Chevalier von Roquesant
Bruchstücke aus den Memoiren des Chevalier von Roquesant
Chevalier von Roquesant

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2

Ich würde dennoch leichtlich dieser Begegnung vergessen haben, hätten wir nicht wenige Monate später bei Hofe eine Hochzeit gefeiert, die mir durch einen wunderlichen innerlichen Zusammenhang jene Bürgerhochzeit wieder lebendig werden ließ. Eine Kinderhochzeit war's, und das Bräutchen war des Königs eigne Tochter, Fräulein von Nantes, das einem aus dem Geschlechte der Condé vermählt werden sollte. Nun war es aber seit einiger Zeit kein gutes Ding um solche Hoffeste; das merkten sogar wir, die Jüngsten, die Vergleiche mit früheren Tagen nicht anstellen konnten. Noch war Frau von Montespan schön und strahlend wie die Sonne am hellen Himmel; noch lächelte Fräulein von Fontange wie ein Maitag; aber schon stand hinter beiden eine dunkle Gestalt in dämmergrauen Gewändern und schwarzen Schleiern, und es ging kalt aus von ihrem schattenhaften Wesen, so daß niemand seines Lebens recht froh werden konnte. Auch der König nicht. Sagte man uns, daß dieser mürrische Mann einst bei Ballspiel und Tanz geglänzt hatte und daß Frohsinn und Wärme von ihm ausgegangen waren, wie von jener freundlichen Gottheit, die er sich so gerne zur Devise nahm, so schüttelten auch wir Knaben ungläubig die Köpfe. Und mit jener Vorstellung der Unerfahrenen, es sei in äußeren Dingen der Anlaß zu inneren Umwandlungen der Menschen zu suchen, malten wir uns aus, wie die Frau in den schwarzen Taftfalbeln durch einen bösen Zauber von dem Gemüte des Sonnenkönigs Besitz ergriffen habe und ihm vampirgleich das heiße Lebensblut entzöge. Man wußte, wie verhaßt sie ihm noch vor kurzer Zeit gewesen war, und wie hart er oftmals Frau von Montespan angelassen, wenn sie, die Verblendete, der verräterischen Freundin eine Gunst erbeten hatte; und wir waren alle abergläubisch und kindisch genug, die steigende Macht der zitronennasigen Witwe einer unerlaubten Hilfe zuzuschreiben. Da es denn auch in den Tagen dieser Hochzeit bekannt wurde, daß die Mutter der Braut, eben Frau Marquise von Montespan, sich vom Hofe zurückziehen würde und den Ehrentag ihrer Tochter gleichsam als ihr eignes Abschiedsfest dahinzunehmen gesonnen sei, da redete man wohl mehr, als nötig war, von Hexerei und teuflischen Gewalten. Besonders in den Kantinen und Gesindestuben, wo wir Knaben uns mit Vorliebe herumzudrücken pflegten, wurden Märchen erzählt, die uns alle Schauer der Mitternacht über den Rücken jagten. Da gab es besonders im Erdgeschoß des Palais Cardinal eine Stube, wo die Garde Monsieurs zu tafeln und zu würfeln gewohnt war, das war die richtige Brutstätte der tollsten Fabeln. Der kleine Herzog von Chartres hatte einen nicht übermäßig strengen Hofmeister, der gern ein Auge oder, um wörtlich zu reden, zwei zudrückte, seinen Nachmittagsschlaf genoß und den Knaben sich bei den Soldaten vergnügen ließ, wo er am liebsten verweilte. Dort traf ich ihn oft, denn auch ich liebte diese rauchige Stube, diesen eigentümlich dumpfen Geruch von Tabak, Schweiß und heißem Schuhleder, diese Geräusche von Sporen, klirrenden Kannendeckeln, rollenden Würfeln und heftig aufgeschlagenen Kartenblättern, diese rauhen Stimmen, diese markigen Reden. Das war alles so männlich und kriegerisch und füllte mein armes Bubenherz mit einer so wilden Sehnsucht nach der Zeit, wo auch ich, im schmucken Gewande eines Condé-Dragoners, Musketiers oder Chamborant-Husaren – denn das waren die Regimenter, die mich besonders anzogen – in diesem geheiligten Raume mitreden würde! Unterdessen horchte ich fleißig auf und suchte mir etwas anzueignen; denn es war immerhin ein Studium, seine Flüche so passend und wirkungsvoll anzubringen, wie der oder jener es taten, und mit solch unerschöpflicher Variation des Textes; und Philipp und ich wetteiferten um den Vorzug, die größere Auswahl kerniger Sprüche zu besitzen. Daß in der Gesellschaft dieser Männer Dinge zur Sprache kommen konnten, welche für zwölfjährige Ohren nicht geeignet waren, schien niemand einzufallen. Auch war das Spionwesen um jene Zeit noch nicht so entwickelt, daß man an solchem Orte die Liebschaften des Königs nicht ruhig hätte erörtern können; vielmehr tat man fast nichts andres. In jenen festlichen Tagen nun gab es nichts, was so ernsthaft und anhaltend durchgesprochen wurde, wie jene bereits festgesetzte Abreise der Frau Marquise von Montespan und ihre Ursache.

Wie denn aber das Gespräch von Gegenstand zu Gegenstand glitt, so geschah es, daß einer der anwesenden Hauptleute Betrachtungen anzustellen begann über die unbegreifliche Macht so unhold gearteter Frauen, wie die schwarze Erzieherin eine war; und da der Mann schon etwas viel getrunken hatte, so wurde er redselig und weitschweifig, stellte Dogmen auf und erläuterte sie durch Beispiele, denen wir nur nachlässig zuhörten, selber schläfrig vom Dunste des schwülen Gemaches. Plötzlich traf mein halbgelähmtes Bewußtsein ein Name, der meine Denkfähigkeit schnell wieder ins Leben rief; das heißt, ich glaubte einen Augenblick noch, geträumt zu haben, aber der Name – es war der Regnards! – fiel zum zweiten Male, und nun war meine ganze Aufmerksamkeit auf das folgende gespannt. Ich stieß Philipp an, der mir durch ein Nicken zu verstehen gab, daß er sich meiner Erzählung wohl entsänne; denn natürlich hatte ich dem Gespielen das Erlebnis jenes Februarabends haarklein berichtet. Wir saßen nun beide mit großen Augen da, hielten uns bei den Händen und horchten wie die Mäuse; denn jedes Wort, das über das Regnardsche Ehepaar fiel, war wie ein Steinchen, das nur an seinen rechten Ort geschoben zu werden brauchte, um die endliche Gestaltung eines gutumrissenen und klaren Bildes vorzubereiten. Es kam auch an jenem Abende das Mosaik so ziemlich zustande, denn es zeigte sich, daß Regnard von vielen gekannt und von keinem gering geachtet war, obschon er eigentlich zur Kanaille gehörte, wie jener Hauptmann sich ausdrückte. Wie so Zug um Zug sich zum Bilde vereinigte, das zu wiederholen wäre zu lang; ich berichte daher nur, was sich endgültig für uns ergab und was als besonders bedeutungsvoll davon zurückblieb und dann etwa durch spätere Erfahrungen ergänzt und bestätigt wurde.

Ich muß damit beginnen, daß Regnard von denen, die ihn beschrieben, nie anders genannt wurde als der goldene Goldschmied; daran war erstens sein wunderschönes Haar schuld, das er, entgegen der Sitte jener Zeit und in klugem Ermessen seiner seltenen Pracht, ungepudert und frei trug, wie die liebe Natur es geschaffen hatte; nicht weniger aber seine goldene Laune, sein goldenes Lachen, seine Stimme, seine ganze sonnige Art; und nicht zum letzten vielleicht die Freigebigkeit, womit er den klingenden Inhalt seiner Truhen unter die Leute warf, sein goldener Leichtsinn. Er selbst kannte diesen seinen Spitznamen gar wohl und tat sich nicht wenig darauf zugute; war er doch keiner, der sich seines Lebenswandels zu schämen hatte. Vielmehr übertrieb er noch den Ruf seines Leichtsinns durch kecke Aeußerungen, wie er denn einmal an seinem eignen Becher die zwei verschlungenen L des großen Ludwig anbrachte und einem Frager nach ihrer Bedeutung die prompte Antwort hinwarf, das sei seine, Regnards, Devise so gut wie die des Königs und heiße: Légèreté und Libertinage. Es war aber nicht so schlimm um ihn bestellt, denn er genoß das Leben, schändete es jedoch nicht. Deshalb war er auch so beliebt, wie ich ja mit eignen Augen hatte sehen können, daß die halbe Bürgerschaft von Paris, und darunter sogar Advokaten und Beamte, zu seinen intimen Freunden gehörte, und daß er der Gäste mehr zu seinem Ehrentage zu laden hatte als selbst der König zur Hochzeit seiner Tochter. Auch sonst zog der Hauptmann manchen Vergleich zwischen der Bürger- und der Prinzenhochzeit, und die letztere kam dabei bös zu kurz. Begann doch um jene Zeit schon die Ueppigkeit und Fülle in Bürgerkreisen aufzuschießen und um sich zu greifen in dem Maße, wie bei Hofe ein strenger Ernst und gesuchte Schlichtheit beliebt zu werden schien, und diese Wucherblume trug tolle Früchte, die unversehens und knallend platzten wie jene kleine griechische Kürbisfrucht an den sonnigen Hängen Moreas, von welcher der Hauptmann, der sich auf seine balkanischen Kulturstudien unter den Fahnen Morosinis gewaltig viel einbildete, bei jeder Gelegenheit zu reden pflegte.

Also kurz: was an Narrenspossen und Schwänken an der Hochzeit des goldenen Goldschmieds zutage trat, davon widerhallte jetzt, nach Monaten noch, die Zechstube der Garden. Aber einen besonderen Reiz erhielt die Schilderung der hellsten Freude noch durch einen gewissen Schatten, den eine einzige Person dazwischenwarf. Diese eine habe über keine noch so gelungenen Scherze gelacht; diese eine sei bleich und kalt wie Silber abseits von der goldenen Fröhlichkeit gestanden; diese eine habe mit sorgenvollen und feindseligen Blicken die Tobenden und Uebermütigen gemessen und manchem das Lachen auf der Lippe ertötet, den Wein in der Gurgel vergällt: und diese eine war niemand anders als die Braut selbst. Der Hauptmann wußte sie besonders anschaulich zu beschreiben, diese Luftfremde mit ihrem weißen Gesichte und den schönen bösen Augen, ihr stilles Abweisen, den wortlos kalten Zorn, die Härte ihres schmalen Mundes und die Hoheit ihrer glatten Stirne, so daß wir sie zu sehen glaubten und ordentlich erschauerten, als müßte sie plötzlich unter uns stehen. Philipp und ich preßten unsre Hände ineinander und atmeten kaum. Wir erwarteten beide nichts andres, als daß der Hauptmann nun auch noch die Brautnacht schildern würde, in welcher der Gatte seine Angetraute als eine Meerfrau oder einen Vampir erkannt habe, und hofften zuversichtlich, man würde Regnard am Morgen nach der Hochzeit mit durchbissener Gurgel tot im Bette gefunden haben. Aber der Hauptmann tat unsern verderbten jungen Seelen die Freude nicht an, seine Geschichte so wirkungsvoll zu schließen; er zog nur kurz die Moral, daß frömmelnde Weiber ein Greuel seien, gehörten sie nun, wie Frau von Maintenon, der Kirche oder, wie jene andre, irgendeiner Ketzergemeinschaft an, und daß leider die prächtigsten Männer von jeher solchen Heuchlerinnen ins Garn und darin zugrunde gingen. Und mit dieser halbprophetischen Reflexion sprang er auf ein andres Beispiel über.

Ich muß hier gleich feststellen, daß die seltsame Goldschmiedsbraut nichts weniger war als eine Meermaid, vielmehr von recht irdischer Art, aber leider ein Kind der verhaßten Sekte, die wir just um diese Zeit so bitter bekämpften. Ich wußte damals noch nichts von den Glaubenssätzen jener Leute – und wie viele von uns haben je etwas davon gewußt? Uns galten sie nur für Rebellen, staatsgefährlich-kritische Grübler, und das war freilich Grund genug, sie zu vernichten. Hatte unser König andre, tiefere Gründe? Ich wage nicht darüber zu entscheiden; im Herzen aber glaube ich, daß auch er unwissend, und was mehr ist, gleichgültig war gegen kirchliche Lehren, und daß die Verfolgung, die er so eifrig betrieb, auf die Seelenrechnung von einigen andern Personen zu setzen wäre. Was uns betrifft, so wußten wir so viel davon, was ein Hugenott eigentlich war, wie wir uns einen Bewohner der Südseeinseln vorstellen konnten. Es war viel, wenn wir uns klarmachten, daß diese Art von Menschen nicht an wirkungsvolle Fürbitte der lieben Heiligen glaubten, noch an die Notwendigkeit einer Reinigung im Beichtstuhl; was sie sonst dachten und predigten, ging über unsre Begriffe. Und das betrifft nicht nur uns halbwüchsige Knaben, das gilt auch von den militärischen Edelleuten samt und sonders, wie sie da saßen.

Wir hätten auch um solcher Gründe willen die sonderbaren Leute nie und nimmer verfolgt und gehaßt, hätten sie nicht allesamt jene gewisse prätentiöse Richtermiene zur Schau getragen, die auf eine Meile im Umkreis keine Gemütlichkeit aufkommen läßt. Wir sind arme gehetzte Geschöpfe, wir Menschen, und ein Schlückchen Freude da und dort, wenn eine Quelle just über den Weg springt und wenn ihr Wasser nicht gar zu trübe rinnt, tut so wohl! Nun war es aber wahrlich so, daß alle Brunnen vergiftet schienen, wo solch ein Hugenott nur seine Nase zeigte. Wo wir harmlos still genossen, da enthüllten diese grauen Logiker uns plötzlich eine Reihe von Verantwortlichkeiten, daß man sich bald fürchtete, der Morgensonne entgegenzulächeln, weil sie etwa um dieselbe Stunde einen Toten bescheinen konnte. Nichts Höllischeres als diese grausige Weitsichtigkeit, gepaart mit einer ebenso grausigen Enge des Empfindens! Und was die ganze Sekte im wesentlichen kennzeichnete, das trat, hübsch in ein zierliches Modell gepackt, an Germainen im einzelnen zutage, wenn ich auch bei weitem nicht alle ihre Sünden der Sekte zur Last legen möchte. Der Glaube macht nicht den Charakter eines Menschen, vielmehr umgekehrt; sicherlich war der Kalvinismus nicht schuld, daß fast alle seine Bekenner hager, hart und hungrig aussahen, sondern eben die unruhige Gemütsart jener schlechtgenährten Leute hatte die freudenfeindlichen Satzungen erzeugt. So klage ich in allem folgenden Germaines Herz, nicht ihren Glauben an!

Zwei Worte gab es für Germaine, die umschlossen ihr Denken und Wollen: Gott und Pflicht. Weite Worte: denn es legt jeder seine Philosophie hinein, und jeder eine andre, und sie passen, wie das Paar Schuhe im Märchen, auf jeden Fuß. Enger aber faßte sie niemand, als jene junge Germaine sie faßte. Und wenn ich ein Bild ihres Gottes geben sollte, so könnte ich sein Erscheinen nicht im Sturmeswehen denken und nicht im Frühlingsgesäusel, höchstens offenbarte sich dieser Gott im starren Eiseshauche einer Winternacht, die ertötend auf allen Fluren liegt. Und was sie Pflicht nannte, war eine unsichtbare Geißel, die sie überall und jederzeit über sich sausen fühlen mußte; das Wunderliche dabei war nämlich, daß ihr etwas zu fehlen schien, sobald sie sich dieser Geißel nicht bewußt war: das Unbehagen, das sie dann empfand, nannte sie Sünde – und Sünde war ihr also jede Handlung unschuldiger Freude, die sie vor sich selbst nicht mit dem großen Worte Pflicht rechtfertigen konnte.

Wie es nun gekommen war, daß dies finstere Wesen sich mit allen Fasern seines Lebens dem allzu fröhlichen des goldenen Goldschmiedes zu verbinden strebte, dafür kann ich keine Erklärung geben, so oft und heiß ich auch darüber nachgedacht habe. Täler wollen zu Berg und Berge zu Tal. Manchmal nur in den letzten Jahren, seit ich alt geworden bin und viel gelesen habe über das geheime Schaffen der Natur und das tiefinnerste Streben aller Kräfte nach Ausgleich, will mir scheinen, es sei eine solche Verbindung feindlicher Elemente die einzig mögliche und richtige. Ich glaube nämlich, daß die Natur, wenn sie zwei so ungleichartige Geschöpfe zusammenführt, nicht die Erhaltung oder das Heil des einen noch des andern im Auge hat; vielmehr ist sie gesonnen, beide zu opfern um eines dritten, vollkommeneren willen, das aus der Vereinigung entstehen muß. So räsonniere ich, wie gesagt, seit ich graue Haare habe; ob diese meine Auslegung weise ist, kann ich nicht sagen; das Alter braucht solche Begründungen; damals, als ich mit glühenden Kinderbacken die Geschichte der Germaine Regnard zum erstenmal hörte, hatte ich – und hatten wir alle! – eine erschöpfendere: Zaubermacht!

Es soll bei einer Mummerei in den Straßen einer kleinen Provinzstadt gewesen sein, wo Germaine und Regnard einander zum erstenmal begegneten – er als fröhlicher Gast an allen Scherzen teilnehmend, sie scheu und sittig vor ihm her ihrer väterlichen Wohnung zu flüchtend. Ein Zufall wollte, daß er die Maske abnahm in einer Sekunde, wo sie, furchtsam zurückblickend, die Entfernung zwischen sich und ihren Verfolgern maß. Sie verlangsamte augenblicklich ihren Schritt, und das feine Hälschen blieb wohl drei Minuten lang in einer bösen Wendung stehen, bis mit einem Ruck auch der übrige Körper herumkam und aus der schönen Fliehenden eine ebenso schöne Salzsäule wurde, an der sich der Uebermut der tollen Rotte nun wohl gern versucht haben würde, wäre nicht Regnard als Schützer vor sie hingetreten. Denn auch sein Auge hatte der Wille der schaffenden Kraft im Weltall gelenkt; Seele war in Seele geflammt, und jede wußte, daß sie der andern bisher gefehlt hatte. Er mag vielleicht beim Anblick ihres weißen Nonnengesichtchens eine bisher ihm fremde Sehnsucht nach Kinderfrommheit und Gebet empfunden haben, sie ein schauderndes Ahnen von süßer Lust und Lachen, das sie nie geübt. Er folgte ihr stracks und war wenige Tage später ihr erklärter Freier.

Während des kurzen Brautstandes habe sie, so erzählte man, ihn täglich zu bekehren gesucht. Ich kann mir auch das ganz gut vorstellen, als wäre ich Zeuge gewesen. Er wird sie wohl geduldig angehört haben mit seinem weichen, gutmütigen Lächeln, aber er versprach gewiß nichts oder nicht viel. Sie muß ihm reizend erschienen sein, wenn der heilige Eifer ihre Elfenbeinwangen rötete und ihre dunkeln Augen erglühen machte, und vielleicht liebte er, während sie sprach, sich an ihrem Halse sattzusehen, der wie die Kehle eines singenden Vogels vibrierte. War sie fertig, so küßte er sie inniglich, und sie, die Unerfahrene, nahm jeden Kuß für ein Zeichen der Ergriffenheit und Reue, folglich für ein stummes Versprechen der Besserung. Oft, wenn er fühlen mochte, daß sie sich um ihn quälte, sagte er etwa ein Wort, das sie erfreuen, trösten sollte: »Mache mich gut, wie du bist, du Reine!« Sie aber, wenn sie fürchten mußte, ihn ermüdet oder gekränkt zu haben, gab mit gleicher Taktik ein Aehnliches zurück: »Mache mich froh, wie du bist, du Holder!« Trotzdem glaube ich, daß beide im Grunde ihres Herzens entschlossen waren, ihr Selbst nicht preiszugeben. Jeder meinte wohl, der andre wolle sich bessern, und suchte ihn aus Leibeskräften zu sich herüberzuziehen; doch war darin ohne Zweifel das Weib leidenschaftlicher als der Mann. Wenn Germaine etwas Bestimmtes von ihrem Bräutigam forderte – und das war natürlich Bruch mit seinen sehr weltlich gesinnten Freunden und Vermeiden ihrer Feste, wie ich mir denken kann –, so pflegte er sie etwa mit einer andern süßen Redensart hinzuhalten: »Habe ich dich erst, so brauche ich nicht Freunde noch Feste mehr!« Das aber kam ihm wohl von Herzen, denn er glaubte nicht so ganz an ihre geistliche Berufung und dachte: ›Würde sie erst Leben, Liebe und Mutterschaft kennen lernen, so würde sie milder werden in ihren Begriffen von Tugend und Pflicht‹ Und er freute sich sogar, die schlummernde Weiblichkeit in ihr wachzuküssen und zugleich ein bißchen Weltliebe und ein bißchen Sündhaftigkeit, denn Engel freien wir nicht. So habe ich mir nach späteren Erfahrungen den Brautstand des wunderlichen Paares ausgedacht, und wie sie sich gegenseitig täuschen mußten, selbst getäuscht von der Urgewalt, die in ihren Seelen ein neues Schöpfungswerk vorbereitete, bis der Hochzeitstag herankam.

An dieser vielbesprochenen Hochzeit war es nun, wo Germaine zum erstenmal ihren Erwählten im Kreise andrer Männer und Frauen sah – und besonders die Frauen kamen hierbei für sie in Betracht. Entsetzt begriff sie die gefährliche Macht, die einem so jugendschönen und lebensfrohen Menschen innewohnt, die Macht der Freude; begriff, daß seine unerschöpfliche Heiterkeit ein Zauberbeutel war, aus welchem er Reichtum ohne Ende unter die Menge streute; begriff, daß sein Lachen allein ein Szepter war, das ihn zum König machte über viele Kerzen. Germaine, unerfahren wie sie sein mochte, besaß doch ein erhebliches Maß von Klugheit und Beobachtung, und in den wenigen Stunden des Festes, wo jeder Geladene unter der Wirkung des Weines und der Erregung sich natürlicher zeigte, als er meinte, lief ihre Erkenntnis eine ganze Lebensschule durch. Plötzlich warf sie jede Hoffnung von sich, es möchte irgendein Sterblicher sich eines solchen Herrschertums, wie es Regnard gegeben war, freiwillig entäußern; denn daran hält jeder fest, was ihm Gewalt gibt über seinesgleichen, sei es in gutem oder in bösem Sinne. Aber zugleich dachte sie, daß sie vielleicht würde erzwingen können, was freiwillig nicht geschähe, und es fuhr ein neuer Geist des Kampfes in sie, so daß sie von dieser ersten Stunde an sich gleichsam in Waffen hüllte und alle Anwesenden so recht darauf vorbereitete, was sie von ihr zu erwarten hätten. Es war ein eigentliches Stellungnehmen; und darum sah sie auch keinen der Geladenen freundlich an, und darum ging sie auch nicht ans Fenster, die Menge zu grüßen, so sehr Regnard darum bat. Aber wenn Germaine scharfsichtig und kampflustig war, so war es die Bürgerschaft von Paris nicht minder. Schneller, als sich beschreiben läßt, hatte das skandalsüchtige Geschlecht die Situation erfaßt und lauerte begierig und schadenfroh, wenn schon mit offener Parteinahme für den Goldschmied, wie dieser wunderliche Ehebund sich nun weiter gestalten würde. Daher kam es auch, daß eine Horde von Spähern und Horchern das Haus an der Barillerie aufs Korn nahm und daß fast jedes Wort, das darinnen geredet wurde, hinausgetragen wurde an die Herde der Neugierigen und Wundersüchtigen, die darüber zu Gericht saßen. Und nur dieser unredlichen, aber emsigen Mitarbeiterschaft der Pariser verdanke ich es, daß ich heute die Geschichte Regnards und Germaines so ausführlich erzählen kann.


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