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Terror


G. Bujor

Ich weiß, was in den rumänischen Gefängnissen vor sich geht, in diesen Gräbern lebendiger Menschen. Denn um sie kennenzulernen, bin ich nach Rumänien gefahren. Ich habe mit Gefangenen gesprochen, habe Briefe von ihnen erhalten und habe in Rumänien und im Ausland mit Leuten verkehrt, die aus den höllischen Gefängnissen von Doftana, von Jilava, von Vacaresti und anderen Orten entwichen waren. Dort martert man die politischen Gefangenen, die kommunistischer Gesinnung verdächtig sind, langsam und systematisch zu Tode.

Zahllose Tatsachen, die ich unwiderlegbar nachgeprüft habe, drängen sich in meine Feder. Doch nur von einem dieser vielen menschlichen Schicksale will ich heute berichten.

G. Bujor war ein rumänischer Advokat, der aus seiner Sympathie für Sowjetrußland kein Hehl gemacht hatte. Er war Sekretär Rakowskys gewesen; das wurde ihm als schlimmstes Verbrechen angerechnet. Er hatte sich der Annexion Bessarabiens widersetzt, die als niederträchtiger Raub und als zynischer Bruch des Selbstbestimmungsrechtes anzusehen ist.

Seit sechs Jahren ist Bujor im Gefängnis von Doftana eingekerkert. Seit sechs Jahren liegt er, in schwere Ketten gelegt, in einer engen Zelle, die nichts enthält als eine schmale Holzpritsche. An diese ist er angeschlossen. Die Eisenketten verhindern jede Bewegung, ein kleiner Napf nur ist ihm erreichbar. Das ist die ganze Ausstattung der Zelle, die er seit vierundsiebenzig Monaten nicht verlassen hat.

Alle Verbindung mit der Außenwelt ist ihm verwehrt und er darf keinerlei Besuch empfangen; seit seiner Verurteilung hat er kein menschliches Antlitz gesehen, keine menschliche Stimme gehört, das Lesen und Schreiben ist ihm verboten. Doch auch wenn es gestattet wäre, die dunkle Zelle machte es unmöglich. Nur ein ganz matter Lichtschein fällt durch das enge Gitter. Durch ein Loch in der Eisentür reichen sie Bujor alle 24 Stunden einmal die übelriechende Suppe. Der Arm des Wärters, der durch das enge Loch langt, ist kaum zu sehen.

Anfangs versuchte der Gefangene, von der tiefen menschlichen Sehnsucht nach eines anderen Menschen Stimme getrieben, mit dem Wärter zu reden. Es war vergeblich. Die Regierung hatte befohlen: Niemand darf mit Bujor sprechen. Jeder Versuch war vergeblich, die furchtbare Qual nur ein wenig zu lindern, durch die ein Mensch zur Leiche gemacht und lebendig begraben wird. Die rumänische Regierung lehnte es immer wieder ab, auch nur das Geringste zu tun. Trotz aller Angebote der Sowjetunion war sie nie bereit, Bujor gegen andere Gefangene auszutauschen.

Und doch war es eines Tages möglich, mit ihm zu sprechen und von ihm Antwort zu bekommen. Es war das Gerücht entstanden, er sei gestorben; ein anderes behauptete, er sei irrsinnig geworden. Ich habe selbst den rührenden Brief eines alten Gefangenen aus Doftana gelesen, der erzählte, daß man manchmal – bei ruhigem Wetter – die dumpfen Töne eines Klageliedes oder Lobgesanges hörte, die aus der Erde zu kommen schienen. Sie stammten von Bujor.

Ein junges Mädchen, die Arbeiterin Lenutza Filipovici, faßte den Entschluß, zu Bujor zu gelangen und zu sehen, was aus ihm geworden war.

Ein zufälliger Umstand gab ihr die Möglichkeit. Im Laufe eines politischen Prozesses, des sogenannten Prozesses der Dreihundert, hatte der Staatsanwalt behauptet, die achtzehnjährige Lenutza sei die Geliebte Bujors gewesen.

Es war eine Lüge; doch das junge Mädchen versuchte sie auszunutzen. Sie wandte sich an eine hochstehende Persönlichkeit des rumänischen Sicherheitsdienstes, an den unseligen Ranciulescu, der die »kommunistische Abteilung« leitete.

Sie sagte ihm: »Es wird behauptet, Bujor sei tot.«

»Das ist nicht wahr, er lebt«, antwortete Ranciulescu.

Lenutza brachte nun mutig ihr Anliegen vor: »Sie wissen, daß er mein Geliebter gewesen ist. Ich möchte mich überzeugen, daß er noch lebt.«

Der Kommissar mußte den Wunsch ablehnen, da er den strikten Befehl hatte, Bujor jede Verbindung mit der Außenwelt abzuschneiden.

Lenutza bestand zornig auf ihrem Wunsch. Sie drohte damit, einen öffentlichen Skandal hervorzurufen. Dann bat sie schluchzend und kniete vor der Bestie nieder. Das Undenkbare geschah: Nachdem Ranciulescu lange geschwankt hatte, gab er aus irgendeinem Grunde, bestimmt nicht aus Mitleid, nach und änderte seinen Entschluß. Er schrie sie an:

»Zum Teufel, ja. Du sollst ihn sehen und drei Minuten mit ihm sprechen.«

Sie erhielt einen Ausweis, der ihr sofort die Schlösser und Riegel des Gefängnisses öffnete; sie mußte durch einen langen finsteren Korridor gehen, dessen Wände eine eisige Luft verbreiteten. Am Ende des Korridors blieb der Wärter stehen, ein Schlüssel kreischte im Schloß und die schwere Tür des Gewölbes rollte zur Seite und ließ ein Gitter sehen. Schließlich erkannte Lenutza hinter dem Gitter den Gefangenen. Sein Anzug war zerfetzt, sein Bart wild gewachsen. Er kauerte auf einer Pritsche und Lenutza merkte, daß der schwache Lichtschein, der durch die offene Tür in die Zelle gedrungen war, ihn wie helles Sonnenlicht geblendet hatte.

Sein Gesichtsausdruck war verstört und nicht der eines normalen Menschen. Die sechs Jahre finsteren Kerkers hatten seinen Geist ausgelöscht.

Lenutza reichte ihm instinktiv die Hand durch das Gitter, aber der Wärter riß sie roh zurück. Da konnte sie ein paar Augenblicke kein Wort sagen, nicht einmal Tränen kamen ihr. Sie stand ratlos da.

Schließlich sagte sie: »Genosse Bujor, ich bin zu dir gekommen, um dir die Grüße unserer Freunde zu überbringen.«

Beim Klang der Stimme ging eine merkwürdige Veränderung mit dem Gefangenen vor sich. Sein Gesicht hellte sich auf und er begann ganz klar zu reden, mit schwacher Stimme. Die Stimme eines Sterbenden sprach von der großen Besorgnis, die ihn in all den Monaten und Jahren gequält hatte, während er in diesem Grabe eingemauert war; er sprach nicht von sich, auch nicht von Bekannten oder Verwandten. Er fragte das Mädchen nur:

»Sind die Bolschewisten in Rußland noch an der Macht?«

»Ja,« konnte sie ihm sagen.

Da trat der Wärter grob dazwischen.

»Nichts von Politik! Nicht wahr!«

Sie schwiegen.

Schließlich fragte sie: »Hast du keinen Wunsch, Genosse Bujor?«

»Nein,« antwortete er. »Jetzt bin ich glücklich.«

Sie sagten einander Lebewohl und sie ging weg; die Bücher und Lebensmittel nahm sie wieder mit, die sie ihm mitgebracht hatte. Es war unmöglich, das Verbot zu übertreten. Bujor durfte von der Außenwelt nichts empfangen.

Diese Tatsachen haben sich vor gar nicht langer Zeit ereignet. Sie erhellen nicht nur einwandfrei die Barbarei der Leute, die noch heute als Lenker großer Nationen die Regierungen kleinerer Völker beherrschen und duldsame Mitwisser ihrer Schandtaten sind, sondern sie beweisen auch, daß der Traum von einer besseren Welt in den Herzen aller Ausgebeuteten, selbst bei den ganz Verstümmelten, bei den am härtesten Getroffenen, daß er bei allen Unterdrückten lebendig ist.

Stärker als alle Qualen, stärker als Krankheit, als Irrsinn, erhält sich und lebt der Glaube an das einzige freie Volk der Erde und das Schicksalhafte seines Beispiels.

Und dieser Glaube ist der gewaltigste Sprengstoff.


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