Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Günderode

Ich hab einmal tief aufgeatmet. Dein Brief ist da! weißt Du, was ich getan hab? Drei Tag hab ich mich hingelegt und mich gestreckt und geruht, als wär ich einer schweren Arbeit los. – Ich will gewiß nie wieder so sein. Doch wer kann für solche Gewitterluft? Über Deinen Brief will ich gar nicht mit Dir sprechen, als bloß, daß ich Dich mit heimlichen Schauern gelesen hab. – Es ist vielleicht noch nachziehende Schwermut, ich weiß nicht, was es ist; ich will Dein Herz nicht anrühren, mir ist, als wollt es ausruhen in sich, mir ist der ganze Brief wie ein Abschluß – ach nein, das nicht – wie ein Ordnen vor dem Abschied, wo Du mich ins Leben schickst wie ein älterer Bruder den jüngeren, nicht wahr? – aber nicht auf lang? – Du willst nur, ich soll mich mit mir allein besinnen, damit ich auch lerne, mir selbst raten. Drum, vom Brief wollen wir nichts reden. Ich verstehe alles. Und entweder empfind ich manches noch mit Weh, weil ich noch verwundet mich fühl oder weil ich nicht stark bin, eine göttliche Stimme aus Dir zu vernehmen; mit Weinen horch ich auf Dich. Ich lese aus Deinem Brief Deiner Stimme Laut, dieser rührt mir die Sinne, sonst nichts. Ich bin ein krankes Kind von müd gewordner Liebesanstrengung, und so muß ich jetzt weinen, daß die Sorge, ach ja! die Verzweiflung mir genommen ist! – Dumm bin ich und launig! – So heftig klopfte mir das Herz, als Dein Brief da war, es war schon Nacht – ich nahm ihn aber mit auf den Turm und bat die Sterne, daß alles sehr gut sein möge, was drin steht, und hab gefragt, ob es mir wohl Ruh geben werde, was drin steht? Was mir die Sterne geantwortet haben? – ach, ich weiß es gar nicht! Aber ich wollt die Unruh einmal nicht wieder auf mich nehmen. – Günderode, wenn ich auch je verdiente an Dir, daß Du Dich von mir wendest, ich hab's im voraus abgebüßt. – Dein Brief kam mir wie Nebel vor – ja, wie Nebel – und dann war's, als wenn dadurch ein Altar schimmert mit Lichtern, dann ist es wie ein Flüstern, wie Gebet in diesem Brief. – Ein Zusammenfassen all Deiner Geisteskräfte, als wolltest Du den Geist der Trauer in mir beschwören. – – Als der Ephraim heut kam, ich war gar nicht geneigt zum Lernen; – ich vergaß, ihn zu grüßen, da er doch eben von der Reise gekommen war, er sprach aber von selbst von seinen Enkeln allen, er saß, und ich stand am Tisch; aber weil er so freundlich immer meine Stille durch sanfte, melodische Mitteilungen anglänzte, wie sanfter Abendschein eine Wolke anleuchtet! die Wolke war so weich geworden von dem Leuchten der scheidenden Sonne, daß sie weinen mußte; ich traute nicht, den Mann anzuschauen, den alles Schicksal zur Schönheit reifte – und sein Leben eine lautere Sprache mit dem Göttlichen. – Denn was konnt ich vorbringen, warum ich so war? – Ich sagte: »Bleibt noch«, als er glaubte, ich wollt gern allein sein; denn, sagt ich: »Die Wände da sagen, du bist für nichts auf Erden, wenn ich allein bin. – Aber wenn Ihr da seid, so tun sich die Wände auf, und ich seh hinaus in den unendlichen Osten.« Ich nahm seine Hand in die meine, die er festhielt, und nun sprachen wir von seinen Kindern, denn ich wollt mich nicht so hingehnlassen, es ist auch einerlei, von was man mit ihm spricht, denn sein Wesen und sein Sprechen ist geistige Menschheit, und so heilströmend ist diese ideale Gesundheit in ihm, daß man immer mehr von seinen reinen Worten trinken möcht. Ach, Du schreibst, ich soll Dir recht viel von ihm erzählen. Wärst Du doch selber hier! – Vorgestern fiel mir's ein, wie die Abendröte schon dem Dunkel wich und das reine, kalte Blau durch die Fenster hereinleuchtete, daß es unendlich schön sein mußte, wenn wir drei zusammensäßen und sprächen so in die Nacht hinein. Alles Große spricht er so heiter aus, alles ist so einfach, so notwendig, als sei das Leben reiner geistig durchgebildet in ihm. Und das ist es auch. – Ich gab ihm Deinen Brief und sagte ihm, er solle es mir auslegen, warum ich mich nicht besinnen kann, und was es ist, daß ich mich nicht in die gewohnte Stätte sichern Vertrauens hineinfinde in diesem Brief, als sei die Pforte zu Deinem Herzen nebelverhüllt. Aber wie er wegging, war ich schon viel heiterer geworden, und am Tag vorher war ich auf dem Turm gewesen, aber die Sterne sagten mir nichts; ich besann mich nun da oben auf meine frühere Kindheit, auf meinen Vater, wie ich dem so schmerzstillend war. Wie die Mutter gestorben war und keiner sich zu ihm wagte, abends in den langen Saal, wo er im Dunkel allein saß vor dem Bild der Mutter, und die Laternen von der Straße warfen zerstreute Lichter hinein, da kam ich zu ihm – nicht aus Mitleid, denn ich weinte nicht mit ihm, grad wie Du in Deinem Brief sagst, es sei kein Mitleid, sondern Energie – oft hab ich mich selbst gewundert, daß ich immer kalt bin beim sogenannten Unglück, andere, denen es schwer auf der Seele liegt, die können oft nicht helfen, aber teilnehmen. Ich kann nicht teilnehmen, mich treibt's, die Dornen aus dem Pfad zu reißen. – Aber mit dem Vater war es anders. Ich glaub, es gibt vielleicht Augenblicke im Leben, wo ein rein Verhältnis zwischen Gottheit und Menschheit ist, so daß die Menschennatur sich dazu eignet, das zu übernehmen, was die Menschen Botschaft Gottes nennen, also das Amt der Engel verrichten. Denn ich lief unwillkürlich zum Vater hinein und umhalste ihn und blieb still auf seinen Knien sitzen, und solang es schon her ist und damals auch meine Gedanken nicht drauf gerichtet waren, so besinne ich mich doch der ruhigen Kälte in mir, und wie dem einsamen Vater die Schwere vom Herzen fiel, und er ließ sich von mir aus dem Zimmer führen. – Später im Kloster, in Fritzlar, als man uns seinen Tod mitteilte da frug uns die Oberin, ob wir keine Anzeige von seinem Tod gehabt hätten? ich sagte: ja, ich habe im Springbrunnen es gelesen. Da weckte mich nachts der Mondschein, und ich ging einen sehr ängstlichen Weg durch viele dunkle Gänge, bis ich zum Garten kam an den Springbrunnen, weil ich mit der Seele meines Vaters im Wasser reden wollte. Und ich ging alle Nacht hinunter, da redeten die Wellen mit mir wie jetzt die Sterne; es waren aber Geister damals, denn ich sah sie herumgaukeln in der Luft, quer durch den Mondschimmer, und bald hier im Gras oder in den hohen Taxusbäumen. Wenn Du aber fragst, wie es aussah, was ich zu sehen meinte, so muß ich Dir sagen, es war mehr ein Gefühl von etwas Höherem als ich, von dem ich durch meine Augen gewahr ward, daß es sei, und wo mir's im Gefühl war, daß es mit meinen Lebensgeistern sich zu schaffen mache und was mir diese Erscheinungen oder Nichterscheinungen mitteilten. Das war so, daß ich ganz willenlos war, wie der Erdboden auch willenlos ist, in den man Samen streut. – Ich sah nur zu, daß diese Geister mein Schauen durchkreuzten, und ein reines Bejahen ihres Willens war in mir, ohne daß ich mir diesen Willen in Gedanken hätt übersetzen können. Oh, ich glaub gewiß, die Geister müssen den Geist in die Menschenseele legen. Denn alles Wahrhaftige, was man denkt, ist Geschenktes; es überrascht später als Gedanke den Begriff, wie die Erscheinung der Blüte aus der Erde hervor uns auch überraschen müßte. – Und dann ist es so seltsam, daß diese Geistesbezauberung einen gleichsam betäubt, daß man alles vergessen muß, daß es wie tiefer Schlaf ist eine Weile in der Seele und daß dann gar nichts erinnerlich ist. – Phantasie? – was ist Phantasie? – ist das nicht der Geister bunter Spielplatz, auf den sie Dich als freundliches Kind mitnehmen, und so sehr auch alles Spiel ist, so hat es doch Beziehung auf die Geheimnisse in der Menschenbrust. – Und die Menschen wissen's nicht, wie sie zum Licht des Geistes kommen, denn dies ist eins von den Lebensgeheimnissen. Aber wie weiß ich's doch? – vielleicht, weil ich so festen Glauben in sie hatte, vielleicht ist's der Glaube, der die Geister fesselt, daß sie einem näher rücken müssen. Denn der Glaube bannt alles in einen hinein, und der Unglaube verjagt alles. – Aber – in Offenbach, bei der Großmama, da war's wohl schon zwei Jahr her, daß ich aus dem Kloster war, ich war schon zwölf oder dreizehn Jahr alt und guckte so um mich und hatte so ein dumpf Gefühl, als wenn alles närrisch wär rund um mich, alles Erziehungswesen, allen Unterricht, alle Sittenpredigt und Religionslehre, alles warf ich über einen Haufen, ich konnt's nicht begreifen als lebendig und konnt's nicht verwerfen, denn ich wußt nichts vom Leben. – Da war's auch so, daß ich in der Nacht fortgezogen wurde an eine ferne, öde Stätte, und da war's mir schon viel deutlicher, was ich erfuhr, es war mir viel gewisser, keinen Augenblick hatte ich mehr einen Zweifel, daß nicht alles nur beengende Narrheit sei, was um mich vorging, und was ich vom Leben, und wie man's nahm, gewahr ward – und niemals hätte mir irgendwer imponieren können, aber wie ich Dich sah, da war mir's klar in Dir, ich hätt nie an einem Wort können zweifeln, im Gegenteil war so manches, was wie Rätsel klang, als wenn jene Geister von Deiner Zunge mich anlispelten; und es dauerte auch gar nicht lang, so öffneten sich mir tiefe Lichtwege, und so, wie ich meinte, eben daß wohl die unmündigen, aber dem Göttlichen noch ganz vertrauten Sinne der Kinder zu Botschaftern göttlichen Einflusses auf die kranke Menschennatur sich eignen, so mögen wohl hochstrebende Naturen, deren Bahn sich nicht trennt vom Geist, wohl auch dazu taugen, daß die Geister sich mit Wort und elektrischer Wirkung durch sie mitteilen. So sind jene Geister meiner Kinderjahre durch Deinen Geist sprachselig zu mir geworden. – Ja, was wollt ich doch mit Dir reden? – das war, daß ich den ersten Tag, nachdem ich Deinen Brief empfing, nichts wie derlei Erinnerungen hatte und kein Reden mit den Sternen war; und gestern aber war ich so heiter geworden, und hier will ich Dir herschreiben, was ich da oben von den Sternen erfahren hab.

Der wahre Geist ist nicht allein, er ist mit den Geistern – so wie er ausstrahlt, so strahlt es ihn wider, seine Erzeugnisse sind Geister, die ihn wieder erzeugen.

Geist sind Sonnen, die einander strahlen – Licht nimmt Licht auf – Licht sehnt sich nach Licht – Licht geht über ins Licht – Licht vergeht im Licht. – Vielleicht ist das die Liebe. –

Was sich nach Licht sehnt, ist nicht lichtlos, denn die Sehnsucht ist schon Licht, die Rose trägt das Licht in der Knospe verschlossen. –

Die Schönheit, die sinnlich vergeht, die hat einen Geist, der sich weiter entwickeln will, der Rose Geist steigt höher, wenn ihre Schönheit verblühte. – Im Geist blühen tausend Rosen, die Sinne sind der Boden, aus dem das Schöne in den Geist aufblüht, die Sinne tragen die Rosen, sie blühen in dem Geist auf. – Der Geist ist Äther der Sinne – die Rose berührt den Atem, das Gesicht und das Gefühl! – Warum bewegt die Rose das Gefühl? – atme ihren Duft, und Du wirst bewegt; – gewiß war diese Seligkeit einmal die Deine – und jetzt, wo Du ihren Duft einatmest, fühlst Du den Geist der Rose, die längst verblühte, in Dir fortblühen.

Was ist Erinnerung? – Erinnerung ist viel tiefer als sich auf das besinnen, was wir erlebten. Auch in ihren Verwandlungen berührt sie ewig den Geist – sie ist unendlich – sie wird Gefühl – dann wird sie Gedanke, der reizt den Geist zur Leidenschaft; als Leidenschaft erzeugt sie den Geist aufs neue.

Aus jedem Lebenskeim entsteht Leben, Leben erzeugt fortwährend Lebenskeime, die alle blühen müssen. Alles Erlebte ist Lebenskeim, die Erinnerung trägt sie im Schoß.

Ich weiß wohl, warum von Rosen die Rede war mit den Sternen. – Einmal war ich heiter geworden, wie der Ephraim fort war – und dann schwamm noch rötlich Gewölk am Himmel, als ich oben auf der freien Warte ankam, und dann will ich nie wieder unfrei atmen! das ist nicht meine Sach, unter der Last keuchen! – setzest Du mir nicht einmal ums andere immer wieder neue Flügelpaare an, und die Sterne, wie lehren die mich doch die Flügel schwingen! und trag ich nicht Dein Leben in meiner Brust und meines auch? – und wenn ich so viel Flügel hab, was soll mir eine Last sein? – alles schwing ich auf gen Himmel, Schweiß wird mir's kosten, warum nicht Lasten tragen, wenn ich sie aufschwingen kann in die Himmel? – Was ist das, ein Athlete sein und nicht den Erdball auf den Fingern tanzen lassen? – Haben wir's nicht ausgemacht, wir wollen das gemeine Leben unter uns sinken lassen, haben wir nicht zueinander gesagt, laß uns schweben und nicht an diesem oder jenem festhalten? – und war's nicht das erste, worauf wir unser Sein begründeten, daß wir alles wollten wagen zu denken? – und ist der nicht unsinnig, der das Denken wollt vor die Türe stoßen, weist der nicht göttliche Botschaft ab? – und warum ist denn nur Geist, was frei schwebt, und was sich anlehnt, ist nicht Geist? – O ja! das begeistert mich, so zu denken, und der Nebel umflort Dich nicht mehr, und es ist hell, wie ich Dich denk – und wenn auch. – Wir können wohl über die Nebel hinaussteigen – Deine Fittiche wolle Dir nicht brechen lassen, ich sag dir gut, daß ich die Erde und ihren Frevel am Geist in Banden halten werd. – Was ist? – was kannst du gewinnen, was Du nicht wagst? – und was Du verlieren kannst, lohnt es der Mühe, es zu bewahren? Du verlierst nur, was Du nicht wagst. –

Ein Held sein und sich vor nichts fürchten, da kommt der Geist geströmt und macht Dich zum Weltmeer. – Die Wahrheit erfüllt Dich, der Mut umarmt die allumarmende Weisheit. – Die Wahrheit sagt zum Mut: brich deine Fesseln – und dann fallen sie ab von ihm. – Der Schein ist Furcht, die Wahrheit fürchtet nicht; wer sich fürchtet, der ist nicht wirklich, der scheint nur. – Furcht ist Vergehen, Erlöschen des wahrhaften Seins. – Sein ist der kühnste Mut zu denken. Denken ist gottbewegende Schwinge. – Wie sollte das göttliche Denken sich an die Sklavenfessel legen? – Ist das, was Ihr für wahr ausgeht, Wahrheit, so schwing ich mich im Denken zu ihr auf. –

Wenn ich mich aufschwinge, so ist's in die Wahrheit, lieg ich an der Fessel, so bin ich nicht an die Wahrheit gekettet. Freisein macht allein, daß alles Wahrheit sei; von was ich mich fesseln lasse, das wird zum Aberglauben. Nur was geistentsprungen mir einleuchtet, das ist Wahrheit – was aber den Geist fesselt, das wird Aberglaube. Geist und Wahrheit leben ineinander und erzeugen ewig neu.

So hab ich mich frei gemacht von meiner Furcht, weil Furcht Lüge ist. – Und Mut muß die Lüge überwinden. Und ich bin wieder eins mit Dir.

Ach, wieviel Strahlen brechen sich doch heut in meiner Seele!

Adieu, und der Lullu hab ich versprochen, daß ich mit nach Kassel geh, sie schreibt: nur auf drei Wochen. –


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