Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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Beilage zum Brief an die Günderode

Immortalita

Personen:

Immortalita, eine Göttin
Erodion
Charon
Hekate

Erste Szene

Eine offene schwarze Höhle am Eingang der Unterwelt, im Hintergrunde der Höhle sieht man den Styx und Charons Nachen, der hin- und herfährt, im Vordergrund der Höhle ein schwarzer Altar, worauf ein Feuer brennt. Die Bäume und Pflanzen am Eingang der Höhle sind alle feuerfarb und schwarz, so wie die ganze Dekoration, Hekate und Charon sind schwarz und feuerfarb, die Schatten hellgrau, Immortalita weiß, Erodion wie ein römischer Jüngling gekleidet. Eine große feurige Schlange, die sich in den Schwanz beißt, bildet einen großen Kreis, dessen Raum Immortalita nie überschreitet.

Immortalita aus der Betäubung erwachend: Charon! Charon!

Charon seinen Kahn innehaltend: Was rufst du mich?

Immortalita: Wann kommt die Zeit?

Charon: Sieh die Schlange zu deinen Füßen, noch ist sie fest geschlossen, der Zauber dauert, solange dieser Kreis dich umschließt; du weißt es, warum fragst du mich?

Immortalita: Ungütiger Greis, wenn es mich nun tröstet, die Verheißung einer bessern Zukunft noch einmal zu vernehmen, warum versagst du mir ein freundlich Wort?

Charon: Wir sind im Land des Schweigens.

Immortalita: Wahrsage mir noch einmal.

Charon: Ich hasse die Rede.

Immortalita: Rede! Rede!

Charon: Frage Hekate.

Er fährt hinweg.

Immortalita streut Weihrauch auf den Altar: Hekate! der Mitternacht Göttin! der Zukunft Enthüllerin, die schläft in des Nichtseins dunklem Schoß! Geheimnisvolle Hekate! Hekate, erscheine!

Hekate: Mächtige Beschwörerin! Was rufst du mich aus den Höhlen ewiger Mitternacht? Dies Ufer ist mir verhaßt, sein Dunkel zu helle, ja, mir deucht, ein niedrer Schein aus des Lebens Lande habe hierher sich verirrt.

Immortalita: O vergib, Hekate! und erhöre meine Bitte.

Hekate: Bitte nicht, du bist hier Königin, du herrschest hier und weißt es nicht.

Immortalita: Ich weiß es nicht! warum kenn ich mich nicht?

Hekate: Weil du nicht dich selber sehen kannst.

Immortalita: Wer wird mir einen Spiegel zeigen, daß ich mich schaue?

Hekate: Die Liebe.

Immortalita: Warum die Liebe?

Hekate: Weil ihre Unendlichkeit nur ein Maß für deine ist.

Immortalita: Wie weit erstreckt sich mein Reich?

Hekate: Über jenseits einst, über alles.

Immortalita: Wie? – die undurchdringliche Scheidewand, die mein Reich scheidet von der Oberwelt, wird sie einst zerfallen?

Hekate: Sie wird zerfallen! Du wirst wohnen im Licht! – alle werden dich finden.

Immortalita: O wann wird das sein?

Hekate: Wenn gläubige Liebe dich der Nacht entführt.

Immortalita: Wann? – in Stunden – in Jahren?

Hekate: Zähle nicht die Stunden, bei dir ist keine Zeit. Siehe zur Erde! – die Schlange, die ängstlich sich windet – fester beißt sie sich ein, vergeblich möcht in ihrem engen Kreis sie dich gefangenhalten, vergeblich ist ihr Widerstand; des Unglaubens Herrschaft, der Barbarei und der Nacht sinkt dahin.

Sie verschwindet.

Immortalita: O Zukunft, wirst du ihr gleichen? – jener seligen, fernen Vergangenheit, wo ich mit Göttern in ewiger Klarheit wohnte. Ich lächelte sie alle an, und ihre Stirnen verklärte mein Lächeln, wie kein Nektar sie verklären konnte, und Hebe dankte ihre Jugend mir und immer blühender Aphrodite ihre Reize. Aber durch der Zeiten Finsternis getrennt von mir, noch ehe mein Hauch ihnen Dauer verliehen, stürzten von ihren Thronen die seligen Götter und gingen zurück in die Lebenselemente, Jupiter in des Urhimmels Kräfte, Eros in die Herzen der Menschen, Minerva in die Sinne der Weisen, die Musen in der Dichter Gesänge; und ich Unseligste von allen wand nicht des unverwelklichen Lorbeers um die Stirne dem Helden, dem Dichter. Verbannt in dies Reich der Nacht, der Schatten Land, dies düstere Jenseits, muß ich der Zukunft nun entgegenleben.

Charon fährt mit Schatten vorüber: Neigt euch, Schatten, der Königin des Erebos, daß ihr noch lebt nach eurem Leben, ist ihr Werk.

Chor der Schatten:
Stille führet uns der Nachen
Nach dem unbekannten Land,
Wo die Sonne nicht wird tagen
An dem ewig finstern Strand. –
Zagend sehen wir ihn eilen,
Denn der Blick möcht noch verweilen
An des Lebens buntem Rand.

Sie fahren weg.


Die vorige Szene

Charons Nachen landend. Erodion springt ans Ufer. Immortalita im Hintergrund.

Erodion: Zurück, Charon, von diesem Ufer, das kein Schatten darf betreten! Was siehst du mich an? – Ich bin kein Schatten wie ihr; eine frohe Hoffnung, ein träumerischer Glaube haben meines Lebens Funken zur Flamme angefacht.

Charon für sich: Gewiß ist dieser der Jüngling, der die goldne Zukunft in sich trägt. Er fährt ab mit seinem Nachen.

Immortalita: Ja, du bists, von dem Hekate mir weissagte, bei deinem Anblick werde des Tages Strahl durch diese alte Hallen, durch diese erebische Nacht hereinbrechen.

Erodion: Wenn ich der Mann bin deiner Weissagungen, Mädchen oder Göttin! wie ich dich nennen soll, so glaube, du bist die innerste Ahnung des Herzens mir.

Immortalita: Sage, wer bist du, wie heißest du und wo fandst du den Weg zum pfadlosen Gestade hierher? – wo Schatten nicht noch Menschen wandeln dürfen, nur unterirdische Götter.

Erodion: Ungern möcht ich zu dir von anderm reden als nur von meiner Liebe. Aber red ich dir von meiner Liebe, so ists ja mein Leben. Höre mich denn: Eros' Sohn bin ich und seiner Mutter Aphrodite, der Liebe und Schönheit Doppelverein hatte in mein Dasein schon die Idee jenes Genusses gelegt, den ich nirgend fand und überall doch ahnete und suchte. Lange war ich ein Fremdling auf Erden, von ihren Schattengütern mocht ich nichts genießen, bis träumend mir durch deine Eingebung eine dunkle Vorstellung von dir in die Seele kam. Überall geleitete mich dieser Idee Abglanz von dir, überall verfolgte ich ihre geliebte Spur, auch wenn sie mir untertauchte im Land der Träume, und so führte sie mich zu den Toren der Unterwelt, aber nie konnt ich zu dir durchdringen; ein unselig Geschick rief mich immer wieder zu der Oberwelt.

Immortalita: Wie, Knabe! – so hast du mich geliebt, daß lieber den Helios und das Morgenrot du nicht mehr sehen wolltest als mich nicht finden?

Erodion: So hab ich dich geliebt, und ohne dich konnte die Erde nicht mehr mich ergötzen, nicht mehr der blumige Frühling, der sonnige Tag, die tauige Nacht, die zu besitzen der finstere Pluto gern sein Zepter hätt vertauscht. Aber wie eine größere Liebe in meiner Eltern Umarmungen sich vereint hatte als alle andre Liebe – denn sie waren die Liebe selbst – so die Sehnsucht auch, die zu dir mich trieb, war die mächtigste, und über alle Hindernisse siegreich war mein Glaube, dich zu finden; denn meine Eltern wußten, daß, der aus Lieb und Schönheit entsprungen, nichts Höheres auf Erden finde als sich selbst, und hatten diesen Glauben zu dir mir gegeben, daß meine Kraft nicht sollt ermüden, nach Höherem zu streben außer mir.

Immortalita: Aber wie kamst du endlich zu mir? Unwillig nimmt Charon Lebende in das morsche Fahrzeug, für Schatten nur erbaut.

Erodion: Einst war mein Sehnen, dich zu schauen, so groß, daß alles, was die Menschen erdacht, dich ungewiß zu machen, mir klein erschien und nichtig. Mut begeisterte mein ganzes Wesen: ich will nichts, nichts als sie besitzen, so dacht ich, und kühn warf ich dieser Erde Güter alle weg von mir und führte mein Fahrzeug hin zu dem gefahrvollen Fels, wo alles Irdische scheitern sollte. Noch einmal dacht ich: wenn du alles verlörst, um nichts zu finden? – aber hohe Zuversicht verdrängte den Zweifel, fröhlich sagt ich der Oberwelt das letzte Lebewohl, die Nacht verschlang mich – eine gräßliche Pause! – ich fand mich bei dir. – Die Fackel meines Lebens flammt noch jenseits der stygischen Wasser.

Immortalita: Die Heroen der Vorwelt haben diesen Pfad schon betreten, der Mut hat herüberzustreifen gewagt, aber der Liebe nur war vorbehalten, ein dauernd Reich hier zu gründen. Die Bewohner des Orkus sagen, mein Dasein hauche ihnen unsterbliches Leben ein; so sei denn auch du unsterblich; denn du hast Unnennbares in mir bewirkt, ich lebte ein Mumienleben, aber du hast mir eine Seele eingehaucht. Ja, teurer Jüngling! in deiner Liebe erblicke ich mich verklärt, ich weiß nun, wer ich bin, weiß, daß ein sonniger Tag diese alten Hallen beglänzen wird.

Hekate tritt hinter dem Altar hervor.

Hekate: Erodion! trete in den Kreis der Schlange. Er tut es: die Schlange verschwindet. Zu lange, Immortalita, warst du, durch die Macht des Unglaubens und der Barbarei von wenigen gekannt, von vielen bezweifelt, in diesen engen Kreis gebannt. Ein Orakel, so alt als die Welt, sagt, der gläubigen Liebe werde gelingen, dich selbst in dem erebischen Dunkel zu finden, dich hervorzuziehen und deinen Thron in ewiger Klarheit zu gründen, zugänglich für alle. Diese Zeit ist nun gekommen, dir, Erodion, bleibt nur noch etwas zu tun übrig.

Der Schauplatz verwandelt sich in einen Teil der elysäischen Gärten, die Szene ist matt erleuchtet, man sieht Schatten hin und wider irren. Zur Seite ein Fels, im Hintergrund der Styx und Charons Nachen.


Die Vorigen

Hekate: Sieh, Erodion, diesen einsturzdrohenden Fels; er ist die unübersteigliche Scheidewand, der des sterblichen Lebens Reich von dem deiner Gebieterin scheidet, er verwehrt der Sonne, ihre Strahlen herzusenden, und getrennten Lieben sich wiederzubegegnen. Erodion! versuche es, diesen Felsen einzustürzen, daß deine Geliebte auf seinen Trümmern aus der engen Unterwelt steigen möge, daß ferner nichts Unübersteigliches das Land der Toten von dem der Lebenden mag trennen.

Erodion schlägt an den Felsen, er stürzt ein, es wird plötzlich helle.

Immortalita: Triumph! der Fels ist gesunken, von nun an sei den Gedanken der Liebe, den Träumen der Sehnsucht, der Begeisterung der Dichter vergönnt, aus dem Lebenslande in das Schattenreich herabzusteigen und wieder zurückzugehen auch.

Hekate: Heil! dreifaches, unsterbliches Leben wird dies blasse Schattenreich beseelen, nun dein Reich gegründet ist.

Immortalita: Komm, Erodion, steige mit mir auf in ewige Klarheit; und alle Liebe, alles Hohe soll meines Reiches teilhaftig werden. Du, Charon, entfalte deine Stirn, sei freundlicher Geleiter denen, die mein Reich betreten wollen.

Erodion: Wohl mir, daß ich die heilige Ahnung meines Herzens wie der Vesta Feuer treu bewahrte; wohl mir, daß ich der Sterblichkeit zu sterben, der Unsterblichkeit zu leben, das Sichtbare dem Unsichtbaren zu opfern Mut hatte.

Von der Hand des Herzogs Emil August von Gotha auf das Manuskript der Immortalita geschrieben:

Es ist eine Kleinigkeit, die deiner Aufmerksamkeit nicht wert ist, daß ich es ein Geschenk des Himmels achte, dich zu verstehen, du edles Leben. Siehst du zur Erde nieder, gibst gleich der Sonne du ihr einen schönen Tag, doch auf zum Himmel wirst du vergeblich schauen, suchst deinesgleichen du unter den Sternen.

Wie frische Blütenstengel, so schmückt deiner Gedanken sorglos Leben den bezwungenen Mann; sein Busen bebt von tiefen Atemzügen, wenn dein Geist gleich aufgelösten Locken, die jetzt dem Band entfallen, ihn umspielt.

Er sieht dich an, ein Liebender! wie stille Rosen und schwankende Lilien schweben deiner segnenden Gedanken Blicke ihm zu. Vertraute, nahe dem Herzen sind sie. Wahrhaftiger, heller und schöner beleuchten sein Ziel sie ihm und seinen Beruf, und auf schweigendem Pfade der Nacht sind hochschauende Sterne Zeugen seiner Gelübde dir.

Doch ist eine Kleinigkeit nur, die deiner Aufmerksamkeit nicht wert ist, daß ich als ein Geschenk des Himmels es achte, dich zu verstehen, du edles Leben.

Emil August


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