Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Bettine

Ich habe die Zeit über recht oft an Dich gedacht, liebe Bettine. Vor einigen Nächten träumte mir, Du seist gestorben, ich weinte sehr darüber und hatte den ganzen Tag einen traurigen Nachklang davon in meiner Seele. Als ich den Abend nach Hause kam, fand ich Deinen Brief; ich freute mich und wunderte mich, weil ich glaubte, einen gewissen Zusammenhang zwischen meinen Träumen und Deinen Gedanken zu finden.

Gestern abend ist Clemens hier angekommen, ich wollte, Du wärst hier, es würde ihm viel behaglicher und heimlicher sein, ich glaube, wenn Du nicht bald hierher kömmst, so geht er nach Trages.

In diesem ganzen Brief ist wohl noch kein einziges Wort, was Dich erfreut? Du drehst das Blatt herum und siehest, ob nicht eine Art von russischem Kabriolett gefahren kommt; aber es will nichts kommen; weißt Du warum? weil ich ihn in der ganzen Zeit nur zwei Minuten gesehen habe; weil er geritten kam und weil er kein vernünftiges Wort gesprochen hat. Sei lustig, Bettine, und laß Dir nicht mit Kabrioletts im Herzen herumfahren.

Grüße den Savigny recht freundlich von mir, erinnere ihn doch zuweilen an mich; ich habe ihn sehr lieb, aber nach Trages komme ich doch nicht.

Tue mir den Gefallen und frage die Sanchen, ob ich nicht einen Chignonkamm und eine Kette in Trages hätte liegenlassen? – Wenn Du noch nicht bald wieder zu uns kommst, so schreibe mir wieder, denn ich habe Dich lieb; sage mir auch, wie Ihr lebt.

Karoline

Grüße doch auch die Gundel von mir. Auf meiner Heimfahrt von Hanau hab ich das Gespräch gedichtet; es ist ein bißchen vom Zaun gebrochen. – Ich wollt, die Prosa wär edler, das heißt: ich wollt, sie wär musikalischer; es enthält viel, was wir im Gespräch berührt haben. Du schreibst mit mehr Musik Deine Briefe; ich wollt, ich könnt das lernen.
 

Die Manen

Schüler Weiser Meister! ich war in den Katakomben der Schwedenkönige, ich nahte mich dem Sarg des Gustav Adolf mit sonderbarem, schmerzlichem Gefühl, seine Taten gingen an meinem Geist vorüber, ich sah zugleich sein Leben und seinen Tod, seine überschwengliche Tatkraft und die tiefe Ruhe, in der er schon dem zweiten Jahrhundert entgegenschlummert; ich rief mir die grausenvolle Zeit zurück, in der er lebte, mein Gemüt glich einer Gruft, aus der die schwankenden Schatten der Vergangenheit heraufsteigen. Ich weinte so heiße Tränen seinem Tod, als sei er heute erst gefallen. Dahin! Verloren! Vergangen! sagte ich mir, sind dies des großen Lebens Früchte alle? – Ach! – ich mußte die Gruft verlassen, ich suchte Zerstreuung, ich suchte andre Schmerzen, aber der unterirdische trübe Geist verfolgt mich, ich kann die Wehmut nicht loswerden, die wie ein Trauerflor über meine Gegenwart sich legt, dies Zeitalter ist mir nichtig und leer, sehnlich und gewaltig zieht mich's in die Vergangenheit dahin! Vergangen, so ruft mein Geist. O möcht ich mit vergangen sein und diese schlechte Zeit nie gesehen haben, in der die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verloren ist.

Lehrer Verloren ist nichts, junger Schüler, und in keiner Weise, nur das Auge vermag nicht des Grundes unendliche Folgenkette zu übersehen. Aber willst Du auch dies nicht bedenken, Du kannst doch nicht verloren nennen und dahin, was so mächtig auf Dich wirkt. – Dein eigen Geschick, die Gegenwart bewegen Dich so heftig nicht wie das Andenken des großen Königs, lebt er da nicht jetzt noch mächtiger in Dir als die Gegenwart, oder nennst Du nur Leben, was im Fleisch und im Sichtbaren fortlebt, und ist Dir dahin und verloren, was noch in Gedanken wirkt und da ist?

Schüler Wenn es Leben ist, so ist es doch nicht mehr als Schattenleben, dann ist die Erinnerung des Gewesenen mehr als die bleiche Schattenwirklichkeit.

Lehrer Gegenwart ist ein flüchtiger Augenblick; sie vergeht, indem Du sie erlebst; des Lebens Bewußtsein liegt in der Erinnerung; in diesem Sinn nur kannst du Vergangenes betrachten, gleichviel ob es längst oder eben nur vorging.

Schüler Du sprichst wahr! – So lebt denn ein großer Mensch nicht nach seiner Weise in mir fort, sondern nach der meinen. Wie ich ihn aufnehme, wie und ob ich mich seiner erinnern mag?

Lehrer Freilich lebt das nur fort in Dir, was Dein Sinn befähigt ist aufzunehmen, insofern es Gleichartiges mit Dir hat; das Fremdartige in Dir tritt nicht mit ihm in Verbindung, darauf kann er nicht wirken, und mit dieser Einschränkung nur wirken alle Dinge. Wofür Du keinen Sinn hast, das geht Dir verloren wie die Farbenwelt dem Blinden.

Schüler So muß ich glauben, nichts gehe verloren, da alle Ursachen in ihren Folgen fortleben, daß sie aber nur wirken auf das, was Empfänglichkeit oder Sinn für ihn hat. –

Der Welt mag genügen an diesem Nichtverlorensein, an dieser Art fortzuleben, mir ist es nicht genug; ich möchte zurück in der Vergangenheit Schoß, ich sehne mich nach unmittelbarer Verbindung mit den Manen der großen Vorzeit.

Lehrer Hältst Du es denn für möglich?

Schüler Ich hielt es für unmöglich, als noch kein Sehnen mich dahin zog; gestern hätte ich noch jede Frage danach für töricht gehalten, heute wünsche ich schon, die Verbindung mit der Geisterwelt wäre möglich, ja mir deucht, ich wäre geneigt, sie glaublich zu finden.

Lehrer Mich deucht, die Manen des großen Gustav Adolf haben Deinem innern Auge zum Lichte verholfen. So vernehme mich denn. So gewiß alles Harmonische in Verbindung stehet, es mag sichtbar oder unsichtbar sein, so gewiß sind auch wir in Verbindung mit dem Teil der Geisterwelt, der mit uns harmoniert. Ähnliche Gedanken verschiedener Menschen, auch wenn sie nie voneinander wußten, ist in geistigem Sinn schon Verbindung; der Tod eines Menschen, der in solcher Berührung mit mir steht, hebt sie nicht auf; der Tod ist ein chemischer Prozeß, eine Scheidung der Kräfte, aber kein Vernichter; er zerreißt das Band zwischen mir und ähnlichen Seelen nicht, aber das Fortschreiten des einen und das Zurückbleiben des andern kann wohl diese Gemeinschaft aufheben, wie einer, der in allem Trefflichen fortgeschritten ist, mit dem unwissend gebliebenen Jugendfreund nicht mehr zusammenstimmen wird. Du wirst dies leicht ganz allgemein und ganz aufs Besondere anwenden können.

Schüler Vollkommen! – Du sagst, Harmonie der Kräfte ist Verbindung; der Tod hebt diese Verbindung nicht auf, da er nur scheidet und nicht vernichtet.

Lehrer Ich fügte hinzu, das Aufheben dessen, was diese Harmonie bedingt, müßte auch notwendig diese Verbindung aufheben – eine Verbindung mit Verstorbenen kann also statthaben, insofern sie nicht aufgehört haben, mit uns zu harmonieren.

Schüler Ich kann es fassen.

Lehrer Es kommt nur darauf an, diese Verbindung gewahr zu werden. Bloß geistige Kräfte können unsern äußern Sinnen nicht offenbar werden; sie wirken nicht durch Aug und Ohr, sondern durch das Organ, durch das allein eine Verbindung mit ihnen möglich ist: durch den innern Sinn; auf ihn wirken sie unmittelbar. Dieser innere Sinn, das tiefste und feinste Seelenorgan, ist bei fast allen Menschen unentwickelt und nur dem Keim nach da. – Das Weltgeräusch, der Menschheit Handel und Wandel, der nur oberflächlich und nur die Oberfläche berührt, lassen es zu keiner Ausbildung, zu keinem Bewußtsein kommen; so wird es nicht erkannt, und was sich zu allen Zeiten in ihm offenbarte, hat viele Zweifler und Schmäher gefunden, und bis jetzt ist sein Empfangen und Wirken nur in seltnen Menschen die individuellste Seltenheit. – Ich will nicht ungeistigen Gesichten und Geistererscheinungen das Wort reden, aber ich fühle deutlich, daß der innere Sinn so hoch angeregt werden kann, daß die innere Erscheinung vor das körperliche Auge treten kann, wie auch umgekehrt die äußere Erscheinung vor das geistige Auge tritt; so brauch ich nicht durch Betrug oder Sinnentäuschung alles Wunderbare zu erklären, doch weiß ich, man nennt in der Weltsprache diese innere Entwicklung der Sinne Einbildung.

Wessen Geistesgabe Licht auffängt, der sieht dem andern unsichtbare, mit ihm verbundene Dinge. Aus diesem innern Sinn sind die Religionen hervorgegangen und so manche Apokalypsen alter und neuer Zeit. Aus dieser Sinnenfähigkeit, Verbindungen wahrzunehmen, die andere, deren Geistesauge verschlossen ist, nicht fassen, entsteht die prophetische Gabe, Gegenwart und Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden, den notwendigen Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen zu sehen; Prophezeiung ist Sinn für die Zukunft. Man kann die Wahrsagerkunst nicht erlernen, der Sinn für sie ist geheimnisvoll, er entwickelt sich geheimnisvoller Art, er offenbart sich oft nur wie ein schneller Blitz, der dann von dunkler Nacht wieder begraben wird. Man kann Geister nicht durch Beschwörung rufen, aber sie können dem Geist sich offenbaren, das Empfängliche kann sie empfangen, dem inneren Sinn können sie erscheinen. –

Der Lehrer schwieg, und sein Zuhörer verließ ihn. Mancherlei Gedanken bewegten sein Inneres, und seine ganze Seele strebte, sich das Gehörte zum Eigentum zu machen.


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