Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Bettine

Mit dem Clemens versteh ich Dich oder ahne doch, wie es zusammenhängt; ich hab auch gar nicht die Idee, daß es anders sein solle, nur über das, was er von Dir sagt, wie er Dich ausspricht, und das geschieht oft, ist mir manchmal so wunderlich zumut, weil er ganz prophetisch Dich durchsieht; andre Leute sagen, er schneide auf, und das ist auch eigentlich so, aber er trifft die Wahrheit, wie ich unter allen allein es am besten weiß. – Dann, um seine Extravaganz zu beweisen, fällt wohl alles hinter seinem Rücken über Dich her, was in seiner Gegenwart man nie wagt, wo man immer stillschweigt; mir ist's oft peinlich gewesen, über Dich urteilen zu hören, jetzt aber hab ich diese kleinliche Ängstlichkeit überwunden. Gestern war Ebel, St. Clair, Link, die Lotte und ich im kleinen Kabinett bei der Tonie; da ich weiß, wie weit die Pfeile vom Ziele ablenken, die man gegen Dich schnellt, so hatt ich keine Furcht um Dich; Ebel ist nicht aus persönlichem Widerwillen, sondern aus Abgeneigtheit seiner Natur wider Dich. Und weil er während dem Hiersein von Clemens immer am meisten erdulden mußte, da er aus Zaghaftigkeit seinem Eifer nie auszuweichen wagte, so ist's ihm nicht zu verdenken, daß er jetzt mit vollem Genuß sich schadlos halte. St. Clair schüttelte mit dem Kopf und sah mich an, weil die Lotte perorierte: gänzlicher Mangel an historischem Sinn und gar keine Logik beweise, daß Du ein Narr seist. Er sagte: Gebt ihr eine Fahne in die Hand und laßt sie uns voranschreiten, so führt sie uns sicher, trotz ihrem Mangel an historischem Sinn, zu einem gesunden Wendepunkt der Geschichte. Möcht Ihr mit Eurer Logik in Gefahr schweben, so wird sie ihr entgehen lehren, so unlogisch sie's nach Eurer Weise auch anfangen würde. Und geht doch, sagte er, mit Eurem Weisheitsurteil über ein Naturkind, das von ihr nicht stiefmütterlich behandelt ist; es ist ihr an der Stirne geschrieben, daß ihr keine Sorge zugemessen ist. Er reichte mir die Hand, er sah mir's an, daß es mich freute; auf der Lotte ihre breite Rede, die nun mit verdoppeltem Eifer sich durchdrängte mit ihrer Weisheit, sagte er nichts weiter und keiner; das Gespräch ging aus wie ein Licht, das ein starker Windzug ausgeblasen. – Um so mehr bin ich geneigt, Dich vor allen zu verschweigen. – Der Clemens er wird Dich einst nach hundert Jahren auf dem Berge Arafat finden – wie Adam, als er nach seiner Verbannung aus dem Paradiese die Eva aus den Augen verlor, die in der Nähe von Mekka auf jenem Berge weilte, er aber auf Serendib oder die Insel Ceylon verschlagen war; er kannte sie wohl, ihre Seele war in seine Seele eingeprägt, und suchte sie fleißig; oft auch redete er die wilden Tiere an und die Gewitter auf den Bergen und die Vögel, daß, wenn sie hinziehen und ihr begegnen, sie sollen sie ehren; und so suchte er nach ihr und sprach von ihr zu dem Gevögel und den Pflanzen und Tieren des Waldes, bis der Engel Gabriel den Adam auf den Gipfel jenes Berges bei Mekka führte, wovon der Berg seinen Namen Arafat, heißt auf arabisch: Erkennen, erhielt. – Auf welchem die Pilgrime von Mekka am Tage Arafah, dem neunten im letzten Monat des arabischen Jahres, ihre Andacht auf diesem Berge verrichten. Mag denn Clemens wie Adam den Untieren und Bergklüften von Dir vorpredigen, ich bin zufrieden unterdes, daß du mich zum Hüter Deiner verborgnen Wohnung bestellt hast und mich zum Kerbholz Deiner heimlichen Seligkeiten machst; ich möchte Dir immer stillhalten, so anmutig fühle ich mich bemalt und beschrieben von Deinen Erlebnissen; versäume nichts, schreib mir alles, wie wenn es gesungen wär, wo Du auch keinen Ton auslassen darfst, ohne die Harmonie zu zerstückeln, ich werd gewiß stillhalten und stillschweigen. Und die Gedanken, ›die Dich ergötzen, von denen Du wünschest, daß sie wahr sein mögen, und die von selbst in Dir aufwachsen‹, willst Du sie nicht auch aufzeichnen für mich? – Ich warte alle Tage auf Deine Briefe, mir bangt immer, Du mögest einen Tag überschlagen; bis jetzt warst Du sehr gütig gegen mich – ich geh mit Zuversicht, wenn ich abends nach Hause komme, und fasse den Brief auf meinem Kopfkissen, wo er hingelegt wird von der Magd, im Dunkeln und halt ihn, bis Licht kommt – im Bett lese ich ihn noch einmal, das macht mir gute Gedanken, ich bin auch jetzt ganz heiter, nur kann ich selbst nichts tun. – Deine Erzählungen und Ahnungen beschäftigen mich, ich träum mich in den Schlaf, in dem ich Dir alles nachfühle und nachdenke. Ich hab einen innerlichen Glauben an Deine Schwindeleien von mir; ich ging heut hinaus vors Gallentor, als der Sonnengott hinabstieg, weil Du meinst, es sei meine Zeit mit ihm; ich war auch da ganz durchdrungen von seiner großen Gegenwart, allein beim Nachhausegehen verdarben mir zwei Frankfurter Philister die Andacht, die hinter mir gingen und von Dir und mir sprachen; die Frau sagte zum Mann: Im Stift wird dem Mädchen noch ganz das Konzept verdorben, daß sie am End gar närrisch wird; sie ist so schon zu allen Tollheiten aufgelegt, sie soll im Stiftsgarten immer aufs Dach steigen vom Gartenhaus oder auf einen Baum und von da herunterpredigen – und die lange G...s, die Günderode, steht unten und hört zu. – Jetzt gingen sie an mir vorüber, ich erkannte die Frau Euler mit ihrer Tochter Salome und den Doktor Lehr; der erkannte mich in der Dämmerung und sagte es ihr; sie blieb stehen und sah mich an, bis ich wieder an ihr vorbeigegangen war, was doch gewiß noch dummer war, als wenn ich unterm Baum stehenblieb, wo Du predigst. – Teufel und Donnerwetter ist auch zum Fluchen üblich, hat aber einen anregenden kriegerischen Geist, also unter gewissen Bedingungen, wenn zum Beispiel Du jenes Banner wehen ließest, das St. Clair, Dir Glück und Heil vertrauend, überantworten wollte, allen Philistern zum Trotz, dann magst Du Deiner Zunge den Zügel schießen lassen, bis dann aber lasse Deinen Mut nicht in vergeblichen Ausbrüchen verrauchen.

Adieu! Am Märchen schreib ich nicht. – Der vergißt mit dem Pflug umzudrehen, über den Sternen, die er im Wasser blinken sieht. Leb wohl und gedenke meiner.

Karoline
 

Die Ursache, warum der Streit angegangen war über Dich, war ein Brief von Dir, den Du im achten oder neunten Jahr kurz vor Deines Vaters Tod aus dem Kloster an ihn geschrieben hattest, und der Deinen Vater sehr gefreut haben soll, so daß er ihn in seiner Krankheit oft gelesen; St. Clair hatte ihn vom Clemens, der ihn aufbewahrt, abgeschrieben und sagte, in diesem Brief läge Deiner ganzen Anmut Keim. Das wollte die Lotte nicht zugeben und meinte, es sei lächerlich, nur ihn als Brief zu rühmen, der Clemens verdrehe Dir den Kopf. Der Brief lautete wie folgt, da magst Du selbst Dich beurteilen: Lieber Papa! Nix – die Link (da war eine Hand mit der Feder gezeichnet) durch den Jabot gewitscht auf dem Papa sein Herz, die Recht (wieder eine Hand gemalt) um den Papa sein Hals. Wenn ich keine Händ hab, kann ich nit schreiben

Ihre liebe Tochter Bettine
Fritzlar 1796, am 4ten April

Was mich verstimmte, war, daß die Lotte den Brief fortwährend mit gellender Stimme vortrug und die Dummheit eines achtjährigen Kindes und die Liebe des verstorbenen Vaters nicht schonte; ich warf dem St. Clair vor, daß er ihn herausgegeben hatte; ach! sagte er, ich hab's schon hundertmal bereut. – Man kann ihr auch einst zurufen wie dem Simson: Bettine, Philister über Dir; zum Glück liegt ihre Stärke nicht in den Locken, die man abschneiden kann, sondern im Geist, und der wird sich nicht gefangengeben. Gelt, das ist ein gut Geschichtchen; ich glaub, der St. Clair liebt Dich; die Lotte meinte, Du habest letzt auf der Gerbermühl eine so lange Unterhaltung heimlich mit ihm gepflogen.


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