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Die schlimmste Strafe

Es gibt nichts Schrecklicheres in diesen entsetzlichen rumänischen Kerkern als die Ketten,« sagte Catareau.

»Ihr Gewicht, ihr Klirren, ihre Kälte. Fünfzehn Kilo eisiges Metall. Immer schleppst du ein Tier mit, das dich umklammert hält. Es raubt dir den Rest deiner Kraft. Bewegst du dich nicht, liegt es auf dir. Bei jedem deiner Schritte beißt es dich.

Gewöhnlich siehst du die Ketten nicht, weil du in Kerkern und unterirdischen Gewölben lebst, wo während der Nacht Nacht ist und während des Tages Abend. Aber manchmal, wenn du in ein anderes Gefängnis geschafft, zum Direktor oder zu Gericht geführt wirst, kannst du das geringelte Ungeheuer sehen; es liegt zusammengerollt auf deiner Haut und hält dich mit seinen vier Mäulern an den Handknöcheln und Fesseln gepackt.

Meine Ketten sind dort geblieben, aber sie leben.«

Und er zeigte durch die Mauer in einer Richtung, wo die rumänische Grenze liegen mußte (sogleich blickten seine vier Kameraden in derselben Richtung), und er sah seine Ketten wieder leben und einen neuen Körper in ihren Klauen halten. Sein Gesicht, das eben noch froh über die Freiheit gewesen war, wurde trübe. Der starke Mann, der einst einem Polizisten ins Gesicht gespien hatte, als der ihm die Nägel mit dem Messer losreißen wollte, begann zu schluchzen wie ein kleines Kind.

Es war nicht weit nach Rumänien und die Zeit lag noch nicht lange zurück. Die fünf Männer waren rumänische Flüchtlinge und erwarteten in der Türkei ihre Abreise nach Rußland.

Wie alle, die aus einem schweren Traum erwachen, erzählten sie von dem Traum, dem sie durch ein Wunder entgangen waren. In dem kleinen Holzhaus von Eridneh Kapu ging es zu wie in einer bäuerlichen Spinnstube: jeder erzählt seine Leidensgeschichte und seine bösen Träume.

Ich hörte zu. Ich wußte, daß die Flüchtlinge die Wahrheit sagten. Ich hörte zu, um zu erfahren, was 1926 in Europa geschehen konnte.

»Ja, die Ketten. Aber es gibt noch Schlimmeres,« erklärte Spiridon.

»Den Käfig.«

»Der Käfig sieht aus wie das Gestell einer Turmuhr,« meinte Basile Spiru. »Darin wirst du aufrecht eingeschlossen. Eine Uhr kann wenigstens ihren Pendel bewegen, aber du kannst nicht ein Glied rühren und bist eingeklemmt in der Haltung eines Soldaten, der stramm steht. Der Käfig ist zugleich Kerker und Zwangsjacke, Sarg und Panzer.«

Wir kannten das Marterwerkzeug, aber Spiridon schilderte es uns in neuer Art und schaudernd sprach sein ganzer Körper mit. Man glaubte, dabeigewesen zu sein; es wurde einem übel.

»Du bleibst zehn Tage in der Kiste. Als Nahrung bekommst du Wasser und ein Stück Maisbrot. Manchmal auch gar nichts: sie schalten einen Fasttag ein. Nach drei Tagen schwellen die Beine an. Die Geschwulst wird immer dicker. Die Ketten reiben die Haut auf und graben sich ins Fleisch. Selten gibt es einen Ruhetag. Du sinkst zerschlagen zur Erde. Dann wirst du wieder für zehn Tage in den Käfig gesetzt. So haben sie es mehrmals hintereinander mit Max Goldstein gemacht. (Der hatte ein zähes Leben und mußte Ungeheures erdulden, ehe er starb!)«

»Und das Gherla?« führte Jon an. »Lieber Freund, das Gherla! Sie graben ein Loch in steinigen Boden. Wenn du aufrecht darin stehst, ist deine Brust noch zu sehen. In das Loch muß man ganz hineinkriechen und sich zusammenrollen wie ein Igel. Auch gefesselt wirst du und jeder freie Raum wird mit Ketten ausgefüllt.

In dem Loch bleibst du drei bis zwölf Monate und bekommst nur dreimal in der Woche faulige madige Bohnen.

Manchmal wird das Loch mit Wasser gefüllt, so, daß du gerade noch atmen kannst und nicht ertrinkst; denn dann wäre ja dein Leiden zu Ende.

Ich blickte in einen Spiegel, als sie mich wieder herausließen. Ich sah aus wie ein alter Mann, wie ein Bruder meines Vaters.

Siehst du,« schloß er und wandte sich an uns alle, »ich mag keinen Widerspruch. Aber wenn mir jemand nachweist, daß ich gelogen habe, werde ich mich noch bei ihm bedanken!«

Nun erzählte Virgil und begann wieder mit dem schrecklichen Refrain: »Es gibt noch Schlimmeres, viel Schlimmeres als das Zerschlagen der Knochen, das Herausschneiden der Haut; damit hören sie auf, ehe ihr sterbt. (Dort drüben haben sie Mittel, euch mehrmals hintereinander sterben zu lassen.)

Es gibt Krankheiten, die euch eingeimpft werden.«

»Im Käfig und im Gherla bekommt man Tuberkulose,« wandten Spiridon und Jon ein.

»Ich spreche von der Krankheit, die verteilt wird wie eine Tracht Prügel. Ich will nur eine nennen, den Typhus exanthematicus, wie er mit seinem wahren Namen heißt. Ja, auch dieses Mittels bedienen sie sich, um ihre politischen Gefangenen mürbe zu machen. Es ist unsichtbar und läßt sich nie nachweisen.

Ein Gefängnis – es ist Galata – ist völlig verpestet von der Krankheit. Sogar die bürgerlichen Blätter haben es geschrieben. Wenn ein bürgerliches Blatt so etwas behauptet, läßt es sich nicht mehr abstreiten.

In Galata kommt der Typhus aus allen Poren der Erde und regnet vom Himmel. Er sitzt im Boden, in der Mauerkruste, im Schmutz der Türen und im Holz der Pfosten.

Natürlich sind die Typhuskranken zusammen mit den anderen Gefangenen untergebracht. Die Läuse, die ihr Blut saugen, finden keine Nahrung, wenn ihr Ernährer stirbt; denn sie wollen warmes Blut und wandern weiter zu den Lebenden. Du siehst den Betrug im rumänischen Gesetz, das die Todesstrafe abgeschafft hat. Was willst du gegen die Läuse machen, deren jede ein Bazillenträger ist? Sie sitzen mit einemmal auf deiner Haut, die bald wie eine Zeitung mit beweglichen Buchstaben aussieht.

Neben uns lag Simion drei Wochen ohne Bewußtsein. Ständig warf er sich hin und her und phantasierte vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zum Morgen.

›Er hat Bauchkrämpfe, es lohnt gar nicht, darüber zu reden,‹ erklärte der Arzt und verschrieb ihm Kamillentee und Abführmittel.

Wir fünfundzwanzig Gefangenen wußten sehr wohl, was ihm fehlte. Wir konnten ihn die langen Stunden beobachten: die Reste menschlicher Kraft ließen den Haufen Elend unruhig winseln. Er lag auf einer Schütte Stroh, die – wie du dir denken kannst – niemals gewechselt wurde. Ebensowenig wurde sein Eimer jemals geleert. In seiner Nähe herrschte ein solcher Gestank, daß man glaubte, ihn greifen zu können.

Erst nach acht Tagen wagte einer den Oberaufseher zu bitten:

›Könnte Simion nicht einmal baden?‹

Der Oberaufseher bekam einen roten Kopf und fauchte wie ein Vulkan. ›Baden?! Er hat doch fünf Jahre sehr gut ohne ein Bad leben können!‹ brüllte er und kreischte dann:

›Andere sind schon sieben Jahre im Gefängnis. Es geht ihnen gut, und sie haben nicht gebadet. Und noch was: was geht's denn euch an?‹

Da seht ihr unseren Zustand: Wir hatten Sachen an, die uns sterbende Mitgefangene vermacht hatten, lebten von warmem Wasser, Tee genannt, gefrorener Polenta und lauwarmer, verfaulter Bohnensuppe, konnten uns nicht waschen, hatten keinen Krankenpfleger, bekamen eine Medizin, die keine war, und wurden von giftigem Ungeziefer ausgesaugt. Zusammengepfercht lagen wir da und mußten sehen, wie die tödliche Ansteckung zu vermeiden war.

Bisweilen hoffte man; es gibt solch seltsame Träume.

Aber immer war die Angst da. Wir glaubten vor Fieber zu klappern, hielten uns den Bauch. Der Geruch von Simions Bett drang zu uns wie der Hauch des Todes.

Eines Nachts starb Simion.

Am nächsten Tag mußten wir unsere Kleidung herausschaffen. Sie sollte in heißem Dampf desinfiziert werden. Diese Geste konnten sich die Schergen leisten; denn es hätte eine Feuersbrunst und eine Sintflut gebraucht, um nur unsere Zelle zu reinigen!

Von dem Tage an kamen die Wächter und die Gefängnisbeamten nicht mehr in unsere Nähe. Sie waren weg, verschwunden. Den Dienst versahen Soldaten, die sich immer anständig benehmen, wie ihr wißt.

Es fanden sich Gefangene, die weitsichtig genug waren, um den toten Simion herauszutragen, ihn mit Kalk zu bestreuen und zu begraben.

Am selben Tage erkrankten drei Gefangene: Wasili, der Bandit, Fedor, der Taschendieb, und Wasja, ein politischer Sträfling.

Niemand kümmerte sich um sie. Die Beamten ließen sich einfach nicht mehr blicken. Sie warteten wie Spinnen am Ende des Netzes auf den Tod ihrer Beute.

Der Zustand der Befallenen verschlimmerte sich sehr rasch. Alle drei schrien ihre Fieberträume durch die Zelle. Jeder von ihnen durchlebte noch einmal ein Stück seines Erdenlaufes. Wasja war verurteilt worden, weil ein Beamter ihm seinen kleinen Acker hatte wegnehmen wollen und er sich gewehrt hatte (man nennt das politisch und hat damit vielleicht nicht so unrecht); er schrie aus voller Kehle: ›Recht muß Recht bleiben!‹ Wasili glaubte sich von Gendarmen umzingelt und wehrte sich mit großem Gebrüll. Er flehte zum Gott der Banditen, er möge ihm Kraft verleihen. Und der Gauner Fedor beschimpfte heulend seinen Kumpanen, den Polizeikommissar. Er glaubte mit ihm die gestohlene Beute zu teilen, wie er es immer getan hatte, und wie es viele seiner Kollegen in Rumänien tun. Bei der letzten Teilung hatte Fedor den Kommissar übers Ohr gehauen. (So verhielt sich der Fall: Er war nicht wegen des Diebstahls, sondern wegen Betrugs am Polizeikommissar verurteilt worden.)

Nach sechs Tagen wurden die Schreier still. Denn da lagen sie mit Kalk bestreut unter der Erde.

Und wir, wir harrten mit furchtzerfressenem Hirn, ob die schreckliche Krankheit auch bei uns ausbrechen würde.

Zu der Zeit lagen sechzehn Fieberkranke in den einzelnen Kerkern Galatas. Spiro erzählte es mir, und der sagt nur, was er sah, oder was er weiß.

Einem weißhaarigen Bauern vergingen die fünfzehn Tage Gefängnis sehr langsam, die er noch abzusitzen hatte. Fünfzehn Tage sind eine kurze Zeit, aber hier konnte jeder Tag den Tod bedeuten.

Bald waren es nur noch drei Tage. Aber zwei Tage vor seiner Entlassung wurde er in die Kalkgrube hinuntergelassen, in der auch das Gerippe verbrennt.

Der Herr Oberst Constantin Cernat, Generaldirektor der großrumänischen Gefängnisse, kehrte gerade von seinem bessarabischen Gut zurück, als ihm die Nachricht von der Typhusepidemie überbracht wurde, von der er natürlich schon lange wußte.

Er bekam es mit der Angst und telegraphierte unverzüglich nach Galata: ›Bis auf weiteres keine Gefangenen aus Galata zur Arbeit auf meinen Feldern verwenden!‹

Denn er wußte, daß man sich vor einer Ansteckung in acht nehmen muß.«

Nun nahm Theodor das Wort, um zu erzählen, daß er, ein alter Gefangener, noch Schlimmeres erlebt hätte. Er begann die Erzählung mit anderen Worten:

»Ja, wir in Jilava wurden mißhandelt, geschlagen und gestoßen, bis wir in der Leichenhalle und schließlich auf dem Friedhof lagen. Aber alle Marter und alle Qual machte uns nicht so unglücklich wie das Bewußtsein, daß unsere Sache besiegt wurde.

Wir sagten uns: Unsere Stimmen wurden erstickt. Die der anderen da draußen auch. (Wenn man nichts hört, glaubt man, daß alles schweigt.) Wir wurden zu fünf Jahren, zu zehn Jahren und noch mehr verurteilt. Das heißt, man muß die Dinge sehen, wie sie sind, wir wurden zum Tode verurteilt. Wurde die Revolution, die die Rettung der Armen gewesen wäre, nicht mit uns ins Gefängnis gesteckt? Und zum Tode verurteilt? All die harte, mühsame Arbeit, die Liebe der Frau und der Kinder, die wir leichtsinnig genossen hatten, unser Teil am irdischen Paradies, das uns zukam, und unsere Leiden: die Opfer waren umsonst!

So sprach jeder zu sich selbst, denn es war unmöglich, auch nur über alltägliche Dinge miteinander zu reden. Wieviel weniger erst von solchen Sachen! Aber jeder kannte die Gedanken des anderen.

So verlöschte in uns langsam die Flamme. Wir sanken auf die Stufe leidender Tiere. Wir erregten uns kaum noch über das harte Gefängnisregime und die schlechte Behandlung.

Später traten wir rein mechanisch in den Hungerstreik. Zu jeder anderen Zeit hätten wir es nicht getan, weil wir schon genug Hunger litten. Aber jetzt sagten wir ganz offen: Nichts kann schlimmer sein als unser augenblicklicher Zustand. Und wenn wir schon krepieren sollten, wollten wir lieber nach unserem eigenen Willen krepieren, als nach dem ihren. Diese Befriedigung wenigstens sollten sie nicht haben!

Wir waren unser achtzig, die sich acht Tage lang weigerten, den mageren Fraß anzunehmen, der die rumänischen Gefangenen am Verrecken hindern soll, ihnen aber beim Essen den Hunger verekelt. Alle lebten nur noch von der Kraft ihres Willens.

Nun, unser Hungerstreik hatte Erfolg.

Einen erstaunlichen Erfolg sogar. Der Kriegsminister Raschkanu erkannte unsere Forderungen an. Wir erhielten außerordentliche Rechte zugebilligt, durften ein paar Minuten in den Hof gehen, durften die Regierungsblätter lesen, wurden nicht mehr geschlagen und sollten nicht mehr grundlos in den ›Käfig‹ gesetzt werden.

›Es ist zu schön,‹ sagten manche.

Aber andere meinten:

›Sie werden Angst haben. Vielleicht ist die Arbeiterschaft erstarkt da draußen.‹

Ende April rief uns der Direktor zusammen und sagte uns:

›Am 1. Mai feiert unsere heilige orthodoxe Kirche das Osterfest. An diesem Tage werdet ihr Fleisch, Pasteten und Wein bekommen.‹ Und setzte die Neuigkeit hinzu: ›Weil Christus auferstanden ist!‹

›Danke!‹ sagten einige, und es klang wie ein Grunzen.

Das hatte der Direktor wohl nicht gehört, denn er fuhr fort: »Und außerdem ist der 1. Mai ja auch der Feiertag der Arbeit. Ihr könnt also das Fest auch auf eure Art feiern. Ihr dürft das Fest arrangieren, wie ihr es gewöhnt seid. Ihr könnt am 1. Mai den ganzen Tag singen und reden soviel ihr wollt.«

Der uns das sagte, war der vollkommenste und begabteste Gefangenenschinder, den ich erlebt habe. Es war der Hauptmann Arghir.

Seine Worte waren sonderbar. Aber noch mehr verwunderte es uns, daß sie sich verwirklichten. Wir durften unter uns eine Maifeier vorbereiten, wie wir es daheim gemacht hätten, oder besser noch, wie in einem freien Lande.

An diesem 1. Mai wurden in Jilava Revolutionslieder gesungen, Ansprachen gehalten. Es war wie ein richtiges Meeting, alter Freund: Wir wählten ein Komitee mit Beisitzern. Die Redner sprachen gegen den Kapitalismus und erklärten die Bedeutung des 1. Mai vor einer Zuhörerschaft, die sich aus politischen Gefangenen zusammensetzte. Freilich hatten sich auch ein paar gemeine Raub- und Meuchelmörder eingeschlichen. Aber die waren schließlich nicht schlimmer als die Leute der Siguranza, die sich in unsere öffentlichen Versammlungen einschleichen. (Und was die Gerechtigkeit anlangt: Wie oft müßte eigentlich die Gesellschaft für die Verbrechen eines einzelnen verantwortlich gemacht und bestraft werden!)

Alles wickelte sich nach einer Tagesordnung ab, die wir gemeinsam festgelegt hatten. Als Abschluß wurde die ›Internationale‹ gesungen. Die Wachtposten auf den Festungswällen von Jilava, die unsere unterirdischen Kerker überragten, hörten, starr vor Staunen, das Lied, das aus den Gräbern drang.

Der Abend kam, und wir wurden wieder in unsere Zellen gesperrt; wir waren trauriger als zuvor nach einem solchen Tage. Um so mehr, als wir noch lange daran dachten, daß wir seit Jahren zum erstenmal den Himmel und die Weite gesehen hatten und niemals wiedersehen sollten.«

Theodor schwieg.

»Und dann?«

»Dann war nichts. Alles ging wie früher. Und ihr werdet verstehen, daß wir stärker darunter litten.

Das frühere Gefängnisregime wurde wieder eingesetzt. Alle Versprechungen, die man uns gemacht hatte, standen nur auf dem Papier. Sie hatten die Flamme der Hoffnung wieder in uns angefacht und nun lagen wir in der dunklen, schweigenden Einsamkeit. Ich will gar nicht von den Schlägen und den Ungerechtigkeiten reden. Wir hatten noch mehr das Gefühl, lebendig begraben zu sein, als zuvor. Ich begriff es sehr gut, als der alte Zustand nach dem Zwischenspiel des 1. Mai wieder eintrat.

Es wird erzählt, daß sich zur Zeit der Inquisition die Inquisitoren damit vergnügten, über ihre armen, in dunklen Kerkern gehaltenen Opfer die ›Strafe der Hoffnung‹ zu verhängen. Sie schickten in der Nacht die Wachen weg, ließen die Türen offen, um die Gefangenen glauben zu machen, sie könnten fliehen. Kaum hatte ein Eingekerkerter das Freie erreicht und die erste Luft der Freiheit eingesogen, wurde er ergriffen und zurückgeschleppt.

Genau so wurden wir behandelt. Man hatte verhindert, daß wir in Gleichgültigkeit und Ergebung vertierten oder uns entleibten; man wollte uns beweisen, wie hilflos wir waren und wie gering die Macht unserer Bewegung in der Welt ist. Man hatte uns ein paar Stunden der Befriedigung geschenkt, um nachher um so mehr unserer spotten zu können bis ans Ende unserer Tage.

Liebe Genossen, die Strafen, von denen ihr gesprochen habt, haben wir auch erlitten. Sie sind für das Tier in uns das Schlimmste, was es gibt. Aber dieses Fest der Arbeit und Freiheit in der Mördergrube, als Unterbrechung der Martern, stellt für den Menschen die schlimmste Strafe dar.«

Als die fünf sich ihr Leid und ihre Qual vom Herzen gesprochen hatten, standen sie auf, um schlafen zu gehen. Es war schon spät, und sie sollten am anderen Morgen in ihr neues Leben abreisen, in das Land, wo die Arbeit zur leuchtenden Freude wird.

Einer murmelte, ehe er mit den anderen zusammen wegging:

»Wenn nur das Volk erst begreifen wollte, daß es nichts weiter ist als eine Herde Gefangener, die durch Feste und Aufzüge verblendet wird, damit man sie nachher besser täuschen und dafür bestrafen kann, daß sie das Volk ist.«


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