Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Günderode

Hab ich Dir denn nicht vom Koch erzählt, der mich wöchentlich zweimal kreuzigt mit dem Generalbaßunterricht? – und daß er mir alles korrigiert, was ich komponiere? – er schneidet mir alles zurecht, bis nicht ein Ton mehr, nicht ein Taktteil am alten Fleck sitzt, und wenn er's so weit verputzt hat, daß es sich ausnimmt wie ein geschorner Blumenstrauß, so hängt er ihm noch Manschetten an aus seiner eignen Garderobe. Arnims irdische Lieder werden da heilige Märtyrer unter meinem Musikstudium, und ihre Seligkeit kann ich weder durch Vor- noch Nachspiel ausdrücken und tröste mich damit, daß Seligkeit etwas ist, was nie eines Menschen Ohr gehört hat. – Aber mit meiner Musik geht es im ganzen schlecht, das leugne ich Dir nicht, das ist aber nicht far niente, es ist unüberwindliche Schweigsamkeit in meiner Kehle, ich muß vermuten, daß es für die Menschenarten wie die Vögelarten gewisse Zeiten gibt im Jahr, wo sie den Drang zum Singen haben. In Offenbach, das war im Juni und Juli, da wacht ich gleich mit Singen auf, und abends stieg ich immer hoch, wie die Vögel in den besonnten Gipfel fliegen, um der scheidenden Sonne nachzusingen, da war der Taubenschlag meine Tempelzinne, da kamen mir Melodien, sie entsproßten aus leiser Berührung zwischen Ton und Gefühl, sie lösten die Fesseln dem, was in meiner Brust wie im Kerker schmachtete, dem gaben sie Flügel auf einmal, daß es sich heben konnt und ganz frei ausdehnen. – Ich hab oft darüber gedacht, daß Musik so leicht und gleichsam von selbst sich melodisch ins Metrum füge, die doch vom Verstand weit weniger erfaßt und regiert wird wie die Sprache, die nie ohne Anstrengung das Metrum des Gedankens ergründet und entwickelt. Die Melodie, die so in der Singezeit auffliegt, in sich fertig gebildet der Kehle entsteigt, ohne von dem Geist gebildet zu sein, ist so überraschend, daß sie mir immer als Wunder erscheint. – Ist die Sprache eine geistige Musik und noch nicht vollkommen organisch gebildet? – sollen vielleicht Gefühl, Empfindung, Geist ineinander durch die Sprache der Poesie organisch verbunden werden als selbständige, wirkende Erscheinungen? – haben Gedichte nicht geistige Verwandtschaften? nicht Leidenschaften? reißt ein Gedicht nicht das andre mit Flammenglut an sich, sind Dichtungen nicht bloße Begeisterung, heiße Leidenschaft füreinander? – Spricht ein Gedicht Liebe aus, dann muß es ja in sich liebend sein – es entzündet ja! – Ich muß ja jeden Gefühlschritt, jeden Atemzug mitleben, ich lieb ja so heiß wie die gedichterzeugende Begeisterung der Liebe.

Es wär Frevel, wollt ich dichten, weil ich den Wein trinke und im Rausch den Gott empfinde, weil der Vergötterungstrieb des Geistes mich durchschauert. Ich kann's nicht erzeugen, das Göttliche, so sag ich Dir, und doch – es ist mir gewiß, daß ich es inbrünstig liebe und es auch im einfachsten Keim erkenne, aber ich selbst werd nicht Lieb erzeugen, so wenig als ein Gedicht, ich fühl's, und es liegt auch ein geheimer Widerspruch in mir, daß ich nicht gestört sein will in der inneren Werkstätte meines Geistes durch Gegenliebe. Es begegnet mir aber nichts oder wenig in der Menschenwelt, was einfach genug ist, was ganz reiner Lebenstrieb ist – was mich rührt wie der Grashalm – die frischen Spitzen der Saat, ein Vogelnest, mit Treue gebaut, das Blau des Himmels! – das alles ergreift mich, als ob's menschlich wär; und inniger wie das Menschliche, und die Entzückungen, die es mir erregt, von der Natur berührt zu sein, sind, als ob es eine mich mitfühlende Gewalt berühre, und das wird wohl der liebende Inhalt meiner Seele sein und nichts andres.

Es wird Dichtung meiner Natur sein, daß ich so liebe – aufnehmend, hingebend, aber nicht aufgenommen werdend. – Drum! es ist die Liebe, die dichtet den Menschengeist und des Gedichtes Inhalt, ist Liebe ohne Gegenliebe – die höchste elektrische Kraft! – Geistestrieb! – – der meinige! – –

Vielleicht sind Naturen Gedichtkeime, die sollen ohne Fehl sich entwickeln, und ist das ihr einziger Beruf. Ich wollt, ich sproßt aus einem großen Dichtergeist, der allerhaben fühlt und menschlich doch auch; – keine üppige, schwärmende Aufregung, nein, süße Naturkraft, selbst bewußte – gefühlige – die aus Innigkeit mich erzeugte – aus beglückendem Reiz des Frühlingslichts! Ja, ich wollt, ich wär kein schlecht Gedicht. Gedrängter quellet, Zwillingsbeeren, und reifet schneller und glänzendvoller! Euch brütet der Mutter Sonne Scheideblick, euch umsäuselt des holden Himmels fruchtende Fülle; euch kühlet des Mondes freundlicher Zauberhauch, und euch betauen – ach! – aus diesen Augen, der ewig belebenden Liebe vollschwellende Tränen. Dies Gedicht, ist mir's doch als sei ich es! so reifend unter den Berührungen der Natur und unter den Tränen des Dichters. Und wie oft hab ich in der Singezeit dies Lied gesungen und mich ganz drin gefühlt, die wachsende Beere, die der Tau der Liebesträne nährt, der nicht ihr geflossen ist.


Montag

Gestern waren wir in der Elisabetherkirch, der Reif um den Turmknopf war von der Sonn zum Diamant umgeschmolzen, in allen kleinen Rosetten hingen Diamanttropfen; und der Kreis von Rosen, der um die Pforten in Stein sehr fein gemeißelt ist, war ein Diamantkranz! Die Kirch sah aus wie im Brautschmuck. Auf dem Kirchhof spielten die Wipfel im spiegelnden Geschmeide. Die Kirch, von der Wintersonne außen so herrlich geschmückt, war so still innen, so einsam helldunkel, und der Teppich, von den heiligen Händen der Elisabeth gewebt, lag vor dem Altar, erblaßt von Farben ohne Prunk, nicht dem Aug erfreulich, nur der Seele rührend; und da sah ich mich um, daß nur ein blinder Mann an der Tür saß, sonst war die Kirch leer. Da fühlt ich mich elektrisch berührt, wie's der Geist der Poesie mir tut. ›Herbstgefühl?‹ ja – sollt ich meinen Erzeuger nicht lieben? – Die ich im Tau seiner heißen Tränen mich wachsend fühl! – es beredet mich in der Einsamkeit der Geist der Poesie, wenn der Mond mich anhaucht da oben in den Nächten und die Luft spielt um mich, dann fühl ich den Dichter über mir, der um Gedeihen für mich fleht zu ihnen und gibt die vollschwellende Träne hinzu. Nur den Zwillingsbeeren, die frisch und kindlich zu ihm aufstreben, keinem andern schenkt er der ewig belebenden Liebe Tau, so kann ich ja nichts anders sein wollen als die herbe Traube, die milde reift von seinen Feuertränen; ich hab mir's einmal so gesagt und sage mich nicht davon los, wie es auch mein inneres Sein ausspricht und mein Schicksal unter den Menschen.

Es ist ein großer Unterschied zwischen den Geistern der Poesie. Manches ist die Natur selbst, die mit deutlichen, sinnlichen Worten mich anredet, manches ist vom Genius nach allen Richtungen geprüfter Geist, der, in der Unsterblichkeit einfachem Stil, die Seele beruft, daß sie den Göttern den Herd weihe und mir immer des Göttlichen gedenke – der Genius bleibend werd ein ihr in großen Gestalten heilig kühner Gedanken. Und so sind viele Bewegungen im Geist gar verschieden, als könne die Poesie die Seelen rühren wie Saiten, die erbrausen im Feuer und wieder still und schüchtern aufblühen, wie Keime, die sich umsehen im Lebenslicht, neu geboren, nicht begreifend dies Leben, aber zum Leben vereint. Wenn ich Dir dies sagen könnt, was mich ohnmächtig macht, daß ich schüchtern werd und mich wehre gegen den Eindruck, als müsse ich ihm mein Ohr versagen, und ihm doch heimlich lausche, weil's mich hinreißt, und weiß nicht, ob's der Klang ist oder der Inhalt, und wie beide wechselnd mich bewältigen und wie ich – ja, ich will Dir's sagen: – Ein göttlich persönlicher Geist dringt auf mich ein, den ich lieben will, lieben muß ich im Gedicht, daß ich herzzerrissen bin von großer Wehmut. – Nein, mehr! – Tiefer geht's: – daß ich ausbrechen muß in ein schmerzlich Ach. – Und wenn ich's nicht fühlte, dies Geistige, Persönliche in der Dichtung – über mir schwebend, wie beglückt über seinen Triumph, ich glaub, ich müßte wie wahnsinnig ihm nachirren – aufsuchen und nicht finden – und wiederkommen und mich besinnen und vergehen dran; und das ist der Goethe, der so wie Blitze in mich schleudert und wieder heilend mich anblickt, als tuen ihm meine Schmerzen leid, und hüllt meine Seele in weiche Windeln wieder, aus denen sie sich losgerissen, daß sie sich Ruhe erschlummere und wachse, schlummernd – im Nachtglanz, in der Sonne; und die Luft, die mich wiegt, denen vertraut er mich, und ich mag mich nicht anders mehr empfinden zu ihm als in diesem Gedicht, das ist meine Wiege, wo ich mich seiner Teilnahme, seiner Sorge nah fühle und seine Tränen der Liebe auffang und mich wachsend fühle. – Du hast gesagt, wir wollen ihn sehen, den Großen, Wolkenteilenden, Ätherdurchglänzenden, und ich hab gesagt, ja, wir wollen ihn sehen! – aber wie ich's gesagt hatte, aus Liebe und Mitfühlen mit Dir, da wurd ich eifersüchtig und weinte zu Haus in der Einsamkeit bittere Tränen, weil ich's gesagt hatte: wir wollen ihn sehen! – und das kommt daher, weil er so lange schon mächtig mir die Seele besaitet hat und dann hineingreift, sturmaufregend, und mich sanft wieder einlullt wie ein Kind – und ich bin gern das Kind, auf dem sein Blick befriedigt weilt. Und wär ich nicht genährt von der Natur und wie es aus tiefster Brust ihm hervorquillt! – wie könnt ich sein, wie ich bin? – und weiter will ich doch nichts sein. Und ich weiß gewiß, und nicht alle sind geeignet wie ich, daß der Geist persönlich aus der Dichtung hervor über mir walte und mich reife in seiner geheimsten Seelentiefe vollschwellendem Übermaß. Aber sag Du! wie könnt ich atmen und ruhen und keimen, wär's nicht in jener Wiege seines Gefühls, im Gedicht? Und nicht wahr, ich lieg wohl gebettet, und kannst mir's nicht süßer wünschen? ja, Du verstehst es, wie ich's meine; in den ›Manen‹ hab ich mich zurechtgefunden in Dir, daß Du alles Leben verstehst, und viel tiefer! – denn ich empfinde nur, was Deines Geistes Spur Dir lehrt, Du aber weißt alles.


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