Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Günderode

Es ist ja noch gar nicht so lang, daß Du mir geschrieben hast, es sind jetzt vierzehn Tage, und wenn ich Deinen Schreibetag hinzurechne und die Reise und das Abgeben des Briefs, so sind es sechzehn oder siebzehn Tage; – Du bist nicht Herr Deiner Zeit wie ich – denn ich hab gar nichts anders zu tun, als alles Leben zu Dir hinzuschicken, ich wollt auch lieber gar nicht denken, wenn ich Dir's nicht wiedergeben könnt, mir kommt expreß alles in den Sinn wegen Dir. Aber ich weiß, daß es Dummheit ist, sich immer ängstigen zu wollen. Nur das eine kann ich nicht ausstehen, wenn sie mir schreiben, die Günderod läßt Dich grüßen. – Ich kann noch eher leiden, wenn sie sagen, man sieht die Günderod nicht. – Aber das eine nur, es ist mir wie ein Nebel zwischen mir und Dir, ich glaub Dich an meiner Seite und sprech mit Dir immerfort, und der Nebel ist so dicht, daß ich Dich nicht seh, und auf einmal ruf ich: ›Bist Du noch da?‹ – Du gibst keine Antwort. – Da ängstige ich mich und weiß nicht, wo mich hinwenden. Da mein ich als, alles, was ich Dir gesagt hab, sei nur ein Abirren von Dir, statt daß es mich hätt an Dich ziehen sollen; und da denk ich, deswegen hättst Du Dich von mir entfernt, weil ich Dir so manches sag, was Deine Seele nicht hören will, was sie stört. – Ach, Deine Seele, ich bin einmal geboren dazu, daß ich sie umflattere. Es ist mir zwar jetzt nicht mehr so heimlich auf dem Turm, weil mir immer zuerst einfällt, ob das, was mir da oben in den Sinn kommt, Dir auch recht sein mag, aber ich geh doch hinauf – nein, es treibt mich hinauf – wie der Wind da oben als geht, das glaubst Du nicht, er könnt einen gleich forttragen, das jagt alles – Wolken und Mond aneinander vorbei – jedes seinen Weg – recht zwieträchtig, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. – Der Weg hinauf wird mir täglich ängstlicher. Ich war schon beinah dran gewöhnt und freut mich auf den Weg, und jetzt ist's wieder wie ein Stein, der auf mir liegt, manchmal bin ich so zerstreut, daß ich's gar vergeß und erst dran denk ganz spät, und jeder Schatten macht mir bang. Aber wo soll ich hin, ich muß doch hinauf, ich mein, ich muß da oben die Welt helfen festhalten. – Was das heut für ein Gestürm war! – es wächst da oben auf der Mauer ein Vogelkirschbaum, der hatte bis jetzt noch seine roten Beeren an sich hängen, ich hatte recht meine Freud dran, und ich dacht, das soll mir ein Zeichen sein, daß es zwischen uns beiden heiter ist und fröhlich. – Und die Beeren sollen hängenbleiben den ganzen Winter, ich hab sie auch zusammengebunden, daß sie der Wind nicht so leicht forttragen konnt; aber da war kein Halten, er drehte sich wie eine Kriegsfahne im Sturm, ich sprang auf die Mauer und wollte ihn schützen und nahm ihn in Arm und hab das Äußerste gewagt, ihn festzuhalten, bis der Wind sich legen wollt, und hätt ihn gehalten, wenn's bis zum Morgen gedauert hätt, aber da flogen mir die Beeren über den Kopf weg, einzeln – und ganze Trauben, bis die letzte fort war, da hab ich ihn losgelassen. Da legte sich der Wind, und war's ganz hell und ruhig am Himmel – daß ich noch eine Weile so dasaß wieder – ganz ruhig, und mich verwunderte, wie ich eben noch so mitstürmen konnt und warum mir doch das Herz so geklopft hatte, da gerade sonst ich und du immer so heimlich und so lustig waren, wir manchmal auf freiem Feld einen Sturm mitmachten. – Aber ich mag Dir's gar nicht sagen, was mir alles vorkommt und sich mir weismachen will und an was für Dingen es hängt, daß meine Fröhlichkeit sich in Trübsinn verwandelt oder daß der sich wieder zerstreut. – Oft im Sommer, wenn ich einen Vogel singen hörte, war ich wie von einer Botschaft belebt. – Und oft, wenn ich die reifen Kornähren so vom Wind durchstürmt und geknickt sah, mußt ich in tiefen Gedanken stehen, mich besinnen, wie ich soll einen Boten schicken, der sich den Winden ins Mittel lege. So wollen wir auch meinen jetzigen Aberglauben auf diese Rechnung schreiben. – Es wird vergehen und wird wieder ruhig werden.

Am Sonntag hat der Bang hier gepredigt, ich versprach ihm zuzuhören, wenn er wollt von den Juden predigen, wie die Christen ihr unchristlich Herz gegen die verschließen, daß die Juden gar nicht das Christentum empfinden können. Der Bang predigte, wie Christus seine Jünger aufforderte, dem Volk das wenige, was sie an Nahrungsmitteln bei sich hatten, hinzugeben, ohne sich selbst zu bedenken. »Siehe! da war plötzlich Überfluß für alle! Und wenn es ein Wunder ist, daß der Überfluß in den Körben gesammelt ward, über das ihr staunt und Gott anbetet, so wollet doch auch als göttliches Wunder achten, daß die Liebe aus dem Herzen aller strömte wie durch elektrische Berührung der Liebe des Sohnes Gottes zu allen, so daß von Nachbar zu Nachbar sie einander mitteilten und wollten lieber darben als darben lassen. Und so wartete der Segen in den wenigen Broten, als jeder das Seine mit dem andern teilte, und kam daher der große Überfluß. – Wenn ihr das nicht als Wunder bekennt, sondern es als ein natürliches Ereignis nicht würdig achtet, zu den göttlichen Wundern gezählt zu werden, ist es dann nicht um so mehr von denen zu erwarten, die sich seine Jünger nennen, daß dieses natürliche Wunder infolge des Göttlichen ersprieße? – und da es doch zwischen euch, die ihr Jünger Christi seid, nicht auf die göttliche Weisheit ankommt, sondern bloß ums tägliche Brot euch streitet, so mag nun die göttliche Kraft des Wunders in den Broten gewirkt haben, daß sie sich mehrten, oder in den Herzen der Juden, daß sie aus Hunger nach dem göttlichen Wort der leiblichen Sorge nicht achteten und sich einander im christlichen Sinn, der schon in ihnen zu keimen begann: ›Liebet euch untereinander‹, die leibliche Speise mitteilten und gönnten, so liegen denn immer diese Lehren darin: ›Richtet die Seele auf göttliche Weisheit, so wird die Sorge um das Irdische von euch gehoben durch göttliche Kraft.‹ Oder auch: ›Die Sorge um Irdisches ist allein in die Welt geboren, damit ihr sie überwinden lernt um eurer Brüder willen und gemeinsam nach dem Göttlichen trachtet, was jedem zuströmt, soviel er zu fassen vermag.‹ Der göttliche Segen aber regnet über alle Lande, und euch brüderlich in den irdischen zu teilen, achtet ihr das nicht als göttliches Wunder in euren Herzen? –

Mögen doch eure Herzen geschickt sein, Bruderliebe zu üben, so ist euch gewiß, daß das Wunder göttlicher Weisheit in euch erblühen werde, was von innen als Fülle des Segens über alle gleich sich ergießt und nicht über diesen allein, weil er Christ ist, und über jenen nicht, weil er Jude ist. – Denn so oft wir den Segen, sei er irdisch oder himmlisch, abteilen wollen, so erstirbt er in uns, denn sein Leben ist: Gemeinschaft des Heiligen. Mit dem inneren Sinn sollen wir die Welt regieren, das äußere Regiment greift in ihre Gestaltung nur vorübergehend oder gar nicht ein und kann nur das Geistige, die wirkliche Entwicklung hindern, aber der innere Sinn, durchdrungen von dem höheren Regiment der Welt, breitet sich aus und greift um sich, ihm ist nicht Einhalt zu tun, erzeugt sich in allen Herzen, jeder pflanze den Kern dieser süßen Frucht ins eigne Herz, er ist der Frühling des Lebens, ohne den werden wir nicht ernten und keine Gewalt haben.« –

Bang sagte mir nach der Kirche, er habe wohl gemerkt, daß ihm niemand zugehört habe als nur ich allein, die ganze Kirch hab geschlafen. –

Ich hab von dieser Predigt in einem Brief an den Voigt geschrieben, weil ich ihm nichts Besseres zu erzählen wußte, so hat er mir geantwortet: ›Der innere Sinn greift mehr um sich wie alles Regiment der Welt, der Flügelsame des Geistes kann nicht abgesperrt werden, der treibt umher, und der Wind der geistigen Natur überwältigt alle Vorkehrungen, drum ist's lächerlich, was die Menschen sich für Mühe geben, alles in der Zucht halten zu wollen oder durch etwas anders die Freiheit zu erkaufen als durch den Geist. Freiheit ist die strengste Zucht, denn sie greift da ein, wo kein Gebot noch Verbot was wirkt, sie zermalmt das Schlechte in der Wurzel: denn Freiheit ist eine göttliche Kraft, die nur Gutes wirken kann, aber die Menschen verstehen nicht, was Freiheit ist, sie wollen sich ihrer bemächtigen, das ist schon sie ertöten. Der Freiheit kann man sich nicht bemächtigen, sie muß als göttliche Kraft in uns erscheinen, sie ist das Gesetz, aus dem sich der Geist von selbst aufbaut. Innere Gebundenheit und äußere Freiheit sind doppelt schwere Ketten, weil die Trunkenheit noch dazu kommt, die die Sinne bindet und verwirrt.‹ – Das ist ungefähr das Bedeutendste, was ein zehn Seiten langer, sehr kritzlich geschriebner Brief enthält, ich wollt Dir ihn nicht schicken, ich fürcht, es möcht Deine Augen angreifen, ihn zu lesen. Er hat noch viel Hübsches und Freundliches geschrieben über Deinen Franken in Ägypten. – ›Er sei der Franke, aber das Mädchen werde er nimmer finden, das ihn in des Vaters Hütte führt, denn was ihm in der Seele woge, das sei nicht mit Schönheitslettern ihm ins Antlitz geprägt, seine fränkische Nase umschreibe kein schönes Profil.‹ Den Brief kann ich Dir einmal vorlesen, wenn das Füllhorn eigner Mitteilungen ausgeleert ist – aber wann wird das je sein? – Ach, ich hab das Herz so voll zu Dir, nur heut hab ich von fremden Menschen geredet statt von meiner Seele, weil ich Dich nicht betrüben will mit meinen Klagen. Aber gewiß ist es wahr, auf dem Turm kann ich nur Seufzer ausstoßen, und meine Gedanken sind wie abgerißne Zweige und zerstreute Blätter – Laub, das im Winterwind herumwirbelt! – ich kann keins haschen, und was mir zufliegt, das zerfällt und hat keine sibyllinische Zeichen; aber ich will nicht klagen, denn es ist ja doch nur Einbildung von mir, Du bist nur so schweigsam, weil Du so in Gedanken versunken bist, wie Du schon als diesen Herbst warst. Wolltest Du nicht manchmal den Voigt sehen? – er ist doch gut, der könnt mir als von Dir schreiben. Er ist heiter und bescheiden und erzählt so viel Schönes aus seiner frühen Jugend, sein Leben ist Musik und Malerei, seine Bekanntschaft ist, wie wenn einer mit fröhlichem Gemüt umherschaut und einem unbefangnen Blick begegnet, dem er alles erzählt, was in seinem Innern vorgeht. Daß er schlecht geschrieben hat, will ich wohl glauben, aber es verdirbt mir ihn nicht, denn das war vermutlich die besessene Herd Schweine, die in die hohe Meeresflut gestürzt sind; wie es denn gewöhnlich bei guten Menschen geht, die was Schlechtes hervorbringen; es muß ihnen ganz leicht sein, wenn sie es los sind – so ist er auch ausnehmend vergnügt. Ich hab ihn kennenlernen, wie er als Schulrat in Frankfurt vorgestellt war, da hat er mich mit seinem witzigen Humor ergötzt, und es lag so viel Wahres und Richtiges, zum wenigsten mir Zusagendes in seinen Bemerkungen, daß ich immer meine, er würde das Beste gewirkt und geraten haben, er sagte aber damals zu mir: »Ach, ich bin ein Wickelkind, mir sind die Hände mit dem Wickelband festgebunden, ich kann nur Gesichter schneiden, und da meinen die Leute, ich lach und weine im Traum, sie meinen gar nicht, daß ich mit meinen fünf Sinnen dabei bin, wenn ich was sag.« – Wenn es Dir nicht störend ist, daß er Dich einmal besucht, so schicke ich ihm einen Brief an Dich. –

Vom Hölderlin hab ich auch erzählen hören, aber lauter Trauriges, was ich Dir jetzt nicht erzählen mag, denn wir beide würden nichts darüber erdenken können; und in meinem Herzen steht geschrieben: Streue die Saat der Tränen auf sein Andenken, vielleicht, daß aus diesen die Unsterblichkeit einst ihm aufs neue erblüht! – ach, auch er hat gesagt: Wer mit ganzer Seele wirkt, irrt nie! ja, wer unzerstreut und mit ganzer Seele dabei wär, der könnte wohl Tote erwecken, drum will ich mich sammeln und an Dich denken, daß ich Dich mir wach erhalte, daß Du mir nicht stirbst. – Aber ich will meinen Brief nicht so traurig schließen. Ein Brief den ich kürzlich von Goethe gelesen habe, den er Anno 1800 an Jacobi schrieb, wird Dich auch freuen: ›Seit wir uns nicht unmittelbar berührt haben‹, sagt er ihm, ›habe ich manche Vorteile geistiger Bildung genossen, sonst machte mich mein entschiedner Haß gegen Schwärmerei, Heuchelei und Anmaßung, oft auch gegen das wahre, ideale Gute im Menschen, das sich in der Erfahrung nicht wohl zeigen kann, oft ungerecht. Auch hierüber, wie über manches andere belehrt uns die Zeit, und man lernt, daß wahre Schätzung nicht ohne Schonung sein kann; seit der Zeit ist mir jedes ideale Streben, wo ich es antreffe, wert und lieb.‹ – So sehr ich sonst eine Sehnsucht hatte, allein und heimlich ihn aufzusuchen, jetzt ist's nicht mehr so; – ich möchte gar nicht zu ihm, wenn ich nicht Dich an der Hand führte – nur als zeigte ich Dir den Weg – und nur, daß ich mir den Dank von ihm und Dir verdienen will, denn was er im Brief sagt, berechtigt Euch gegenseitig, aufeinander Anspruch zu machen, denn wie freudig würd er erstaunen über das Ideal in Deiner Brust, so wie Du Dich aussprichst in jenem Brief, wo Dir auf einmal so hell dies Ideal erschien, als sähest Du voraus in Deine Unsterblichkeit. – Und mit was könnt ich ihm entgegenkommen? – ich hab keine Vorrechte, ich hab nichts als den geheimen Wert, von Dir nicht verlassen zu sein, sondern, angesehen mit Deinen Geistesaugen, die Gedanken in mich hineinzaubern, welche ich nie geahnt haben würde, läse ich sie nicht in Deinem Geist.

Gestern abend haben sich jung und alt beschert; mir sind die leeren Weihnachtsbäume zuteil geworden; ich hab mir sie ausgebeten, ich hab sie vor die Tür gepflanzt; man geht durch eine Allee von der Treppe über den breiten Vorplatz bis zu meiner Tür; diese grünen Tannen, so dicht an meiner Tür, beglücken mich – und die Welt ist noch so groß! ach, es steigt mir die Lust im Herzen auf, daß ich reisen möcht – mit Dir – wär das denn nicht möglich? – bin ich denn so ganz gefangen, kann ich mir hierin nicht willfahren? – Und willst Du auch nicht das Unglück meiden, jener, die sterben, ohne den Jupiter Olymp gesehen zu haben? – ich fühl, daß mir alle Sehnsucht gestillt könnte werden, hoch auf dem höchsten Berg die Lande, die Weite zu überschauen, ich würde mich wahrlich erhaben und mächtig fühlen, denn dessen das Aug sich bemeistert, dessen fühlt der Großherzige sich Herr. Ach, Günderode, ich weiß nicht, ob Du's auch schon gefühlt hast, aber mir ist jetzt vor allem der Sinn des Augs gereizt, sehen möcht ich, nur sehen. – Wie groß und herrlich die Kraft, mit dem Aug alles zu beherrschen, alles in sich zu haben, zu erzeugen, was herrlich ist – wie würden da die Geister uns umflügeln auf einsamer Stelle? – und dann kennen wir uns, wir würden ineinander so einheimisch sein, es bedürfte keiner Mitteilung, die Gedanken flögen aus und ein, in einen wie in andern, was Du siehst, das ist in Dir, denn ich auch, ich hab mich nicht vor Dir verschlossen; – ja, Du bist tiefer in meiner Brust und weißt mehr von meinem Seelenschicksal als ich selber, denn ich brauch nur in Deinem Geist zu lesen, so find ich mich selbst. Und wie glücklich hab ich mich doch hingehen lassen in Deinem Kreis? – als schätze Dein Geist mich, so hab ich alles Unmögliche gewagt zu denken und zu behaupten, und nichts war mir zu tollkühn, überall fühlt ich den Faden in Deinem klugen Verstehen, der mich durchs Labyrinth führte. Ach, ich möchte alles haben, Macht und Reichtum an herrlichen Ideen und Wissenschaft und Kunst, um alles Dir wiederzugeben, und meinem Stolz, von Dir geliebt zu sein, meiner Liebe zu Dir genugzutun. Denn diese Freundschaft, dies Sein mit Dir, konnte nur einmal gedeihen. Ich zum wenigsten fühle, daß keiner mit mir wetteifern könnte in der Liebe, und darum siegt auch meine Großmut – ich mag niemand eine Schuld aufbürden, um die er ewig büßen müßte.


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