Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Bettine

Liebe Bettine! – Du drückst mir die Schreibefinger zusammen, daß ich kaum atme, noch weniger aber es wage zu denken, denn aus Furcht, ich könne willkürliche Gedanken haben, denke ich lieber gar nicht, magst Du am Ende meines Briefes fühlen, ob ich in den engen Grenzen meiner geistigen Richtungen Dich nicht verletzte, so daß Dein Vertrauen ohne Hindernis hinabströme zu mir, ja hinab, denn ich bin nichts. So lasse mich denn gesund mit Dir sprechen, da nichts mir fremd ist in Dir, denn in Deine Töne eingehen, das wäre Deinen Lauf stören.

In Dein Lamento über Deine Geschichtsmisere stimme ich ein, sie macht mich mit kaputt, kauf in Gottes Namen ein Paar Beinkleider als Sühneopfer und entlasse Deinen Arenswald in Gnaden. Clemens schreibt, daß ich ihm Antwort schuldig sei; ich wußte nicht, daß er in Marburg ist; wenn Du ihm schreibst, so gib ihm die Einlage; er ist mehr wie unendlich gut gegen Dich, und es ist ein eigen Schicksal, daß unser beider Bemühung, Dich zu einer innern Bildung zu leiten oder vielmehr sie Dir zu erleichtern, nicht gelingen will, so schreibt er mir heute. Unter vielen Witzfaseleien, träumerischem Geseufze und Beteuerungen, daß er gar nicht mehr derselbe sei, ist es das einzige, was auf Dich Beziehung hat. Weil er Dich immer auffordert, Deine phantastischen Ahnungen zu sammeln, diese Fabelbruchstücke Deiner Vergleiche, Deine Weltanschauung in irgendeiner Form niederzulegen, so meinte ich wie ein guter Bienenvater Deinen Gedankenschwärmen eine Blumenwiese umherzubauen, wo Deine Gedanken nur hin und her summen dürfen, Honig zu sammeln. Ein glücklicher Schiffer muß guten Fahrwind haben; ich dachte, Deine Studien sollten wie frischer Morgenwind Dir in die Segel blasen. – Ich schrieb heute an Clemens, es werde sich nicht tun lassen, Deinen Geist wie Most zu keltern und ihn auf Krüge zu füllen, daß er klarer, trinkbarer Wein werde. Wer nicht die Trauben vom Stock genießen will, wie Lyaeus der Berauscher, der Sohn zweier Mütter, der aus der Luna Geborne, endlich sie reifen lasse, der Vorfechter der Götter, der Rasende; – und heilige Bäume pflanzte, heilige Wahrsagungen aussprach.

Der Naturschmelz, der Deinen Briefen und Wesen eingehaucht ist, der, meint Clemens, solle in Gedichten oder Märchen aufgefaßt werden können von Dir; – ich glaub's nicht. In Dich hinein bist du nicht selbsttätig, sondern vielmehr ganz hingegeben bewußtlos; aus Dir heraus zerfließt alle Wirklichkeit wie Nebel; menschlich Tun, menschlich Fühlen, in das bist Du nicht hineingeboren, und doch bist Du immer bereit, unbekümmert alles zu beherrschen, Dich allem anzueignen. Da war der Ikarus ein vorsichtiger, überlegter, prüfender Knabe gegen Dich, er versuchte doch das Durchschiffen des Sonnenozeans mit Flügeln, aber Du brauchst nicht Deine Füße zum Schreiten, Deinen Begriff nicht zum Fassen, Dein Gedächtnis nicht zur Erfahrung und diese nicht zum Folgern. Deine gepanzerte Phantasie, die im Sturm alle Wirklichkeit zerstiebt, bleibt bei einer Schwarzwurzel in Verzückung stocken. Der Strahlenbündel im Blumenkelch, der Dir am Sonntag im Feldweg in die Quer kam, wie Du dem rückwärts gehenden Philosophen Ebel Deine Philosophie eintrichtern wolltest, ist eine blühende Scorza nera, so sagt Lehr, der weise Meister. – Ich werd eingeschüchtert von Deinen Behauptungen, ins Feuer gehalten von Deiner Überschwenglichkeit. Hier am Schreibtisch verlier ich die Geduld über das Farblose meiner poetischen Versuche, wenn ich Deines Hölderlin gedenke. Du kannst nicht dichten, weil Du das bist, was die Dichter poetisch nennen; der Stoff bildet sich nicht selber, er wird gebildet; Du deuchst mir der Lehm zu sein, den ein Gott bildend mit Füßen tritt, und was ich in Dir gewahr werde, ist das gärende Feuer, was seine übersinnliche Berührung stark in Dich einknetet. Lassen wir Dich also jenem über; der Dich bereitet, wird Dich auch bilden. – Ich muß mich selber bilden und machen, so gut ich's kann. Das kleine Gedicht, was ich hier für Clemens sende, hab ich mit innerlichem Schauen gemacht; es gibt eine Wahrheit der Dichtung, an die hab ich bisher geglaubt. Diese irdische Welt, die uns verdrießlich ist, von uns zu stoßen wie den alten Sauerteig, in ein neues Leben aufzustreben, in dem die Seele ihre höheren Eigenschaften nicht mehr verleugnen darf, dazu hielt ich die Poesie geeignet; denn liebliche Begebenheiten, reinere Anschauungen vom Alltagsleben scheiden, das ist nicht ihr letztes Ziel; wir bedürfen der Form, unsere sinnliche Natur einem gewaltigen Organismus zuzubilden, eine Harmonie zu begründen, in der der Geist ungehindert einst ein höheres Tatenleben führt, wozu er jetzt nur gleichsam gelockt wird durch Poesie; denn schöne und große Taten sind auch Poesie, und Offenbarung ist auch Poesie; ich fühle und bekenne alles mit Dir, was Du dem Ebel auf der Spazierfahrt entgegnetest, und ich begreife es in Dir als Dein notwendigstes Element, weil ich Deine Strömungen kenne und oft von ihnen mitgerissen bin worden, und noch täglich empfinde ich Deinen gewaltigen Wellenschlag. Du bist die wilde Brandung, und ich bin kein guter Steuermann, glücklich durchzuschiffen; ich will Dich gern schirmen gegen die Forderungen und ewigen Versuche des Clemens, aber wenn auch in der Mitte meines Herzens das feste Vertrauen zu Dir und Deinen guten Sternen innewohnt, so zittert und erbebt doch alles ringsumher furchtsam in mir vor Menschensatzung und Ordnung bestehender Dinge, und noch mehr erbebe ich vor Deiner eignen Natur. Ja, schelte mich nur, aber Dir mein Bekennntis unverhohlen zu machen: mein einziger Gedanke ist, wo wird das hinführen? – Du lachst mich aus und kannst es auch, weil eine elektrische Kraft Dich so durchdringt, daß Du im Feuer ohne Rauch keine Ahnung vom Ersticken hast. – Aber ich habe nichts, was mich von jenem lebenerdrückenden Vorläufer des Feuers rette; ich fühle mich ohnmächtig in meinem Willen, so wie Du ihn anregst, obschon ich empfinde, daß Deine Natur so und nicht anders sein dürfte, denn sonst wär sie gar nicht, denn Du bist nur bloß das, was außer den Grenzen, dem Gewöhnlichen unsichtbar, unerreichbar ist; sonst bist Du unwahr, nicht Du selber, und kannst nur mit Ironie durchs Leben gehen. Manchmal deucht mir zu träumen, wenn ich Dich unter den andern sehe; alle halten Dich für ein Kind, das seiner selbst nicht mächtig; keiner glaubt, keiner ahnt, was in Dir, und Du tust nichts als auf Tisch und Stühle springen, Dich verstecken, in kleine Eckchen zusammenkauern, auf Euren langen Hausgängen im Mondschein herumspazieren, über die alten Boden im Dunklen klettern; dann kommst du wieder herein, träumerisch in Dich versunken, und doch hörst Du gleich alles, will einer was, so bist Du die Treppe schon hinab, es zu holen, ruft man Deinen Namen, so bist Du da und wärst Du in dem entferntesten Winkel; sie nennen Dich den Hauskobold, das alles erzählte mir Marie gestern; ich war zu ihr gegangen, um sie zu fragen, ob es tunlich sein möchte, daß ich mit Dir nach Homburg reise; sie ist gut, sie hätte es Dir gern gegönnt, und ich wär Dir zu Gefallen gerne mit Dir hingereist; St. Clair hatte uns begleiten wollen, und ich sagte auch der Marie nichts als, ich möchte wohl nach Homburg reisen und Dich mitnehmen, dort den kranken Hölderlin zu sehen; das war aber leider grad das Verkehrte; sie meinte im Gegenteil, dahin solle ich Dich nicht mitnehmen, sie glaube, man müsse Dich hüten vor jeder Überspannung – ich mußte doch lachen über diese wohlgemeinte Bemerkung; nun kam Tonie, der es Marie mitteilte; sie meinten, Du seist so blaß gewesen im Frühjahr, und auch letzt habest Du noch krankhaft ausgesehen; nein, sagt Tonie, nicht krank, sondern geisterhaft, und wenn ich nicht wüßte, daß sie das natürlichste Mädchen wär, die immer noch ist wie ein unentwickeltes Kind, was noch gar nichts vom Leben weiß, so müßte man fürchten, sie habe eine geheime Leidenschaft; aber hier in der Stadt befindet sie sich nur wohl in der Kinderstube; sie schleicht immer weg aus der Gesellschaft und vom Tisch und geht an die Wiege, nimmt die kleine Max heraus, hält sie wohl eine Stunde auf dem Schoß und freut sich an jedem Gesicht, das sie schneidet. Das Kind hatte die Röteln, niemand kam zu mir. Sie allein saß stundenlang beim Kinde, es hat ihr nicht geschadet; sie kann alles aushalten, noch nie hab ich sie klagen hören über Kopfweh oder sonst etwas; wie lange hat sie bei der Claudine gewacht, kein Mensch könnte das, ich glaub, sie ist vierzehn Tage nicht ins Bett gekommen; sie ist wie zu Haus in jeder Krankenstube und amüsiert sich köstlich, wo andre sich langweilen. Aber ihr ganzer Geist besteht in ihrem Sein, denn ein gescheutes Wort hab ich noch nie von ihr gehört; ihr Liebstes ist, den Franz zu erschrecken, alle Augenblicke sucht sie sich einen andern Ort, wo sie ihn überraschen kann; letzt hat sie sich sogar auf den einen Bettpfosten gehockt, ich dachte, sie könne keine Minute da aushalten; nun dauerte es eine Viertelstunde, bis Franz kam; als der im Bett lag, schwang sie sich herunter, ich dachte, sie bricht den Hals; wir konnten sie die ganze Nacht nicht aus dem Zimmer bringen. – Über dieser Erzählung war Lotte gekommen; die behauptete ernsthaft, Du hättest Anlage zum Veitstanz. Deine Blässe deute darauf, du kletterst auch beim Spazierengehen immer an so gefährliche Orte, und letzt wärt Ihr im Mondschein noch um die Tore gegangen mit dem Domherrn von Hohenfeld, und da seist Du oben auf dem Glacis gelaufen bald hin, bald her Dich wendend, ohne nur ein einzig Mal zu fallen, und der Hohenfeld auch habe gesagt, das ging nicht mit natürlichen Dingen zu. Kaum hatte Lotte ihre Geschichte, wo immer der Refrain war, Mangel an historischem Sinn und keine Logik, geendet, so trat Ebel ein; er wurde auch konsultiert wegen der Fahrt nach Homburg (ach, hätt ich doch nicht in dies Wespennest geschlagen), der fing erst recht an zu perorieren, der wußte alles: »Um Gottes willen nicht«, Lotte saß im Sessel und sekundierte: »Nein, um Gottes willen nicht, man muß logisch sein.« Ebel sagte: »Wahnsinn steckt an.« – »Ja«, sagt L., »besonders wenn man so viel Anlage hat.« Nun, Lotte, du machst's zu arg, sie kann wohl dumm sein, und das ist noch die Frage, denn sie ist eigentlich weder dumm noch gescheut, oder vielmehr ist sie beides, dumm und gescheut. – Ebel aber sagte: »Ich muß hier als Naturphilosoph sprechen; sie ist ein ganz apartes Wesen, das von der Natur zu viel elektrischen Stoff mitbekommen, sie ist wie ein Blitzableiter, wer ihr nahe ist beim Gewitter, der kann's empfinden«; er war nämlich letzt auf der Spazierfahrt mitten im Gewitter unter Donner und Blitz im stärksten Platzregen trotz Schuh und Strümpfen bloß wegen Dir aus dem Wagen und im kurzärmeligen Rock querfeldein nach Hause gesprungen. Die Tonie sagte ihm dies, und er gestand es ein, es sei Furcht gewesen, das Gewitter könne durch Deine elektrische Natur angezogen werden; er glaubt steif und fest, der Schlag sei so dicht vor den Pferden niedergefahren, weil Du in Deiner Begeistrung zu viel Elektrizität ausströmtest. – Der arme Freund, seine Rockärmel sind vom Regen noch mehr verkürzt. – Lotte behauptete, es sei unlogisch von Ebel, zu sagen Begeisterung, denn dazu müsse ein logischer Grund sein, und der sei in Deiner Seele nicht zu finden. – Dabei kam St. Clair auch zur Teestunde; ich hatte ihn hinbestellt, um zu hören, wie der Versuch ausfallen werde; wär's gelungen, so hätten wir Dich heute überrascht und Dich gleich mit dem Wagen abgeholt, aber Franz kam herauf und George, denen wurde es vorgetragen. Lotte behauptete fort und fort, es würde das Unlogischste der Welt sein, Dich hingehen zu lassen, denn trotz Deiner Unweisheit, Faselei und gänzlichem Mangel etc. seist Du doch sehr exzentrisch, und es wurde einmütig beschlossen, Du sollest nicht mit; Tonie behauptete noch, Du seist ihr von Clemens noch mehr auf die Seele gebunden, und der würde ihr ein unangenehmes Konzert machen, wenn sie ihren Beifall dazu gäbe. – Ich weiß einen, der ihnen allen gern die Hälse herumgedreht hätte, das war St. Clair; er war so ernst, er tat den Mund nicht auf, aber ich sah seine Lippen beben, kein Mensch wußte, welchen Anteil er daran nahm; er nahm, ohne ein Wort zu sagen, seinen Hut und ging, und ich sah, daß ihm die Tränen in den Augen standen, Deinem Ritter.


An Clemens

    Die Hirten lagen auf der Erde
Und schlummerten um Mitternacht,
Da kam mit freundlicher Gebärde
Ein Engel in der Himmelspracht.
Mit Sonnenglanz war er umgeben,
Und zu den Hirten neigt er sich,
Er sprach: geboren ist das Leben,
Euch offenbart der Himmel sich. –
Auch ich lag träumend auf der Erde,
Ihr dunkler Geist war schwer auf mir,
Da trat mit freundlicher Gebärde
Die heilge Poesie zu mir,
In ihrem Glanz warst Du verkläret,
Vertrauet mit der Geisterwelt,
Den Becher hattest Du geleeret,
Der Dich zu ihrem Chor gesellt.
Dein Lied war eine Strahlenkrone,
Die sich um Deine Stirne wand,
Die Töne eine Lebenssonne,
Erleuchtend der Verheißung Land.
Der Liebe Reich hab ich gesehen
In Deiner Dichtung Abendrot,
Wie Moses auf des Berges Höhen,
Als ihm der Herr zu schaun gebot;
Er sah das Ziel der Erdenwallen
Und mochte fürder nichts mehr sehn,
Wohin, wohin soll ich noch wallen,
Da ich das Heilige gesehn? –

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