die ganze Natur durchwaltende Prinzip: ohne Kampf kein Leben. Der Kampf mit den anderssprachigen Österreichern soll aber überflüssige Kränkungen soweit als möglich vermeiden und sachlich geführt werden. Seit Jahrhunderten bestände das Band der Zugehörigkeit zu demselben Staatsgebilde, vor allem aber die gemeinsame Dynastie, und mit besonderem Nachdruck gedachte Bismarck wiederum Kaiser Franz Josefs, dem er 1852, als Bismarck vorübergehend die preußische Gesandtschaft in Wien leitete, zum erstenmal begegnete und während seiner mehr als vierzigjährigen Beziehung jederzeit die Spuren der deutschen Abstammung, ein deutsches Herz, angefühlt habe. Bismarcks Rat gilt Politikern und Nichtpolitikern. So schwer es im politischen Kampf sein mag, Bismarcks Lehren der Verträglichkeit zu betätigen, für die Wissenschaft sind sie nach wie vor die unerläßliche Richtschnur. Ohne Gefälligkeit und ohne Gehässigkeit hat die Forschung allen Stämmen Österreichs gleicherweise gerecht zu werden, und erfreulicherweise hat just in den Stürmen des Weltkrieges ein Kreis namhafter Gelehrter beschlossen, das Monumentum Austriae einer Neuen Österreichischen Biographie in Angriff zu nehmen und sämtliche Völker Österreichs, die mit und unter Kaiser Franz Josef sein Zeitalter bedingt haben, einzubeziehen.

 


Anmerkung:

Oswald Redlich: Neue Österreichische Biographie. Österreich, Zeitschrift für Geschichte. Verlag von L. W. Seidel L Sohn in Wien, 1. Heft. 1917. S. 68 bis 70. Den äußeren Anlaß gab meine im Kriegs-Almanach 1914 bis 1916 (herausgegeben vom Kriegshilfsbureau des k. k. Ministeriums des Innern) gedruckte Anregung »Ein biographisches Denkmal für das Zeitalter Kaiser Franz Josefs I.« (S. 19 bis 31), die nach dem Tode Kaiser Franz Josefs als Sonderabdruck 1916 mit folgender Vorrede erschien:

»Der Tod Kaiser Franz Josefs veranlaßt mich zum unveränderten Neudruck meiner Weihnachten 1915 im ›Kriegs-Almanach 1914 bis 1916‹ erschienenen Anregung ›Ein biographisches Denkmal für das Zeitalter Kaiser Franz Josefs I.‹ Der Vorschlag fand in dem seither verflossenen Jahr weit über Erwarten Beachtung in Gelehrten- und Künstlerkreisen. Männer der Geistes- und Naturwissenschaften erwogen in ernsten Beratungen die Berechtigung des Planes und die Mittel zu seiner Verwirklichung. Und so wenig die Schwierigkeiten des Vorhabens angesichts der Vielgestaltigkeit und Vielsprachigkeit der österreichischen Völker unter diesen Kennern verschwiegen oder verdunkelt wurden, an der Möglichkeit des Gelingens bestand für die Mehrheit bei dem rechten Willen kein Zweifel. Dieser rechte Wille ist zur Stunde mehr denn je vonnöten und vorhanden. Heute, da Wien und Budapest, alle Lande und Stämme wetteifernd Monumente zum Gedächtnis Kaiser Franz Josefs rüsten, da die bildenden Künstler Schöpfungen größten Stiles für ihren alten Schirmherrn aufrichten werden, da Samariter mit Werken der Barmherzigkeit seinen Herzenswünschen am würdigsten willfahren wollen, kann und soll die Wissenschaft seinem Andenken am wirksamsten durch die wahrhaftigen Denkwürdigkeiten seiner Zeiten und Reiche gerecht werden. Eine wesentliche Voraussetzung zur Einlösung dieser Dankes- und Ehrenschuld ist die unparteiische Erforschung der Schicksale aller, die mit ihm und unter seiner Herrschaft Neu-Österreich geschaffen haben. In diesem Sinn ist die Anregung gedacht, deren Andeutungen in nicht zu ferner Zukunft eine selbständige größere Arbeit Punkt für Punkt einläßlich behandeln wird. Einstweilen begnüge ich mich damit, wenige Sätze meines Ende November 1894 geschriebenen Nachwortes zu meinen Biographischen Gängen ›Deutsche und Franzosen‹ zu wiederholen: ›Ein Autor, der, ein Forscher und ein Künstler zugleich, nach Taines Vorbild ›die Anfänge des heutigen Österreich‹, die Wandlungen vom Josefinismus zum Regiment von Kaiser Franz und Ferdinand, den Übergang vom Vor- zum Nachmärz ergründen und darstellen wollte, müßte, vom ›Spaten bis zur Feile‹ die Arbeit, zu der in Frankreich kaum ein Geschlecht von Archivaren, Biographen und Autobiographen, Historikern und Literarhistorikern ausreichte, allein fertig bringen. Anton Springers Geschichte dieses Zeitraumes, in den Tagen ihres Erscheinens ein Ereignis und für alle Zeit ein Zeugnis strenger Wahrheitsliebe und patriotischer Gesinnung, kann heute keinem Unbefangenen genügen. Einen nennenswerten, geschweige einen ebenbürtigen Nachfolger hat er gleichwohl bis zur Stunde nicht gefunden‹ – Friedjungs Bücher waren 1894 noch nicht veröffentlicht – ›und nicht weniger armselig, als auf dem Gebiet der neuen österreichischen Geschichte sieht es im Bereich der heimischen biographischen Kunst aus. Nimmt man Arneths ›Maria Theresia‹ aus, so fehlt es an zulänglichen oder gar abschließenden Monographien über die meisten Fürsten, Staatsmänner, Feldherren, Dichter, Maler und Musiker des letzten Jahrhunderts. Das Meisterwerk über Mozart hat uns ein Norddeutscher geschenkt; Pohls ›Haydn‹, Wolfgrubers ›Kardinal Rauscher‹, Zeißbergs ›Erzherzog Karl‹, Emil Kuhs ›Hebbel‹ sind ziemlich vereinzelt geblieben. Wissenschaftlich tüchtige oder auch nur volkstümlich wirksame Biographien von Kaiser Josef, Metternich, Radetzky, Tegetthoff, Benedek, Grillparzer, Raimund, Schreyvogel, Feuchtersleben, Schubert, Schwind, Stelzhamer, Halm, Bauernfeld, nicht zu reden von Leuten zweiten Ranges und den Stillen im Lande fehlen. Selbst der Notbehelf von Wurzbachs vielverlästertem und mehr ausgeschriebenen ›Biographischen Lexikon des Kaisertums Österreich‹ ist uns mit dem Heimgang des Siebzigers verlorengegangen, bis zur Stunde hat weder die Akademie der Wissenschaften, noch ein Kreis von Fachmännern oder die Tatkraft eines Verlegers versucht, Ersatz zu schaffen für diesen biographischen Ehrenspiegel Österreichs, der leicht durch Gediegeneres in der Art der Allgemeinen Deutschen Biographie zu überglänzen wäre.‹

In den seit der Niederschrift dieser Zeilen vergangenen 22 Jahren haben sich die darin zur Sprache gebrachten Dinge meines Wissens so wenig geändert, wie die Möglichkeiten, beherzt und dauernd Wandel zu schaffen. Das Ziel steht vor aller Augen, die Wege dazu führen allerdings durch vielfach undurchforschte, urbar zu machende Gebiete. Wie bisher soll demgemäß auch in der Folge sachkundiger Rat und ehrlicher Widerspruch mit gleicher Unbefangenheit geprüft werden. Drum

Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen
Von unsrer Unternehmung hofft.

Wien, 2. Dezember 1916,
am 68. Jahrestage von Kaiser Franz Josefs Thronbesteigung.
Anton Bettelheim.«

Ein halbes Jahr später konnte das nachstehende Rundschreiben ausgeschickt werden:

Neue österreichische Biographie.
Wien, im Juni 1917.

Kenner und Freunde der heimischen Geschichte sahen es längst als vaterländische und wissenschaftliche Ehrenpflicht an, für Österreich ein Monumentalwerk ins Leben zu rufen, das den Vergleich mit der Allgemeinen Deutschen Biographie nicht zu scheuen hätte. An vielfachen wohlgemeinten Versuchen, an Sammelwerken mannigfaltiger Art hat es auf diesem Gebiete zwar bisher nicht gefehlt. Zumal Konstant v. Wurzbach war bemüht, im »Biographischen Lexikon des Kaisertums Österreich, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1756 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt haben«, über 24.254 Namen mit Sammelfleiß und Finderglück Aufschluß zu geben. So anerkennenswert und vielfach unentbehrlich Wurzbachs Lebenswerk aber auch für jeden ist, der über österreichische Dinge und Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts Nachricht sucht, den Ansprüchen der Gegenwart vermag sein Biographisches Lexikon nicht mehr zu genügen. Es enthält in seinen 1856 bis 1890 erschienenen 60 Bänden die seit 1890 das heißt seit länger als einem Vierteljahrhundert neu in Betracht kommenden Persönlichkeiten natürlich gar nicht. Es bietet nur sehr wenige, wortkarge, selten abschließende Nachträge zu den oft Jahrzehnte zurückliegenden Angaben der anfänglich erschienenen Bände. Ganze Gruppen, Industrie, Technik, Landwirtschaft, Sozialpolitik, die parlamentarischen Körperschaften u. s. w. erscheinen nicht in dem ihrer Bedeutung entsprechenden Maße vertreten. Vor allem leidet das Lexikon aber darunter, daß Wurzbach sämtliche Artikel selbst zu schreiben und damit eine, Kraft und Wissen eines Einzelnen weit übersteigende Aufgabe zu lösen unternahm.

Nur durch methodische Arbeitsteilung, wie sie die Allgemeine Deutsche Biographie und die National Biography unter einheitlicher Oberleitung ins Werk setzten, kann es gelingen, für alle Fächer mit derselben Sachkunde und Zuverlässigkeit vorzusorgen und Rechenschaft zu geben. Die Möglichkeit, nach den gleichen, in Deutschland und England durch die Erfahrung erprobten Grundsätzen eine Neue Österreichische Biographie zu schaffen, ist außer Zweifel. Unsere Heimat besitzt genug berufene Vertreter der Geistes- und Naturwissenschaften, genug Schriftsteller und Künstler, um allen Anforderungen eines solchen Unternehmens gerecht zu werden, wenn auch angesichts der Vielgestaltigkeit und Vielsprachigkeit der unter Habsburgs Szepter vereinigten Völker besondere, doch unseres Erachtens keineswegs unbesiegliche Schwierigkeiten für Anlage und Ausführung eines derartigen Monumentum Austriae zu bewältigen sein werden.
Im Vertrauen auf den Beistand aller vom Geiste rechter Wahrheits- und Vaterlandsliebe erfüllten Gewährsmänner und Sachkundigen haben deshalb nach reiflicher Erwägung die Unterzeichneten beschlossen, an die Vorarbeiten zu einer Neuen Österreichischen Biographie zu gehen und zunächst für das Jahrhundert vom Wiener Kongreß bis auf die Gegenwart

1. ein biographisches Grundbuch, einen Kataster aller für diesen Zeitraum in Betracht kommenden, bemerkenswerten, in eine Neue Österreichische Biographie einzureihenden Persönlichkeiten;
2. eine Namensliste aller zur Lösung dieser Fragen berufenen Landes- und Fachreferenten, Sammler, Kenner, Mitarbeiter;
3. bibliographische Verzeichnisse der biographischen Hilfswerke u. s. w. für diese Zeit und Aufgabe anlegen zu lassen.

Jedem Parteigeist fern, soll die Neue Österreichische Biographie nur im Dienste unbefangener, vorurteilsfreier Forschung Österreichs Reichtum an Individualitäten und Österreichs Anteil an den kultur- und weltgeschichtlichen Erlebnissen und Ergebnissen, zunächst des abgelaufenen Jahrhunderts von 1815 bis auf die Gegenwart, offenbaren. Zur Verwirklichung dieses Vorhabens erhoffen und erbitten wir die Unterstützung aller, die mit Rat und Tat die Sache der Neuen Österreichischen Biographie zu fördern gewillt sind.

Seine Durchlaucht Fürst Franz von und zu Liechtenstein hat dem Unterzeichneten Ausschuß großmütig Mittel zur Verfügung gestellt, so daß wir das Werk getrost in Angriff nehmen wollen. Wir hoffen, in nicht zu ferner Zeit Kataster, Mitarbeiterliste und bibliographische Verzeichnisse vollenden zu können. Genauere Aufklärung im einzelnen wird auf Wunsch jeder der Unterzeichneten und insbesondere der Leiter der Vorarbeiten, Professor Dr. Anton Bettelheim, Wien 19, Karl-Ludwig-Straße 57, bereitwillig erteilen.

Hofrat Professor Dr. Oswald Redlich, Obmann.
Sektionschef Dr. Gustav Winter, Obmannstellvertreter.
Professor Dr. Anton Bettelheim, Hofrat Professor Dr. August Fournier, Dr. Heinrich Friedjung, Regierungsrat Dr. Karl Glossy, Hofrat Professor Dr. Batroslav v. Jagiæ, Hofrat Professor Dr. Josef Seemüller, Hofrat Professor Dr. Friedrich Freiherr v. Wieser.


 

Diese mutigen Männer sagten sich, daß, wenn auch Mars die Stunde regiert, Minerva das Jahrzehnt und Jahrhundert regieren wird. Was für die Allgemeine Deutsche Biographie der Wunsch eines Fürsten, für die National Biography der Wille eines Kaufherren bewirkt hatte, das versuchten sie durch geduldige Selbsthilfe zu leisten. Mit Eifer und Glück begannen sie die Propaganda für eine Neue Österreichische Biographie. Fürst Franz Liechtenstein stellte schon 1917 und die Gesellschaft für neuere Geschichte Österreichs 1918 in ausdrücklicher »Anerkennung der monumentalen Bedeutung des Planes« für die Vorarbeiten unerläßliche Mittel zu Gebote. Stimmführer der Geistes- und Naturwissenschaften erklärten sich zur Mitarbeit bereit. Und die Altmeister unserer Dichtung stimmten dem Vorhaben freudig zu. Marie v. Ebner-Eschenbach meinte, als sie von der Anregung eines biographischen Denkmals für das Zeitalter Kaiser Franz Josefs hörte, der Gedanke müsse zündend wirken. Und Rosegger schrieb dem Werkmeister des Unternehmens: »Laß nicht ab von diesem großen Buch der Österreicher.«

Das große Buch der Österreicher bedeutet aber im Mund des grundehrlichen Gottsuchers Rosegger ganz und gar nicht ein Buch der Selbsttäuschung oder Schönfärberei. Das große Buch der Österreicher ist für Rosegger, wie für die Leiter und Schutzgeister der Neuen Österreichischen Biographie das wahrhaftige Buch der Österreicher. Wie der junge Schiller einen Linnäus der Geister ersehnt und gefordert hat, der sie prüfen und scheiden soll; wie Wurzbach im lebendigen Anschauungsunterricht eine Kulturskala der einzelnen Stände, Städte und Stämme durch sein biographisches Lexikon zeigen wollte, wird eine Neue Österreichische Biographie Tugenden und Untugenden, Vorzüge und Gebrechen unserer Nationalcharaktere zu vergegenwärtigen haben. So streng diese Selbstkritik aber auch ausfallen mag, das Endergebnis kann nicht zweifelhaft sein: das Zeitalter Franz Josefs wird getrost den Vergleich mit den größten Epochen der österreichischen Geschichte, auch mit der Theresianischen Zeit aushalten. Zeuge dessen Weltnamen unserer Heerführer wie Radetzky und Tegetthoff; Staatsmänner wie Felix Schwarzenberg, Schmerling, Bruck, Deak, Andrassy; Dichter wie Grillparzer, Raimund, Lenau, Stifter, Anzengruber; Forscher wie Rokitansky, Skoda, Miklosich, Eduard Sueß; Maler wie Schwind, Waldmüller, Pettenkofen, Matejko, Munkácsy; Musiker wie Liszt, Bruckner, Smetana, Johann Strauß, Goldmark; Architekten wie die Schöpfer Neu-Wiens, von Ferstel bis Otto Wagner; Techniker wie der Prophet des Suezkanals Negrelli und die Erbauer der Semmering- und der Tauernbahn – ein unabsehbarer Geisterzug starker Talente und seltener Charaktere.

In ihrer Mitte wird aber immer Kaiser Franz Josef erscheinen, weil er ungeachtet aller Anfechtungen Österreichs Geltung als Großmacht zu behaupten verstand. Zum Dank für dieses Verdienst wird die bildende Kunst, der er stets ein wohlgesinnter Schirmherr gewesen, ihm ein Denkmal weihen, das, wie Zumbusch das für Maria Theresia, Rauch für Friedrich den Großen getan, den Herrscher darstellen wird, umgeben von seinen Feldherren, Ministern, von Forschern und Künstlern seiner Zeit. Und nicht minder dankschuldig als die Kunst, wird die Wissenschaft Franz Josef ein Monument stiften, das mindestens ebenso dauerhaft sein soll, wie das Denkmal der bildenden Kunst. Und erst die Zukunft wird zeigen, ob in diesem friedlichen Streit die Kunst oder die Wissenschaft Siegerin bleibt. Schon Tacitus hat in der Lebensbeschreibung seines Schwiegervaters Agricola gesagt: er mißgönne und widerrate nicht ein Denkmal aus Erz und Marmor. Eine Bildsäule gebe aber nur das Abbild des Antlitzes, und wie das leibhaftige Antlitz welke und vergehe, sei auch das Abbild aus Erz und Marmor vergänglich. Die Seele aber sei ewig und ihr Abbild hafte im Gemüt und überdaure im Nachruf des Schriftstellers allen Wandel der Zeiten, in der Stimme der Geschichte die Jahrhunderte. Genau so haben schon im 18. Jahrhundert weitblickende Franzosen prophezeit, Voltaires Siècle de Louis XIV. werde länger währen, als das Reiterbild des Sonnenkönigs auf der Place Vendome, das in der Tat von der Napoleon-Säule abgelöst wurde. Und unser Grillparzer hat 1853 im Hinblick auf ein Goethe-Schiller-Monument gesagt:

Was setzt ihr ihnen Bilder aus Stein
Als könnten sie jemals vergessen sein?
Wollt ihr sie aber wirklich ehren,
So folgt ihrem Beispiel und horcht ihren Lehren.

An solchen guten und schlimmen Beispielen, an traurigen und tröstlichen Lehren hat es dem Zeitalter Kaiser Franz Josefs wahrlich nicht gefehlt. Und wie die Ergebnisse und Erlebnisse dieses Zeitalters ihre Probe im Weltkrieg zu bestehen hatten, werden die Schöpfer dieser Ereignisse, ihre Helden und Dulder, unvergessen und unverloren weiter zu wirken haben im Zeitalter des Weltfriedens, den die Völker Österreichs ebenso beharrlich erkämpfen, als ersehnen. In diesem Sinne wurde der Grundstein zu einem Monumentum Austriae, zu unserer Neuen Österreichischen Biographie gelegt. In dieser Zuversicht warben und werben wir bei Vaterlandsfreunden und unseren Forschern für unser hoffentlich entwicklungsfähiges, zukunftsreiches Kriegspatenkind für ein biographisches Denkmal des Zeitalters Kaiser Franz Josef I. Ein Zeitungsbericht über meinen Vortrag (»Neue Freie Presse« vom 14. April 1918) veranlaßte Herrn Professor Josef Schwerdfeger mir einen Hinweis auf die Einleitung seiner Festschrift zum Kaiserjubiläum 1908: »Die historischen Vereine Wiens 1848 bis 1908« zugehen zu lassen; nach dem Begleitbrief Schwerdfegers wäre »eine Anregung ähnlicher Art der persönlichsten Initiative des verewigten Monarchen entsprungen«. Dem Almanach der kaiserlichen Wiener Akademie der Wissenschaften 1863 entnehme ich als Nachwort des im wesentlichen auf selbstbiographischen Aufzeichnungen beruhenden Nekrologes von Josef Feil in der Tat folgendes: »Wie sehr er die vaterländische Topographie, Geschichte und Altertumskunde gefördert hat, beweist das ehrenvolle Vertrauen, welches sein Monarch nicht nur in seine Kenntnisse, sondern besonders in seine Wahrheitsliebe setzte, indem er ihn während seines Aufenthaltes in Aussee im August 1861 auffordern ließ, für den Kronprinzen Rudolf eine Art österreichischen Plutarchs auszuarbeiten, ein Vertrauen, dem zu entsprechen Feil, abgesehen von seiner allzu großen Bescheidenheit, von seiner allzu großen Kränklichkeit gehindert wurde.« Damit stimmt A. V. Felgel in seinem Feil-Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie (Band 6) überein. Feil war ein besonderer Förderer Wurzbachs, der dieses Helfers im Vorwort zu Band 9 des Biographischen Lexikons mit dem Nachruf gedenkt: »Vor wenigen Wochen ist er erst hingegangen, wo alle Arbeit ein Ende hat. Es ist der gelehrte Forscher Joses Feil (gestorben zu Wien, 29. Oktober 1862), an den ich nie vergeblich eine Frage gestellt, und von dem ich manche interessante Nachweisung erhalten habe. Feil verfolgte mein Werk mit so sichtlichem Interesse, daß jede Begegnung mit ihm eine wahre Aussaat der lehrreichsten und nützlichsten Bemerkungen für mich wurde.« Kaiser Franz Josefs eigenste, an Feil gerichtete Anregung zu einem Österreichischen Plutarch bleibt nach wie vor ein Vermächtnis, dessen Erfüllung die Nachlebenden sich als Ehrenpflicht angelegen lassen sein sollen. – Dem vollkommen unveränderten Neudruck meines 1918 von Karl Fromme, Wien, veröffentlichten Vortrages ist nur beizufügen, daß 1921 die Wiener Literarische Anstalt (Wila) den Verlag dieser »Neuen Österreichischen Biographie. Vom Wiener Kongreß bis zum Ausgang des Weltkrieges 1918« übernahm und demnächst mit der Ausgabe der ersten Probebände beginnen wird.


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