Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Günderode

Die Frankfurter haben mir geschrieben und haben mich schon ausgepelzt mit allerlei verwunderlichen Prophezeiungen. – Erstens: ich soll mir häusliche Tugenden angewöhnen. Zweitens: wo ich einen Mann hernehmen will, wenn ich Hebräisch lern? – So was ekelt einen Mann, schreibt der lieb gut Engels-Franz, als wie die spartanische Suppe; an einen solchen Herd wird sich keiner niederlassen wollen, und eine Schüssel Mathematik, von einem alten schwarzen Juden asseisonniert, sei auch nicht appetitlich, darauf soll ich mir keine Gäste einladen, und der Generalbaß als Dessert, das sei so gut wie eingemachten Teufels-Dr... – Das wär eine schöne häusliche Tafel etc., und man spotte meiner allgemein, daß die Lullu eher geheiratet habe, und dann meint er ganz gutherzig, daß, wenn ich ebensoviel häusliche Tugenden geäußert hätte, ich gewiß auch einen Mann bekommen haben würde. – Ich schrieb ihm, er soll nur immer mitspotten, denn es sei jetzt nicht mehr Zeit, mich zu ändern; und der ganz Jud sei nur in meine Tagesordnung einrangiert, um mich vor dem Mottenfraß der Häuslichkeit zu bewahren, und ich hätt gemerkt, daß man in einer glücklichen Häuslichkeit sonntags immer die Dachziegel gegenüber vom Nachbar zähle, was mir so fürchterliche Langeweile mache, daß ich lieber nicht heiraten will. – Ich hab aber auch dem Doktor einen ironischen Lügenbrief wieder mit Lügen beantwortet und dem Klausner auch einen. Und es sind auch allerlei Anspielungen, recht liebliche auf Dich, die ich mit scharmantem Humor beantwortet hab. So kommst du zuletzt an die Reih.

Dem Clemens hab ich alles übermacht. – Deine eigne Sorge um meine Ausschweifungen im Lernen, die lasse sich legen. Der Wind zaust mich und schüttelt mir alles aus dem Kopf. – Wenn Du meinst, ich könnt was dafür, daß ich nichts kann, da tust Du mir unrecht. Es ist nicht möglich, meine Lerngedanken zusammenzubringen, sie hüpfen wie die Frösche auf einem grünen Anger herum. Meinst Du, ich mach mir keine Vorwürfe? – meinst Du, ich raffel mich nicht alle Tage zusammen? – mit dem festen Vorsatz, es durchzunehmen, bis es mir ganz geläufig ist? – aber weißt Du, was mich zerstreut? – daß ich's allemal schon weiß, noch eh es der Lehrer mir ganz auseinandergesetzt hat, nun muß ich warten, bis er fertig gekaut hat, da nehmen unterdes meine Gedanken Reißaus, und dann ist es nachher nicht, daß ich es nicht gelernt hab, sondern ich hab's nur gar nicht gehört, was er gesagt hat; mit dem Hofmann in Offenbach war's eine andre Sach, er lehrte so problematisch, er ließ mir hundert interessante Fragen, die er freilich oft unbeantwortet ließ, die oft zu ganz fremden Dingen führten, aber dies regte mich an, immer darauf zurückzukehren. Ich will mich damit nicht entschuldigen, ich weiß, daß es ein Fehler, eine Schwäche, eine Krankheit ist; ich geb's auch nicht auf, sie zu bekämpfen, und sollt ich bis an meines Lebens End damit zu tun haben, ich geb's nicht auf, das fortzulernen, was mir einmal Begierde, ja, ich kann wohl sagen, Leidenschaft erregt hat. – Generalbaß! – Wenn Du ahnen könntest, welches Ideal mir in diesem Wort vor den Sinnen schwebt, und welchen alten Manschettenkerl mir die Lehrer vorführen und behaupten, das sei er, Du würdest mich bedauern, daß ich den Genius unter dieser Gestalt sollte wiedererkennen müssen. Nein, er ist es nicht. Die ganze Welt ist eben Philistertum, so haben sie nicht eher geruht, bis sie auch das Wissen dahin gezerrt haben. Wär es frei behandelt mit Genie, dann wär sein Beginnen kindlich, nicht aberwitzig mit lauter Gebot und Verbot, die sich nicht legitimieren: das darfst du nicht, das mußt du – warum? weil's die Regel ist. – Nun aber! – ich fühl's, das soll mich nicht abhalten, und ich werde tun nach Kräften, und das andre wird der Gott meinen mangelnden Kräften zugut halten, und auch mußt Du etwas auf einen bestimmten Naturtrieb rechnen, der mich mit Gewalt zu andern Gedanken reizt, einen Vorteil hab ich davon, meine großen Anlagen werden jetzt sehr in Zweifel gezogen oder vielmehr mir gänzlich abgeleugnet, und meine Genialität gilt für Hoffart und mein Charakter für einen Schußbartel, dem man alle Dummheiten zutrauen kann, ohne ihm eine zum Vorwurf machen zu können. Da fühl ich mich sehr bequem in meiner Haut, und es ist mir noch einmal so behaglich unter den Menschen; – niemand denkt zwar dran, daß ich nie Prätension an jene hohe Eigenschaften machte, von denen man erwartete, daß sie aus dem Ei kriechen würden und daß es nur unser lieber Posaunenengel war, der all diese Dinge über mich hinter meinem Rücken in die Welt hinein trompete, und man gibt mir die Schuld, daß ich ein eingebildeter, aufgeblasner Kerl wär, der meine, seine Phantasie regne Gold; aber das kränkt mich gar nicht und beschämt mich auch nicht, und es steckt mich vielmehr an, daß ich allerliebst dumm sein kann und mich mitfreue, wenn sie mich auslachen, und da lacht man als weiter. –

Du fragst nach Savigny. Der ist eben wie immer. Die höchste Güte leuchtet aus ihm, die höchste Großmut, die größte Nachsicht, die reinste Absicht in allem, das edelste Vertrauen zu dem Willen und Respekt vor der individuellen Natur. Nein, ich glaube nicht, daß es ein edleres Verhältnismaß gibt. Das stört mich also gar nicht, daß er mich hundertmal hoffärtig nennt und daß er über meine Albernheiten lacht und daß er mir noch größere zutraut und daß er keinen Glauben an meinen gesunden Menschenverstand hat, er tut das alles mit so liebenswürdiger Ironie, er ist so gutmütig dabei, so willenlos, einen zu stören, so verzeihend; ei, ich wüßt nicht, wie ich mir's besser wünschen könnte, als so angenehm verbannt zu sein, und ich komme mir vor wie ein Schauspieler, der sich unter einem Charakter beliebt gemacht hat und der diesen nun immer beibehält, weil er sich selbst darin gefällt. Der Clemens klagt zwar und meint, er habe immer keine Antwort von ihm erhalten auf all sein Vertrauen und habe sich immer zurückgestoßen gefühlt – und der Savigny ließe gleichsam das Tretrad der Studiermaschine so lang aus Höflichkeit stehen, bis einer ausgeredet habe; er habe sich oft geärgert, daß wenn er zu ihm ins Zimmer kam, um ihm was warm mitzuteilen, so habe er keine Antwort, nur Gehör erlangt, und kaum sei er drauß gewesen, so rumpelte die Studiermaschine wieder im alten Gleis. – Da hat aber der Clemens unrecht. Erstens ist Savignys Anteil am Leben außer seiner wissenschaftlichen Sphäre nur ein geliehener und vielleicht bloß gutmütig; und dann ist es ein Irrtum vom Clemens, der meint, er müsse ihm Mitteilungen machen, da er sie ihm nicht honoriert oder sich ihm mitteilen will, wo Savigny einer anderen Ansicht über ihn zugetan ist. – Mir fällt's gar nicht ein, ihm etwas der Art sagen zu wollen, mir ist's ganz recht, daß er mir die Fehler und Albernheiten, die in mir nun einmal vorausgesetzt werden, noch als erträglich anrechnet. – »Was willst du wieder für eine Dummheit vorbringen«, sagen sie oft oder: »Ich bitt dich, schwätz nicht so extravagant« oder: »Wie kannst du denn so was sagen, die Leute verstehn dich nicht.« – Und es fallen mir dann auch immer die Extravaganzen ein, und ich sag sie immer nur, um's zu hören, wie ich ausgezankt werd. – Da siehst Du also, es geht mir pläsierlich; und eifersüchtig darfst Du nicht sein, kein Mensch teilt dies Vertrauen, dies tiefere zu Dir – drum aber bin ich auch eifersüchtig auf Dich und oft auch bang, denn nicht allein die Menschen sind mir im Weg, ich fürchte auch jeden Zufall, jede Laune von Dir, jede Zerstreuung, ich möchte Dich immer heiter wissen. Wenn Du Kopfschmerzen hattest, so seh ich mich noch nach ihnen um wie frechen Gewalten, die ich noch auf dem Rückzug verfolgen möcht. – Wenn einer mir schreibt, Du seist still, oder man habe Dich nicht gesehen, oder man glaube, Du seist nicht in der Stadt, das alles kümmert mich, so leichtsinnig ich bin und sobald ich drauf vergesse, so kommt mir die Idee leicht wieder und steigert meine traurigen Gedanken über Dich, denn die hab ich als oft, das ist wahr.

Mein Lehrer in der Mathematik ist mein alter Herbst-Jud. Morgens, an meiner Tür in einem schwarzen Kleid, weißem Kragen, und der Bart spiegelglatt, stand er an meiner Tür und fragte um Erlaubnis, mich zu besuchen, ich freute mich über ihn, er sieht so viel edler aus als die andern Menschen, mit denen man täglich verkehrt, die man in großen Versammlungen sieht; ich hab im Schauspielhaus mich oft vergeblich nach einem erhabnen Gesicht umgesehen. Er setzte sich auch gleich in anständiger Bequemlichkeit an den Tisch, den Arm drauflegend, merkte meine Verwunderung über seine Angenehmheit, lächelte mich an und sah aus wie ein Fürst – ich fragte: »Wo sind Sie denn so lang gewesen?« – »Nun!« sagte er, »was reden Sie doch so fremd, bin ich nicht noch der Alte? – heiß ich nicht mehr: lieber Jud?« – Ich mußt ihm die Hand reichen, ich sagte: »Ja!« – Hättest Du nur die ironische Miene gesehen in dem erhabnen Gesicht und das milde herablassende Lächeln zu mir; – er sagte: »Nicht aus jedem Mund gefällt einem das Ihr oder Du, mit dem der Jude sich muß anreden lassen, aber Ihrem lasse ich's nicht gern abgewöhnen.« – Dir hätte der Mann so viel Freud gemacht, Günderod, er erzählte nur Gewöhnliches aus seinem Leben, von seinen siebzehn Enkeln, wie die sich gefreut haben, ihn wiederzusehen; ich frug nach allen, wie alt sie sind, wie sie aussehen; da sind ihm doch die fünf, die Vater und Mutter verloren haben, die liebsten; von denen sagte er: »Der älteste, der gleicht mir, der hat für nichts Sinn wie für die Mathematik und hält sich so apart.« – »Wie ist denn der dritte, gleicht der Euch auch?« – »Der ist noch ein klein Jüngelchen, aber er verleugnet den Großvater nicht, und die Töchter sind schon so hilfreich, die eine ist dreizehn und die andre elf Jahr, aber sie sorgen fürs Haus und für die Kleidung.« – Das waren alles gewöhnliche Reden, aber wie erfüllt von Herzlichkeit – ganz wie die Natur, mit Enthusiasmus Sorg und Plage tragend. – Er war früher bloß Lehrer der Mathematik und lehrte in Gießen, in Marburg die Studenten, und in der Ferienzeit ging er nach Haus zu den Seinen. – Zwei Söhne und eine Tochter verheiratet; seine Tochter starb, nachdem sie ihren Mann begraben hatte, den sie sehr liebte, und ließ die fünf Kinder zurück. – Der alte Ephraim konnt keinen andern Erwerbszweig ergreifen, sie zu ernähren, als an den er von Jugend gewohnt war, der seine Leidenschaft ist – worüber er so manches Schmerzliche hat vergessen, sagte er – so ist er denn auf dem Heimweg in den Ferien in den nächsten Orten herumgeschlendert und hat alte Kleider eingehandelt, um die seinen Enkeln mitzubringen, denn sie neu zu kleiden, dazu wollte sein Erwerb nicht hinreichen. Nach und nach hat sich der Handel erweitert, alte Hochzeitkleider aus dem vorigen Jahrhundert, verlegne, altmodische Spitzen, die die Kaufleute nicht mehr absetzen, verhandelt er jetzt nach Polen, so war er diesmal in Leipzig – und hat ein sehr gut Geschäft gemacht. – Du hörst, ich hab einen ganz kaufmännischen Stil – ich möcht mit dem Alten Kompagnie machen und die Enkel ernähren helfen, weil aber das doch Schwierigkeit hat, so hab ich einstweilen mathematische Stunde bei ihm, das macht ich ganz kurz, ich sagt ihm: da kommt nur die Woch auch zweimal zu mir, denn ich muß Mathematik lernen; er lachte und wollt's nicht glauben, ich holte ihm aber meine mathematischen Bücher hervor, die Christian mir hiergelassen, und mein Heft, was ich bei dem Christian geschrieben, das gefiel ihm sehr, denn es war meist alles vom Christian diktiert, der wohl der scharfsinnigste Mensch von der Welt ist. – Jetzt hab ich schon drei Stunden ausgehalten und auch allemal seine Aufgaben richtig gemacht, denn ich hab Respekt vor dem Alten, ich möcht um alles nicht ihm die Idee geben, als sei ich ein flatterhafter Schußbartel, wie mich die andern nennen, woran mir gar nichts liegt, aber an ihm liegt mir, weil er so ganz ohne Überspannung doch nicht an meinem Ernst zweifelt, weil er eine so schöne Liebe zu seiner Wissenschaft hat, daß er die für gering achten muß, die das nicht mitfühlen. Und meine Du, was Du willst; aber Du wirst mir recht geben, daß unter solchem Druck, unter so erniedrigenden Bedingungen der Adel des Lebens so frei und untadelhaft bewahrt, daß sie nicht einmal durch das niedrigste Geschäft sich gebeugt fühlt, für eine hohe Seele spricht; daß sie um so mehr recht hat auf unsere feierliche Achtung, als sie vielleicht dem Äußeren nach, der Mißdeutung, der Verachtung ausgesetzt ist; er nannte mich gestern sein liebes Töchterchen und legte mir die Hand auf den Kopf, wie er wegging; ich hielt so still, er strich mir über die Wangen und sagte: »Ja, so!« – das hieß so viel: nun, in dir ruht der Menschenkeim. – Er kommt zwischen drei und fünf, da wird's schon dämmerig, wenn er geht, ich führte ihn durch den Garten und zeigte ihm den Turm, von wo ich die Lande überseh. – Da kann kein Mensch hinauf wie ich, denn seht, die Leiter ist zerbrochen, sagt ich, – und ich hab ihm vorgetragen, wie mir's geht mit dem Generalbaß, er sagt, das wär, weil ich nicht alles zu gleicher Zeit überschaue, warum meine Begriffe stockten; und manches, woran Menschen ihr Leben lang kauten, das müsse von andern in einem Blick erfaßt werden, sonst ging Zeit und Müh verloren; ich sagte, mir sei bang, so werde es mir auch ergehen. »Ich hab doch in meinem Leben noch keine kleine Eichel gesehen, der bang war, es werde kein Baum aus ihr wachsen«, gab er zur Antwort; und dabei legte er mir wieder die Hand auf den Kopf und sagte so freundlich: »Jetzt haben wir die Eichel in die Erde gelegt und gedeckt, und jetzt wollen wir sie ruhig liegenlassen und sehen, was Sonne und Regen tut.« Du glaubst gar nicht, wie fabelig mich der Mann macht, zu den andern darf ich nicht von ihm sprechen, das kannst Du wohl denken, denn sonst würde meine Andacht mir für Verrücktheit ausgelegt werden; aber die Patriarchenwürde strahlt mich an aus ihm, und ich spreche der Welt Hohn, daß solche einfache, große und heilige Charaktere nicht Platz finden unter ihren Lappalien, und überhaupt geh ich nach Vornehmheit, und diese hat der Mann; und seh doch nur einen auftreten in der menschlichen Gesellschaft, ob nicht aller mühselig erzwickter Rang ihn so des gesunden Verstandes beraubt, daß er nur als Narr sich selbst genugzutun glaubt. – Weise sein kann keiner, der der Narrheit eine höhere Überzeugung opfert, denn aller Verstand deucht mir ein Spiel von Aberwitz, wenn der heiligen Weisheit nicht alle Opfer gebracht sind. Das meine ich so: wenn nicht alle äußeren Vorteile, Würden und Ruhm, nichts gelten vor dem inneren Ruf zum Göttlichen. Ich bin noch jung, mir kommt es wohl noch einmal, daß mich das Schicksal frägt – und da werde ich des alten Handelsjuden Ephraim gedenken. – O pfui, wer seinen Umgang wollte richten nach dem äußeren Rang, von Vorurteilen sich wollte Fesseln lassen anlegen und mit denen prangen! – der einzige Stolz, den ich habe, der ist frei sein von ihnen – und der schon auf andern Wegen seinen Vorteil sucht, als in der heiligen Überzeugung seines Gewissens, der ist nicht mein Geselle. – Aber der Jude gibt mir keinen Anstoß, der ist frei von allem. – Adieu.

Bettine
 

Noch eins setz ich hierhin: Alles, was Dir geschieht, soll Dein Geistesleben befördern – so, auf die Weise begreif meinen Umgang mit dem Juden.


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