Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Bettine

Denn: wie auch das Allebendige sich berühre, es entsteigt Wahrheit aus ihm; aus dem chaotischen Wogen und Schwanken entstieg die Welt als Melodie? –

Karoline


An die Günderode

Ja! und alle Sterne sind Melodien, die im Strom der Harmonie schwimmen, Weltseelen, die den Geist Gottes hervorblühen, Töne, die mit verwandten Tönen anklängen, und wenn wir zu den Sternen aufsehen, so klingen unsere Gedanken an mit ihnen; denn wir gehören in die Sippschaft ihnen verwandter Akkorde; – und wie jeder Gedanke, jede Seele Melodie ist, so soll der Menschengeist durch sein Allumfassen Harmonie werden – Poesie Gottes – nehm's nicht zu genau und gib es deutlicher wieder, als ich's sagen kann.


An die Bettine

So wär der Menschengeist durch sein Fassen, Begreifen befähigt, Geistesallheit, Philosophie zu werden; also die Gottheit selbst? – denn, wär Gott unendlich, wenn er nicht in jeder Lebensknospe ganz und die Allheit wär? – so wär jeder Geistesmoment die Allheit Gottes in sich tragend, aussprechend? –

Karoline


An die Günderode

Ja! das beweist die Musik, jeder Ton spricht seinen Akkord aus, jeder Akkord spricht seine Verwandtschaften aus, und durch alle Verwandtschaft strömt der ewig wechselnde Gang der Harmonien zu, der ewig erzeugende Geist Gottes. Denken ist Gottaussprechen, ist sich gestalten in der Harmonie – ich wage nicht, einen Seitenblick zu tun, aber ich fühl's, daß im Begreifen der Geist Gottes sich erzeugt im Menschengeist, und zu was wär dieser Keim der Gotteserscheinung im Menschengeist, wenn er nicht durch ewiges Streben ihn ganz entwickeln sollte? – der einzige Zweck alles Lebens, Gott fassen lernen! und das ist auch unser innerer Richter. Was Gott nicht entwickelt, das bliebe lieber ungeschehen, denn es ist nicht Melodie; – was aber unmelodisch ist, das ist Sünde, denn es stört die Harmonie Gottes in uns; es klingt falsch an, aber alle große Handlung weckt die Harmonie, alle Sterne klingen mit ein, drum ist groß Denken, groß Handeln auch so selbstbefriedigend; es löst die gebundnen Akkorde in uns auf in höhere Harmonien, und steigern sich die musikalischen Tendenzen durch allseitiges Erklingen aller mittönenden Akkorde. – Aber ich kann nicht mehr weiter drüber denken; ich träume nur und schlafe tiefer über dem Saitenspiel meiner Gedanken ein, und mir entschlüpft alles ungesagt. – Du lebst und schwebst in freier Luft, und die ganze Natur trägt Deinen Geist auf Händen; ich dräng mich durch zwischen Witz und Aberwitz, und hier und dort nimmt mich die Albernheit in Beschlag; und wenn ich abends zum Schreiben komm und muß das Unmögliche denken, was unmöglich ist auszusprechen, dann bin ich gleich traumtrunken, und dann schwindelt mir, wenn ich die Augen öffne; die Wände drehen sich, und der Menschen Treiben dreht sich mit. – Und ob's doch nicht noch in der Sprache verborgne Gewalten gibt, die wir noch nicht haben? – noch nicht zu regieren verstehen; das schreib mir, ob Du es auch glaubst und ob wir da hindringen könnten, das Ungesagte auszusprechen, denn gewiß so, wie die Sprache sich ergibt, so muß der Geist hereinströmen, denn der ganze Geist ist wohl nur ein Übersetzen des Geist Gottes in uns. Gute Nacht.

Bettine


An die Bettine

Du meinst, wenn Du taumelst und ein bißchen trunken bist, das wär unaussprechlicher Geist? – und Du besäufst Dich aber auch gar zu leicht – weil Du den Wein nicht verträgst; Du meinst, es müßten neue Sprachquellen sich öffnen, um Deine Begriffe zu erhellen. Werd ein bißchen stärker oder trinke nicht so viel auf einmal, wolltest Du Dich fester ins Auge fassen, die Sprache würde Dich nicht steckenlassen.

Von der Sprache glaub ich, daß wohl ein Menschenleben dazu gehört, um sie ganz fassen zu lernen, und daß ihre noch unentdeckten Quellen, nach denen Du forschest, wohl nur aus ihrer Vereinfachung entspringen. Den Rat möchte ich Dir geben, daß Du bei Deinem Aussprechen von Gedanken das Beweisen aufgibst, dies wird Dir's sehr erleichtern. Der einfache Gedankengang ergießt sich wohl von selbst in den Beweis, oder was das nämliche ist: die Wahrheit selbst ist Beweis. Beweislos denken ist frei denken; du führst die Beweise zu Deiner eignen Aushilfe. Ein solches freies Denken vereinfacht die Sprache, wodurch ihr Geist mächtiger wird. Man muß sich nicht scheuen, das, was sich aussprechen will, auch in der unscheinbarsten Form zu geben, um so tiefer und unwidersprechlicher ist's. Man muß nicht beteuern, weil das Mißtrauen gegen die eigne Eingebung wär – nicht begründen, weil es eingreift in die freie Geisteswendung, die nach Sokrates vielleicht Gegenwendung wird, und nicht bezeugen oder beweisen wollen in der Sprache, weil der Beweis so lang hinderlich ist, dem Geist im Wege ist, bis wir über ihn hinaus sind, und weil diese drei Dinge unedel sind sowohl im Leben wie im Handeln wie im Geist. Es sind die Spuren des Philistertums im Geist.

Freier Geist verhält sich leidend zur Sprache, und so verhält sich auch die Sprache leidend zu dem Geist, beide sind einander hingegeben ohne Rückhalt, so wird auch keins das andre aufheben, sondern sie werden sich einander aussprechen ganz und tief. – Je vertrauungsvoller, um so inniger. – Wie es in der Liebe auch ist. – Was sollte also die Sprache am Geist zu kurz kommen? – Liebe gleicht alles aus. – Trete nicht zwischen ihre Liebkosungen, sie werden einander so beseligen, daß nur ewige Begeisterung aus beiden strömt. – Und hiermit wär Deine Ahnung von der Gewalt des Rhythmus wohl auch berührt, beweisen wollen wir ja nicht. –

Alles, was wir aussprechen, muß wahr sein, weil wir es empfinden. Mehr müssen wir für andre auch nicht tun, denn das sondert jene nur von dem kindlichen ursprünglichen Begriff. – Wir müssen des andern Geist nicht als Gast in unsre Begriffe einführen, so wie ein Gast auch weniger das Heimatliche begreift; er muß selbst durch das Mangelnde im Ausdruck auf die Spur des Begriffs geleitet werden, da nur im unverfälschten Vertrauen oder im vollkommnen Hingehenlassen, selbst in scheinbar Nachlässigem (was doch nur vertrauungsvolle heilige Scheu der Liebe ist) sich der Geist oft erst orientiert; zum wenigsten wird's ihm viel leichter. – Mag nicht oft tiefere Wahrheitsspur verschwunden sein, wo nach ihrer Bekräftigung suchend ihr ursprünglicher Keim verletzt wurde.

Haben nicht die geistschmiedenden Zyklopen mit dem einen erhabenen Aug auf der Stirne die Welt angeschielt, statt daß sie mit beiden Augen sie gesund würden angeschaut haben? – Das frag ich in Deinem Sinne die Philosophen, um somit hier alle weitere Untersuchung aufzuheben, und erinnere mich zu rechter Zeit an Deine leichte Reizbarkeit.

Leb wohl! an meinem Fenster gibt's heute zu viel Einladendes, als daß ich widerstehen könnt der Muse, die mich dahin ruft. – Leb wohl! ich habe Dich recht lieb.

Karoline

Mit Dir kann ich so sprechen, Du verstehst es, kein andrer wahrscheinlich. – Oder wer müßte das sein? –


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