Chevalier von Roquesant
Bruchstücke aus den Memoiren des Chevalier von Roquesant
Chevalier von Roquesant

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21

Am andern Tage suchte ich denn Germaine auf, und zwar tat ich es in bester Zuversicht, denn ich fühlte nicht den geringsten Zweifel in mir, daß alles zwischen uns zum klaren Verstehen kommen müsse, wie ich denn auch selbst keinen Schatten von Bitternis mehr gegen sie hegte. Ich war ein halber Kalvinist geworden, und wenn Germaine es verlangte, so wollte ich mich auch äußerlich dazu bekennen, wollte in holländischen Dienst treten, wollte tun, was sie irgend von mir forderte, wenn ich nur Benedikten haben und halten durfte. Freilich hoffte ich im Innersten, ihre Forderungen würden so weit nicht gehen, denn mein Gewissen protestierte gewaltig. Aber im Notfalle hätte ich es erstickt.

Nun – es kam nicht dazu. Ich hatte Benedikten gebeten, der Mutter noch kein Wort von unsern Heimlichkeiten zu sagen, denn ganz mit meiner eignen Taktik wollte ich den Feldzug beginnen und auch mein eigner Ingenieur sein, Louvois und Vauban in einer Person. Benedikte hatte gehorsam unsre Bekanntschaft verschwiegen, und ich kam nun ins Haus zu einer Zeit, da Germaine allein war, unbefangen, als hätte ich eben erst von ihrer Anwesenheit in Mons gehört und käme nun als Landsmann und einstiger Hausgenosse, sie zu grüßen. Dabei wollte ich mich schon ins rechte Licht setzen, um für alle meine jugendlichen Torheiten Verzeihung und für künftige Forderungen Vertrauen zu erlangen.

Germaine sah in ergrauten Haaren noch ebenso schön wie einst, aber fast noch dämonischer aus, denn jetzt beherrschten die schwarzen Augen noch viel ausschließlicher die ruhige Blässe ihres Gesichtes. Mir wurde doch etwas beklommen, als ich sie sah, und die Empfindung meiner Kindheit, daß diese Frau außerhalb des Bereiches natürlicher Berechnungen stände, faßte mich wieder mit Macht. Ich aber schüttelte das Grauen ab und ging mit gutem Gewissen an meine Aufgabe heran, indem ich mit List da anknüpfte, wo ich am sichersten Halt finden konnte, nämlich an den Kalvinistenversammlungen, deren ich im Anfange meiner Gefangenschaft in Mons ja etliche besucht hatte. Ich tat, als wäre ich aus bloßem Herzensbedürfnis dahin gegangen, und sprach meine Verwunderung aus, Germaine dort nicht gesehen zu haben, ihr überhaupt in all der Zeit nicht begegnet zu sein. Wie sorgfältig ich dieser Begegnung in den letzten vier oder fünf Wochen aus dem Wege gegangen war, davon brauchte meine gefährliche Gegnerin wahrlich nichts zu wissen.

Germaine erwiderte mit gutem Anstande, ja sogar mit einem Scheine von Freundlichkeit, die sie mir aus Gründen der Gerechtigkeit nicht ganz versagen mochte; wußte sie doch, daß ich um ihres Besitztumes willen einen gewagten Schritt getan hatte, an dessen Folgen ich jetzt litt. Sie brachte es denn auch über sich, mir ein paar sehr wohlgesetzte Dankesworte zu sagen, die mir die Brücke zu weiterem Sturmlaufe boten. Denn ich erwiderte alsobald mit einer Klage über die schlimmen Verhängnisse der Kriegsnot, die es auch dem bestgesinnten Führer fast unmöglich machten, Zucht unter seinen Leuten zu erhalten, und mit der Versicherung, daß gerade ich stets hohen Wert auf solche Zucht gelegt und sie mit äußersten Mitteln verteidigt habe: »Denn,« fügte ich hinzu, »die puritanischen Helden Englands, Cromwell und Fairfax, haben uns bewiesen, daß die Stärke einer Armee in ihrer Zucht liege, wie die Stärke eines Menschen in seiner Reinheit. Mit besudelten Händen ist nie eine gute Sache geführt worden, und dieser Krieg ist ein unseliger für uns nur deshalb, weil vom General bis zum letzten Söldner herab jeder einzelne ihn als einen Raubzug für eignen Gewinn betrachtet. Deshalb bedaure ich doppelt und dreifach Vorfälle wie diesen eben besprochenen, und würde unter gleichen Umständen immer wieder gleich handeln.«

Das war doch wahrlich wohlgesprochen, und wenn jetzt die Festung nicht kapitulierte, so war der Anlauf verloren! Bei der Nennung Cromwells und der englischen Puritaner hatte Germaine wirklich die Brauen etwas hochgezogen, einen helleren Blick auf mich gerichtet und in offenbarer Spannung meine Worte verfolgt. Als ich geendet, erwiderte sie, das sei eine löbliche Gesinnung, die sie einem französischen Offiziere schwerlich, mir gerade aber unter keinen Umständen zugetraut hätte, Und damit hatte ich, was ich beabsichtigte, erreicht, und konnte nun in vollem Schwunge zum entscheidenden Schlage ausholen.

»Halten Sie mich,« rief ich mit aller möglichen Wärme, »halten Sie mich um Gottes willen nicht für den Menschen, der ich einst war und den Sie so mit Recht verachtet haben! Ich bin anders geworden durch manche Erfahrung, Germaine! Frankreichs Schicksal und mein eignes haben mich belehrt, und das letzte haben Ihre Glaubensgenossen getan, um den alten Menschen in mir auszulöschen. Ich bin ein Besserer geworden, als ich war, und jetzt vielleicht wert, als Freund Ihre Hand zu fassen. Wollen Sie sie mir geben, Germaine?«

Ich mußte, trotzdem ich im wesentlichen keine Unwahrheit gesprochen hatte, doch ein klein wenig unter dem Banne und mit dem Ausdrucke eines schlechten Gewissens geredet haben, das mir während dieser ganzen Szene alle Erbärmlichkeiten der Welt zuschrie und mich einen feilen Komödianten nannte, der aus seiner Gesinnung Münze zu schlagen versuchte. Denn Germaine, die mich die ganze Zeit über mit der alten zwingenden Macht ihrer Augen förmlich durchbohrt hatte, zeigte keineswegs die Freude über meine Bekehrung, die ich erwartet hatte, sondern antwortete gemessen, sie habe in ihrem Leben an vieles glauben gelernt, nur nicht an einen Wechsel der menschlichen Natur, und sie glaube auch bei mir nicht daran. Immerhin erkenne sie an, daß ich einmal als Ehrenmann gehandelt habe, und wenn sie mir die Hand reiche, so sei es als Zeichen der Dankbarkeit und nicht, weil sie mich als einen Verbündeten betrachten wolle. Und damit entließ sie mich so kühl, wie sie mich empfangen hatte, und sprach das Wort nicht aus, das ich so sehnlich erwartet hatte und das mir in Zukunft die Türe ihres Hauses offen halten sollte. So war ich im ganzen doch geschlagen und mußte auf neue Listen sinnen, meinen Dämon zu binden.

Darüber beriet ich mich nun am andern Morgen mit Benedikten, die ich um die gewohnte Zeit im Dämmer des Seitenkapellchens traf. Sie lachte mich ein wenig aus, als ich ihr meine Niederlage beschrieb, tröstete mich aber bald, indem sie fröhlich meinte, wir hätten ja alle Zeit, die Sache sorgfältig vorzubereiten, als Gefangener könne ich so wie so nicht ans Freien denken, und die Auslieferung stünde nach der Meinung aller noch im weiten Felde. So lange wollten wir uns treu und heimlich lieben und gutes Mutes sein. Ich war schlecht genug, den Wunsch auszusprechen, der Krieg möchte noch recht lange dauern, meine Auslieferung ins Unendliche gerückt werden, denn ich sah wohl, daß der Germaine nur mit langer Belagerung beizukommen war, und mit einem solchen Kriegsrat jeden Morgen und solch einer süßen Verproviantierung mit guten frohen Verheißungen war ich sicher, meine Laufgräben ganz gemächlich immer weiter vorzutreiben. Wir beratschlagten nun über die nächsten Schritte. Benedikte hielt es für zweckmäßig, daß ich mich auch ferner bei den frommen Uebungen ihrer Sekte als aufmerksamer Zuhörer zeige, aber an solchen Tagen, wo auch Germaine daselbst anwesend sein würde. Diese Tage zu erfahren, hatte ich nun, dank meinem lieben kleinen Eklaireur, gar keine Mühe mehr.

Da saß ich nun zwei- oder dreimal wöchentlich in einem langen, dumpfen, dunkel getäfelten Gemache unter schwarzgekleideten Menschen mit strengen Gesichtern und hörte trockene und kalte Worte von Pflicht und Vernunft. Alle Fenster des Gemaches waren geschlossen, denn die duftschweren Sommerlüfte draußen hätten Wirrsal in diese gefesselten Sinne gebracht, wenn sie hätten eindringen können. Ein hohes kohlschwarzes Kreuz, das wie ein Schatten an der dunkelbraunen Wand stand, hielt alle Blicke gleichsam an sich fest. Unter dem Kreuze stand der Prediger, und auf einem Tischlein vor ihm lag die Bibel und stand etwa einmal ein schlichter goldener Kelch, der im Scheine zweier Kerzen doch viel zu freundlich für diese Umgebung blinkte. Außer dem Kelche war nur ein lieblicher Punkt in dem toten Raume, und das war drüben auf der Frauenseite Benediktens rosiges Gesichtlein, das unter dem Goldhaare und der weißen Haube wie ein Blümchen erblühte. Da sie gleichfalls schwarzgekleidet war und also ihr Körper mit den übrigen in einem unauflöslichen Schatten versank, so schien dieses Köpfchen, wenn sie es dem Kerzenlichte zuwandte, manchmal ganz frei auf dem dunkeln Hintergrunde zu schweben, wie das eines Engels auf einem nächtlichen Himmel; und ich war auch fromm, wenn ich es anschaute und dabei der schönen Bilder in unsern Kirchen gedachte. Nach dem nackten Kreuze an der Querwand mochte ich durchaus nicht blicken.

So schön und warm in seiner Schlichtheit mir nun der Kalvinismus meines kleinen Dorfpfarrers erschienen war, so mühselig und beklemmend wirkte er hier auf mich, wo er nur Lehre, nicht Leben zu sein schien. Gott, mit was für gelahrten Spitzfindigkeiten nährten diese Menschen ihren Geist, und wie stiefmütterlich behandelten sie das pulsierende Herz! Immerhin wurde mir die Andacht nicht zu sauer, da ich in Benediktens Antlitz den Kommentar zu den unverständlichen Predigten studieren konnte. Blühte nämlich unversehens ein schönes, tiefempfundenes Wort aus dem Gestrüppe der Gelahrtheit empor, so flog ein warmer Blick ihrer lieben Augen zu mir herüber, der deutlich sprach: ›Das merken wir uns, mein Freund!‹ Und bei Gott, es saß, daß ich es heute noch wiederholen könnte! Dehnte sich aber die sandige Wüste der Gedankenarmut, oder türmte sich das Felsgebirge der Metaphysik, oder klapperte die Altweibermühle ewiger Gemeinplätze gar zu unerträglich, dann wußte das schalkische Mädchen drüben sein Mißfallen durch ein kaum wahrnehmbares Muskelspiel so allerliebst auszudrücken, daß ich mir schwer nur das Lachen verbeißen konnte. Dies tat es aber nur, solange der Blick des Predigers es nicht traf; sah er es an, so verwandelte sich blitzgeschwind das anmutig protestierende Gesichtlein in ein so himmelfrommes und gläubig-verklärtes, daß es einen heidnischen Sklavenverkäufer hätte rühren müssen; und kaum wandte jener sich ab, so spukten alle Kobolde des Uebermutes wieder unter den krausen Stirnlöckchen herum, bis etwa wieder ein Herzensstrahl aufleuchtete und das süße Bild mir durch einen Liebesblick sein Verständnis vermittelte.

Bei solchem Spiele wurden mir die Abende freilich nicht lang, aber einen rechten Gewinn wollte die Sache doch nicht abwerfen. Denn wie ich auch versuchte, nach dem Gottesdienst und auf dem Heimwege Germaine nahezukommen, immer empfing ich nur schroffe Ablehnung und schließlich kaum mehr einen Gruß. Schon hatte ich die Vorsicht gebraucht, von Benedikten keine Notiz zu nehmen; als sie das erstemal nach der Andacht neben der Mutter einhergewandelt war, hatte ich nur obenhin gefragt: »Und das ist das kleine Benediktlein?« aber weiter kein Wort an das züchtig mit gesenkten Lidern dahingehende Mädchen gerichtet, das seinerseits so scheu und fremd tat, als hätte es mich nie gesehen. Eifrig sprach ich dagegen von den vernommenen Lehren, pries den Redner, pries die Erbauung, die ich geschöpft – und tat dies so lange, bis ein kalter Blick der Germaine mir die Rede abschnitt. Da dieser Blick immer schneller erfolgte, so mußte einmal ein Tag kommen, wo er schon die ersten Sätze, ja schließlich gar die ersten Worte erstickte und ich den Mut zu neuem Ansätze verlor. Immerhin hatte die Sache Wochen gedauert, so daß ich mich heute noch meiner Geduld und Zählebigkeit wundere.

Während all dieser Zeit gab mir Benedikte allmorgendlich treuen Bericht über die Wirkung meines Verhaltens auf Germaine. Es waren klägliche Berichte! Denn die Kluge war durch meinen kalvinistischen Eifer keineswegs getäuscht, vielmehr erst recht mißtrauisch geworden, und auch meine Zurückhaltung gegen die Tochter erschien ihr nicht natürlich. Sei es nun, daß sie auch noch einen unsrer Wechselblicke während der Predigt aufgefangen hatte, sei es, daß sie sich meines Schwures in der Rue Planche-Mibrai, Benedikten zu erobern, mit einem Male wieder entsonnen hatte – sie verbot dem Kinde eines Tages schlankweg, die Andachten zu besuchen. Damit fing sie uns. Denn in der Torheit unsrer Liebe hielten wir diese Neuerung für eine günstige und eilten, daraus Vorteil zu ziehen. Wenn Germaine zur Andacht ging, so schlich ich, dessen Erbauungsbedürfnis plötzlich erkaltet war, mich nach ihrem Hause, wo ich im dunkeln Torweg ein Plauderstündchen mit meiner Süßen hielt. Blinder hätten wir nicht handeln können. Denn nun bedurfte es wahrlich nicht des Scharfsinns jener schwer erfahrenen Frau, um den letzten Schluß zu ziehen. Sie kehrte eines Abends unvermutet früh aus der Versammlung nach Hause, überraschte uns, riß Benedikten an sich und donnerte die Pforte meines Paradieses zu. In der Folge hielt sie das unglückliche Mädchen wie eine Gefangene hinter Schloß und Riegel, und ich hatte nun Zeit, in einer Reihe äußerst qualvoller Tage, während welcher ich Benedikten nicht sah, über Kriegskunst und ihre Anwendung gegen Frauen nachzudenken.


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