Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bauernfelds Wolkenkuckucksburg

Vor nahezu 50 Jahren las Bauernfeld seine literarisch-politische, Aristophanes und Goethe nachgedichtete Posse »Die Vögel oder die Freiheit in der Luft oder der Ausgleich 1919 veröffentlichte Dr. Gustav Wilhelm Bauernfelds »Republik der Tiere« im Neudruck, mit Bildern von Matthias Ranftl, und »Die Elfenkonstitution« mit einem stoffreichen Nachwort, »Die Vögel oder die Freiheit in der Luft oder der Ausgleich«. Die Wolkenkuckucksburg, deren mein Aufsatz gedenkt, s. in Bauernfelds Gesammelten Schriften, X, 193 bis 242.« einem kleinen Freundeskreis in der Villa Wertheimstein vor. Es war seit der Genesung der nach dem Tode ihres einem jäh verlaufenden Scharlach erlegenen einzigen Sohnes von einer schweren Gemütskrankheit heimgesuchten Josefine v. Wertheimstein einer der ersten Versuche, das in ihrem früheren Heim im Deutschen Haus in der Singerstraße gepflegte, reiche künstlerische Leben wiederzuerwecken in ihrem neuen, bis 1869 Arthaberischen, echt altwienerischen Döblinger Landsitz. Im Erdgeschoß wohnte die Mutter Josefinens, Henriette Gomperz: in ihrer äußeren, in einem Porträt Lenbachs lebenstreu festgehaltenen Erscheinung und in ihrer stillen, grundguten, grundgescheiten, von der ganzen Familie durch unbegrenzte Hingebung anerkannten Art das Urbild Auguste Wilbrandts für ihre Gudula Rothschild. Das schmale Gemach der Mutter Gomperz mit dem anstoßenden, geräumigen Speisezimmer ist heute, dem Stiftbrief Franzi v. Wertheimsteins gemäß, in eine Volksbibliothek umgewandelt. Das von dem jungen Schwind ausgemalte Stiegenhaus führt zu dem im ersten Stock gelegenen Salon, der als Gedenkzimmer fast in gleicher Gestalt wie bei jener Vorlesung erhalten erscheint. Von den Wänden grüßen Canons Konterfei Josefinens, Lenbachs Bilder Leopolds und Franzis v. Wertheimstein, aus der Zimmerecke blickt uns Tilgners Unger- und Seiferts Saar-Büste entgegen, stumme Zeugen für die guten Geister, die jahrzehntelang an dieser Stätte leibhaftig zur Stelle waren.

Wer Bauernfeld als Vorleser von früher kannte, wußte, daß der jugendfrische Siebziger seine Sache gut, in gewissem Sinne gefährlich gut machen würde. So wenig ein Zuhörer gelungene oder schwächere Kompositionen Liszts und Rubinsteins nur nach ihrem virtuosen Vortrag aus dem Manuskript hätte beurteilen mögen, so wenig hätten Kenner neue Werke Bauernfelds nur nach seiner, den ganzen Menschen, Auge, Zunge, Hände und Arme in Bewegung sehenden Wiedergabe gewürdigt. Bauernfeld war ein geborener Schauspieler. Jedes Wort traf, jede humoristische Wendung saß, die Feinheiten seiner Dialoge, die Luise Neumann und Fichtner, Zerline Gabillon und Sonnenthal auf der Bühne zu Triumphen führten, arbeitete Bauernfeld schon als Vorleser, wie zuvor an seinem Schreibtisch, mit überlegenem Treff aus. Manche Komödien, z. B. sein »Dämon«, den Bauernfeld, schwerer zu befriedigen, als sein erstes Auditorium in der Villa Wertheimstein, in zwei, drei Fassungen zum besten gab, schlugen im Salon jedesmal durch, um hernach auf der Bühne, wo nicht der Dichter als sein wirksamster Anwalt hinter jeder Rolle stand, abzufallen.

Die »Vögel« verfehlten ihres dem bewundernswerten Vorleser von vornherein sicheren, sieghaften Eindruckes auf die empfänglichen Gäste schon deshalb nicht, weil diesmal hinter dem in der Erfindung nicht immer starken Wiener Lustspieldichter der Alt- und Großmeister seiner Kunst, Aristophanes, mit der kühnsten seiner Eingebungen stand, die von Plato bis Goethe die Größten belustigt und begeistert hat. Aus harter Bedrängnis seiner Heimat rettete sich der attische Komöde in ein Phantasiereich; mit mörderischem Witz verspottete er in den »Vögeln« alle Zeitgebrechen und baute zugleich als Naturschwärmer eine Wunderwelt auf, wie sie luftiger und duftiger kein Nachfahr – bis auf Shakespeare – geschaut und verewigt hat, ureigen, völlig neu, wie im Grundgedanken sind die Vögel ureigen, völlig neu in der Ausgestaltung und, da der Geist den Geist ewig anregt, sind sie zahllose Male von den hellsten Köpfen aller Zeitalter und Zungen nachgeahmt, umgebildet und doch nie annähernd erreicht worden.

Zwei Bürger von Athen, Peisthetäros und Euelpides (bei Goethe zwei fahrende Literaten Treufreund und Hoffegut, bei Bauernfeld zwei Wiener Spießer und Gemeinderäte Treumeier und Hoffemeier), der Händel der Vaterstadt überdrüssig, suchen eine neue Heimat; den Weg dahin soll ihnen der eines Liebesfrevels gegen Prokne-Philomele halber in einen Wiedehopf verwandelte König Tereus, das heißt ein früherer Mensch, zeigen. Auf dem Vogelmarkt kaufen sie als Weissagevögel eine Dohle und eine Krähe, die sie in eine Waldwildnis führen, wo sie nach allerhand Irrungen den Wiedehopf ausfindig machen. Während sie mit ihm Rat halten, rotten sich die vom Wiedehopf herbeigerufenen Vögel gegen die Fremden zusammen, die sie für Vogelsteller halten. Drauf und dran, den Eindringlingen mit Schnäbeln, Krallen und Klauen zuzusetzen und die Augen auszupicken, horchen sie, anfangs stutzig, bald immer williger und gläubiger auf, als Peisthetäros sie mit verblüffender Suada beredet, sich mit ihm zur Begründung eines Weltreiches zu verbünden. Erfinderisch, wie ein Gründerprospekt, verkündigt er ihnen, die Vögel seien die ersten und ältesten Wesen; aus dem Urei vor Göttern und Menschen geboren; deshalb gebühre ihnen die Herrschaft über ihr unermeßliches, uneinnehmbares Reich. Ihre erstaunte Frage nach dem Wo? beantwortet er mit dem Hinweis auf den dazumal von Zeppelinen und Capronis noch nicht befahrenen, zwischen Firmament und Erde sich ausbreitenden Luftraum. Ihre weitere Sorge, wie sie da der Götter und Menschen sich erwehren könnten, zerstreut er durch die Aufforderung, in der Luft eine Nefelokokkygia,«, ein Wolkenkuckucksheim (nach Goethe), eine Wolkenkuckucksburg (nach Bauernfeld), zu erbauen; von dieser Trutzburg aus wären sie im stande, den Göttern jede Zufuhr von Opferdampf abzuschneiden, den Sterblichen allen für ihre Gefilde unerläßlichen Sonnenschein und Regen fernzuhalten. Gläubig willfahren die Vögel dem Gebot und vollenden die Luftstadt. Listig und lustig wird der nach dem Genuß einer Zauberwurzel in einen Halbvogel verwandelte Peisthetäros auch mit den lahmen, tölpischen, gefräßigen, gegen ihn ausgeschickten Götterboten Neptun, Herkules und den Barbarengöttern fertig, so daß ihm zuletzt mit Genehmigung des Olymps regelrecht als Verkörperung des Weltimperiums die liebliche Königin Basileia angetraut wird. Der spitzfindige, spitzbübische Peisthetäros thront fortan als Götterkönig im Luftreich, als Befreier und Gebieter der Vögel, die in tiefsinnigen Chören und Gegenchören, in Liedern und Parabasen die Wonnen eines aller Erdenschranken und Götterflüche spottenden Naturlebens hymnisch preisen und verklären und Menschenungeziefer jeder Art, Angeber, Rechtsverdreher, Winkelschreiber, Winkelpoeten, verlogene Wahrsager, entartete Söhne, Zöllner u. s. w., aus ihrer Wolkenkuckucksburg bannen. Feenmärchen und Sittenstück, Götterparodie und Weltsatire, Reineke Fuchs und Schlaraffenland sind keimhaft beschlossen, prophetisch angekündigt in der unerschöpflichen Komödie.

Diese »Vögel« hat Bauernfeld für Österreich und Wien einfangen, sozusagen domestizieren wollen, als echter Wiener Raisonneur, der sich ohne falsche Wehleidigkeit gelegentlich selbst einen Vorschimpfer nannte. Die Handlung verlegt er in die Zeit der »Ausgleicherei«, des Kulturkampfes um die Unfehlbarkeit, des Kriegsgeschreis für und wider Richard Wagner. Als kranker Minister, der einen gesunden Schatten wirft, tritt Graf Beust auf; Abgeordnetenchöre lassen, sehr frei nach der »Braut von Messina«, Kuranda, Rechbauer, Rieger, Clam-Martinic als Chorführer zu Worte kommen. Amtsschimmel und »organisierte Anarchie« werden gehänselt, Nestroysche Schnurren werden von respektlosen Ausfällen wider Dompfaff und Eminenz Uhu abgelöst, die beharrlich Anathema sit! und Non possumus! schreien. Goethesche Späße, der den Anspruch der Vögel auf Weltgeltung und anderes auf die Adler Roms, den deutschen Reichsadler, den Preußenaar und die Ordensvögel gründet, nimmt Bauernfeld mit guter Laune auf und führt sie weiter aus. Befremdend wirkt nur, daß er – im Gegensatz zu Aristophanes, der die Wolkenkuckucksburg über den Olymp endgültig siegen läßt – Treumeiers luftige Feste durch den Blitzstrahl von Vater Zeus und Gewitterregen zerstören und »das Lumpenpack von Vögeln« durch Herkules zu Paaren treiben läßt. Ein Fehlgriff Bauernfelds, mit dem uns nur der Ausklang, die dem Dichter aus dem Herzen kommende Schlußparabase versöhnt:

Wiegend mich auf lichter Wolke,
Schau' ich fern dem Erdenvolke
Alles Schlechte, alles Schiefe
Aus der Vogelperspektive;
Bring' es in ein loses Spiel,
Habe d'rum zum heitern Ziel
Flugs den Possen beigemischt
Übertreibung – das erfrischt!
Denn der Tag ist zu alltäglich,
Ohne Narrheit wär's ja kläglich.
Und die Torheit stirbt nicht aus.
Ist in Österreich zu Haus!

Und so schaut' ich hier der Völker und der Herrscher Treiben zu,
Allem Erdenqualm entzogen, in olympisch-sel'ger Ruh',
Schaut' es unter mir heranzieh'n mit entsetzlichen Gewittern,
Schier den großen Staat in siebzehn Unterstäätlein sich zersplittern,
Hört' das Krachen, hört' den Donner, sah das Zucken wilder Blitze,
Sah die allerkleinsten Männer als die Führer an der Spitze,
Schaute in dem Reich der Laune Stümper walten nur und schaffen
Nach dem Herrschaftszepter langen Tschechengrafen mit den Pfaffen. –
Ostmark! Ließest du dich wirklich also böhmisch-römisch lenken?
Nein! Du hast's in deinem Herzen, deutsch zu fühlen und zu denken!
Und du hast's in deinem Ursprung, als du gegen die Barbaren
Deutsche Sitte wacker schütztest gegen wilde Hunnenscharen;
Deutsche Bildung hob dich mächtig über sie und deutsches Wissen –
Schönes Band, das an das Stammland auch dich bindet, unzerrissen!
Bleibe treu dem tücht'gen Volke, das den Gallier sich beugte,
Das, voll Kraft und milder Sitte, Genien wie Helden zeugte!
Und die andren Völker, die mit dir in guten, bösen Stunden
Anfangs lose und erst später in ein Ganzes sich verbunden,
Such' sie auf der Freiheit Wegen, bilde dich und sie zugleich –
Ostreich, werde, was dein letztes, schönstes Ziel: Deutschösterreich!

Von Anbeginn mit bester Vormeinung begrüßt, steigerte sich die Vorlesung und ihr Erfolg unablässig. Allen tat es wohl, zu sehen, wie Josefine v. Wertheimstein im Fortgang der Dichtung immer heiterer wurde, den Humor des Spieles mit ihrem unvergeßlichen, die Stimmung Bauernfelds und der Gäste gleicherweise hebenden, anmutigen gesunden Lachen begleitete, bei besonders überraschenden Wendungen verwundert und doch munter zustimmend »Aber nein!« einwarf und bei der letzten Apostrophe feurig in die Hände klatschte. Alle wußten Bauernfeld Dank schon dafür, daß er der alten Freundin nach so trüben Jahren eine frohe Stunde bereitet hatte. Beim Souper ließ Unger seine Witzraketen steigen, Theodor Gomperz, Saar, Exner, Ernst Fleischl, Vizebürgermeister Dr. Moriz Lederer, Damen und Herren sagten dem vergnügten Dichter, alle auf ihre Weise, wie wohl ihnen seine »Vögel« gefallen hätten, denen sie eine schöne Zukunft gönnten. Eine Bühnenaufführung hielt er angesichts unserer Zensurverhältnisse für ausgeschlossen, obschon er der Ansicht war, daß die Komödie sich durch Kinder, denen die Vogelmasken nicht übel stehen würden, auf die Bretter bringen ließe. Bereitwillig kam Bauernfeld indessen bald hernach einem Versuch entgegen, seine »Vögel« bei besonderer Gelegenheit von Berufsschauspielern darstellen zu lassen. Der Antrag hatte eine kleine Vorgeschichte.

Nicht lange nach jenem Abend in der Villa Wertheimstein war ich vom damaligen Rektor der Wiener Universität, Baron Hye, zu dem ich weder früher noch später Beziehungen hatte, durch eine feierliche amtliche Zuschrift überrascht worden, in der er, ich weiß bis zur Stunde nicht, von wem, just auf mich hingewiesen, mir den Wunsch aussprach, ich möge für den Schillerdenkmalfonds in der Studentenschaft zu wirken bestrebt sein. Drei Vorträge wurden im Verein mit Kollegen rasch ins Werk gesetzt: Gabillon las Martin Greifs »Klagendes Lied«; Josef Bayer sprach über das Bürgertum und die deutsche Dichtung; Emil Kuh, dem ich dazumal nähertreten durfte, über Hebbel. Nach Schluß der Vorlesung wandte sich mein wohlwollender, dauernd in dankbarster Erinnerung gehaltener Lehrer und Seminarleiter Rudolf Ihering, mit der Aufforderung an mich, ihn mit Kuh bekannt zu machen. Die Begegnung der beiden wurde für die Hebbel-Biographie von Bedeutung. Ihering erzählte von seinem Zusammentreffen mit dem Dithmarschen in den Universitätsjahren und zumal von dem Besuch des wie ein Handwerksbursch aus München über den Thüringerwald zugewanderten, halbverhungert und ungebärdig in Göttingen bei ihm einsprechenden Dichters so lebhaft, daß seine mündliche Mitteilung noch unmittelbarer wirkte als in der späteren Niederschrift des großen Romanisten. So zufrieden seine Magnifizenz mit dem künstlerischen und wirtschaftlichen Ergebnisse unserer studentischen Veranstaltung war oder vielleicht ebendarum legten die Leiter des Schiller-Denkmalkomitees unserem Ausschuß nahe, für die Stärkung seiner Mittel nochmals das unsrige zu tun. So kam ich auf den Einfall, Bauernfeld um die Überlassung seiner »Vögel« für eine Theatervorstellung zu bitten. Der Dichter hauste dazumal im Mölkerhof, wenn ich nicht irre, in einer Wohnung mit dem um die Grundentlastung hochverdienten, als Kneipgenie und gesellschaftlicher Wildling vielberufenen Hofrat Karl Beyer. Eine Magd scheint der alte Junggeselle damals nicht gehabt zu haben. Bauernfeld war, bevor er in seinen höchsten Semestern seine Tiroler Wirtschafterin Therese Zapf aufnahm, sein eigener Torwart. Meine schüchterne Frage beantwortete er mit einem freudigen, nur an ein paar Bedingungen geknüpften Ja. Vor allem sollte ein erprobter Theatermann über die Bühnenwirksamkeit der »Vögel« entscheiden. Dann müßten sie gut szeniert und mit witziger Musik belebt sein. Deshalb sollten wir Laube zurate ziehen und für Ouvertüre, Zwischenspiele, Chöre den in Bauernfelds »Vögeln« mit seiner »Schönen Helena« angerufenen Offenbach gewinnen, der gerade zur Einstudierung einer neuen Operette in Wien weilte. Laube las Bauernfelds »Vögel« und verhieß dem Stück gutes Bühnenschicksal, für das er selbst als Regisseur hätte sorgen mögen, wenn ihn nicht Arbeitspflichten für das neu zu eröffnende Stadttheater vollauf in Anspruch genommen hätten; an seiner statt empfahl er als Spielleiter August Förster. Nebenher machte der Praktikus uns unerfahrene Neulinge aufmerksam, daß die Ausstattung einer so phantastischen Komödie ansehnlichen Aufwand erfordern würde.

Offenbach empfing uns in einem seichten Zimmer seines Absteigquartiers im Leopoldstädter Hotel Goldenes Lamm, verbindlich, weltmännisch, in den freundlichsten Wendungen nicht ohne den Unterton leiser Ironie. Bauernfelds Vertrauen ehre und freue ihn; nur könne er, dem so viele Textbücher seiner alten Librettisten vorlägen, sich nicht so rasch entscheiden, noch weniger, selbst wenn er sich zur Vertonung der »Vögel« entschließen würde, mit der notwendigen Schnelligkeit die ihm zugedachte musikalische Aufgabe lösen. So sehr ich heute die damalige Naivetät unseres Ausschusses belächle, von dem in jenen Tagen berühmtesten, meistgesuchten, bestbezahlten Operettenkomponisten eine Liebesgabe für ein Wiener Schiller-Denkmal zu verhoffen – eine Naivetät, die freilich von Bauernfeld selbst ausgegangen war – an sich hätte die Komödie den Anhänger und späteren Tonsetzer von »Hoffmanns Erzählungen« reizen können, reizen sollen. Und beim Aufblättern der »Vögel« von Bauernfeld und Goethe und mehr noch beim Lesen der Nachtigallenweisen und Tio-Tio-Tinx-Chöre des Aristophanes ging mir mehr als einmal der Gedanke durch den Sinn, was der Jugendfreund Bauernfelds, Franz Schubert, aus diesen durch einzige Dichterkraft zum höchsten Wohllaut gesteigerten Vogelstimmen gemacht hätte. Das artige Nein Offenbachs und der Kostenpunkt ließen uns von dem Wagnis einer Aufführung abstehen. Und der Plan, Bauernfeld eine öffentliche Vorlesung seiner »Vögel« nahezulegen, schien uns zu verwegen, obgleich Goethe 1780 in Ettersburg seinen Treufreund in der Maske eines Scapin gespielt hatte.

Der erste, der den Inhalt dieses Stückes nach seiner Weise aufs Theater brachte, war Aristophanes, »der ungezog'ne Liebling der Grazien«, hieß es in dem von Corona Schröter gesprochenen Epilog. Bei dem Saltomortale, der von Athen nach Ettersburg nötig war, um »des alten deklarierten Bösewichts verrufene Spässe« überhaupt ausführen zu können, waren die »Vögel« nicht wenig zu Schaden gekommen: aus einer Weltsatire waren sie eine Literaturkomödie geworden, die einen nergelnden Literaturpapst als Schuhu aufs Korn nahmen, in dem Zeitgenossen Klopstock, neuere Forscher Bodmer erblicken wollen, indessen er nur der uralte, in jedem Geschlecht neu zum Vorschein kommende hämische, unbelehrbare und unbekehrbare Widersacher aller Neuerer bleibt. Der Spielart dieses Federviehs ging Goethe freilich so scharf zu Leibe, daß seine Freunde ihn jahrelang zur Fortsetzung dieses Waffenganges mahnten, und er selbst dachte zeitweilig an eine weitere Folge, die meines Erachtens von dem Augenblicke überflüssig wurde, in dem er, mit Schiller verbündet, unsere größte Literaturschlacht im Xenienkrieg schlug.

Parteigänger der aristophanischen Komödie haben diese Milderung und Minderung des Vorwurfes der »Vögel« nicht wenig beklagt: die deutschen Nachahmer, Platen voran, hätten sich nach Goethes Vorgang mit Literaturpossen begnügt, herzhafter hätte nur Robert Prutz in der »Politischen Wochenstube« dem Aristophanes nachgeeifert. In Wahrheit ist unsere Dichtung reicher an gelungenen politischen Zeitsatiren: Zeuge dessen für das Reich im allgemeinen Heine im »Atta Troll« und dem »Wintermärchen« Deutschland. In Deutschösterreich insbesondere hat Nestroy in »Freiheit in Krähwinkel« mindestens einen Hauch aristophanischen Geistes verspürt und, ohne allen Vergleich alle anderen Landsleute auch als politischer Lyriker überragend, ging Grillparzer »mit der Weltgeschichte Demantwage« ins Gericht, mit Vergangenheit und Gegenwart des heißgeliebten Vaterlandes. An diesen gewaltigen Zeitgedichten und den von den Tagen Napoleons bis zum Deutsch-Französischen Krieg reichenden Stachelversen Grillparzers wollen und sollen Bauernfelds »Vögel« so wenig gemessen werden, wie seine sonstigen politischen Komödien »Großjährig«, »Die Republik der Tiere«. Bei der Frage nach den besten deutschösterreichischen Komödien wird man auch sonst nicht Bauernfeld, sondern »Weh' dem, der lügt« und »Die Kreuzelschreiber« nennen. Ja, Grillparzer hat in seinem strengen Endurteil über Bauernfeld bei aller unbefangenen Würdigung seiner Dichtergabe und persönlichen Rechtschaffenheit nicht übel Lust, sein Abspringen nach den ersten romantischen Jugendwerken auf das Gebiet der politischen Agitation als unheilvoll für sein Leben und Lebenswerk anzusehen; seit dem Auftauchen des jungen Deutschland habe er sich einem dissoluten Wesen hingegeben, wie ein daheim rettungslos Mißvergnügter sich dem Trunk ergebe.

So weit die Wege der beiden aber auch auseinander führten: in ihrem Heimatgefühl waren sie eins. Das Bekenntnis zu Deutschösterreich in der Schlußparabase der »Vögel« deckt sich mit Grillparzers josefinischem Staatsprogramm:

Und über meine Völker vieler Zungen
Flog hin des deutschen Adlers Sonnenflug,
Er hielt, was fremd, mit leisem Band umschlungen,
Vereinend, was sich töricht selbst genug.

Grillparzer und Bauernfeld wollten zeitlebens ein Großösterreich unter deutscher Führung. Wohl beiden, daß sie diese Tage nicht erleben, im Rettungsboot eines deutschen Kleinösterreich nicht aus dem Schiffbruch flüchten mußten. Sie durften und dürfen sich und uns über die Not des Augenblickes erheben mit dem Wahrwort: »Als Deutscher ward ich geboren, bin ich noch einer? Nur was ich Deutsches geschrieben, das nimmt mir keiner.« Auch was in und für ganz Österreich von deutschem Geist und deutscher Bildung geschaffen wurde, nimmt uns keiner. Und dieses unser deutsches Österreich war, ist und wird hoffentlich niemals eine Wolkenkuckucksburg werden.


 << zurück weiter >>