Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Günderode

Warum Du aufs Landgut grade gehst, wie wir im besten Verkehr sind, das begreif ich nicht; es war schon, als hätt ich Wurzel gefaßt in diesem schönen Briefleben, wie die Erdbeeren beim Erröten fühlt ich einen aromatischen Duft in mir, wenn ich mich heiß geschrieben hatte, Du bist immer unterwegs, ich begreif nicht, wo Du Zeit hernimmst zu allem! – Dies schöne Gedicht! – Wann hast Du's geschrieben? – Es dreht sich im Tanz und spielt sich selbst dazu auf – so leicht, als ob sich's so nur aus Deiner Brust atme ohne Anstoß. – Dein Gedicht, was Du in der klanglosen Stunde geschrieben, ist doch klangreich, es schöpft die Töne aus der Brust und stimmt sie zu Melodien. – Doch weile ich lieber bei dem ersteren, denn das hast Du doch später gemacht, nicht wahr? und fühlst auch wie ich, daß die Schmerzen im Geist immer mit auf die Pein der Langeweile gegründet sind. – Denn nehm's, wie Du willst; bräche das Leben sich mit einmal eine neue Bahn, und wär sie auch noch so uneben und holperig, die Verzweiflung hätt ein Ende. Denn alles Schmerzgefühl, alle Sehnsucht kommt doch nur daher, weil die grade Bahn des Lebens gehemmt ist. – Besinn Dich doch auf unsere Reise-Abenteuer, die wir den Winter miteinander durchmachten; keiner von uns hatte eine trübe Minute, den ganzen Winter nicht, Deine Sehnsucht ins Innere von Asien hinein brachte uns immer unter die wilden Tiere. Tiger und Löwen und Elefanten haben uns Schabernack gespielt. Was haben wir für Sonnenhitz ausgestanden mitten im Eis; erst später merkte ich, wie sehr wir uns in dies Leben vertieft hatten, da alle Leute diesen Winter als einen der kältesten durchgehustet haben. Weißt Du, am Neujahrstag kam ich zu Dir! alle Räder pfiffen an den vielen Staatswagen, die gepuderten Kutscher mit den rotgefrornen Gesichtern! – da kam ich zu Dir in die Stube herein und sagte: Gott, es ist so heiß hier in Asien, daß wir nur so hinschmachten, und drauß vor der Tür in Frankfurt da hängen dem Kutscher die Eiszapfen am Knebelbart. – Was haben wir gelacht, Günderode; – und haben unter Zimmetbäumen eine Tasse Schokolade getrunken, die wir in Deinem Öfchen kochten mit wohlriechendem Sandelholz; und da kam ein Salamander ins Feuer und färbte sich da in allerlei Farben und warf die Schokoladenkanne um, und wir melkten die weiße Elefantin, die ihr Junges in unserer Nähe säugte, und machten Elefantenbutter; ich wollt als immer Löwenbutter machen, das littest Du nicht, denn Du warst sehr vorsichtig, Du meintest, es sei zu viel Gefahr dabei, die Löwin könne mir einmal wild werden über dem Melken. – Und die Erlebnisse am Ganges und Indus, die schönen Knaben, die uns da begegneten, wo wir uns versteckten und sahen sie vorübergehen und sich waschen in den heiligen Fluten und Gebete tun; da sagtest Du, es müssen wohl Tempelknaben sein, wir müssen nach dem Tempel hier in der Gegend suchen. Da führte eine Allee von großen Tulipanen hin, die hab ich entdeckt; wir brachten stundenlang hin mit der Bewundrung der Blumen, und da waren Goldfruchtbäume und Trauben und Melonen, alles das wuchs in schönster Fülle rund um die Säulen der Tempel, zu denen wir fremde Völkerstämme hinwallen sahen; da sagtest Du einen Hymnus her, den hätten sie gesungen beim Sonnenaufgang: Ätherwüste! – so fing Dein Hymnus an, und ich machte eine Melodie drauf, die ließest Du Dir vorsingen zur Zither von mir – und Du hörtest zu so still, als wär es indischer Tempelgesang; abends im Mondschein, das war unsre beste Zeit, wo wir phantasierten, und hielten uns einander bei den Händen, wenn wir die Berge hinanstiegen, und ruhten unter Dattelbäumen aus; Du machtest immer die Reiseroute, weil Du die Kenntnisse des Landes hattest, und da stiegen wir auf einen Berg, der hieß Bogdo, von da aus, sagtest Du, könne man alle Gebirgsketten übersehen, da eilte ich mich, voranzukommen, um zuerst oben zu sein, und da schrie ich Dir entgegen, ich sähe das rote Korallenmeer mit der Todespforte. Da hatte ich mich aber geirrt, denn Du bewiesest mir, daß man es von da aus nicht sehen könne, da es an der Grenze von Afrika liege, und der Bogdo liege in der Mitte von Hochasien. – Wir waren doch so glücklich; wie schwärmte mein Kopf von brennenden Farben der Blütenwelt, wie waren wir entzückt vom Duft, der uns umwallte! – das dauerte den ganzen Winter, und kein Mensch wußte, daß wir in einer südlichen Welt lebten, wir gingen grade in den Gärten von Damaskus spazieren, ganz entzückt von dem Blumenparadies und trunken von ihrem Duft, da kam der alte Herr von Hohenfeld und brachte Dir das erste Veilchen, was er auf seinem Spaziergang im Stadtgraben gefunden hatte. Ach, da verließen wir Damaskus und ließen uns von Hohenfeld hinausführen, wo er das Veilchen gefunden hatte, und suchten noch mehrere; und von da an war der Zauber aufgehoben, und wir lachten recht, daß uns das Veilchen so schnell aus Asien herübergezaubert hatte nach Frankfurt auf die alten Festungswälle, denn wir gingen von nun an in den schönen Frühlingstagen jeden Mittag hinaus und machten uns Kränze, die standen Dir so schön, so war die geringste Wirklichkeit schon wieder ein Paradies für uns. Sieben Spaziergänge haben wir so gemacht, Günderode, ich hab mir sie gezählt, sie kamen mir wie das Köstlichste im Leben vor. Du saßest immer unter der großen Eiche und bedauertest Deinen arabischen Renner, daß Du den nicht mit aus Asien herübergebracht hattest; während ich am Abhang niederkletterte, wo Du immer Furcht hattest, daß ich hinunterfalle; am Neujahrstag war ich wirklich da hinuntergekollert, ich war mit George da spazieren gegangen, es war Glatteis, ich glitt aus, und er den Augenblick, ohne sich zu besinnen, mir nach, da faßte er mich und hielt sich mit der andern Hand an einer Wurzel fest. Er war ganz blaß und wankte, denn er konnte schwer das Gleichgewicht halten. Oben sagte er: »Jetzt wären wir beide zerschmettert, hätte Gott mir nicht beigestanden; denn ich hätte mich dir nachgestürzt.« – Ich war bis dahin gar nicht erschrocken gewesen, denn ich bin so faselig und merk nie die Gefahr. – Aber das erschütterte mich, daß des Bruders Leben an dem meinen hing wie an einem Haar und daß es Gott nicht reißen ließ. – Wie Geschwister doch aneinander hängen, wie Glieder eines Leibes, eins stürzt dem andern nach in den Abgrund; eins rettet das andere. Möge ich's doch nie vergessen, daß Vater und Mutter mir den Bruder geschenkt haben. –

Was wollt ich Dir doch sagen! – ja, daß damals mir zuerst der Gedanke kam, wie das Leben nur als Notbehelf vernutzt werde. Ich dachte, daß wir Gedanken haben so rasch und daß die Zeit hintennach kommt und mag nichts erfüllen und daß die Melancholie allein aus dieser Quelle des Lebensdrang fließt, der sich nirgend ergießen kann. – Die Welt muß voll dessen sein, was unser Leben entwickelt; kämen die Taten und überflügelten unsere Sehnsucht, daß wir nicht immer ans Herz schlagen müßten über den trägen Lebensgang – nicht wahr, Du fühlst es auch? – das wär die wahre Gesundheit, und wir würden dann scheiden lernen von dem, was wir lieben, und würden lernen die Welt bauen, und das würde die Tiefen der Seele beglücken. So müßte es sein, nichts am rechten Platz. – Und was ich niemand sage wie nur Dir, ich mein immer, ich müsse die ganze Welt umwenden, ja, ich sage Dir, es liegt mir so nahe, daß ich oft in Träumen mich nach dem Zepter umsehe, wo Gott den für mich hingelegt hat, und würde gewiß die Verwirrung lichten. Nur ein einzig Ding, am rechten Ende angefaßt, zieht eine Menge andere nach sich, die von selbst dann ins rechte Geschick kommen würden. Die Menschen lernen dann allmählich auch das Rechte denken, wenn sie erst eine Weile das Rechte haben tun müssen. Denn ich sage nur immer so: konnten sie so fest in der Unnatur sich einwurzeln, wieviel fester und kräftiger dann im Boden, der ihre höhere Natur erzieht. Sollt ich irren? – Menschengeist horcht auf Göttergebot in der eignen Stimme; horcht auf jene heilige Urphilosophie, die ohne Lehre als Offenbarung jedem sich gibt, der mit reinem Willen zur Wahrheit betet. – Das hast Du selber gesagt, es sind Deine eignen Worte. Wie oft hab ich doch einsam um Wahrheit gefleht! – und wie unermeßlich ist doch Vollendung über die Sterne hinauf – und die Zeit darf nicht mehr sein da, wo wir sie gegenwärtig fühlen. – O bessere Tage, wo seid ihr? O kommt uns entgegen, laßt nicht immer nur harren auf euch, daß nicht auch wir nur wie Schattenbilder an euch vorübergehen. Lasset euch dienen, ihr Tage, die ihr den Geist der Liebe sollt hinüberschiffen, still und heimlich euch landen helfen und den Genius aufnehmen, lehren die Menschen, daß sie ihn nimmer verschmähen, der in allem allein nur darf gelten! – so red ich das Morgenlicht an, das mich weckt, und denke dabei Deiner und meiner. – Was sind Freundschaftsbande? – Was ist Zusammenleben und Austausch der Gedanken, wenn der Dritte nicht niedersteigt, der Göttliche – der herab sich läßt, um das Leben genesen zu machen? – Ach – so deutlich steht es geschrieben in meiner Brust! – gefaßt und besonnen muß der Geist sein – das weiß ich – und das Herz ist oft ein ungeduldiger Kranker, aber der Geist wird auch alles für es aufbieten, und eine Höhe muß es geben, wo grade durch den Geist es mit allem Leiden versöhnt werde. – Das denke, wenn es zu hart Dich bedroht, lasse Dir nicht schwindeln und denk, daß Begeistrung immer das höchste Erdenschicksal ist und daß die aus dem Schmerz sich erzeuge wie aus der Freude. – Und mag's kommen, wie's will, so sollen zu Helden wir uns bilden, mit der Freude wie mit dem Schmerz unsre Freiheit erkaufen. – Oh, kommt mir das Feld der Schicksale doch vor wie der Blumengarten Gottes, wo jede Knospe in ihren eigentümlichen Farben sich erschließt, der weise Gärtner gibt Schatten den einen und Kühle und harten Boden, den andern Sonne und fruchtbare Erde, so wie jedes bedarf zum Blühen. – Und das Blühen ist ja die Erfüllung aller Sehnsucht. Drum lasse uns das Leben lieben, weil es uns zu dieser Blüte bringt, und denken, die Wolke über uns schütte sich aus, den Staub von uns abzuwaschen, und daß dann die Sonne aufs neue uns anglänzt. Ich bin traurig – ich kann nicht von Dir los – Dein Lied schmerzt mich – ja, es weckt Melodien – aber so schmerzliche, daß ich in ihrem Gesang den Widerhall Deines Wehs empfinde und mich schäme, daß ich so heiter war diese Zeit über, an jedem Weg mir Blumen sammelte und Dir zuwarf in Scherz und Übermut, und das war schlecht lieben gelernt von mir; wo ich doch herausgezogen war, um dieser Schule mich ganz zu widmen.

Was werd ich dem Clemens sagen, wenn er auf meine Bildung zu sprechen kommt? – Ich freu mich sehr auf den Clemens, das wird mich für Dein Fortlaufen trösten; ich mag gar nicht dran denken, daß Du mit so viel Menschen umgehen kannst, mit denen ich kein ungescheut Wort zu sprechen vermag. Wie ist mir doch Hören und Sehen verkürzt durch dein Weggehen! – Gestern abend noch blies mir die hundertjährige Cousine das Licht aus; ich solle nicht die ganze Nacht durch schreiben, meinte sie, oder sie wolle es der Großmama sagen, daß ich meine Gesundheit verderbe; ich hatte einen Schachteldeckel vors Licht gestellt, daß sie's nicht sehen sollt durchs Schlüsselloch, aber sie bemerkte den Widerschein; – ich sagte: »Sie alte Hundertjährige, was will Sie mit mir auf der Welt, Sie kann doch unmöglich noch einmal hundert Jahr leben, dann gehen wir zusammen.« – »Nein, wenn du's so machst, dann kannst du mir nit emal Quartier bestellen, ich überleb dich hundertmal.« Ich mußt mir's gefallen lassen, das Licht war aus, ich nahm sie aber dafür auf den Arm und trug sie mitsamt ihrem Laternchen hinunter auf ihren Ledersessel. Sie schrie erst, ich werde sie der Treppe herunterwerfen, aber mitten in der Todesgefahr war sie vor Angst ganz still, unten auf dem Sessel wollte sie anfangen zu zanken, ich nahm aber ihr Federbett und warf's ihr auf den Kopf und lief fort. – Jetzt kommt sie gewiß nicht wieder. – Obschon ich müde war, hätt gern noch geschrieben, was ich jetzt nicht mehr weiß, heut schwärmt mir's nur vor Augen und Ohren, daß Du nicht mehr auf Deinem alten Plätzchen meine Briefe bekommen sollst. Die Großmama hatte gestern einen Anfall von Schwindel, ich mag nicht nach Frankfurt verlangen, und auch mag ich nicht hin, was soll ich dort, wenn Deine Haiden, Deine Holzhausen, Dein Nees Dich in Beschlag nehmen! – Ich glaubte, ja wahrhaftig, ich glaubte, ich wär Dir lieber wie die andern, und es wär Dir ernst mit unsrer religiösen Weltumwälzung, wie's auch mir ist, und so war's auch recht von Gott angeordnet, daß wir beide nicht beisammen und doch so nah waren, daß jeden Tag unsere Briefe sich erreichten, so kam es doch zu Papier, sonst hätten wir's verschwätzt. Was hilft's' – Übermorgen gehst Du bis Würzburg, das liegt außer der Welt und läßt mich hier auf dem Dach vom Taubenschlag schmachten. – Wenn Du gut sein willst, so komm morgen früh um sieben Uhr auf die Gerbermühl; hierher komme nicht, weil die Großmama unwohl ist, da ich jetzt immer in ihrem Vorzimmer bin, aber bis morgen um zehn Uhr, wo ich erst zu ihr gehe, kann ich mit Dir sein; um sechs Uhr geh ich auf die Gerbermühl, der George läßt Dich hinfahren, ich hab's ihm geschrieben. Hinter der Mühl in dem langen Heckengang auf dem Stein am Kreuz wollen wir uns ein bißchen hinsetzen zusammen; du kannst nach der Stadt zurückfahren, Du kannst auch das Kabriolett zurückschicken und zu Wasser heimfahren, das wär mir lieber, damit du nicht ängstlich sein sollst, ums Kabriolett halten zu lassen, solang mir beliebt. Ach, am Sonntag hab ich auch eine Wasserfahrt gemacht mit Jeannot und Dorwille auf Bernhards Nachen hinter dem Schiff mit der Harmonie; alles war in Scherz und Liebesreden begriffen, wenn die Musik pausierte, ich aber hatte keinen Anteil dran, der Gärtner saß am Steuer, dem wollt ich nicht leid tun, er hatte schöne feine Hemdärmel und mein Schnupftuch um den Hals geknüpft. –


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