Chevalier von Roquesant
Bruchstücke aus den Memoiren des Chevalier von Roquesant
Chevalier von Roquesant

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9

So viel und so vertraulich ich in diesen Lagertagen zu Philipp über mich selbst gesprochen hatte, so gern ich seinem stärkeren Wesen mein Herz erschloß: ein Geheimnis war ich ihm schuldig geblieben. Die Beichte im Kloster zu Marlaigne und die Buße, die der Mönch mir auferlegt, hatte ich ihm, Gott weiß, aus welchem dunkeln Gefühle, vorenthalten. So oft ich mir auch vornahm, ihm davon zu erzählen, und zwar in der klaren Hoffnung, sein heller Verstand möge die ganze Sache in ein Nichts auflösen und das unbestimmte Grauen meines Herzens vor der Erfüllung dieser Buße hinweglachen – immer schwieg ich doch. Und es geschah, daß mein Gelübde mich gewaltig zu drücken begann.

Das hatte schon in Namur begonnen, als nach der Einnahme des Schlosses die Offiziere begannen, sich nach ihrer Art ein paar frohe Tage zu machen. Aber in Paris wurde die Sache ganz und gar unerträglich. Denn hier fühlte ich mich verpflichtet, auf Philipps ungebundene Lebensweise einzugehen, um mit ihm zusammen das Kopfhängertum und die Frömmelei zu bekämpfen, wie ich es ihm im Zelte vor Namur gelobt hatte. Dabei war es nun aber eine mißliche Sache, daß Philipp diesen Kampf nicht ohne Mithilfe schöner Frauen führen zu können schien und daß das ganze Heldentum schließlich darauf hinauslief, mit irgendeiner Tänzerin am Arm durch die Straßen von Paris zu laufen oder ihr im Theater eine auffallende Huldigung zuzuwenden. Für Philipp mochte es ja nun freilich ein Heldentum sein, denn der König konnte furchtbar richten über solche Vergehungen, und es war immerhin eine gewisse Strammheit nötig, ihm so offen Trotz zu bieten, wie Philipp es tat. Aber bei mir lag die Sache anders: kein Mensch kümmerte sich um meine Debauchen, wenn ich sonst nur meinen Dienst verrichtete; ja man schien mich eher um dessentwillen höher zu schätzen und erst jetzt für einen ganzen Kerl zu halten; also fiel die schöne Vorstellung moralischer Unabhängigkeit traurig in sich zusammen. Das schlimmste aber für mich war, daß ich bei all dem Lotterleben nur den Schein eines rechten Herzenbrechers genoß, aber durchaus nicht die tatsächlichen Vorteile; denn huldigte ich schon mancher schönen Frau, ergoß ich mein Feuer in Gedichten, die von Sehnsucht schluchzten, gab ich mein bißchen Geld für Blumen und Bänder aus – vor der Erfüllung stand allemal das verfluchte Gelübde von Marlaigne, so daß ich auch nicht einmal den ersten Schritt in das Paradies der Verheißungen zu tun vermochte. Nicht einen armen Kuß habe ich in all der Zeit auf meinen Lippen gefühlt, während ich doch mit Philipp von Gelage zu Gelage flog und die Süßigkeit der Liebe im Weine leben ließ. Frauen von Paris, verzeiht mir, wenn dies Bekenntnis einen leisen Vorwurf gegen euch enthält: warum waren eure Lippen so kußbereit?

Es konnte nicht fehlen, daß ich in verhältnismäßig kurzer Zeit der Gegenstand der losesten Neckereien wurde. Man wird nicht verlangen, daß ich wiedererzähle, was ich zu hören bekam. Aber man wird begreifen, daß ich eine äußerst ungemütliche, nicht selten qualvolle Periode durchlebte, an die zu denken mir jetzt noch das Blut ins Gesicht treibt. Manchmal, da es mir schien, als müsse mir unbedingt alles zum Unheil ausschlagen und als sei ich von der Natur selbst zur Lächerlichkeit und zum Spott bestimmt, wünschte ich sogar zu sterben, hatte jedoch nicht den Mut, diese Befreiung zu suchen. Mein Gelübde zu brechen aber wäre mir nie in den Sinn gekommen.

Aus dieser übeln Verfassung errettete mich ein Umstand, der unerwartet eintrat und mich traf, wie nie wieder im Leben mich etwas getroffen hat: es war die Verheiratung meines Freundes mit Fräulein von Blois, der zweiten Tochter der Frau von Montespan. Die Nacht vor den Toren von Mons hatte mir eine bittere Lektion erteilt: sie hatte mich Frauenliebe gering achten gelehrt. Der Tag dieser Vermählung gab mir eine weitaus bitterere: er lehrte mich die ganze Schwäche und Erbärmlichkeit des Mannes der äußeren Macht und den Verlockungen einer glänzenden Weltstellung gegenüber kennen.

Wenn ich nicht so felsenfest an Philipp von Chartres geglaubt hätte, so hätte mich die Nachricht dieser unerhörten Verlobung nicht überraschen dürfen; denn man hatte bereits einige Zeit vorher davon geflüstert. So heimlich und sicher der König bei solchen Familiengeschäften zu Werke ging – wer täuscht die Wachsamkeit der Kammerdiener? War das Fuchsgesicht des Abbé Dubois, der damals Philipps Mentor war, einige Male zu oft in den Gemächern der Frau von Maintenon gesehen worden? Hatte man die dicke Holzpuppe von Blois mit ein paar Steinen oder Bändern mehr geschmückt, wenn Philipp den »Appartements« zu Versailles beiwohnte? Hatte der Chevalier von Lorraine ungewöhnlich häufige Unterredungen mit dem hohen Bruder seines so zärtlich geliebten Gönners im Palais Cardinal gehabt? Hatte Madame in ihrer deutschen Art ihr Herz gegen Zofen und Badefrauen ausgeschüttet? Sicher ist, daß man plötzlich überall wußte: Frau von Maintenon und der König wünschten diese Verbindung; Abbé Dubois habe Philipps, der Chevalier von Lorraine Monsieurs Zustimmung zu gewinnen, Madame aber laufe in ihren Gemächern auf und ab und wettere mit deutschen Flüchen gegen französische Immoralität, die einen Schimpf für eine Ehre halte.

Ich frug Philipp einmal leichthin, ob er von dem Gerüchte wisse und wie er sich dazu stelle. Er antwortete hochmütig, ob er noch nicht genügend bewiesen habe, daß er den König und Frau von Maintenon nicht fürchte. Damit war ich beruhigt und glücklich. Denn wahrlich schien mir dieser junge Ritter mit dem herrlichen Kopfe und den siegreichen Augen wohl angetan, um sieben Königen, wie Ludwig XlV. einer war, zu trotzen, wenn es die Verteidigung seiner Ehre galt. Und mit freudigster Ueberzeugung hatte ich ihm an jenem Tage auf seine Gegenfrage erwidert: »Ja, wahrlich glaube ich, daß du der letzte wärest, dich der Schmach einer solchen Verbindung zu unterziehen!«

Nun war es doch geschehen!

Das war der feurige Kämpfer, der die Heuchelei des Hofes in Grund bohren wollte! Das war der Uebermütige, der noch vor wenigen Tagen in einer Gesellschaft trunkenen Komödiantenvolkes ausgerufen hatte: »Es lebe jeder, der vor dem König nicht zittert!« Das war der Verwegene, der sich gebrüstet hatte, immer das Gegenteil von dem tun zu wollen, was der König von ihm verlangen würde, sei es nun Gutes oder Böses! Ich dachte an jedes Wort, das er in den Zelten vor Namur zu mir gesprochen, womit er mich entflammt und gewonnen hatte zu einem Lotterleben, wie seines war. Und mein ohnehin nicht sehr klarer Kopf war in einer beispiellosen Verwirrung. Neben dem geschändeten Bilde der Weiblichkeit lag nun auch mein Glaube an Mannesehre im tiefsten Staube.

Ich will hier gleich einschalten, daß ich später bedeutend milder über die Sache urteilte als damals. Es ist unser Unglück, daß wir mit zwanzig Jahren uns für fertige Menschen und Herren unsers Willens halten. Wie sehr wir Einflüssen von außen zugänglich sind, wie sehr von innen das noch wildschäumende Blut unser Wollen beeinträchtigt, davon ahnen wir nichts. Hat man erst einmal graue Haare, so weiß man, daß es viel ist, wenn ein Dreißigjähriger seinen Charakter behauptet. Heute ziehe ich in Betracht, daß man ein halbes Kind nicht verdammen darf, wenn es der spitzfindigen Ueberredung eines Abbé Dubois, der donnernden Herrschsucht und Rechthaberei eines König Ludwig erliegt. Damals hatte ich nichts als Verachtung für meinen armen Freund.

Ich fand selbst dann kein Mitleid für ihn in meiner Seele, als mir Augenzeugen den Verlauf jenes ersten Appartements berichteten, an welchem die Verlobung proklamiert worden war. Die hämische, offen zur Schau getragene Freude des Königs, der sich wieder einmal Herr im Hause fühlte; die Verlegenheit seines Bruders; die stumme aber tränenreiche Entrüstung seiner deutschen Schwägerin, der einzig Charaktervollen in der ganzen Gesellschaft, die auch an der Tafel des Königs ihre Gesinnung nicht verbarg, sondern ihm schlechtweg den Rücken wandte, als er ihr mit spöttischer Galanterie eine Platte bot; das totenbleiche Gesicht Philipps, der die Augen nicht zu erheben wagte, nichts aß und sich im übrigen den ganzen Abend in möglichster Entfernung von seiner aufgezwungenen Braut hielt; endlich die hilflose Angst jener letzteren, die vielleicht in ihrem dummen Mädchenherzen längst eine heimliche Neigung für den schmucken Prinzen gehegt hatte und sich nun freilich am Ziel ihrer Wünsche, aber doch zugleich so gekränkt und verschmäht sehen mußte, daß es sie hätte zur Verzweiflung treiben müssen, wenn ihr stumpfer Geist überhaupt eines Gefühles von Würde fähig gewesen wäre: das alles beschrieben Höflinge und Lakaien mit den amüsantesten Variationen. Ich hätte, wäre mein Gefühl damals feinhöriger gewesen, diesen Schilderungen manches entnehmen müssen, das zugunsten meines Freundes sprach: vor allem die allgemein bestätigte Tatsache, daß er auch nach seiner Verlobung aus dem Widerwillen gegen seine Braut keineswegs ein Hehl gemacht, vielmehr den Liebling der Maintenon mit offener Abscheulichkeit behandelte. Aber solche versöhnende Umstände erkannte ich damals nicht an. Ich sah einfach in allem Vorgefallenen nur den Mann, der sich hatte vergewaltigen lassen, und der Ekel dieser Vorstellung stak mir im Halse.

Diese Stimmung verbesserte sich nicht, als ich acht oder zehn Tage nach der Verlobung einmal nächtlicherweile durch die Straßen von Paris ging und dem Herzog von Chartres begegnete in einer Gesellschaft und in einer Verfassung, die schrecklich deutlich verrieten, auf was für Wegen er sich befand. Er trug eine Halbmaske, aber ich erkannte ihn trotz dieser sofort. Stehenbleibend hielt er auch mich an, faßte mich am Arme und zog mich einige Schritte weit von seinen Fackeln und Laternen tragenden Kumpanen hinweg. »Du wunderst dich wohl«,sagte er mit einem leisen und bösen Lachen, »du wunderst dich, Mann der unverbrüchlichen Keuschheit, über diese neuen Bräutigamssitten? Willst du dich uns nicht anschließen, um zu sehen, wie weit ich's treibe? Es wäre mir lieb – denn mich verlangt zu beweisen, daß diese zarte Fessel, die der König mir angelegt hat, nicht mehr als sonst sein Zorn mich abhalten kann, das zu tun, was mir beliebt!« Er hatte bei diesen Worten die Halbmaske abgenommen und zeigte mir im Scheine einer jener großen Reverberen, die da und dort mitten über der Straße hingen, sein kühnes, schönes Gesicht mit den blitzenden Äugen. Hinter ihm, wenige Schritte zurück, bildete der rotdurchglühte Rauch der Fackeln einen flammenden Hintergrund für seine stolze Gestalt. Er hatte, wie er in dieser Beleuchtung vor mir stand, in der Tat etwas Satanisches, und das Grauen, das ich empfand, riß meine Gedanken in einem blitzschnellen Uebergange zurück nach den Zelten vor Namur, wo dieser selbe Mensch sich heimlicher Wissenschaft und Schwarzkunst gebrüstet hatte, und weiter nach dem Pont d'Arcans, wo er die bösen Geister der Heide beschworen. Ein heiliger Entschluß, nichts mehr mit diesem Bösewicht gemein zu haben, loderte in mir auf. Ich stieß seine Hand von mir und trat hinweg. »Nach dem, wozu Eure Hoheit sich hergegeben, sind das, was Sie eben sprach, leere Phrasen,« antwortete ich, immerhin so leise, daß die Begleiter es nicht hören konnten. Er zog eine Grimasse und ließ mich stehen.

Ich hatte so vollständig genug vom Hofe, von Paris und vielleicht von der Welt überhaupt, daß ich wenige Tage nach diesem Vorfalle zu meinem Regimente zurückreiste, das in einem kleinen Städtchen zwischen Paris und der flandrischen Grenze stand. Ich wurde freilich wieder ausgelacht. Es war zu jener Zeit Offizieren, die einen gewissen Adelsrang und Verbindungen besaßen, so leicht gemacht, ihre Regimenter zu verlassen und unter dem Vorwande der Erholungsbedürftigkeit von den Anstrengungen eines vorhergegangenen Feldzuges einen unbegrenzten Urlaub in Paris zu verleben, daß kaum ein Mann von Ansehen in Friedenszeiten in den Garnisonen verblieb. Dazu langte der kleine Adel, arme Landedelleute, die aus Mangel an Geld pflichttreu sein mußten, oder etwa der Mann von der Canaille, der mit seinem Offizierspatent auch eine ungeheure Wichtigtuerei zu kaufen pflegt, als stünde Frankreichs Sicherheit auf seiner Ehre. Was mich betraf, so konnte freilich meines Beutels Schmalheit für einen Entschuldigungsgrund gelten, die kostspieligste Stadt der Welt zu fliehen; aber Pechvogel, wie ich war, glaubte mir dies keiner meiner Kameraden, und da ich den wahren Anlaß meiner Entfernung nicht verraten konnte, so verfolgten Hohn und Neckereien in derbster Form mich bis ans Tor von Paris, das ich in nebliger Frühe verließ.


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