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Henri Barbusse

Nicht Deutung des Lebens und Werkes von Henri Barbusse will ich geben, dazu bedürfte es Stunden, nicht Minuten. Was ich geben will, ist Bekenntnis zu einem Menschen, der Millionen erscheint als Sinnbild und Vorbild des revolutionären Dichters, als Stimme der Wahrheit, als Stimme des Geistes, die, aller Verfolgung zum Trotz, über die Grenzen zu den Völkern dringt.

Ich erinnere mich, als in den Jahren der großen Schlächterei ein Buch zu uns kam: »Le feu«, »Das Feuer«. Wie es unsere Herzen ergriff, wie es Menschen, die verwirrt und ohnmächtig nicht den Weg fanden im künstlich erzeugten Nebel der Sinne, über alles tiefe Ergreifen hinweg die Schleier von den Augen riß, daß die Fratze der großen Zeit unverhüllt sichtbar ward. Ein Feind war es, der rief: So sieht der Krieg aus, so und nicht anders! Was ihr in den Heeresberichten der Generalstäbe, was ihr in den Feuilletons verschmockter Journalisten lest, ist Lüge. So und nicht anders sieht der Krieg aus: Die frierenden, armseligen, getriebenen Millionen Opfer, die einander zu Krüppeln schießen, die einander morden, die glauben, für Vaterländer zu kämpfen, und die doch nur kämpfen für die erbärmlichen Begierden einer Handvoll Parasiten in allen Staaten, Opfer, die, wären sie sehend, aufständen und einander brüderlich umarmten, oder sich wendeten gegen den wirklichen Feind, wie es ein Mann tat, dessen Stimme auch das Grab des Zuchthauses nicht zum Schweigen brachte: Karl Liebknecht.

Seit jenen Tagen ist uns der Name Barbusse teuer.

Barbusse, geboren am 17. Mai 1875 in Asnières, begann als »reiner« Dichter. Er schrieb Verse, die ihm Ruhm und Ehre eintrugen, aber bald erkannte er, daß niemand das Recht hat, das trostlose Leben von Millionen Menschen mit der phantastischen Gewissenlosigkeit des absoluten Dichters zu behandeln. Auch in ihm wohnte der Blick für die Nuance, auf den der Ästhet so stolz ist, aber er erkannte, daß es Zeiten gibt, in denen es verbrecherisch ist, nur Nuancen zu sehen und zu formen, die das Leben illuminieren, die mit den rosigen Lichtern des Vormorgen, mit den falben Schatten der Dämmerung die unerbittliche und häßliche Klarheit des Alltags verschönen. Aus Verantwortung hörte er auf, ästhetisierender Literat zu sein. Ihm bedeutete Literatur nicht nur spielerisches Bilden, ihm ward sie kämpferische Verpflichtung, weil das Wort, vom Geiste gezeugt, höchstes Mittel ist, auf Menschen zu wirken und die Wege der Verwirklichung zu ebnen. Komme doch keiner und sage, er habe seine Kunst erniedert, das reine Antlitz der Dichtung beschmutzt, dadurch, daß er Parteimann geworden sei. In dieser Zeit, da sich die meisten Intellektuellen vor einfachem Stellungnehmen drücken, hat man vergessen, daß große Werke der Literatur von Parteimännern geschaffen wurden. Waren die religiösen Dichter der griechischen Antike keine Parteimänner in wohlverstandenem Sinne? War Walter von der Vogelweide, waren Dante, der junge Schiller, Büchner keine Parteimänner? Nicht darauf kommt es an, daß der Dichter Parteimann ist, sondern daß der Parteimann Dichter bleibe.

Auch Barbusse liebt die vielfältige Schönheit der Natur, auch er liebt inbrünstig die Fülle des Lebens, aber ebenso stark lebt in ihm das Wissen um den Tod. Um den Tod, der uns gesetzt ist als kosmisches Schicksal, und um jenen, der an uns verübt wird durch das Verbrechen der Herrschenden. Ja, er wußte und weiß um den Tod, immer wieder wird es spürbar in seinem Werk. Auf ihm lastet die Melancholie des um Menschenhistorie Wissenden, der irdische Grenze und Frist schmerzhaft empfindet. Aber nur wer nahe dem Tod ist, ist nahe dem Leben. Und so ringt er sich in jedem seiner Werke durch zum Dennoch, zum Trotzdem, zum Glauben, daß eine sinnvollere Gesellschaftsordnung, die aufzubauen des Menschen Vernunft kraftvoll genug ist, imstande sein wird, die ungeheuren Leiden der Menschheit auf einen winzigen Bruchteil zu beschränken. Nicht umsonst heißt einer seiner Romane: »Klarheit«. Klarheit will er vor allem finden, und er glaubt anfangs, die geistigen Menschen, die Intellektuellen müßten die Berufenen sein. Aber bald sieht er ihre Halbheiten, ihre Torheiten, ihren Selbstbetrug. Sie geben vor, den Krieg zu bekämpfen und wollen seine sozialen Ursachen nicht bekämpfen, sie möchten zum Volk sprechen und sprechen in einer Sprache, die das Volk nicht versteht, ja, sie wenden sich naserümpfend ab von Einfachheit und Vereinfachung, die Barbusse, wie jeder mit ihm verwandte Künstler, bewußt erstrebt. Und weiter sieht er, daß die meisten Intellektuellen im Bodenlosen leben, daß sie nur geringe und oberflächliche Kenntnisse von sozialen Dingen besitzen, daß sie, die glauben, das Sein zu erfassen, nur das Vergangene umtasten. Denn nur was leben wird, ist. Und so wendet er sich von den Intellektuellen ab und findet den Weg zum arbeitenden Volke, zu jener Minderheit des arbeitenden Volkes, die hell, bewußt und gläubig eine neue Ordnung aufbauen will. Mögen die Intellektuellen, sagt er, die letzten sein, die begreifen, wie vernünftig und moralisch, wie gewaltig und heilsam die gänzliche Erneuerung ist, die in diesem Augenblick eine Minderheit plant, die darum nicht weniger Geist, nicht weniger Kraft ist. Endlich sieht er Klarheit und Wissen. Das Volk hat die größten Verbrechen als solche erkannt, jene, durch die die Menschheit an Niedrigkeit stirbt, und die heißen: nicht verstehen, vergessen, sich täuschen lassen. Es hat alles verstanden, was verstehen heißt. Die Intellektuellen glauben, sie sind ehrlich. Um ehrlich zu sein, muß man wissen. Das Gesetz des Vorrechtes beginnt mit dem Ende, man muß mit dem Anfang anfangen.

Aber Barbusse trennt ein Abgrund von jenen sich proletarisch heißenden Schriftstellern, die sich selbst, sich selbst berauschen als kultische Priester des Proletariats, weil sie nicht die Kraft besitzen, die Menschen von heute zu sehen wie sie sind, und dennoch mit ihnen in einer Front zu marschieren. Er brandmarkt den Knechtssinn der nicht wachen Proletarier, er brandmarkt ihre Dummheit. Immer wieder ruft er sie auf: Hab' Erbarmen, Volk, mit dir. Sei dein Herz, dein Genie, erhebe dich, schüttle ab die niedrige Unterwürfigkeit, die dich mit deinem Leiden zugleich im Innersten gefangen hält. Werde der gewaltige Vernichter und laß die Welt nicht mehr los. Bezwinge die Herde in dir. Ihr, die ihr die Zahl seid, eure Schuld ist, was geschah. Was die Herrschenden getan haben, erkennt es als das, was ihr getan habt, da sie es mit euren Händen taten.

Die Zeit fehlt mir, um, was ich sagte, an seinen Werken zu erhärten, von denen die wichtigsten, noch nicht genannten, heißen: »Die Hölle«, »Die Kette«, »Das Messer zwischen den Zähnen«, »Reden eines Mitkämpfenden«.

Keines seiner Werke ist klassisch im bürgerlich-ästhetischen Sinne zu nennen, seine Werke entstammen einer Periode der Neuschöpfung und chaotischen Umwandlung, nicht einer Periode gesättigter Stille. Sein Stil ist geprägt von den traditionalen Kräften der französischen Literatur und den Mitteln dieser Zeit. Die Gesellschaft, die er beschreibt, lebt für ihn in einem Schacht, den es zu unterminieren gilt. So dringt man in die tieferen Schächte, stößt vor zu den eigentlichen und wahren Quellen. Seine Romane haben nichts gemein mit banal interessanter Handlung, manchmal sind sie beladen mit einer Überlast von Wissensstoff, immer sind sie Ruf und Aufruf, Drohung und Prophetie. Lyrische, epische und dramatische Mittel bindet er aneinander. Er liebt das perspektivische Fassettierte des Kinematographen.

Wenn er einen Soldaten zeigt, der leidet, so zeigt er nicht ein vereinzeltes Wesen, er zeigt Millionen, die leiden gleich ihm, denn immer strebt er danach, das Kollektive in seinem Werk Stimme werden zu lassen. Im künstlerischen und im polemischen Werk.

Er ist wahrhaft ein revolutionärer Dichter, denn dieses zeichnet den revolutionären Dichter aus: in jedem entscheidenden Augenblick vom Schreibtisch aufzustehen und sich einzusetzen mit der Stimme und mit der Tat, gegen Unrecht und Vergewaltigung. Inmitten des chauvinistisch beeinflußten Frankreich schrieb er sein Manifest gegen den Marokko-Krieg, als die bulgarische Reaktion Arbeiter, Sozialisten zu Tausenden einkerkerte und marterte, eilte er dorthin, fuhr von Gefängnis zu Gefängnis und versuchte das Weltgewissen zu wecken, als ein Giftschwarm von Verleumdungen Sowjetrußland verdunkelte, war er da, im Kampf der kolonialen Völker gegen den Imperialismus gehört er zur Avantgarde.

Wir, die wir Barbusse lieben und grüßen, wir wollen ihm danken, indem wir die Welt nicht mehr loslassen, wir wollen sie packen und sie aufbauen nach neuem Gesetz. Was jeder einzelne tut, zählt nicht, und man weiß nicht, was man tut, und trotzdem vollendet sich alles.

Ernst Toller

(Aus einer Rede, gehalten in Berlin im Oktober 1928)


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