Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Günderode

Du weißt, daß der Bostel hier ist – der läuft mir immer nach und sagt: »Bettine, warum sind Sie so unliebenswürdig?« – Ich frag, wie soll ich's machen, um liebenswürdig zu sein? – »Sein Sie wie Ihre Schwester Loulou, sprechen Sie ruhig mit einem und bezeigen Sie doch nur ein klein wenig Teilnahme an was man Ihnen sagt; aber wenn man Sie auch aus Mitleid wie ein Mädchen, das schon was bedeutet, behandeln wollt, es ist nicht möglich; Sie haben nicht weniger Unruh als eine junge Katz, die einer Maus nachläuft. Derweil man Ihnen die Ehre antut, mit Ihnen zu sprechen, klettern Sie auf Tisch und Schränken herum, sie steigen zu den alten Familienporträten und scheinen weit mehr Anteil an deren Gesichtern zu nehmen als an uns Lebenden.« – Ja, Herr von Bostel, das ist bloß, weil die dort so ganz übersehen und vergessen sind, weil kein Mensch mit denen spricht, da geht's mir grade, wie es Ihnen mit mir geht. Aus Mitleid, weil ich übersehen bin, sprechen Sie mit mir jungem Gelbschnabel, und das steckt mich an, daß ich dasselbe Mitleid mit den alten gemalten Perücken haben muß. – »Aber sagen Sie, sind Sie gescheut? – Wie wollen Sie Mitleid haben mit gemalten Bildern?« – Ei, Sie haben's ja auch mit mir! – »Nun ja, aber die Bilder empfinden's doch nicht.« – Ei, ich empfind's auch nicht. – »Aber bei Gott, ich bemitleide Sie, – Sie sind auf dem Weg, närrisch zu werden.«

Ich hätt Dir die Dummheiten nicht erzählt, wenn's nicht einen großen Lärm gegeben hätt; der Clemens wollte das vom guten Bostel nicht haben; sie redeten so heftig hin und her von Schelmufsky und dem Großmogul, und im kleinen Häuschen, wo sie zusammen hingegangen waren, ward es so laut, daß es sich von weitem wie Streit anhörte; ich ging hinunter und wartete, bis der Bostel herauskam; der war ganz erhitzt, ich nahm alles auf mich und bat um Verzeihung, daß ich so unartig gewesen sei, und was weiß ich, was ich alles sagte, bis er endlich versprach, mit dem Clemens nicht mehr bös zu sein, und wenn ich meine Unart eingestehe, so wolle er mir verzeihen. – Ich gestand alles zu, dachte aber doch heimlich, was der vor ein possierlicher Kerl wär; der Clemens kam dazu, da ward von beiden Seiten die Schuld auf mich geschoben; ich ließ es ohne Widerspruch geschehen und besänftigte sie beide; sie gaben einander die Hand und mir gute Lehren.

Die Menschen sind gut, ich bin es ihnen von Herzen, aber wie das kommt, daß ich mit niemand sprechen kann? – Das hat nun Gott gewollt, daß ich nur mit Dir zu Haus bin. – Die Manen les ich immer wieder, sie wecken mich recht zum Nachdenken. Du meinst, daß Dir die Sprache nicht drin gefällt? – Ich glaub, daß große Gedanken, die man zum erstenmal denkt, die sind so überraschend, da scheinen einem die Worte zu nichtig, mit denen man sie aufnimmt, die suchen sich ihren Ausdruck, da ist man als zu zaghaft, einen zu gebrauchen, der noch nicht gebräuchlich ist, aber was liegt doch dran? ich wollt immer so reden, wie es nicht statthaft ist, wenn es mir näher dadurch kommt in der Seel; ich glaub gewiß, Musik muß in der Seele walten, Stimmung ohne Melodie ist nicht fließend zu denken; es muß etwas der Seele so recht Angebornes geben, worin der Gedankenstrom fließt. – Dein Brief ist ganz melodisch zu mir, viel mehr wie Dein Gespräch. ›Wenn Du noch nicht bald wieder zu uns kommst, so schreibe mir wieder, denn ich habe Dich lieb.‹ Diese Worte haben einen melodischen Gang, und dann: ›Ich habe die Zeit über recht oft an Dich gedacht, liebe Bettine! Vor einigen Nächten träumte mir, Du seist gestorben; ich weinte sehr darüber und hatte den ganzen Tag einen traurigen Nachklang davon in meiner Seele.‹ Ich auch, liebstes Günderödchen, würde sehr weinen, wenn ich Dich sollt hier lassen und in eine andre Welt gehen; ich kann mir nicht denken, daß ich irgendwo ohne Dich zu mir selber kommen möcht. Der musikalische Klang jener Worte äußert sich wie der Pulsschlag Deiner Empfindung; das ist lebendige Liebe, die fühlst Du für mich. Ich bin recht glücklich; ich glaub auch, daß nichts ohne Musik im Geist bestehen kann und daß nur der Geist sich frei empfindet, dem die Stimmung treu bleibt. – Ich kann's auch noch nicht so deutlich sagen, ich meine, man kann kein Buch lesen, keins verstehen oder seinen Geist aufnehmen, wenn die angeborne Melodie es nicht trägt, ich glaub, das alles müßt gleich begreiflich oder fühlbar sein, wenn es in seiner Melodie dahinfließt. Ja, weil ich das so denke, so fällt mir ein, ob nicht alles, solang es nicht melodisch ist, wohl auch noch nicht wahr sein mag. Dein Schelling und Dein Fichte und Dein Kant sind mir ganz unmögliche Kerle. Was hab ich mir für Mühe geben, und ich bin eigentlich nur davongelaufen hierher, weil ich eine Pause machen wollte. Repulsion, Attraktion, höchste Potenz. – –

Weißt Du, wie mir's wird? – Dreherig – Schwindel krieg ich in den Kopf, und dann, weißt Du noch? – ich schäm mich – ja, ich schäm mich, so mit Hacken und Brecheisen in die Sprach hineinzufahren, um etwas da herauszubohren, und daß ein Mensch, der gesund geboren ist, sich ordentliche Beulen an den Kopf denken muß und allerlei physische Krankheiten dem Geist anbilden. – Glaubst Du, ein Philosoph sei nicht fürchterlich hoffärtig? – Oder wenn er auch einen Gedanken hat, davon wär er klug? – O nein, so ein Gedanke fällt ihm wie ein Hobelspan von der Drechselbank; davon ist so ein weiser Meister nicht klug. Die Weisheit muß natürlich sein, was braucht sie doch solcher widerlicher Werkzeuge, um in Gang zu kommen? sie ist ja lebendig – sie wird sich das nicht gefallen lassen. – Der Mann des Geistes muß die Natur lieben über alles, mit wahrer Lieb, dann blüht er – dann pflanzt die Natur Geist in ihn. Aber ein Philosoph scheint mir so einer nicht, der ihr am Busen liegt und ihr vertraut und mit allen Kräften ihr geweiht ist. – Mir deucht vielmehr, er geht auf Raub; was er ihr abluchsen kann, das vermanscht er in seine geheime Fabrik, und da hat er seine Not, daß sie nicht stockt, hier ein Rad, dort ein Gewicht, eine Maschine greift in die andere, und da zeigt er den Schülern, wie sein Perpetuum mobile geht, und schwitzt sehr dabei, und die Schüler staunen das an und werden sehr dumm davon. – Verzeih mir's, daß ich so faselig Zeug red; Du weißt, ich hab's mit meinem Abscheu nie weiter gebracht, als daß ich erhitzt und schwindelig geworden bin davon, und wenn die großen Gedanken Deines Gesprächs vor mir auftreten, die doch philosophisch sind, so weiß ich wohl, daß nichts Geist ist als nur Philosophie, aber wend's herum und sag: es ist nichts Philosophie als nur ewig lebendiger Geist, der sich nicht fangen, nicht beschauen noch überschauen läßt, nur empfinden, der in jedem neu und ideal wirkt, und kurz: der ist wie der Äther über uns. Du kannst ihn auch nicht fassen mit dem Aug, Du kannst dich nur von ihm überleuchtet, umfangen fühlen, Du kannst von ihm leben, nicht ihn für Dich erzeugen. Ist denn der Schöpfernatur ihr Geist nicht gewaltiger als der Philosoph mit seinem Dreieck, wo er die Schöpfungskraft drin hin und her stößt, was will er doch? – meint er, diese Gedankenaufführung sei eine unwiderstehliche Art, dem Naturgeist nahzukommen? Ich glaub einmal nicht, daß die Natur einen solchen, der sich zum Philosophen eingezwickt hat, gut leiden kann. ›Wie ist Natur so hold und gut, die mich am Busen hält‹ – so was lautet wie Spott auf einen Philosophen. Du aber bist ein Dichter, und alles, was du sagst, ist die Wahrheit und heilig. ›Man kann Geister nicht durch Beschwörung rufen, aber sie können sich dem Geist offenbaren; das Empfängliche kann sie empfangen, dem innern Sinn können sie erscheinen.‹ Nun ja! wenn es auch die ganze heutige Welt nicht faßt, was Du da aussprichst, wie ich gewiß glaub, daß es umsonst der Welt gesagt ist, so bin ich aber der Schüler, dessen ganze Seele strebt, sich das Gehörte zum Eigentum zu machen – und aus dieser Lehre wird mein künftig Glück erblühn, nicht weil ich's gelernt hab, aber weil ich's empfind; es ist ein Keim in mir geworden und wurzelt tief, ja, ich muß sagen, es spricht meine Natur aus, oder vielmehr, es ist das heilige Wort ›Es werde‹, was du über mich aussprichst. – Ich hab's jetzt jede Nacht gelesen im Bett und empfind mich nicht mehr allein und für nichts in der Welt; ich denk, da die Geister sich dem Geist offenbaren können, so möchten sie zu meinem doch sprechen; und was die Welt ›überspannte Einbildung‹ nennt, dem will ich still opfern und gewiß meinen Sinn vor jedem bewahren, was mich unfähig dazu machen könnte; denn ich empfinde in mir ein Gewissen, was mich heimlich warnt, dies und jenes zu meiden. – Und wie ich mit Dir red heute, da fühl ich, daß es eine bewußtlose Bewußtheit gebe, das ist Gefühl, und daß der Geist bewußtlos erregt wird – so wird's wohl sein mit den Geistern. Aber still davon, durch Deinen Geist haucht mich die Natur an, daß ich erwach, wie wenn die Keime zu Blättern werden. – Ach, eben ist ein großer Vogel wider mein Fenster geflogen und hat mich so erschreckt, es ist schon nach Mitternacht, gute Nacht.

Bettine


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