Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Bettine

Der St. Clair war bei mir, er kam von Mainz, heut erst geht er nach Homburg, bleibt acht Tage oder länger dort; wenn er zurückkommt, das wird am Sonntag sein, will er nach Offenbach kommen; er glaubt, Du werdest dann am Morgen wohl ein paarmal mit ihm im Garten auf und ab gehen, da will er Dir vom Hölderlin alles erzählen.

Am Mittwoch reise ich auf drei Wochen zur Nees auf ihr Gut bei Würzburg; von dort will ich Dir deutlicher schreiben; hier, im Augenblick von kleinen Reiseangelegenheiten gestört, kann ich nicht, wie ich wohl möchte, antworten auf Deine Liebe, der ich eben auch vertrau wie dem untadeligen Grund Deiner Seele. Schon fühl ich mich bewogen, Deine Empfindungen, Dein Tun ohne Einwurf gelten zu lassen; tue, wie Dir's der Geist eingibt, weil es das beste und einzige ist, wo keines Menschen Rat auslangt; und auch weil Du so nur den unberufnen Vorkehrungen und Ratgebern kannst ausweichen; das ist, was hier zu befahren ist – nicht Dein kühner Sinn; Dein sicher abwägendes Gefühl haben wir nicht zu befahren, aber das Messen mit dem Maßstab, der nirgendwie mit Dir zusammenstimmt. Ich selber weiß oft nicht, mit welchem Winde ich steuern soll, und überlasse mich allen. Hab Geduld mit mir, da Du mich kennst, und denke, daß es nicht eine einzelne Stimme ist, der ich zu widersprechen habe, aber eine allgemeine, die, wie die lernäische Schlange, immer neue Köpfe erzeugt. Was Du sagst und treibst und schreibst, geht mir aus der Seele oder in die Seele; ich fühle zu nichts Neigung, was die Welt behauptet; und mustere ich gelassen ihre Forderungen, ihre Gesetze und Zwecke, so kommen sie allesamt mir so verkehrt vor wie Dir – aber Deine absurdesten Demonstrationen, wie sie Deine Gegner nennen, habe ich noch nie in Zweifel gezogen, ich hab Dich verstanden wie meinen eignen Glauben, ich hab Dich geahnt und begriffen zugleich, und doch muß ich in die Sünde verfallen, Dich zu verleugnen; es ist mir nicht gleichgültig, daß ich diese Schwäche habe; kannst Du sie mir ausrotten helfen, so bin ich willig zur Buße. Das sei Dir genug zum Fühlen, wie die Vorwürfe, die Du Dir um mich machst, mich nur drücken können. Das Produkt jener Stunde, wo Deine Liebe dieser gewaltsamen Stimmung in mir so streng entgegentrat, leg ich Dir hier bei. – Dichten in jedem Herzensdrang hat mich immer neu erfrischt, ich war nicht länger gedrückt, wenn ich mein Verstummen konnt erklingen lassen.


Des Wandrers Niederfahrt

Wandrer
              Dies ist, mich hat der Meister nicht betrogen,
Des Westes Meer, in dem der Nachtwind braust.
Dies ist der Untergang, von Gold umzogen,
Und dies die Grotte, wo mein Führer haust. –
    Bist du es nicht, den Tag und Nacht geboren,
    Des Scheitel freundlich Abendröte küßt!
    In dem sein Leben Helios verloren,
    Und dessen Gürtel schon die Nacht umfließt.
Herold der Nacht! bist du's, der zu ihr führet,
Der Sohn, den sie dem Sonnengott gebieret?
Führer
Ja, du bist an dessen Grotte,
Der dem starken Sonnengotte
In die Zügel fiel.
Der die Rosse westwärts lenket,
Daß sich hin der Wagen senket
An des Tages Ziel.
Und es sendet mir noch Blicke
Liebevoll der Gott zurücke,
Scheidend küßt er mich;
Und ich seh es, weine Tränen,
Und ein süßes stilles Sehnen
Färbet bleicher mich;
Bleicher, bis mich hat umschlungen
Sie, aus der ich halb entsprungen,
Die verhüllte Nacht.
In ihre Tiefen führt mich ein Verlangen,
Mein Auge schauet noch der Sonne Pracht,
Doch tief im Tale hat sie mich umfangen,
Den Dämmerschein verschlingt schon Mitternacht.
Wandrer
O führe mich! du kennest wohl die Pfade
Ins alte Reich der dunklen Mitternacht;
Hinab will ich ans finstere Gestade,
Wo nie der Morgen, nie der Mittag lacht.
Entsagen will ich jenem Tagesschimmer,
Der ungern nur der Erde sich vermählt,
Geblendet hat mich trügerisch nur der Flimmer,
Der Irdsches nie zur Heimat sich erwählt.
Vergebens wollt den Flüchtigen ich fassen,
Er kann doch nie vom steten Wandel lassen,
Drum führe mich zum Kreis der stillen Mächte,
In deren tiefem Schoß das Chaos schlief,
Eh, aus dem Dunkel ewger Mitternächte,
Der Lichtgeist es herauf zum Leben rief.
Dort, wo der Erde Schoß noch unbezwungen
In dunkle Schleier züchtig sich verhüllt,
Wo er, vom frechen Lichte nicht durchdrungen,
Noch nicht erzeugt dies schwankende Gebild
Der Dinge Ordnung, dies Geschlecht der Erde!
Dem Schmerz und Irrsal ewig bleibt Gefährte.
Führer
Willst du die Götter befragen,
Die des Erdballs Stützen tragen,
Lieben der Erde Geschlecht.
Die in seliger Eintracht wohnen,
Ungeblendet von irdischen Sonnen,
Ewig streng und gerecht;
So komm, eh ich mein Leben ganz verhauchet,
Eh mich die Nacht in ihre Schatten tauchet.

Horch! es heulen laut die Winde,
Und es engt sich das Gewinde
Meines Wegs durch Klüfte hin.
Die verschloßnen Ströme brausen,
Und ich seh mit kaltem Grausen,
Daß ich ohne Führer bin.
Ich sah ihn blässer, immer blässer werden,
Und es begrub die Nacht mir den Gefährten.
In Wasserfluten hör ich Feuer zischen.
Seh, wie sich brausend Elemente mischen,
Wie, was die Ordnung trennet, sich vereint.
Ich seh, wie Ost und West sich hier umfangen,
Der laue Süd spielt um Boreas' Wangen
Das Feindliche umarmet seinen Feind
Und reißt ihn fort in seinen starken Armen:
Das Kalte muß in Feuersglut erwarmen.
Tiefer fuhren noch die Pfade
Mich hinab zu dem Gestade,
Wo die Ruhe wohnt,
Wo des Lebens Farben bleichen,
Wo die Elemente schweigen
Und der Friede thront.

Erdgeister
Wer hieß herab dich in die Tiefe steigen
Und unterbrechen unser ewig Schweigen?
Wandrer
Der rege Trieb: die Wahrheit zu ergründen!
Erdgeister
So wolltest in der Nacht das Licht du finden?
Wandrer
Nicht jenes Licht, das auf der Erde gastet
Und trügerisch dem Forscher nur entflieht,
Nein, jenes Ursein, das hier unten rastet
Und rein nur in der Lebensquelle glüht.
Die unvermischten Schätze wollt ich heben,
Die nicht der Schein der Oberwelt berührt,
Die Urkraft, die, der Perle gleich, vom Leben
Des Daseins Meer in seinen Tiefen führt,
Das Leben in dem Schoß des Lebens schauen,
Wie es sich kindlich an die Mutter schlingt,
In ihrer Werkstatt die Natur erschauen,
Sehn, wie die Schöpfung ihr am Busen liegt.
Erdgeister
So wiß! es ruht die ewge Lebensfülle
Gebunden hier noch in des Schlafes Hülle
Und lebt und regt sich kaum,
Sie hat nicht Lippen, um sich auszusprechen,
Noch kann sie nicht des Schweigens Siegel brechen,
Ihr Dasein ist noch Traum –
Und wir, wir sorgen, daß noch Schlaf sie decke,
Daß sie nicht wache, eh die Zeit sie wecke.
Wandrer
O ihr! die in der Erde waltet,
Der Dinge Tiefe habt gestaltet,
Enthüllt, enthüllt euch mir!
Erdgeister
Opfer nicht und Zauberworte
Dringen durch der Erde Pforte,
Erhörung ist nicht hier.
Das Ungeborne ruhet hier verhüllet
Geheimnisvoll bis seine Zeit erfüllet.
Wandrer
So nehmt mich auf, geheimnisvolle Mächte,
O wieget mich in tiefem Schlummer ein.
Verhüllet mich in eure Mitternächte,
Ich trete freudig aus des Lebens Reihn.
Laßt wieder mich zum Mutterschoße sinken,
Vergessenheit und neues Dasein trinken.
Erdgeister
Umsonst! an dir ist unsre Macht verloren,
Zu spät! du bist dem Tage schon geboren,
Geschieden aus dem Lebenselement.
Dem Werden können wir und nicht dem Sein gebieten,
Und du bist schon vom Mutterschoß geschieden,
Durch dein Bewußtsein schon von Traum getrennt.
Doch schau hinab, in deiner Seele Gründen,
Was du hier suchest, wirst du dorten finden,
Des Weltalls sehnder Spiegel bist du nur.
Auch dort sind Mitternächte, die einst tagen,
Auch dort sind Kräfte, die vom Schlaf erwachen,
Auch dort ist eine Werkstatt der Natur.
 

Der Tonie hat Clemens geschrieben, er komme in wenigen Tagen – er hofft mich hier zu finden; ich kann's nicht ändern, daß ich fortgehe, grade wie er kommt, es tut mir leid, wie gern ich ihn gesprochen hätte. – Du, sag's ihm doch, in drei Wochen bin ich zurück, bitte ihn, daß er so lange bleibe, ich werde gewiß um keinen Tag zögern, es liegt mir daran, ihn zu sehen; das einliegende Blatt gib ihm, er hat's von mir verlangt, es ist ein Gedicht, was ich schon früher gemacht habe. Clemens wird zu Dir hinauskommen; ich glaube, Du tust wohl, noch solang in Offenbach zu bleiben, bis ich wieder zurück bin, Du bist vergnügt dort, und niemand legt Dir was in den Weg, hier würden Sitten und Splitterrichter Dich verdrießlich machen, Clemens würde dabei manche Frage an Dich tun, die Dir unlieb sein dürfte, und mir ist's unangenehm, wenn er Dich ins Gebet nimmt.

Du schreibst mir doch! – schicke Deine Briefe ins Stift, dort ist am Samstag und am Donnerstag drauf Gelegenheit, etwas an mich zu schicken. – Ich wäre gern noch hinausgekommen, glaubst Du, daß George mich im Kabriolett hinausfahren ließe? – Wolltest du wohl bei ihm drum fragen? – Was Dir die Großmama aus ihrem Leben erzählt, das merk Dir doch alles, wenn's auch nur mit wenig Zeilen ist, später ist es einem gar interessant. Adieu und bleib mir gut, ich will Dir's abzuverdienen suchen.

Karoline
 

Ist alles stumm und leer,
Nichts macht mir Freude mehr,
Düfte, sie düften nicht,
Lüfte, sie lüften nicht,
Mein Herz so schwer!

Ist alles öd und hin,
Bange mein Geist und Sinn,
Wollte, nicht weiß ich was,
Jagt mich ohn Unterlaß,
Wüßt ich wohin? –

Ein Bild von Meisterhand
Hat mir den Sinn gebannt,
Seit ich das Holde sah,
Ist's ewig fern und nah
Mir anverwandt. –

Ein Klang im Herzen ruht,
Der noch erfüllt den Mut
Wie Flötenhauch ein Wort,
Tönet noch leise fort,
Stillt Tränenflut.

Frühlings Blumen treu
Kommen zurück aufs neu,
Nicht so der Liebe Glück,
Ach, es kommt nicht zurück,
Schön, doch nicht treu.

Kann Lieb so unlieb sein,
Von mir so fern, was mein? –
Kann Lust so schmerzlich sein,
Untreu so herzlich sein?
O Wonn, o Pein.

Phönix der Lieblichkeit,
Dich trägt Dein Fittich weit
Hin zu der Sonne Strahl –
Ach, was ist dir zumal
Mein einsam Leid?


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