Chevalier von Roquesant
Bruchstücke aus den Memoiren des Chevalier von Roquesant
Chevalier von Roquesant

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19

Es ist später oft und anerkennend erwähnt worden, mit wie edler Menschlichkeit Kriegsgefangene in holländischen und englischen Händen behandelt worden sind, und der Gegensatz zu dem Traktamente von österreichischer Seite ist mir oft gerühmt worden. Schon nach Höchstädt hatte Blansac, der sich mit einer ganzen Armee dem Herzog von Marlborough ergeben hatte, diese Tatsache festgestellt, während die Gefangenen aus Marsins Heer, die bei Blenheim in die Hände des Prinzen Eugen gefallen waren, ein böses Lied von dessen Härte gesungen hatten. Ich sollte zu meinem Glücke die Bestätigung dieser allgemeinen Annahme an mir selbst erleben, denn ich wurde vortrefflich gepflegt, und als ich nach acht oder zehn Tagen als ein Genesener innerhalb der Festungsmauern mich frei bewegen durfte, gefesselt allein durch das ehrende Vertrauen, das man in mich setzte, da war in dem ganzen artigen Städtchen auch nicht eine Seele, die mich Feindschaft der Könige und Kriegsgeschick entgelten ließ. Ich schäme mich, zu gestehen, daß mir wohl war in dieser Gefangenschaft und daß ich das Unglück segnete, das mich wieder gute und hilfreiche Menschen kennen lernen ließ. Wahrlich, das Unglück ist wie ein dunkler Vorhang, von dem leuchtend Sein herrlichstes Abbild, die reine Menschenliebe, sich abhebt. Was der Vorhang birgt, wissen wir nicht. Wäre er aber nur dazu herabgelassen, daß wir die Sternenschrift des Mitleids auf ihm lesen könnten, er hätte Zweck und Bedeutung genug!

Mit welch andern Gefühlen aber mußte ich außerdem noch durch die erkerüberwölbten Gäßlein von Mons wandeln, da ich wußte, daß diese Festungsmauern mit mir auch Germaine und Benedikte umschlossen. Das Landhaus, das meine Soldaten geplündert hatten, war ihres gewesen, und wo anders konnten sie Zuflucht gefunden haben als in dem festen Mons? Man wird mir glauben, daß ich mit Herzklopfen in jede sich öffnende Türe spähte, jeden Erker mit meinen Blicken zu durchdringen versuchte, in jedem kalvinistischen Bethause mich einfand. Als ich nach den ersten Wochen nichts von den Gesuchten gesehen und gehört, überfiel mich die quälendste Angst um ihr Schicksal. Wie, wenn ich falsch berichtet worden war, wenn die Bewohnerinnen jenes Landhauses nicht geflüchtet waren, wenn sie tot da draußen lagen in dem entweihten Heime? Wenn ich in diesen Tagen von den Festungsmauern herab die Ebene von Gevries überblickte, dann zog das Geisterheer da unten in schwarzen Mänteln und blutroten Fahnen einher, und auf jeder Fahne stand ein Fluch gegen das Phantom der Kriegsehre, ein Fluch gegen den König, der vor achtzehn Jahren zum ersten Male seinen Ehrgeiz an dieser Stätte getummelt hatte.

In solcher Stimmung war es, daß ich eines Morgens im Juni an einer kleinen Kirche vorüberging. Ein katholisches Kirchlein war's, das verriet die offene Tür, der leise Orgelton, der herausdrang, der Weihrauchduft, der mir entgegenschlug. Etwas in meinem Innern mahnte mich, einzutreten. Ich war jahrelang in keiner Kirche mehr gewesen, und die Zeit, wo ich mir Trost an solchen Stätten geholt hatte, war begraben. Daß ich dennoch eintrat, geschah in Erinnerung an Benedikte. Ich setzte mich ganz still in eine dunkle Ecke, lauschte der Musik und suchte mir, indem ich die Augen schloß, das Bild des süßen Kindes gegenwärtig zu halten, wie es mit verzücktem Gesichtlein emporgeblickt zu dem Reigen der vibrierenden Töne, die oben im weiten Kuppelraume verschwebten wie goldgewandete Engel. In der vox humana der Orgel hörte ich Benediktens Stimmlein, das seelenvoll und hingegeben in den heiligen Weisen schwelgte. Die schönste und beste Erinnerung meines Lebens hing an diesem Kinde, und sie stand jetzt vor mir und wehte rein und kühl um meine Stirne wie die Luft des Gotteshauses.

Es überraschte mich kaum, als ich in diesem Sinnen urplötzlich wirklich eine feine summende Frauenstimme in meiner nächsten Nähe vernahm, die außerordentlich leise, aber mit leidenschaftlicher Inbrunst die Melodie der Orgel mitsang. Die Person, der die Stimme zugehörte, mußte an der andern Seite des Pfeilers stehen, an welchem ich lehnte, und natürlich konnte sie mich ebensowenig sehen wie ich sie. Da auch sonst die Kirche fast leer war, so war das Wagnis der sangeslustigen Frau nicht groß, denn schon auf wenige Schritte hin mußte das Brausen der Orgel ihren gedämpften Gesang decken. Dessen schien sie denn auch gewiß zu sein, denn sie vergaß sich manchmal und ließ einen volleren Ton entschlüpfen, der aber in der Wölbung der Kirche wie ein Echo der Orgel verhallte. Manchmal auch ging die Stimme ihren eignen Weg, und dann tat sie es leise und vorsichtig und immer in schönem Zusammenklang mit der Orgel, und manchmal gönnte sie sich die Freude, auf einem einzigen Tone gleichsam wie ein Vogel mit ausgebreiteten Schwingen in hoher Luft liegen zu bleiben, während die Orgel sich in irgendeiner Figur erging. Nun schien sie aber wieder ahnungsvoll das Ende der Figur vorauszufühlen, denn plötzlich stürzte der Ton wie ein Falke aus seiner klaren Höhe herab, und es war wie ein Aufprall, daß er sich mit der Orgelweise wieder vereinigte, sie nun festhielt und ihr folgte. Mir schien es, ein holderes Spiel zwischen Stimme und Instrument hätte ich nie gehört, und ich empfand, daß hier eine schöne Seele in ihrer Art betete, indem sie Zwiesprache mit der Orgel hielt. Je mehr ich aber lauschte, desto froher stieg in mir die Gewißheit auf, daß diese unbekümmerte Sängerin niemand anders sein konnte als meine Gesuchte, meine Ersehnte. Merkwürdigerweise erschrak ich gar nicht vor dieser überwältigenden Möglichkeit, ja, ich erinnere mich, daß ich ein wenig vor mich hinlachte, so drollig konsequent erschien mir das köstliche Mädchen, so ganz das, was das Kind zu werden versprochen hatte. Da sang es ganz frech vor sich hin, das Benediktlein, und kümmerte sich nicht im geringsten um Gottesdienst und betende Menschen! Und eben entfuhr ihm wieder ein hoher jubelnder Ton, der die ganze Kirche hätte füllen müssen, wenn nicht wie ein Wasserfall die volle Wucht der Orgel ihn erfaßt und niedergedrückt hätte.

Ich spähte nun ganz vorsichtig hinter dem Pfeiler hervor und sah auf den ersten Blick, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Das Gesichtlein, schmäler, schärfer geschnitten und ausdrucksvoller, war noch unverkennbar dasselbe in seinem beweglichen Mienenspiel, in der leuchtenden Begeisterung der dunkeln Äugen, in der Schalkerei des lieblich bewegten Mundes. Zum Ueberfluß trug Benedikte auch noch die weiße Haube der flämischen Mädchen über dem blonden Gekräusel des Stirnleins, und auch ein braunes Kleid hatte sie wieder an, nur daß dieses jetzt fraulich und schlank zugleich eine feine und hohe Figur umschloß. Ich blieb noch ein paar Augenblicke lang hinter dem Pfeiler versteckt, denn nun hatte es mich doch übermannt und ich mußte mich mühsam zur Besinnung bringen. Dann aber kam Ruhe und Freudigkeit über mich und mit diesen etwas Keckheit, und ich lehnte mich vor und schaute der Sängerin lächelnd ins Gesicht, wie um ihr zu zeigen, daß ich sie belauscht hätte. Sie erblickte mich, verstummte und wurde feuerrot. Dann sagte sie leise und verlegen: »Ich dachte, es könne mich keiner hören!«

Ich stand nun bereits neben ihr und machte eine schöne salbungsvolle Phrase über verschiedene Arten des Gottesdienstes, und wie ich ihren Gesang als eine ganz besonders rührende aufgefaßt hätte; aber sie unterbrach mich mit der treuherzigen Erklärung, sie hätte gar nicht ans Beten gedacht und dürfe dies auch nicht an solchem Orte, denn sie sei eine Kalvinistin. Sie sei nur um der Orgel willen hier hereingeschlichen, und weil sie wußte, daß um diese Zeit die Kirche fast leer sei; denn die Musik liebe sie über alles. Mir lachte das Herz im Leibe bei diesen Worten, denn neun Jahre voll Sorge und Bitterkeit waren plötzlich von mir genommen, ich stand wieder in der Rue Planche-Mibrai und ging mit Benedikten auf Streiche aus. Wenn ihr Gesicht mich hätte belügen können: jetzt durfte ich doch nicht mehr zweifeln, daß sie wirklich ganz sie selbst geblieben war und ganz meines Regnards Kind.

Ich stellte mich nun unwissend und fragte, ob denn die Kalvinisten keine Musik in ihren Gebethäusern hätten; da schnitt die Lose eine so furchtbare Grimasse, daß ich fast aller Sitte vergessen und laut gelacht hätte. Aber gleich besann sie sich wieder und sagte würdevoll: »Nein, Musik ist für die Weltkinder und die Gedankenlosen. Wir beten Gott im Geiste und in der Wahrheit an und brauchen weder Musik noch Bilder, um ihn zu loben. Aber ich –« und hier wurde das Gesichtchen fast ein wenig traurig, »ich bin noch halb und halb ein Weltkind, und ich war ja auch einmal in der Gemeinschaft dieser Baalsdiener. Darum liebe ich die Musik noch. Vielleicht wird Gott mich erleuchten und die Sündhaftigkeit von mir nehmen.«

»Amen!« sagte ich halb belustigt, halb grimmig, »Und bis er dich erleuchtet, Benedikte, läßt du dir's wohl sein und hörst die Musik in katholischen Kirchen. Gott sei Dank! Die Erleuchtung wird auf sich warten lassen!«

Sie war aufgefahren, als ich ihren Namen genannt hatte, wußte aber augenscheinlich sofort Bescheid und rief in freudigem Tone den meinen. Dann streckte sie mir die Hand hin und fügte weich hinzu: »Und so seid Ihr der französische Oberst, der um unsertwillen –«

»Still, still, Benedikte,« bat ich rasch, denn der frauenhaft innige Ton dieser Worte machte mich zittern. »Woher weißt du dies alles? Ich bin der französische Oberst, der nach jahrelangen Irrfahrten das Ziel seines Lebens gefunden hat! Kind, Kind, erinnerst du dich meiner noch? Bist mir noch gut? Denkst du noch an die Hunde in der Rue des Arcis, und an den Papageienhändler an der Rue St. Jacques, und – Benedikte, Benedikte, denkst du noch an den Savoyarden?«

»Wollt Ihr wohl nicht so schreien?« schalt Benedikte leise, aber mit einem Ausdrucke herzlicher Freude. »Das ist ja schlimmer als mein Gesang! Natürlich weiß ich das alles noch, und weiß es vielleicht um so besser, als Mutter mir stets streng verboten hat, davon zu sprechen. Hier in Mons gibt's keine Papageien und keine Affen und keine Harfenspieler, und wenn im Frühling die Leute unter den Linden und auf den Angern tanzen, so sehen sie aus wie die Bären. Aber –« und hier kam das neue kalvinistische Gewissen wieder zu Wort und Benedikte sah plötzlich aus, als hätte eine unsichtbare Hand ihr einen Schlag auf ihren unbedachten kleinen Mund versetzt, »aber dafür ist Paris auch ein Gomorra und ein Sündenpfuhl. Und es ist gewiß gut, daß wir nicht mehr dort sind.«

»Ja, Kind,« sagte ich ernst, »das ist es wirklich. Aber aus andern Gründen, als du denkst. Indessen – komm!« Ich hatte, um mich spähend, ein Plätzchen für unsre Heimlichkeit gefunden, das war ein Seitenkapellchen mit ganz dunkeln Glasscheiben, ein farbig-dämmeriges Heiligtum, in dem vor einem schwärzlichen Bilde ein Betschemel stand. Da huschten wir hinein, und auf den Betschemel setzten wir uns, und über uns kreiste leise schwingend ein ewiges Licht in roter Ampel. Immer noch donnerte die Orgel und deckte freundlich unser Geflüster.

Wir hatten uns, traun! nicht wenig zu berichten, denn in Benedikte war die Erinnerung an Paris noch sehr lebendig, und in mir war es das Verlangen, zu wissen, wie sie in den neun Jahren gelebt hatte und wie sie sich als Kalvinistin gefiel. Und wie wir auf diesen Gegenstand zu sprechen kamen, da konnten wir nimmer aufhören, denn es stellte sich nun die merkwürdige Tatsache dar, daß Benedikte Kalvinistin war und ein Weltkind, ich aber Katholik und ein Welthasser, und daß wir also jedes zwei Hälften in uns trugen, die gar nicht zueinander paßten, von denen aber jede in der andern Seele ihre Schwesterhälfte fand. Wenn man die Situation hätte zeichnen wollen, so hätte man von Benediktens Herz zu dem meinen zwei Bänder ziehen müssen, die sich kreuzten, und diese Kreuzung machte natürlich den Zusammenhang nur fester, und wenn wir die Verschlingung lösen wollten, so gab es einen Knoten, der gar nicht mehr zu entwirren war. Und kurz und gut, wir fanden bald heraus, daß es nur eine Möglichkeit gab, dem Netz zu entrinnen, und das war diese, daß wir einen einzigen Menschen aus uns beiden machten, der weder katholisch noch kalvinistisch war und der Lebensfreude und Lebensverachtung zu einem schönen Maße von Philosophie in sich gemischt trug. Dieses aber sprachen wir nicht aus, wenn wir es uns schon durch Blick und Händedruck gelobten.

Benedikte hatte wirklich den Kopf voll greulicher Märchen von Hugenottenverfolgungen in Paris und anderswo, in denen ich natürlich eine höchst anmutige Rolle spielte; es fehlte wenig, so glaubte sie, der ganze flandrische Krieg gelte überhaupt im allgemeinen der Vernichtung der Sekten, im besondern aber der Einholung emigrierter französischer Kalvinisten, und ganz im geheimen stecke der Oberst Roquesant dahinter und sein Haß gegen Germaine Regnard. So setzt ein Kind sich in den Mittelpunkt der Welt, so begreift ein einfältiges Herz die ganze Schöpfung. Ich hatte Mühe, Benedikten begreiflich zu machen, daß der Krieg aus ganz andern Gründen entstanden sei und daß es im Gegenteil den Hugenotten in Frankreich ganz unverdient gut gehe und daß sie bereits weder mit Gewalt noch mit List zu bekämpfen wären. Es könnten auch die Emigranten ungehindert nach Frankreich zurückkehren, und viele, die in den Jahren der Dragonaden ausgewandert seien, täten dies auch, ohne daß ihnen das geringste Leid geschehe. »Denn das Land,« sagte ich, »ist wie ein kranker Löwe, auf dessen Leib nun das niedere Getier sein Unwesen treibt. Und die Hasen, Schafe und Kälber, die früher am meisten vor ihm gezittert, höhnen ihn nun am frechsten und freuen sich am lautesten seiner Schwäche.« Benedikte gab mir einen kleinen zornigen Schlag und rief: »Wir sind weder Hasen noch Schafe, Herr Oberst Roquesant!« Aber sie lachte mit dem ganzen Gesichte dazu und sah aus, als ob ich ihr ein großes Geschenk gemacht hätte, und ihre Augen schienen in weiter Ferne etwas Geliebtes zu erblicken. Und als ich fragen mußte: »Du siehst ja so vergnügt aus, Benedikte, und ich erzähle dir eben so viel Trauriges von Frankreich!« da strahlte sie mich mit ihren schwarzblitzenden Augen an und erwiderte: »Und wenn von Paris nur die Ruinen noch ständen, so macht es mich doch froh zu denken, daß wir dahin zurückkehren könnten! O, wenn Mutter sich doch erbitten ließe!«

Sie erzählte mir hierauf von ihrem Leben in der kleinen Stadt, und das war allerdings so schlicht und still, daß es in drei oder vier Worten geschildert werden konnte: Spitzenklöppeln und Sticken als sogenannte Lebenspflicht, Gebet und Lektüre erbaulicher Bücher als Erholung und Belohnung. Seit Germaine das kleine Landhaus bei Gevries gekauft hatte – und das war noch nicht lang –, traten auch Hühner, Blumen und Obstbäume in Benediktens Lebenskreis ein, ohne daß sie dies indes als eine sonderliche Bereicherung empfunden hätte, wenn sie von den wenigen Freudentagen absah, die das Ausschlüpfen einer neuen Küchleinbrut ihr bereitete. Für Tulpen und Levkojen hatte Benedikte kein rechtes Herz, oder vielmehr, die mühsame Zucht verdroß sie, weil das Natürliche und Zufällige auch in der Blumenwelt sie schöner dünkte als das Gewollte und schwer Errungene. Ebenso fand sie keine Befriedigung darin, auf einen Obstbaum zweierlei Sorten von Früchten zu pfropfen, und meinte, die Aepfel schmeckten genau so gut, ob sie von ein und demselben oder ob sie von verschiedenen Bäumen kämen. Vollends aber haßte sie das Klöppeln und Sticken, worin sie übrigens sehr geschickt sein mußte, denn es war, wie sie sagte, der Stolz ihrer Mutter und die einzige Beschäftigung langer Wintertage. Und sie bemerkte hierbei, sie erinnere sich gar wohl, daß es in Paris keinen Winter gegeben habe, denn die Straßen seien das ganze Jahr herum gleich belebt und fröhlich gewesen. Worin ich sie aber schnell eines Besseren belehrte, da ich wohl sah, daß sie rückblickend alles verschönerte und vergoldete, was noch an Erinnerungen an Paris in ihr lag.

So hatten wir Bilder der Vergangenheit und Gegenwart in buntem Reigen beschworen, und der Tanz dauerte so lange, als die Orgel klang. Dann erhoben wir uns, um die Kirche zu verlassen, und als ich gewohntermaßen das geweihte Wasser nahm, vergaß ich, daß das Mädchen an meiner Seite eine Kalvinistin war und bot es auch ihr, wie ich es als Kavalier einer Edelfrau geboten haben würde. Sie nahm es ruhig und bekreuzte sich richtig, so daß ich sah, sie hatte ihrer katholischen Kindheit keineswegs vergessen. Als sie darauf die Freude in meinem Antlitze sah, wurde sie ein wenig rot und sagte: »Dies tue ich in der Erinnerung an Frankreich und an St. Jaques de la Boucherie. Sonst habe ich mir nichts dabei gedacht.« Und dann, mit einem fröhlichen Aufblitzen ihrer Augen, tauchte sie noch einmal die rosige Fingerspitze in das steinerne Becken, zeichnete schnell und mit ganz fühlbarem Drucke ein Kreuz auf meine Brust und sagte lächelnd: »Aber jetzt denke ich mir etwas dabei!« und flog enteilend die Stufen des Portales hinab. In der hellen Gasse stand ich geblendet und sah ihr nach, und wie die Entfernung ihr Bild verkleinerte, war sie wieder ganz das leichtfüßige Benediktlein von früher, das mit schlechtem Gewissen nach Hause rannte, um der scheltenden Mutter zu entgehen.


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