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Literarische Kundschafter Metternichs

Ein Fürst will die Zustände von Land und Leuten aus eigener Anschauung kennen lernen. Im Kleid eines Tagwerkers verläßt er insgeheim sein Schloß und begibt sich allein auf die Wanderschaft. Bei der Einkehr in der ersten Herberge erkennt ihn der Wirt sofort, läßt sich aber nichts merken, bis die Stammgäste zum Abendtrunk kommen und der Fremde das Gespräch auf das Staatsregiment bringt. »Der Fürst meint es gewiß gut,« sagt der eine, »er ist aber doch zu bedauern, denn er hat keinen einzigen Freund, der ihm die Wahrheit sagen möchte«. Und der Wirt fährt noch derber drein: »Unser Fürst ist schlecht bedient, es fehlt ihm der rechte Spion.« – »Pfui, glaubt Ihr, der Fürst würde Spionen hinhorchen?« – »Es ist doch so, wie ich gesagt habe. Es fehlt ihm der rechte Spion, der ihm alles berichten könnte, Gutes und Schlimmes, was im Lande vorgeht. Der Spion erfährt alles, was im geheimsten geschieht und das die Menschen im geheimsten denken, hoch und niedrig. Er nimmt kein Blatt vors Maul, ist zu jeder Tages- und Nachtzeit wach bei der Hand. Er kommt aber nicht, wenn er nicht einen Freipaß hat, daß er aus- und eingehen kann, wenn er will, und daß ihn die Kammerdiener nicht vorher durchsuchen oder gar abweisen.« – »Und wie heißt das Wundergeschöpf?« – »Die freie Presse.«

So beiläufig erzählte der junge Berthold Auerbach 1845 im ersten Jahrgang seines »Gevattersmannes«. Die kleine, für den vormärzlichen süddeutschen Liberalismus sehr bezeichnende Kalendergeschichte war schwerlich auf den Fürsten Metternich gemünzt, den der frühere Burschenschafter gründlich haßte. Berthold Auerbach hätte sonst nur tauben Ohren gepredigt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Preßfreiheit keinen überzeugteren, tätigeren und mächtigeren Gegner als den Staatskanzler, der noch am Vorabend der Achtundvierzigerrevolution erklärte, in der Durchführung der Karlsbader Beschlüsse sei bisher nur durch ein Zuwenig, nicht durch ein Zuviel gefehlt worden. Sein Lebenswerk sollte die Zerstörung des nach de Maistres Wort satanischen Werkes der französischen Revolution sein. Und eingedenk des Anteils, den in der Vergangenheit die großen Aufklärer an der Entfesselung der Massen genommen, hielt er für Gegenwart und Zukunft erbarmungslose Strenge gegen alte und junge Anwälte von Neuerungen in Staat, Kirche, Gesellschaft für gerecht und notwendig. Früh und spät schlug er die Gefahren einer Irreführung der Geister durch Bücher und Zeitungen eher zu hoch als zu niedrig an und schon seit den Tagen der napoleonischen Kriege war er darauf bedacht, die feindliche Presse nicht weniger ausdauernd zu bekämpfen als das feindliche Heer. »Die Nachwelt,« so schrieb er als Botschafter aus Paris 1808 an Stadion, »wird es kaum glauben können, daß wir dem wüsten Geschrei des Gegners nur Schweigen entgegengesetzt haben, und das in einem Jahrhundert der Schlagworte.« – »Die Zeitungen bedeuten für Napoleon eine weitere Armee; ein halbes Dutzend seiner Lohnschreiber behütet ihm sein Inland und erschreckt das Ausland ebenso wirksam wie dreimalhunderttausend Soldaten.«

Im nächsten Jahr, nach der Schlacht von Wagram, wurde Metternich Minister des Auswärtigen. Und 1810 wurde eine neue Zensurvorschrift erlassen, die mit der hochklingenden Verheißung begann: »Kein Lichtstrahl, er komme, woher er wolle, soll in Zukunft unbeachtet und unerkannt in der Monarchie bleiben oder seiner möglichen Wirksamkeit entzogen werden.« Nach den Befreiungskriegen hielten sich die Machthaber indessen ausschließlich an den zweiten Absatz des Zensuredikts, der den ersten in sein Gegenteil verkehrte: »Aber mit vorsichtiger Hand sollen auch Herz und Kopf der Unmündigen vor den verderblichen Ausgeburten einer scheußlichen Phantasie, vor dem giftigen Hauch selbstsüchtiger Verführer und vor den gefährlichen Hirngespinsten verschrobener Köpfe gesichert werden.« Schlimmer noch als der Wortlaut dieser Bestimmungen war der Mann, der sie auszulegen und zu vollziehen hatte, der Präsident der obersten Polizei- und Zensurhofstelle. Ein beschränkter, kleinlicher, halsstarriger Werkmeister der Gegenrevolution, der sich berühmte, einem alten Revolutionär, dem Polizeigewaltigen Napoleons, Fouché, manches abgelernt und einiges Neue und Nationale dazu erfunden zu haben. Derselbe Graf Sedlnitzky klagte zwar, nach urkundlichen Aufschlüssen des Zürcher Historikers Alfred Stern, das polizeiliche Triebwerk Österreichs sei im Vergleich mit dem französischen noch zu einfach: in dem Menschenalter vom Wiener Kongreß bis zur Märzrevolution genügte es – nach einem unanfechtbaren Zeugnis: Grillparzers Erinnerungen aus dem Jahre 1848 – die Geister niederzuhalten durch einen Polizeidruck, der in der neuen Geschichte kaum ein Beispiel hat. Sedlnitzky umgab sich mit einem Schwarm von Angebern und Spitzeln, die sogar Gentz als niederträchtiges Gewürm verwünschte. So viel Zuträger Sedlnitzky aber auch in und außerhalb Österreichs speiste und so willfährig diese feilen Gesellen dem Staatskanzler dienen mußten, ihr Heerbann genügte dem Fürsten nicht. Nach der Julirevolution noch mißtrauischer als zuvor, ließ Metternich unablässig Geheimbündler, Handwerksburschen, Demagogen, Verdächtige aller Spielarten, Stände und Nationen ausspähen und wenn möglich durch Paßschwierigkeiten, Landesverweisung, Einkerkerungen heimsuchen. »Die Zivilisation kennt seit langem Quarantänen gegen die Pest«, schrieb er einem Untergebenen Anfang der Dreißigerjahre. »Wir werden einen moralischen Gesundheitskordon um die Schweiz« – damals das Versteck von Mazzini und seinen Leuten – »ziehen, und wir werden sehen, ob die Schweizer oder ob Europa am meisten darunter zu leiden hat.«

Ebenso hart wie die politischen Schwarmgeister faßte Metternich die Rebellenliteratur und ihre Träger an. Ihre stärksten Talente waren ihm nicht entgangen. 1821 ließ er Börne anbieten, mit Rang und Gehalt eines kaiserlichen Rates ohne Verpflichtung zu einem bestimmten Dienst unter Zusicherung der Zensurfreiheit in Wien zu leben. Und obwohl, oder vielleicht weil der freie Schriftsteller Nein gesagt, las Metternich 1834 mit seiner Frau die »Briefe aus Paris«, und die dämonische Ausgelassenheit von Börnes Ausfällen gegen das Julikönigtum erfüllte den Staatskanzler mit solcher Schadenfreude, daß er sich beeilte, die gleiche Lektüre dem Botschafter in Paris, Apponyi, angelegentlich zu empfehlen. Heines »Buch der Lieder« hatte ihn entzückt, und noch 1834 erklärte Metternich im Gespräch mit Varnhagen, die größte Lobrede, die ihm je gehalten worden, rühre von Heine her: »Im Buch über Frankreich spricht er von mir als von einem Feind, aber von einem, der bei der Stange geblieben, nie mit den Liberalen gebuhlt, nie ein doppeltes Spiel gespielt.« Der Ausspruch überraschte Varnhagen so angenehm, daß er sich ein Herz faßte und beim Kanzler Milderung des Zensurzwanges und den Plan einer Goethe-Gesellschaft zur Förderung des Nachwuchses anregte. Auf Metternichs Einwurf, wo man Jüngere finde, die nicht schon ganz in Wildheit verloren seien, wies Varnhagen auf Laube hin, dessen Unbesonnenheit man viel zu ernst genommen. Und wiewohl er so wenig wie Metternich ahnen konnte, daß der gehetzte Burschenschafter siebzehn Jahre später als Burgtheaterdirektor kaiserlicher Beamter werden würde, fügte er beispielsweise hinzu: »Wäre Friedrich Schlegel für seine jugendlichen Schriften und Taten so scharf behandelt worden, wie wäre er kaiserlich österreichischer Legationsrat und Ritter des päpstlichen Christus-Ordens geworden?« Eine Wendung, die Metternich zum ersten- und einzigenmal im Verlauf dieser mehrstündigen Unterredung ein Lächeln abgewann. Beachtet hat der Kanzler diesen mündlich vorgebrachten behutsamen Fürspruch nicht mehr, als ein späterhin Varnhagen abverlangtes, wohlwollend gehaltenes Gutachten über das junge Deutschland. Ebensowenig Gehör fanden österreichische Räte Metternichs, die der Kanzler zur Ausforschung der Neuerer ins Ausland schickte, wenn das Ergebnis ihrer Beobachtungen nicht mit seinen ganz und gar nicht weltmännischen Schmähungen (»Bagage aus dem Norden«, »Bubenwerk des Tages«, »Schafsköpfige Menschen«, »Gottlose Sekte« u. s. w.) stimmte.

Alle Aufsichtsbehörden des Kaiserstaates und des Deutschen Bundes hielt er für unzureichend, die politischen und literarischen Anschläge der Gegenparteien »vor dem nahen unvermeidlichen Kampfe des revolutionären Prinzips gegen das ewige Recht« aufzudecken. »Vor allem ist es nötig, die Dinge kennen zu lernen«, schrieb er 1833 dem österreichischen Gesandten in Stuttgart. »Man hängt die Diebe nicht, bevor man sie hat.« Eifervoll organisierte er eine neue geheime Geistespolizei und sorgte dafür, daß die Könige von Preußen, Bayern, Württemberg sich bei diesem Unternehmen dem Kaiserstaat anschlossen. In Mainz trat im Frühjahre 1833 ein »Zentral-Informationsbureau« ins Leben, an dessen Spitze ein Wiener Polizeioberkommissär Karl Noé unter dem Decknamen Nordberg und dem trügerischen Titel eines Sekretärs des Mainzer Militärgouverneurs trat. Die Weisung, die Metternich diesem Vertrauensmann mit auf den Weg gab, ist mehr im apokalyptischen als im Amtstone gehalten. Metternich scheint der Bestand der geltenden, ja selbst aller möglichen gesetzlichen Ordnung die Zukunft aller Throne bedroht durch »jene verruchte Verbindung, welche seit einem halben Jahrhundert« – das wäre seit 1783 – »an dem Umsturz arbeitet. Sie hat 1830 in Frankreich einen bedeutenden Sieg errungen, welcher ihr jedoch keineswegs genützt. Ihr Plan geht weiter, er umfaßt die Welt, und von Paris, wo die revolutionäre Propaganda sitzt, bearbeitet diese Gesellschaft die verschiedenen Reiche Europas, um ihre verderblichen Lehren den Nationen einzuimpfen und die Völker gegen ihre Regierungen aufzuwiegeln.«

Dem Mainzer Informationsbureau war der Minenkrieg gegen diese Mächte der Finsternis zugedacht. Noé mit seinen Leuten sollte Führer und Rekruten der Propaganda in Frankreich, Belgien, Italien, der Schweiz u. s. w. auskundschaften; einen Index der Verschwörer anlegen und beständig ergänzen; Spione ausfindig machen und zu regelmäßiger Berichterstattung aneifern; vertraulichen Verkehr mit hilfreichen Regierungen anderer Staaten pflegen und alle Nachrichten »konzentriert und depuriert« der »Zentral-Informationskommission« in Wien zu Gebote stellen. Aus diesen Geheimberichten des Mainzer Amtes hat Karl Glossy Karl Glossy. » Literarische Geheimberichte aus dem Vormärz.« Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft. Band 21 bis 23. Wien, Karl Konegen, 1912. mit zähem Sammlerfleiß und ungewöhnlichem Finderglück vornehmlich jene im Staatsarchiv und im Archiv der ehemaligen Polizeihofstelle befindlichen Akten ausgewählt, die sich auf die Literatur und Publizistik der Jahre 1833 bis 1847 beziehen. In drei mehr als 1000 Seiten starken, dem Präsidenten der Grillparzer-Gesellschaft, Markgrafen Pallavicini, gewidmeten Bänden macht er diese Papiere, kritisch überprüft, durch eine gehaltvolle Einleitung und urkundliche Erläuterungen bereichert, Fachmännern und Laien zugänglich in einem Quellenwerk, das Historiker und Literarhistoriker fortan mit vollen Händen werden ausschöpfen können und müssen.

Es sind Kriegsjahre des deutschen Geistes, aus denen diese polizeilichen Literaturberichte stammen. Sie führen von dem folgenschweren Wutausbruch Wolfgang Menzels gegen Gutzkows »Wally« zu dem Banne, den der Deutsche Bund nicht bloß über alle bisherigen, sondern auch über alle kommenden Arbeiten von fünf, willkürlich zur Schule des jungen Deutschland gestempelten Literaten, Heine, Laube, Gutzkow, Mundt, Wienbarg, verhängte. Ein lächerliches, sträfliches, auf die Dauer unhaltbares Verdammungsurteil, gegen das der sterbende Börne dauerhaften, vor Mit- und Nachwelt siegreichen Einspruch erhob in seinem Meisterpamphlet: »Menzel, der Franzosenfresser.« In den gleichen Zeitraum fällt der Sturm für und gegen die Göttinger Sieben; das Aufsteigen der streitbaren Freiheitssänger Hoffmann v. Fallersleben, Herwegh, Prutz, Freiligrath; die jähen Hoffnungen und jäheren Enttäuschungen nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV., die Gärung unter den Junghegelianern, deren stärkste Köpfe, D. F. Strauß und Karl Marx, die Grundlagen des Christenglaubens und Wirtschaftslebens aufwühlten; die Kirchenkämpfe, die den Zusammenstoß der preußischen Regierung mit den rheinischen Bischöfen und die Begründung der frei-religiösen, deutsch-katholischen Gemeinden zur Folge hatten. Dieselben Jahre, 1833 bis 1847, zeitigten die Saat der Empörung, die eine unerträglich boshafte und geistverlassene Zensur ausgestreut, in giftdurchtränkten Blättern, die ein schwunghafter Schleichhandel über die bestbewachten Grenzen und rasch und einträglich unter die Menschen brachte. Sie ließen die allgemeine Erregung so maßlos anwachsen, daß einer der standhaftesten Anhänger Metternichs, Alexander v. Hübner, der als Generalkonsul in Leipzig die deutschen Zustände genau überschauen konnte, dem Fürsten schon im August 1845 schrieb: »Hier ist alles zur Revolution reif, versöhnt wird hier niemand, der Geist der Revolte muß und kann nur durch eine feste Haltung der Regierung gedämpft werden.« Ein prophetisches Wort, das Treitschke nicht kannte, als er vier Jahrzehnte später im letzten Band seiner »Deutschen Geschichte« zugestand: »Das Leben der breiten Masse des Volkes bleibt in einem Zeitalter reflektierter Bildung ein geheimnisvolles, und wieviel der Historiker auch an wirtschaftlichen, politischen und religiösen Erklärungen vorlegen mag, zuletzt kann er doch nur einfach die Tatsache feststellen, daß die Stimmung der Zeit reif wurde für eine Revolution.«

Was die Geschichtsforscher und politischen Denker der letzten Menschenalter noch nicht vollkommen ergründet haben, die letzten Ursachen der Achtundvierzigerrevolution, erwartet kein Unbefangener in den Geheimberichten der Mainzer Gewährsmänner Metternichs endgültig geklärt zu finden. Eines aber bezeugen die bedächtigen Ratschläge und wohlgemeinten Warnungen der Stimmführer jenes Amtes, daß die Diener weniger verblendet waren als die Herren, daß die Kundschafter weiter sahen als die Generalstäbler. Vom Vorstand jener Behörde, Noé von Nordberg, erzählt Glossy, daß er kenntnisreich und gewandt in heiklen Aufgaben auf den Kongressen von Verona und Mailand, hernach auf belgischem und polnischem Boden als geheimer Sendling durch zuverlässige Stimmungsberichte sich hervorgetan und durch seine Menschlichkeit, als er Silvio Pellico und Pietro Maroncelli nach ihrer Entlassung aus den Kasematten des Spielberges heimgeleitete, den wärmsten, durch ein Stammbuchblatt bekräftigten Dank Pellicos für seinen Schutzengel verdient habe. Zur Ergänzung mag auf ein nicht minder gewichtiges Zeugnis Emil Kuhs hingewiesen werden, der in seiner Hebbel-Biographie berichtet, der in den Fünfzigerjahren angeknüpfte Verkehr mit dem Hofrat Nordberg, einer Persönlichkeit von reicher politischer Erfahrung und selbständigem Urteil, habe dem Dichter willkommene Aufschlüsse über Vergangenheit und Gegenwart des Kaiserstaates vergönnt. Und dankbarer noch als für sachliche Belehrung wurde Hebbel dem Hofrat, der eine Villa am Traunsee besaß, dafür, daß er dem Dichter zuredete, sich gleichfalls am Gmundner See anzukaufen, und beflissen ein wohlfeiles Häuschen in Orth als passendes Besitztum ausfindig machte. Hebbel besuchte 1856 den früheren Wiener Polizeidirektor nicht bloß in seinem steirischen Schloß Bertholdstein, er begleitete im Februar 1863, »zum erstenmal Ballvater«, seine Tochter zu einem Fest im Wiener Hause Nordbergs. Und in Nordbergs gastlichem Heim lernte die junge Dame den Mann kennen, der nachmals ihr Gatte und Direktor der Südbahn werden sollte – Hofrat Kaizl. Noés Untergebener in Mainz war der Polizeibeamte Clannen v. Engelshofen, der, nach Glossys Aufschlüssen, gleichfalls vielgereist und besonders unterrichtet in belgischen und rheinischen Arbeiterverhältnissen, späterhin gleich Nordberg von Hebbel geschätzt und gerühmt war. Der Dritte des Kleeblatts war ein Praktikant der Polizeihofstelle, Karl Eduard Bauernschmid, ein grundgescheiter Wiener, dem Ludwig Speidel einen wundervollen, zuerst in der »Neuen Freien Presse« gedruckten, seither in den »Persönlichkeiten« wiederholten Nachruf gewidmet hat.

Die drei mußten zunächst selbst Forschungsreisen antreten: Bauernschmid begab sich im Frühjahr 1834 unter dem Decknamen Braun nach Paris, wo er an einem Abend sich oft in zwei, drei Klubs einfand, unterwegs Berühmtheiten aufsuchte und in Augenblicksaufnahmen für Noé festhielt, die, wie z. B. seine launige Charakteristik Lamennais', Kennern vom Schlage Sainte-Beuves ein Leckerbissen gewesen wären. Noé mußte 1836 und 1838 im Auftrage Metternichs versuchen, Thiers, Montalivet, den Grafen Molé und den Chef der Pariser Geheimpolizei, den Grafen Gasparin, als Mithelfer zu gewinnen: ein Bemühen, das nur geringen Erfolg hatte und eine verblüffende Unkenntnis oder, was wahrscheinlicher ist, eine ungewöhnliche Kunst der Verstellung der französischen Minister zeigte. Engelshofen wiederum mußte auf die Suche nach tauglichen »Konfidenten« für die Literaturberichte: bei seiner Auswahl hielt er sich unbewußt an die Jäger- und Finanzerfahrung, daß alte Wilddiebe und Schmuggler die besten Forstwärter und Zollwächter abgeben. So gelang es ihm, in Frankfurt zwei Schriftsteller zu dingen, Dr. Pfeilschifter und Dr. Beurmann, die mit Börne und Gutzkow gelegentlich zusammen tätig und nahe bekannt waren; er stellte sogar die unbewiesene und hoffentlich unbeweisbare Behauptung auf: »es hätte nicht schwer gefallen, Wienbarg trotz seiner stark wurzelnden demagogischen Grundsätze zu gewinnen.« Wie Pfeilschifter, Beurmann und andere in Preußen, Sachsen und der Schweiz seßhafte Literaten, Dr. Jakob Singer, Wilhelm Fischer u. s. w. es mit Ehre und Gewissen vereinbar fanden, ihre vertrauten Beziehungen zu arglosen Schriftstellern zu Kameradschaftsverrat zu mißbrauchen, großen und kleinen Tagesklatsch jahrelang, wenn auch in den vorliegenden Proben nicht denunziatorisch, doch in vielen Fällen lieblos und hämisch, dem zahlungsfähigen Mainzer und Wiener Brotgeber aufzutischen, bleibt grauenhaft und abscheulich. Desto tröstlicher wirkt es, daß einer der unfreiwilligen Mainzer Staatspolizisten den umgekehrten Weg ging und Freischärler wurde. Bauernschmid empfand von Anfang gesunden Ekel vor der häßlichen Wirtschaft. »Unter allen Erfordernissen des politischen Beobachters ist,« wie er Noé schrieb, »worauf man gerade am wenigsten denkt, die Ehrlichkeit das unerläßlichste, aber auch am seltensten anzutreffen, weil infolge dieser geheimen Operationen die Lüge ebenso teuer bezahlt wird als die Wahrheit.« Er hielt es in dem Mainzer Amt nicht lang aus, ließ sich als Bücherrevisor nach Graz und Linz versetzen und wurde 1848 Abgeordneter des Frankfurter Parlaments, hernach einer der tüchtigsten Wiener Journalisten, Frondeur durch und durch, nach Speidels Wort geradezu ein Rachedämon, wenn er auf Metternich zu sprechen kam.

Man begreift diesen Ingrimm angesichts der »literarischen Geheimberichte«. Geduldig und gehorsam mustern die Mainzer Beamten den Einlauf der Anekdoten, Literaturbildnisse, Verlegerkniffe, Zeitungsberichte jeder Abstufung, von den allerlangweiligsten oberoffizösen bis zu den im Lümmelstil geschriebenen aufreizendsten Blättern; alle Zänkereien und Eifersüchteleien Gutzkows und Laubes, alle Windbeuteleien Dingelstedts, Heines Reisegelüste und Freiligraths Verzicht auf den Jahresgehalt des preußischen Königs, Robert Blums und Ronges Kirchensturm; die Leiden der Flüchtlinge in London und Straßburg, den Wankelmut der meisten Jungdeutschen, die sich nach dem Hafen eines Dramaturgenpostens an irgendeinem Hoftheater sehnen, kurzum Kunterbunt mit feinerer oder ungeübterer Feder nicht viel anderes meldet als Tagesbericht und literarisches Feuilleton der belletristischen Wochenblätter jener Zeit. Sie senden diese Proben pflichtgemäß ihren Vorgesetzten. Sie versäumen aber nicht, in regelmäßigen Jahresberichten mit herzstärkendem Freimut auf den unaufhaltsamen Umschwung in der Nation hinzuweisen. »Die allgemeine Stimmung in Deutschland« ist einer dieser überlegen gedachten, vom August 1843 datierten Vorträge überschrieben, der männlich für Preßfreiheit eintritt. Und 1847 beginnt eine Charakteristik des deutschen Zeitungswesens mit der Erklärung: »Für den ernsten Beobachter der geistigen Bewegung ist es gewiß eine ebenso interessante als lehrreiche Erscheinung, daß die deutsche Presse trotz aller Beschränkungen, unter denen sie seufzt, eine Macht geworden ist, die auch bei Anwendung der denkbarsten Strenge nicht mehr zu unterdrücken ist.« Und den Beschluß dieser Höhen und Tiefen der ganzen damaligen Zeitungswelt wie in einer bunten Reliefkarte offenbarenden Darstellung macht der Satz: »Die radikalen Organe haben einzelne Anhänger, die liberalen dagegen haben ihre Stärke in der Masse des Volkes; in ihnen konzentriert sich die geistige Macht der deutschen Presse, und diese geistige Macht stützt sich wiederum auf die große Mehrheit des Volkes. Seit dem Auftreten des vereinigten Landtages in Preußen ist diese Macht in steter Zunahme begriffen, und gegen sie mit offener Gewalt ankämpfen wollen, würde nur einen Kampf aller gegen alle hervorrufen heißen.«

Wie Metternich solche »die Preßfreiheit in Deutschland als Akt der Notwendigkeit« fordernde Eingaben des Mainzer Kundschafteramtes dienstlich behandelte, wissen wir nicht. Seine Unbelehrbarkeit und Unbekehrbarkeit mögen ein paar aufs Ungefähr herausgegriffene Beispiele bezeugen.

Als Gutzkow Mitte der Vierzigerjahre in Wien war, ließ ihn, den ehedem vom Deutschen Bund Gebannten, zu seiner höchsten Überraschung Metternich zu sich bescheiden. Gutzkow folgte dem Ruf; L. A. Frankl begleitete ihn bis zum Portal; der vom Kanzler vielgehetzte Schriftsteller stieg die hohe Aufgangstreppe im Palais an einer der Basteien empor und wurde leutselig empfangen. Der Fürst plauderte, wie die Halbtauben, fort, ohne viel auf den Gast zu achten, vom Hundertsten ins Tausendste über den Geist der italienischen und deutschen Sprache, den Verfall des Burgtheaters, seine böhmischen Bauten u. s. w., nur nicht über Politik der Gegenwart und Zukunft. Gutzkow veröffentlichte unbekümmert um die Herablassung des großen Herrn gleich nachher seine, Metternich persönlich scharf tadelnden »Wiener Eindrücke«, die Sedlnitzky mit voller Billigung des Kanzlers wegen dieses »höchst perfiden und wahrhaft gefährlichen Aufsatzes« der allerstrengsten Zensurbehandlung unterziehen und mit Damnatur erledigen ließ. Metternich stimmte weiter nicht nur dem Polizeipräsidenten zu, Gutzkow für die Folge den Zutritt in die k. k. Staaten zu verwehren. »Eine für seinen Übermut gewiß gerechte und zugleich empfindliche Strafe dürfte die sein, wenn sofort auf dem kaiserlichen Hoftheater in Anbetracht des Bezuges der Tantieme die Aufführung seiner theatralischen Stücke untersagt würde«: eine so gehässige Maßregel, daß sogar Sedlnitzky sie von sich wies mit der Begründung, eine solche Verfügung würde die Aufmerksamkeit des Publikums erst recht auf Gutzkows Pamphlet »Wiener Eindrücke« lenken. Im Jahre vorher hatte Metternich auf Sedlnitzkys Frage, ob man »Das Urbild des Tartüffe« zulassen könne, geantwortet: »er sehe nicht ein, daß, da eine weise Staatsverwaltung die Aufführung des Molièreschen ›Tartüffe‹ nicht gestattet habe«, die Darstellung des »Urbildes« zugelassen werden könne, zumal es mit der frivolen Rolle, die Gutzkow im »Urbild des Tartüffe« den König Ludwig XIV. spielen lasse, auf eine Herabwürdigung des Königtums abgesehen sei.

In dieselbe Zeit fällt die bisher unbekannte, von Glossy entdeckte Abfertigung, die Metternich der am 11. März 1845 eingereichten, von Grillparzer, Bauernfeld, Hammer-Purgstall und allen anderen künstlerischen und gelehrten Größen jener Tage unterfertigten Denkschrift um Abänderung der Zensurvorschriften angedeihen ließ. Die Denkschrift, so beginnt Metternichs nur zum persönlichen Zeitvertreib improvisiertes Gutachten, ist keiner Beantwortung von seiten der höchsten Regierungsbehörde würdig. In diesem schnöden Ton geht es (in Glossys Anmerkungen) sechs Druckseiten lang fort. Schriftsteller, so behauptet Metternich, bildeten im Rechtssinn ebensowenig eine Korporation als Mathematiker, Naturforscher, Theater- oder sonstige Dichter. »Nicht der Schriftsteller, sondern die Schrift, der der Industrie heimgefallene und durch sie ausgebeutete Gedanke unterliegt der Zensur.« Mit Strenge rügt er alle, die eine Eingabe »so durchaus seichter Art« unterschrieben haben, zumal »die seriösen Justizmänner, die sich den literarischen und szientifischen Notabilitäten« gesellt haben. »Der Tatbestand erweckt in mir das Gefühl tiefen Bedauerns« und er fühlt sich nun erst recht berufen, »fern von allem Parteigeist und Zeitschwindel« in seiner Unbeweglichkeit zu verharren.

Für Berthold Auerbachs »Besten Spion« war im Österreich Metternichs kein Raum, obwohl es an Schöpfern und Stimmführern eines gediegenen Zeitungswesens nicht gefehlt hätte. Viel zu wenig bekannt ist, daß 1798 Schreyvogel mit dem späterhin um das Bürgerliche Gesetzbuch so hochverdienten Zeiller um den Pacht der »Wiener Zeitung« sich bewarb. Sein (von Glossy in den Staatsratsakten aufgefundener, 1895 in meinen »Biographischen Blättern« mitgeteilter) »Entwurf einer Wiener Haus-, Hof- und Staatszeitung« kann sich an Fülle der Gedanken und praktischen Anregungen ungescheut mit dem Programm von Cottas »Allgemeiner Zeitung« messen. Schreyvogels Forderungen an eine Publizistik, wie sie sein soll, bestehen heute und in alle Zukunft so gültig, wie seine dramaturgischen Ansichten für die Um- und Neugestaltung des Burgtheaters bis zur Stunde beherzigenswert bleiben. Eine Zeitung ist ihm ein Kunstwerk der historischen Gattung, der Verfasser einer Zeitung der Geschichtsschreiber seines Zeitalters: er soll kenntnisreich, schlagfertig, ein guter Prosaiker und ein durchaus rechtschaffener Mann sein. Er wird »der Verfassung seines Landes anhängen, weil sie rechtlich ist und weil ihm die Pflicht ihrer Verteidigung obliegt; er wird den Absichten der Regierung ehrenvolle Folge leisten, ohne sich von dem Bewußtsein gedrückt zu fühlen, eine knechtische Feder einem fremden und unlauteren Interesse geweiht zu haben«. Kaiser Franz verlangte eingehende Gutachten über den Entwurf. Die Hofkanzlei war dagegen, eine Zeitung zum Sprachrohr der Staatsverwaltung zu machen; der Staatsrat besorgte, ein so enzyklopädisches Journal würde zu gelehrt ausfallen und die Leser entweder abschrecken oder gar veranlassen, nach ausländischen Blättern zu langen. Dem »gigantesk« genannten Vorhaben wurde die Genehmigung versagt. Im Österreich Schreyvogels durften nur die »Eipeldauer Briefe«, Bäuerles »Theaterzeitung« und »Der Beobachter«, nicht aber ein selbständig gedachtes und gemachtes Blatt zu Wort kommen, das alle literarischen Kundschafter überflüssig gemacht hätte. Denn Kenner vom Schlage Schreyvogels, Feuchterslebens, Michael Enks und Bauernschmids hätten in aller Welt zugänglichen Urteilen der Staatskanzlei besseren, wahrhaftigeren Aufschluß über Fluch und Segen der jungdeutschen Dichtung und Forschung gegeben als bezahlte Geheimberichte. Und für die Massen sollten sich spät und doch nicht zu spät die Prophezeiungen eines Sehers erfüllen, der 1843 als »Zimmerherr« im Bürgerspital bei demselben Polizeibeamten Noé v. Nordberg wohnte und an den »Albigensern« dichtete, die in die Trostworte ausklingen:

Doch vor den schwächeren, spätgezeugten Kindern
Des Nachtgeists wird die scheue Furcht sich mindern,
Wenn ihr die Schrumpfgestalten der Despoten
Vergleicht mit Innocens, dem großen Toten,
Der doch der Menschheit Herz nicht still gezwungen,
Und den Gedanken nicht hinabgerungen.
Das Licht vom Himmel läßt sich nicht versprengen,
Noch läßt der Sonnenaufgang sich verhängen,
Mit Purpurmänteln oder dunklen Kutten …


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