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Auguste Wilbrandt-Baudius

Der Begründer des Burgtheaters war auch der Begründer der Schauspielergalerie seiner Hofbühne: Jedem, welcher sich in seinen Rollen besonders auszeichnete und den einstimmigen Beifall des Publikums erwarb, wurde (nach der Erzählung J. H. F. Müllers in seinem längst eines Neudruckes würdigen »Abschied von der k. k. Hof- und Nationalschaubühne«) seit 1786 der Befehl Kaiser Josefs zugeschickt, sich vom kaiserlich-königlichen Kammermaler Hickl malen zu lasten. Die Bildnisse von Prehauser, Weiskern, Müller, Lange, Steigentesch, Brockmann und ihrer Kolleginnen Weidner, Adamberger, Stephanie, Sacco, Jaquet, Nouseul haben in den inzwischen verflossenen 133 Jahren reichen Zuwachs erfahren und eine Auslese dieser Porträts unserer ersten Burgtheatergrößen grüßt von den Wänden der Haupt- und einiger Seitenwandelgänge des neuen Hauses. Soviel die Gesichter und Trachten ganzer Geschlechter von Burgtheaterleuten schon dem flüchtigen und doppelt und dreifach dem tiefer eindringenden Beschauer durch ihr Konterfei zu sagen im stande sind, willkommene Ergänzung gibt mehr als einmal erst ihr lebendiges Wort.

So mancher Hofschauspieler und so manche Hofschauspielerin hat in Denkwürdigkeiten und Briefen so unersetzlichen und unvergleichlichen Aufschluß über das eigene und das Wirken der Kameraden gegeben, daß eine Sammlung ihrer Bücher und Schriften – ganz abgesehen von den Bekenntnissen und Dramaturgien ihrer Führer Kotzebue, Schreyvogel, Holbein, Laube, Dingelstedt, Wilbrandt – mit die wichtigste, vielleicht die lebendigste, frischeste, unmittelbarste Quellengeschichte des Burgtheaters abgeben würde: Zeuge dessen der eingangs genannte »Abschied« J. H. F. Müllers, den Kaiser Josef als Vertrauensmann auf eine Studienreise nach Deutschland, vor allem zu Lessing sandte, dessen Ratschläge nicht verloren blieben; die Selbstbiographie Langes, der nicht bloß als Schauspieler, sondern als Maler und durch seine Beziehungen zu Mozart fortlebt; das den ganzen Mann im Naturselbstdruck vor Augen stellende, durch einen dankenswerten Neudruck bei Reclam verbreitete Buch von Heinrich Anschütz; die Tagebücher von Costenoble; die anmutigen Erinnerungen von Luise Schönfeld-Neumann; die von Helene Bettelheim veröffentlichten Briefe und Tagebuchblätter ihres Vaters Gabillon und Hermine Sonnenthals Ausgabe der Korrespondenzen Adolf Sonnenthals; die klassischen, gleichfalls bei Reclam gedruckten Charakteristiken Laubes und seiner Truppe von Hermann Schoene, Briefe von Mitterwurzer, die Burckhard, und Briefe von Kainz, die Eloesser herausgab: Alexander v. Weilens Mitteilungen aus dem Nachlaß von August Förster; der Burgtheater-Dekamerone, den seinerzeit mit glücklichem Einfall und vollem Gelingen Siegmund Schlesinger ins Werk setzte, dieser vertraute Kenner der Alten vom Burgtheater, der uns – leider! – die von ihm vorbereiteten Kapitel aus Baumeisters munter, mündlich erzählter Selbstbiographie schuldig geblieben ist; und Josef Lewinskys Schriften und Reden, die seine Witwe veröffentlichte, Vorboten seiner von Helene Richter aus den Tagebüchern und Korrespondenzen des redlichen Künstlers geschöpften, handschriftlich von dieser Biographin abgeschlossenen Lebensgeschichte.

Dieser stolzen, bunten Reihe schließt sich Auguste Wilbrandt-Baudius mit einem schlanken Plauderbüchlein »Erinnerungsskizzen einer alten Schauspielerin« an, das als Selbstporträt so einzig ist, wie das Urbild, und, so unbefangen, absichtslos, mit ungesuchter Natürlichkeit es entworfen ist, den Vergleich mit ihrem von Franz Lenbach gestifteten Porträt in der Ehrengalerie des neuen Burgtheaters siegreich besteht. Ein so neidenswertes Modell ihre Gestalt für den ihre Werdezeit behandelnden Roman Adolf Wilbrandts »Meister Amor« und für die ihren Lebensbund mit guter Laune schildernde Humoreske »Theaterblut« von Hermann Schoene geboten hat – echter und besser, herzbewegender und gewinnender hat niemand sonst Auguste Wilbrandt verewigt, als sie das selbst getan, in dieser aus Vorlesungen, genauer gesagt, aus szenischen Vorträgen erwachsenen, wenn ich nicht irre, zuerst zum Besten des Volksbildungsvereins improvisierten Blättern. Was die edelsten Überlieferungen des alten Burgtheaterlustspiels auszeichnete, das Vermeiden jeder Übertreibung, das leise, halbe Andeuten, das Schweben zwischen Lächeln und Rührung, Gemütstöne und überlegenes Spiel der Schalkhaftigkeit, das und anderes mehr, tut uns unablässig wohl in diesen Unterhaltungen mit einer grundguten, durch und durch vornehm gearteten Natur.

Aus den ärmlichsten Verhältnissen durch ein Märchenschicksal auf künstlerische Höhen gehoben, widmet sie dem Urheber ihrer Schauspielerei Vater Baudius, der als Sonderling, Nasen-Baudius, das heißt Maskenmacher, Talentenentdecker, Lehrer und Geldgeber seiner Berufsgenossen in der Schauspielerlegende fortlebt, einen Nachruf, der ein Meisterstück des Herzens und der Feder bleibt. Ihre ersten, halben und ganzen Mißerfolge verhüllt sie nicht. Ihre Verdunklung auf der Breslauer Bühne durch die Gastspiele der Haizinger und der Goßmann hat sie schon in ihren Anfängen keinen Augenblick gehindert, neidlos und schwärmerisch die Einzigkeit ihrer Leistungen anzuerkennen, sich begeistert ihren Vorbildern zu nähern. Eine kleine Genugtuung erlebte die neben der Goßmann scheinbar in einer undankbaren Nebenrolle abgefallene 18- bis 19jährige Baudius; auf dem Heimweg aus dem Theater hört sie aus den Reden der eigenen Mutter, wie wenig sie genügt; eine zweite Theatermama, die mit einer andern Novize die beiden heimbegleitet, findet das nicht; sie rühmt die Gaben der Anfängerin, die hinterdrein erfährt, daß diese mildere Richterin eine berufenste Kennerin ist – die seinerzeit berühmte Salondame des alten Burgtheaters Karoline Müller. Was dann den raschen Aufstieg der Baudius bewirkte, verschweigt sie bescheiden. Laube, durch Vater Baudius auf die Breslauer Naive aufmerksam gemacht, hatte sie, da er für die scheidende, dem Grafen Prokesch angetraute Goßmann Nachfolge suchte, zu einem Gastspiel an die Burg geladen. Laube ist nicht unbesorgt, sie gleich in Glanzrollen dieser Vorgängerin hinauszustellen. »Na, das soll Sie nicht entmutigen. Sie sind eben anders. Hm, ich glaube, unser Ansager, Herr Hansch, wird recht behalten.« »Der ältere Herr, der mich gestern vom Bahnhof abholte?« »Ja, er meinte. Sie würden gefallen, er meint, Sie paßten für unser Burgtheaterpublikum.« »Herr Direktor, ich konnte ja gar nicht mit dem freundlichen Herrn sprechen. Mir war totübel nach der langen Reise.« »Ja, Ihr Wesen hat ihm eben doch gefallen. Er hat ein gutes Urteil. Ich befrage ihn stets. Er war es auch, der meinte (lächelnd): Das Fräulein sollte das ›Käthchen von Heilbronn‹ spielen.«

Der Ansager war ein guter Prophet. In meinen Kindertagen hab' ich die Baudius in dieser Antrittsrolle gesehen und ihr Triumph, der Triumph ihrer blauen Nixenaugen war vollständig. Mit jeder neuen Lustspielrolle wuchs ihre Kraft. Bauernfeld schrieb Rolle um Rolle für sie. Die akademische Jugend war entzückt, als die flinke Künstlerin den dazumal (1861) in Wien von den Damen nicht gekannten, geschweige geübten Schlittschuhsport auf dem Teich des Wiener Stadtparkes mit unübertroffener Grazie pflegte. Frisch, wie ein echter Student, war sie zugleich ausdauernd fleißig, wie das ein ganzer Student sein soll. In der besten aller Schauspielschulen, in der beängstigend engen Schauspielerloge des alten Burgtheaters, lernte sie mit seltener Ausdauer sehen. Was und wie viel sie von Anschütz, Fichtner, der Haizinger, von alten und jungen Kollegen sich zu eigen gemacht, kann der Leser ihres Buches aus unscheinbaren Wendungen heraushören. Adolf Wilbrandt, dessen beste Lustspiele (»Jugendliebe«, »Die Vermählten«, »Unerreichbar«, das unvergeßliche »Sächliche Wesen«, die Else in den »Malern«) sie zum Siege führte, trifft ins Schwarze, wenn er in seinen »Erinnerungen« von dieser Art und Kunst bekennt: »Das Seelenbild, die Darstellung Adolf Sonnenthal und Auguste Baudius, so ein feines Ineinanderweben hatte ich noch nie gesehen und ein schöneres, vollendeteres Duo hab' ich überhaupt nie gesehen. Man befand sich die ganze Zeit in der Sphäre, in der sich der höchste Reiz der Schauspielkunst entfaltet: komplizierte Menschen, durch die man hindurchsieht. Diese vollkommene, beständige Durchsichtigkeit, Seele gegen Seele, gibt das wirkliche Leben nie. Nur auf der Bühne finden wir diesen ungekannten Genuß. Und auch da nur, wenn die zu Meisterschaft gediehene Kunst sich in vollendetem Zusammenspiel aufs höchste steigert, wie es im Burgtheater gepflegt ward und insbesondere zwischen Sonnenthal und der Baudius in jenen Jahren aufs schönste blühte.«

Wie bescheiden dieses Hätschelkind der Theaterdichter und Theatergänger trotz alledem blieb, zeigen ihre Dankesworte für Schoene, der ein strenger Warner war. Wie fern sie jeder Überhebung war, offenbart ihr Zaudern, bevor sie sich entschloß, neben Sonnenthal die Marie im »Clavigo« zu spielen. Wer diese Leistung gesehen, hat Goethes ganze Größe in der Szene der Wiederbegegnung des reuigen Treulosen mit der von unheilbarer Schwindsucht Befallenen voll begreifen können. Man verstand beide: den in der deutschen Bühnengeschichte dauernd fortlebenden unerreichten Clavigo Sonnenthals, den angesichts der Totkranken unüberwindliches Grauen erfaßt, und die grenzenlose Hingebung der rührenden, alles vergebenden zwei- und dreimal Verratenen. Selbst das Verdienst dieser außerordentlichen Schöpfung schreibt die Baudius nicht sich allein, sondern ihrer Beraterin für diese Aufgabe zu – Fanny Elßler, deren Porträt ein Kabinettstück unserer Erzählerin ist. Allerliebst ist, wie die Baudius berichtet, sie habe 1872 in einem Stadtrestaurant zugehört, wie ein paar alte Herren am Nebentisch zufällig von der Elßler sprachen. Freudig sagte so ein alter General oder was er war: »Ach, die Fanny, ja, die Fanny, die – die wird erst noch recht schön.« Damals war sie 62 Jahre alt. Ich habe nicht gelächelt über den Ausspruch des alten Herrn. Ich verstand, wie er es meinte: ihre Seele, aus der die Holdseligkeit ihres Wesens entsprang, die konnte nicht altern, konnte nur erst recht schön werden, und aus dieser höchsten Seelenharmonie hat sich wohl schon in der Kindheit die himmlische Harmonie des Körpers gebildet.«

Was die Baudius von der Sechzigerin sagt, trifft Wort für Wort auf sie selbst zu, die heute (unglaublich!) Siebzigerin ist. Sie beide besitzen jene Jugend, welche nie verfliegt und ein Hauch dieser ewigen Jugend umwittert das Buch der Wilbrandt, das immer ein Herzenstrost gewesen wäre, niemals aber wohltuender und beruhigender wirken kann, als in unseren freudlosen, unsagbar finsteren Zeiten.

*

Diese Zeilen waren gesetzt, als Auguste Wilbrandt im Haus ihrer Altersgenossin und Lebensfreundin Karoline v. Gomperz-Bettelheim 1918 Weihnachten im Döblinger Arthaber-Hof feierte. Es war einer der anmutigsten Christabende für alle Teilnehmer. Meine Schwester Gomperz spielte und sang Schubert, Brahms, Goldmark. Auguste Wilbrandt las, wie nur sie vorzulesen versteht, Perlen aus ihrem Buch, mit dem sie uns bescherte: dazu gab sie Neues, Erinnerungen an das Ehepaar Gabillon und Amalie Haizinger, die sie am 25. Dezember 1918 in der »Neuen Freien Presse« drucken ließ und auf meinen Wunsch in meinen »Wiener Biographengängen« gütigst wiederholen läßt.


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