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Ludwig Lobmeyr

I.

Nachruf.

Nahezu 90 Jahre ist Ludwig Lobmeyr alt geworden und trotz dieser ungewöhnlich langen Lebensdauer hat er ohne Hast und Rast fast bis in die jüngsten Monate seinen Beruf mit solcher Liebe gepflegt und das gemeine Beste mit solcher Überlegenheit gefördert, daß wir uns kaum in den Gedanken finden, diese unvergleichliche und unersetzliche Persönlichkeit fortan zu missen. Überall wird er uns fehlen in Kunst und Leben. Jedermann kannte den (gebornen und geborenen) Ehrenbürger, der in Burg und Oper, im Philharmonischen Konzert und im Künstlerhaus bei großem Anlaß so sicher zu treffen war wie bei wichtigen Wahlgängen oder bei dem berühmten Ball der Stadt Wien, an dem er mit dem Grafen Wilczek und Dumba Gastgeber in demselben urgemütlichen Stil war, an dem sich vorher und nachher mindestens zwei Menschenalter hindurch Tausende von Gästen in den eigenen sagenverklärten Gesellschaften des ewigen Junggesellen labten: zuerst in dem Stammhaus Ecke der Weihburg- und Kärntnerstraße und nach dessen Niederreißung in den von Rudolf Alt verewigten, nach Zeichnungen Theophil Hansens ausgestatteten Empfangsräumen in der Schwangasse. Wer immer als Zufalls- oder als Stammgast achtlos über seine Schwelle trat, ohne Unterschied des Alters, des Ranges und Standes mit gleicher Herzenshöflichkeit willkommen geheißen, konnte glauben, dieser anspruchslose Wirt, ein Alt-Wiener Humorist, ein Genie der Geselligkeit, der Musikabende mit Spielpartien und Tanzabenden der Jugend abwechseln ließ, habe keinen höheren Lebenszweck, als zum eigenen Ergötzen für die Behaglichkeit seiner Besucher zu sorgen, regelmäßig im Bunde mit dem Koch gründlich beratene, tiefdurchdachte Menüs zu bauen, herrliche, katerfreie Bowlen zu brauen, Künstler und Staatsmänner, schöne Frauen und Gelehrte zu Symposien ohnegleichen zu vereinigen. Kenner der fast an jedem dieser Abende unscheinbar zur Schau gestellten neuesten Proben seines künstlerischen Erfindergeistes wußten es besser. Lobmeyrs frohe Feste waren der Preis saurer Wochen, Jahre, Jahrzehnte. Mit dem Ernst, den keine Mühe bleichet, und mit der inneren Freudigkeit, die angebornem Schöpferdrang und eigenrichtigem Geschmack entsprang, wies Ludwig Lobmeyr dem heimischen Kunstgewerbe neue Wege, gewann er sich, seiner Firma und der österreichischen Heimat in seinem Fach Weltruf.

Lobmeyrs Vater war, wie Friedrich Pecht in seinen »Erinnerungen« erzählt, aus Oberösterreich als Glasergeselle nach Wien gewandert und in einem mit böhmischen Glaswaren handelnden Geschäft in der Kärntnerstraße eingetreten. Dank seiner Tüchtigkeit wurde er Kompagnon und zuletzt Gatte der früh verwitweten Eigentümerin des Unternehmens, das bald das erste Wiens wurde. Der Ehe entsprossen mehrere Söhne und Töchter; zwei Söhne übernahmen das Geschäft, eine Tochter heiratete den Hauptlieferanten und Besitzer von mehreren böhmischen Glasfabriken (Kralik). Die böhmische Glasindustrie konnte sich dazumal nicht entfernt mit der französischen oder englischen messen, bis Ludwig Lobmeyr 1851 auf der Londoner Weltausstellung orientalische, antike und venezianische Arbeiten kennen lernte. Starke Anregungen empfing er weiter durch Eitelberger und das neubegründete Österreichische Museum, das in Lobmeyr einen seiner großen Triumphatoren und Schutzgeister ehrt. Lobmeyr begann nun selbst Gläser zu zeichnen und Glasgefäße von Storck und anderen Künstlern, zumal von Hansen, zeichnen zu lassen, dem er bis über das Grab hinaus wärmste Zuneigung bewahrte. Ungeachtet aller Empfänglichkeit für Theophil Hansens Formensinn hörte Lobmeyr überdies auf den Rat von Laien und Sachverständigen, die seinen Farbensinn auf niederländische und italienische Vorbilder lenkten. »Eine so feine und schöpferische Künstlernatur, wie die meines Freundes Lobmeyr, überraschte bald die Welt mit Arbeiten, die nicht nur im Lauf der Jahre fortwährend wachsenden koloristischen Reiz zeigten, sondern auch alle jenen ganz persönlichen Charakter trugen, wie er sonst nur Kunstwerken, doch jenen Fabrikationsartikeln nur in den seltensten Fällen eignet, an deren Herstellung oft zwanzig bis dreißig verschiedene Menschen beteiligt sind. Da entfaltete nun aber Lobmeyr, indem er den ganzen Tag vom Maler zum Schleifer, von diesem zum Monteur herumfuhr, um ihre Arbeit zu überwachen, eine ganz eigentümliche, nur ihm eigene, ruhige und sanfte, ja liebenswürdige Beharrlichkeit, der niemand zu widerstehen vermochte, bis die Gläser genau so waren, wie er sie haben wollte und wie sie dann jedermann sofort als »Lobmeyrsche Gläser« erkannte, die denn auch als mustergültig bald für alle Sammlungen dieser Art in ganz Europa erworben wurden. Er spielte hier ganz dieselbe Rolle, die Semper dem Architekten bei einem großen, alle Künste in Anspruch nehmenden Bau anweist: als Kapellmeister, der die verschiedensten Stimmen und Instrumente zur Aufführung eines Musikstückes zusammenhält«. Die gleichen Naturgaben befähigten Lobmeyr (schon nach Pechts Zeugnis), auch außerhalb seines engsten Kreises der allgemeine Vertrauensmann zu werden, zunächst im Kuratorium des Österreichischen Museums, dann in den Jurys aller Ausstellungen u. s. w. »Er war überall gesucht, weil er sich nie vordrängte, sondern immer nur die Sache im Auge hatte.« Sein Reichtum und seine Gastfreiheit schufen ihm zudem einen Haushalt, den ihm niemand vor- und nachmachte. (Das Wort »Salon« traf nirgends weniger zu als auf Lobmeyrs »Privatakademie« und reichlich abgestufte Gesellschaftsabende, »Käferschachteln«, wie sie einmal scherzhaft nach ihrer Gliederung genannt wurden.) »Kurz,« erklärte Pecht, »ich habe eigentlich nie einen schlichten bürgerlichen Mann so sehr den Liebling aller werden sehen. Freilich war er am meisten Mäzen der Künstler, wie er denn als ein eifriger Sammler bald die schönste Privatgalerie in Wien besaß und man die Werke Pettenkofens, Alts und anderer Wiener Zelebritäten nirgends so gründlich studieren konnte als bei ihm, wo man auch sie selber, wie die meisten bedeutenden Wiener Meister, am sichersten traf. Denn er hatte auch den gesunden Verstand, bei seinen Ankäufen vor allem die heimischen Künstler zu berücksichtigen«: mit welchem Spürsinn, Finderglück und Erfolg hat im Oktober 1902 Ludwig Hevesi – mindestens nach Lobmeyrs eigenem, mündlichem Urteil – am feinsten in seiner (seither in dem Sammelbuch »Altkunst-Neukunst« wiederholten) Studie »Die Galerie Lobmeyr« aufgezeigt.

So hoch man den Kaufherrn, den Künstler, den Kunstfreund, den Wirt aber auch stellen mag und muß, der ganze Lobmeyr war mehr. Die volle Bedeutung seines Wesens wurzelte, um Grillparzers Wort auf seinen Vater zu wiederholen, in seiner fabelhaften Rechtschaffenheit, in seinem bei aller milden Verträglichkeit unerschütterlichen Charakter. Ohne große Worte zu lieben oder zu machen, war er in jeder Lebenslage, in jedem Lebenskreise die Verläßlichkeit selbst. Fern jeder Pose, ebensowenig ein Polterer als ein Eiferer, Schmeicheleien so wenig zugänglich als Einschüchterungen, blieb er unbeirrbar in seinen politischen und künstlerischen Überzeugungen. Ein Josefiner und Altliberaler war er im Herrenhause, in das er – ich glaube nach Eitelbergers Tod, unter Stremayr – ein echter Wiener Pair, als Bahnbrecher des heimischen Kunstgewerbes berufen wurde, ein treuer Partei- und Lebensfreund der Schmerling, Arneth, Chlumecky und der beiden Plener. In den bildenden Künsten hält er es mit den Großen, Echten alter und neuer Zeiten, unbekümmert um Sturm und Lärm der Sezession, die wenig Gunst bei ihm fand. Wandlungen des Modegeschmackes, Einwendungen und Anfechtungen maßloser Gegner berührten ihn nicht im geringsten: er stand fest in seinen eigenen Schuhen, in aller Anspruchslosigkeit nicht im Zweifel über den eigenen Wert.

So hätte sein Wahlspruch Gustav Freytags Wort sein können: »Wir wollen bürgerliches Wesen zu Ehren bringen.« Wie Ludwig Lobmeyr das im kleinen und großen, in unscheinbaren Tagewerken und großmütigen Wohlfahrtseinrichtungen getan; wie er zu allem Zeit fand, in ungezählten Körperschaften und Vereinen seinen Mann stellte, nirgends und niemals nur der Form genügend, überall mit reizender, rührender, altvaterischer Umständlichkeit in alle Einzelheiten eingehend, das gäbe mehr als ein Kapitel, nicht zum wenigsten für die Schiller-Stiftung, in der ich, von ihm als Nachfolger Alfred Bergers geladen, seit achtzehn Jahren mit Minor, Kunwald, Hölder, Lewinsky, späterhin mit Thimig, Glossy, Edmund Benedikt, Seemüller, Richard Lieben, Mohr Zeuge seiner staunenswerten Gewissenhaftigkeit und Freigebigkeit wurde Ein nur in 100 Abzügen vervielfältigter Privatdruck »Zum fünfzigjährigen Bestande des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schiller-Stiftung. Rückblick und Ausblick 1909« (Druck: Christoph Reißers Söhne) gibt einen knappen Abriß der Geschichte des Wiener Zweigvereines aus der Feder des damaligen Schriftführers (Anton Bettelheim) und statistische Mitteilungen des Sekretärs (Josef Vöck-Gnadenau) mit zwei Bilderbeilagen, dem Verwaltungsrat von 1859 (Halm, Dingelstedt, Meißel, dem älteren Zabel, Mosenthal, Kompert, Löhlein, Müller-Königswinter, dem Münchener Förster) und von 1905 (Lobmeyr, Minor, Bettelheim, Benedikt, Glossy, Hölder, Lieben, Thimig und Sekretär Böck). Die Kosten dieser Festschrift bestritt Lobmeyr aus – dem Verkauf der Plakette, die zu seinem 70. Geburtstag seine Freunde von Marschall auf Antrag Dumbas aus gediegenem Gold hatten herstellen lassen. Dem Sinn Lobmeyrs widerstrebte die goldene Medaille. Ihm genügte es, sein Bildnis für sich und alle Freunde in Bronze prägen oder gießen zu lassen. Die ihm persönlich gewidmete goldene Medaille ließ er einschmelzen und den Erlös außer für die seinen Freunden und Bekannten gewidmeten Bronze-Medaillen wohltätigen und gemeinnützigen Zwecken zufließen. Vgl. Alfred Berger, Reden und Aufsätze, 1913, S. 109.. Als unser Sekretär Böck-Gnadenau mich im März 1914 aufmerksam machte, daß gerade zwanzig Jahre seit Lobmeyrs Wahl zum Obmann verflossen seien, wußte ich zum voraus, daß er jede Feier, ja die leiseste Berührung in der Öffentlichkeit abweisen würde. Und da Weimar ihn schon längst zum Ehrenmitglied gewählt hatte, dachte ich mit den Wiener Kollegen daran, von den Herren des Vorortes einen Abguß der zuerst für Paul Heyse gegossenen Schiller-Plakette von Brütt zu erbitten. Die auswärtigen Kollegen ließen es sich indessen nicht nehmen, die Gabe selbst zu stiften. Den Empfang einer besonderen Abordnung lehnte Lobmeyr ab; zu unserer angenehmen Überraschung erbot er sich aber aus freien Stücken, mit allen Wiener Kollegen in die Villa Gabillon zu kommen, um das Geschenk, das die Hausfrau mit frischem Grün umkränzt hatte, in Empfang zu nehmen. Der Hausherr las die Widmungsurkunde.

 

Weimar, am 15. März 1914.

Hochverehrter Herr, lieber Kollege und Freund!

Zwei Jahrzehnte sind am heutigen Tage verflossen, seitdem Sie durch die ehrenvolle Wahl zum Obmann des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schiller-Stiftung in unseren Verwaltungsrat eingetreten sind, zwei Jahrzehnte voll der treuesten Teilnahme an seinen Aufgaben und Arbeiten! Sie haben während dieser Zeit die wichtige Aufgabe des Wiener Zweigvereines, das deutsche Schrifttum in Österreich in fortgesetzter enger Verbindung mit dem des Deutschen Reiches zu erhalten, in hervorragender Weise erfüllt und sich würdig den verdienten Männern angeschlossen, die seit Beginn der Wirksamkeit der Schiller-Stiftung dieses Ziel unentwegt im Auge hielten. Zugleich sind Sie aber auch eifrig bemüht gewesen, in warmherziger Fürsorge für die notleidenden Schutzbefohlenen der Stiftung und mit feinem Verständnis für die geistigen und materiellen Bedingungen der fortschreitenden Entwickelung des gesamten deutschen Schrifttums das gemeinsame Werk zu fördern. Für diese aufopferungsvolle Mitarbeit hat Ihnen der Verwaltungsrat der Schiller-Stiftung schon einmal in ganz besonderer Weise seinen Dank auszudrücken sich verpflichtet gefühlt, indem er Sie zum Ehrenmitglied der Stiftung ernannte.

Am heutigen Gedenktage, zu dem wir Ihnen unsere herzlichsten Glückwünsche darbringen, erfüllt es uns nun mit großer Freude, Ihnen, lieber Herr Kollege, auch das Ehrenzeichen darbringen zu dürfen, das zur Auszeichnung derjenigen unserer Ehrenmitglieder, die bis in ihr hohes Alter hinein in unermüdlicher Mitarbeit unserem Kreise angehören, bestimmt ist: das in Erz gegossene Bildnis Schillers! Möge es Ihnen zum Zeichen dienen, daß wir in unverminderter Dankbarkeit der großen Verdienste gedenken, die Sie sich um die Schiller-Stiftung in jahrzehntelanger Wirksamkeit in einem bedeutungsvollen Ehrenamte erworben haben und daß wir damit auch den stets hilfsbereiten, uns lieb und teuer gewordenen Kollegen aufs herzlichste begrüßen wollen.

Gestatten Sie uns, diesem Ausdruck unseres Dankes und der größten Verehrung den Wunsch hinzuzufügen, daß Ihnen noch viele Jahre eines rüstigen und frohen Alters beschieden sein mögen!

In aufrichtiger kollegialischer Gesinnung
der Verwaltungsrat der deutschen Schiller-Stiftung:
Rothe. P. v. Bojanowski. Geisler. Paul Heyse. Krauß. Walzel. Erich Petzet. O. Bulle.

Lobmeyr antwortete wiederum in seiner Art: mit einer Improvisation, der Geschichte seiner Berufung in das Präsidium »sozusagen als Verlegenheitskandidat« und der wahrhaftigen Schilderung seiner höchst praktischen Änderungen des ehedem ungemein schleppenden Geschäftsganges, die uns alle hell auflachen machte. Zwei Wochen später schrieb mir Lobmeyr dann, er könne und wolle mir freundschaftlich nicht verschweigen, was ich ja doch aus den Büchern erfahren würde, daß er unserem Zweigverein 20.000 K als Lobmeyr-Fonds überwiesen habe. So sehr wir diese Verstärkung unserer Mittel benötigten und dankbarst begrüßten, weit mehr hat Lobmeyr längst in den dreißig Jahren seines Wirkens in der Schiller-Stiftung durch den Einsatz seines Ansehens und seine ausdauernde Mitarbeit getan. Von ihm konnte jeder lernen. Ja und, wo's not tat, Nein zu sagen; von ihm erfahren, wie Hirn und Herz sich zu vertragen haben. Was er den Kollegen persönlich gewesen, sollte ich – seit mehr als vierzig Jahren Gast seines Hauses – an seinem vorletzten Lebenstag doch neu überrascht erfahren. Die Vorbereitungen zur nächsten Hauptversammlung hatten mich Samstag in sein Kontor geführt. Als ich mich nach seinem Befinden erkundigte, hörte ich, nicht zum Besten; doch könne ich ihn besuchen. Als sein treuer Pfleger nun fragte, ob ich vorsprechen dürfe, sagte der Kranke liebenswürdig: »Ja, er würde mich sehr gern sehen.« In demselben Zimmer, in dem sonst ungezählte Male nach dem Abendessen geraucht und fröhlich geplaudert worden war, lag der hohe Achtziger auf einem Ruhebett, angekleidet, in Decken eingehüllt, die Augen halb geschlossen, scheinbar hindämmernd, ein trostloser Anblick. Ich wollte mich still fortschleichen, da faßte mich Lobmeyr bei der Hand mit den Worten: »Ich möchte die Herren noch einmal bei mir sehen. Es wäre ein Abschluß«, und als ich bewegt widersprechen wollte, fuhr er fort: »Es wird sich alles machen lassen mit meiner Mathilde« – Lobmeyrs Nichte v. Kralik – »als Hausfrau. Es wäre ein Abschied. Grüßen Sie mir alle Herren recht herzlich.« Daß er vierundzwanzig Stunden hernach für immer geschieden sein würde, hätt' ich nicht geglaubt.

So könnt' ich schließen, wie ich begonnen: er wird uns überall fehlen. Jenes erste Wort bedarf aber eines letzten zur Ergänzung: er wird, so schmerzlich wir seine liebe Gegenwart entbehren werden, uns Freunden überall bleiben als unvergeßbares, unerreichbares Vorbild in Ernst und Scherz, in Kunst und Leben. Und er wird hoffentlich auch im Gedächtnis von Fernstehenden und Nachlebenden bleiben als einer der besten Altösterreicher seiner Zeit, dessen Beispiel, dessen Lebenswerk dauern wird, wie das von Eitelberger und Hansen, von Rudolf Alt und Eduard Sueß, durchwegs Stammgäste im Haus und Herzen Ludwig Lobmeyrs.

Wien, 25. März 1917, an Lobmeyrs Todestag.

II.

Ansprache bei der Leichenfeier im Hause Ludwig Lobmeyrs.

Im Auftrag der Deutschen Schiller-Stiftung in Weimar, deren Ehrenmitglied Ludwig Lobmeyr war, und im Namen des Wiener Zweigvereines der Deutschen Schiller-Stiftung, die ihn seit 23 Jahren mit Stolz ihren Obmann nannte, soll ich ihm in dieser Stunde heißen Dank sagen für alles, was er der Sache unserer Stiftung seit ihrer Begründung gewesen und geworden ist. Als im hundertsten Gedenkjahr der Geburt Schillers 1859 die Stiftung ins Leben gerufen wurde, ging Wien allen anderen deutschen Städten voran. Kaiser Franz Josef wurde ihr ein großmütiger Schirmherr, Fürsterzbischof Kardinal Rauscher trat ihr als Mitglied bei, der hohe Adel, die Künstlerschaft und das Bürgertum wetteiferten, sie zu fördern. Ludwig Lobmeyr gehörte ihr vom ersten Tag, an dem sie ins Leben trat, an. In den Achtzigerjahren wurde er Schatzmeister unseres Zweigvereines und als 1894 Ludwig August Frankl starb, wurde er zum Obmann gewählt. In gewissenhafter Selbsterforschung fragte er sich, wie er mir einmal erzählte, ob ein Kaufherr das Ehrenamt bekleiden dürfe, das vor ihm nur Schriftsteller und namhafte Dichter, wie Friedrich Halm und Mosenthal, einsichtig verwaltet hatten. Nach reiflicher Überlegung nahm er zum Heil unseres Zweigvereines an. Denn lange bevor Minor die Schiller-Stiftung die größte literarische Wohlfahrtseinrichtung des deutschen Volkes genannt hatte, war Ludwig Lobmeyr ihre künstlerische und wirtschaftliche Bedeutung aufgegangen und mustergültig erfüllte er nach beiden Richtungen jede ihrer Aufgaben. Mit den Künstlern fühlte er als geborener Künstler; der Bedürftigen nahm er sich mit Milde, Zartgefühl, Freigebigkeit an; dazu kam seine Tüchtigkeit und praktische Erfahrung der Vereinfachung und Beschleunigung des Geschäftsganges zu gute. Keine Mühe ließ er sich verdrießen, keine Arbeit schien ihm zu gering; wer ihn am Werke sah, hätte glauben mögen, Ludwig Lobmeyr hätte keine andere Lebensaufgabe als die Leitung des Wiener Zweigvereines.

Er begnügte sich allerdings nicht mit der Besorgung der Tagespflichten. Seinem großen Sinn gemäß förderte er zum Heil der Stiftung bei großen Anlässen große Zwecke. In denselben Räumen, in denen unsere heutige Trauerversammlung sich zusammenfindet, hat Ludwig Lobmeyr die Getreuen Marie v. Ebner-Eschenbachs zusammenberufen, die zum 80. Geburtstag der Dichterin den Ebner-Eschenbach-Fonds, den Ebner-Preis zu stande brachten. In diesen Räumen haben wir im Dienste des Zweigvereines die Veranstaltung von Ferdinand v. Saars Gesamtausgabe zum Besten der Schiller-Stiftung beschlossen und bewirkt. In diesen Räumen hat Ludwig Lobmeyr als Obmann des Zweigvereines alles, was in Wien geistig zählt, 1905 zu sich berufen, um für die große Schiller-Feier zum hundertsten Todestage des Dichters zu rüsten. Und im Kreise des Zweigvereines bot er an dem gleichen Gedenktag auf unsere erste Anregung die Hand zu einem stillen Pietätsakt: dem hilfreichsten Jugendfreund Schillers, der hernach einer der besten Bürger Wiens wurde, Andreas Streicher, setzte der Wiener Zweigverein im Marbacher und im Weimarer Schiller-Haus marmorne Votivtafeln.

So hat Lobmeyr unvergleichlich länger, unvergleichlich vielseitiger und erfolgreicher als irgendeiner seiner Amtsvorgänger, unseren Zweigverein höher und höher gehoben: ein Obmann des Zweigvereines, dessengleichen er vorher nie gehabt und menschlicher Voraussicht nach nicht wieder haben wird. Einzig wie seine Persönlichkeit war seine Amtsführung, für alle Zeiten wird Ludwig Lobmeyrs Wirksamkeit ein Ruhmestitel der Deutschen Schiller-Stiftung bleiben. Trotz oder wegen dieser Verdienste hat er uns letztwillig verwehrt, Kränze an seinem Sarge niederzulegen. Immerhin. Ludwig Lobmeyr bedarf keiner äußeren Zeichen der Liebe und Trauer; sein selbstgepflanzter Lorbeer grünt und treibt unverwelklich. Ebendeshalb sagen wir ihm heute kein Wort des Abschieds: weil wir wünschen und wissen, daß sein Beispiel, seine Tatkraft, Geist und Gemüt Ludwig Lobmeyrs lebendig unter uns fortwirkt und fortwirken muß, wenn die Schiller-Stiftung weiterhin blühen und gedeihen soll. Amen!


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