Bettine von Arnim
Die Günderode
Bettine von Arnim

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An die Günderode

Der Jud kommt heut um fünf Uhr und sagt, er hat den Brief heut morgen im Stift abgegeben und hat nichts von Dir gehört; der ungeheure Esel mußte heute wie ein Windspiel herumlaufen, er hätt müssen Paradiesäpfel zum Laubhüttenfest einkaufen, da hätt er nicht warten können. Der Kerl sah so närrisch aus; aus seinem Sack guckten lange Palmzweige über seinen Kopf, mit der einen Hand hielt er seinen langen Bart fest, mit der andern stellt er seinen langen Stab weit von sich und schwört immer bei seinem Bart und keuchte unter der Last. Ich ließ ihn eine Weile stehen, so gut gefiel's mir, ihn anzusehen, ein Bild, wer's verstünd zu malen. Diesmal haben also meine Religionsdepeschen wegen der Laubhüttenangelegenheit nicht können befördert werden; – wenn Du nur gesund bist, wieder. – Heut abend mußt ich mit der Großmama spazieren gehen am Kanal im Mondschein. Sie erzählte mir aus ihrer Jugendzeit, wie sie noch mit dem Großpapa in Warthausen beim alten Stadion wohnte und wie der den Großpapa weit lieber gehabt als die andern Söhne und wie der ihn erzogen hat, gar wunderlich mit großer Sorgfalt. Er ließ ihn als Jüngling von nicht achtzehn Jahren schon eine große und ausgebreitete politische Korrespondenz führen, er gab ihm Briefe von Kaiser und König, von allen Reichsverwesern und Staatsbeamten aller Art zu beantworten, es kamen Verhandlungen über alle mögliche Staatsangelegenheiten vor, Handel, Schiffahrt, alte Anrechte, neue Forderungen, Länderteilung, Verrätereien, Umtriebe, klösterliche Stiftungen, Geldangelegenheiten, kurz alles, was einem großen Staatsminister obliegt, zu untersuchen und zu ordnen, dies alles besprach der Stadion mit ihm, ließ ihn seine Meinung drüber darstellen – Aufsätze darüber machen; dann mit eignem Beifügen von Bemerkungen ließ er diese von ihm ins reine schreiben, Briefe an verschiedne Potentaten schreiben, namentlich führte er die Korrespondenz mit Maria Theresia, zuvörderst über Thronbesteigung, über Mitregentschaft ihres Gemahls, dann über die leere Schatzkammer, dann über die Heereskraft des Landes, über Mißvergnügen des Volks, über die Ansprüche von Bayern an die östreichischen Erblande, und wie die Kurfürsten wollten die Erbfolge der Theresia nicht anerkennen, über den Krieg mit Friedrich dem Zweiten, mit England, Anträge um Hilfsgelder; Briefe an einen französischen General Belle-Isle, dann einen Briefwechsel mit Karl von Lothringen, mit dem Kardinal Fleuri, mit dem östreichischen Feldherrn Fürsten Lobkowitz, dann endlich einen Briefwechsel mit der Marquise de Pompadour, immer im Interesse der Kaiserin; diese letzte Korrespondenz war erst ins Galante und endlich ganz ins Zärtliche übergegangen, es kamen Briefe mit Madrigalen als Antwort, worauf der Großpapa im Namen Stadions wieder in französischer Poesie antworten mußte. Da habe der Großpapa manche Feder zerkaut, und der Stadion habe ihm gelehrt, die Politik mit einfließen zu lassen, und hat Anspielungen machen müssen auf Reize, auf blonde und braune Locken – und dem Stadion ist's häufig nicht zärtlich genug gewesen. Die Antworten sind dann mit großer Freude vom Stadion ihm mitgeteilt worden, besonders wenn sie Empfindlichkeit für des Großpapas Galanterien hatten spüren lassen, da hat der Stadion so gelacht und ihn angewiesen, wie die feinste Delikatesse zu beobachten sei. – Und endlich einmal, als nach der Thronbesteigung der Maria Theresia und ihrer Krönung als Kaiserin die Gratulationen abgefertigt waren, an seinem einundzwanzigsten Geburtstage, da schenkte Stadion dem Laroche einen Schreibtisch, worin er alle seine Briefe, in drei Jahren geschrieben, die er über Land und Meer gegangen wähnte, noch versiegelt wiedergefunden und die Antworten, welche von Stadion selbst erfunden waren und von verschiedenen Sekretären abgeschrieben, dazu, und er sagte ihm, daß er ihn so habe zum Staatsmann bilden wollen. Dies hat den Großpapa erst sehr bestürzt gemacht, dann aber ihn tief gerührt, und hat diese Briefe als ein heilig Merkmal von Stadions großem, liebevollem Geist sich aufbewahrt. Die Großmama hat diese Briefe noch alle und will mir sie schenken. – Sie war gesprächig heut, sie wird alle Tage liebevoller zu mir, sie sagt, mir erzähle sie gern, obschon manches in die Erinnerung zu wecken ihr schwer werde. Sie sprach viel von der Mama, von ihrer Anmut und feinem Herzen, sie sagte: Alles, was ihr Kinder an Schönheit und Geist teilt, das hat eure Mutter in sich vereint; und dann hat sie zu sehr geweint, um von ihr weiter zu sprechen, die Tränen erstickten ihre Stimme. – Sie legte die Hand auf meinen Kopf, während sie sprach, und als der Mond hinter den Wolken hervorkam, da sagte sie – wie schön dich der Mond beleuchtet, das wär ein schönes Bild zum Malen. – Und ich hatte in demselben Augenblick auch den Gedanken von der Großmama; es war gar wunderlich, wie sie unter einem großen Kastanienbaum mir gegenüberstand am Kanal, in dem der Mond sich spiegelte, mit ihren großen silberweißen Locken ihr ums Gesicht spielend, in dem langen schwarzen Gros-de-Tours-Kleid mit langer Schleppe, noch nach dem früheren Schnitt, der in ihrer Jugendzeit Mode war, lange Taille mit einem breiten Gurt. Ei, wie fein ist doch die Großmama, alle Menschen sehen gemein aus ihr gegenüber; die Leute werfen ihr vor, sie sei empfindsam, das stört mich nicht, im Gegenteil findet es Anklang in mir, und obschon ich manchmal über gar zu Seltsames hab mit den andern lachen müssen, so fühl ich doch eine Wahrheit meistens in allem. – Wenn sie im Garten geht, da biegt sie alle Ranken, wo sie gerne hinmöchten, sie kann keine Unordnung leiden, kein verdorbenes Blatt, ich muß ihr alle Tage die absterbenden Blumen ausschneiden. Gestern war sie lange bei der Geißblattlaube beschäftigt und sprach mit jedem Trieb: »Ei, kleins Ästele, wo willst du hin«, und da flocht sie alles zart ineinander und band's mit roten Seidenfaden ganz lose zusammen, und da darf kein Blatt gedrückt sein, »alles muß fein schnaufen können«, sagte sie – und da brachte ich ihr heute morgen weiße Bohnenblüten und rote, weil ich ihr gestern eine Szene aus ihrem Roman vorgelesen hatte, worin die eine Rolle spielen, sie fand sie auf ihrer Frühstückstasse. Sie ließ sich aus über das frische Rubinrot der Blüte, hielt's gegen's Licht und war ergötzt über die Glut – mir ist's lieb, wenn sie so schwätzt – ich sagt ihr, sie komme mir vor wie ein Kind, das alles zum erstenmal sehe. – »Was soll ich anders als nur ein Kind werden, sind doch alle Lebenszerstreuungen jetzt entschwunden, die dem Kindersinn früher in den Weg traten, so beschreibt das Menschenleben einen Kreis und bezeichnet schon hier, daß es auf die Ewigkeit angewiesen ist«, sagte sie, »jetzt, wo mein Leben vollendet, so gut als mir's der Himmel hat werden lassen – so viel der schönen Blüten sind mir abgeblüht, so viel Früchte gereift, jetzt, wo das Laub abfällt, da bereitet sich der Geist vor auf frische Triebe im nächsten Lebenskreislauf, und da magst du ganz recht ahnen.« – Ach, Günderode, ich will auch erst wieder ein Kind werden, eh ich sterb, ich will einen Kreis bilden, nicht, wie Du willst, recht früh sterben, nein, das will ich nicht, wo ist's schöner als auf der schönen Erde, und dann als Kind, wo's am schönsten ist, wieder hinüber, wo die Sonne untergeht. Die Großmama erzählte auch noch eine schöne Geschichte, die ich Dir hierher schreiben will, weil ich sie nicht gern vergessen möchte, von dem Vater des Stadion, der habe einen Löwen gehabt, der sei zahm gewesen, der habe nachts an seinem Bett geschlafen, da sei er eines Morgens aufgewacht, weil ihn der Löwe gar hart an der Hand leckte, da war er von seiner rauhen Zunge bis aufs Blut geleckt, und dem Löwen hat das Blut sehr gut geschmeckt; der Stadion hat sich nicht getraut, die Hand zurückzuziehen, und hat mit der andern Hand nach einer geladnen Pistol gegriffen, die am Bett hing, und dem Löwen vor dem Kopf abgedrückt. – Und als die Leut auf den Lärm hereingedrungen waren zu ihrem Herrn, da hat der Stadion über dem toten Löwen gelegen und ihn umhalst und ihn ganz starr angesehen und hat einen großen Schrei getan: »Ich hab meinen besten Freund gemordet«, und da hat er sich mehrere Tage in sein Zimmer eingeschlossen, weil es ihn so sehr gekränkt hatte. – Ach, ich hätte dies Tier lieber nicht umgebracht und hätt auf seine Großmut gebaut, ob der Löwe mich gefressen hätt, ich glaub's noch nicht, und mir wär lieber gewesen, die Geschichte wär nicht so ausgegangen. – Sie erzählte noch manches von ihm, was seine große Gegenwart des Geistes bewies, und sprach so weise über diese große Eigenschaft, daß ich ganz versunken war im Zuhören; sie sagte, daß die Menschen als lang sich abmühen, was Genie sei, sie kenne kein größeres Genie als in dieser Macht über sich selber, und daß die endlich über alles sich ausbreite, da man alles beherrschen könne, wenn man sich selber nicht mit Zaum und Gebiß durchgehe, »wie du, kleines Mädele«, sagte sie zu mir, »so steil hinansprengst mit den Füßen wie mit dem Geist und der Großmama Schwindel machst«; – und wenn je große Herrscher gewesen, so wären sie durch diese Geisteskraft allein hervorgebildet worden, die sie in einem früheren Leben genötigt waren zu üben. – Die Großmama glaubt, die Seele, das Wesen des Menschen gehe aus einem Geistessamen in ein ander Leben über, dieser Same sei, was er während einem Leben in sich reife und dann sich durch allmähliche Erkenntnis, durch geübtere Fähigkeiten immer in höhere Sphären zeuge. Dann erzählte sie mir von dem Ahnherrn unseres Großvaters, der im Dreißigjährigen Krieg sei auf dem Schlachtfeld gefunden, bei Tuttlingen, wo die Franzosen eine große Niederlage erlitten, als Fahnenjunker die Fahne um den Leib gewickelt und die Stange durch Brust und Leib gestoßen und eingehauen, und sein Bruder auch tot über ihm gelegen, der hat die Fahne schützen wollen und mit seinem Leben bezahlt; sie waren in französischen Diensten, das hat der große Condé gesehen und gesagt: ferme comme une roche, da sie sonst Frank von Frankenstein geheißen, so haben sie jetzt sich genannt Laroche, weil der König der Witwe seines Bruders, der auch in jenem Gefecht geblieben, ein Landgut im Elsaß geschenkt hat und ihnen drei Fahnen zu dem Fels ins Wappen gegeben. Über diese letzte Geschichte hab ich meine eignen Betrachtungen angestellt; eine so einfache und doch große Handlung hab ich mir im Geist dargelegt, er war Fahnenjunker, dieser Ahne von mir, und haben eine unsterbliche Tat getan, beide Brüder, indem sie die Fahne, zu der sie geschworen, treu verteidigten, und ließen ihr Leben dafür. Da der Junker die Fahne sich um den Leib gebogen und so den Tod fand, so schützte sie sein Bruder, der Wachtmeister war, noch im Tod mit seinem Leib, und retteten dem Heer die Fahne des Condé, daß sie nicht als Siegeszeichen in die Hände des kaiserlichen Tilly komme, obschon sie von Geburt Deutsche waren. – Ein Schwur muß doch Erwecker einer großen Kraft im Menschen sein, und die gewaltiger ist wie das irdische Leben. – Ich glaub, alles, was gewaltiger ist wie das irdische Leben, macht den Geist unsterblich. – Ein Schwur ist wohl eine Verpflichtung, eine Gelobung, das Zeitliche ans Geistige, ans Unsterbliche zu setzen – da hab ich's gefunden, was ich mein, was der innerste Kern unserer schwebenden Religion sein müßt. – Ein jeder muß ein inneres Heiligtum haben, dem er schwört, und wie jener Fahnenjunker sich als Opfer in ihm unsterblich machen – denn Unsterblichkeit muß das Ziel sein, nicht der Himmel, den mag ich denken, wie ich will, so macht er mir Langeweile, und seine Herrlichkeit und Genuß lockt mich nicht, denn die wird man satt, aber Aufopferung und Not, die wird man nicht müde. – Und im Glück, im Genuß wird der Mensch nicht wachsen, in dem will er immer stille stehen. Und was ist denn das wahre, das einzige Fünklein Glück, was von dem großen Götterherd herübersprüht ins Leben? – Das ist Gefühl, daß Bedrängnis das Feuer aus dem Stahl im Blut schlägt, ja, das ist's allein; – die geheime innerliche Überzeugung der lebendigen Mitwirkung aller Kräfte, daß alles tätig und rasch sei in uns, einzugreifen mit dem Geist und die eigne irdische Natur wie ihr Besitztum und alles dranzusetzen. – Nun wohl, geistige Kraft, die die irdische zum eignen Dienst verwendet, die ist das einzige menschliche Glück. – Ja, ich glaub, Besitz ist nur insofern Glücksgüter zu nennen, als sie uns gegeben sind, damit wir sie verleugnen können um der höheren Bedürfnisse der inneren Menschheit willen. – Dies Verleugnen, dies Dahingeben, daß es durch jene Glücksgüter in die Hand gegeben ist, uns über sie hinauszuschwingen, das deucht mir göttliche Gabe, ach! ach! die lassen wir aber fallen; wir lassen die Begeisterung, die im Göttertrank des Glücks unsre Sinne durchrauschen dürfte – und fürchten uns davor, und wenn wir schon lüstern wären, doch deucht es gefährlich, wie ein Gott trunken den Becher in die Weite hinzuschleudern, wenn er ausgetrunken ist. – Merk's, zu unserer schwebenden Religion gehört das auch, daß wir den Wein den Göttern trinken und trunken die Neige mitsamt dem Becher in den Strom der Zeiten schleudern. – So ist's, sonst weiß ich nichts, was glücklich wär zu preisen, als nur tatenfroh immer Neues schaffen und nimmer mit Argusaugen Altes bewachen. – Außerdem wüßt ich nichts, was mich anfechte, was ich möcht sein oder haben, als nur mit meinem Geist durchdringen. – Von mir soll niemand hören, ich sei unglücklich, mag's gehen wie's will, und was mir begegnet im Lebensweg, das nehm ich auf mich, als sei's von Gott mir auferlegt. Merk's wieder, das gehört auch noch zu unserer schwebenden Religion – und mein inneres Glück, das mach ich mit den Göttern ab. Diese Momente, wo ein Gefühl: Göttertriebe seien in uns wach, dem Stolz das Gefieder aufblättert, daß die Gedanken Respekt vor uns haben, die gemeinen – und uns aus dem Weg gehen. Ach, das ist's – dann steigt man allein auf die Berggipfel und atmet die Lüfte ein im Nachtwind, in denen der Genius uns anhaucht vor Lust und Dank, daß er ohne Sünde, ohne Verleugnung wiedergeboren ward in uns; und dann weiht man aufs sich ihm und verschwistert sich mit sich selber, alles zu tragen, zu dulden. Nichts ist zu klein, was solche große Seelenkräfte in Anspruch nimmt, denn eben diese zu üben ist ja das Große; und versäumen kann man nicht das Höhere um das Geringere, denn eben daß an das Geringe alle Seelenkraft gewendet werde, mit Fürsorge gleich der des Lebenspenders, das ist das wahre Opfer, was uns göttlich macht. ›Man muß alles dem lieben Gott überlassen‹, sagen die guten Christen – jawohl, von ihm nehme ich an, was er mir zuerst entgegensendet, wozu die erste Regung meines Geistes mich mahnt, und laß auf dem Zeitenstrom mich dahinschwimmen, den er mir geschenkt, und ob ich da Früheres versäume oder Größeres, das kann ich nicht wissen, und wenn's ein Bienchen wär, das ohne meine Hilfe ertrinken müßte, so reich ich erst den Zweig ihm, sich zu retten, das ist das Fundament von meinem innerlichen Glück; überhaupt, was sollt ich doch um irdisch Glück für Not haben, es ficht mich nicht an. Soll sich einer glücklich preisen, ich müßt ihn auslachen. – Sagt mir einer, dir geschieht nichts, die Tage gehen vorbei, und kannst dein Wirken nicht vereinen mit der Zeit, sie will nichts von dir und läuft ihren Weg, sie hat taube Ohren im Gebrause aller, deren jeder einer für sich sorgend seine Stimme will geltend machen und sich durchfechten. Nun, das ist mir nichts. – Ob handelnd oder fühlend, tiefempfindend mit dem Genius umgehen, das ist dasselbe, was ist denn Handeln anders, als fühlbar werden das Rechte und es tun. Handeln ist nur der Buchstabe des Geistes, es ist noch nicht so süße als die heimliche himmlische Schule des Geistes. Wo ich auch hinaus denk, mich deucht nichts glücklicher als im Schatten liegen jener großen Linde unter ihren fallenden Blüten und durch ihr rauschend Gezweig dem Geliebten entgegenlauschen, dem Heiligen Geist. Der ist mein Geliebter, der kommt und besucht mich jetzt in der heißen Jahreszeit, wenn ich im Boskett lunze, und es regnet Lindenblüten auf mich mit jedem leisen Lüftchen. Ach, er macht kein Wesen von der Weisheit, von Gottesgelahrtheit, von Tugend, von Religion. – Ich bin ihm recht, wie ich bin, er lacht mich aus, wenn ich belehrt sein will, und bläst mich an; – da hast du Weisheit, sagt er. – Dann spring ich auf und glüh im Gesicht von seinem Hauch – ich lauf ins Haus, ich denk, wie bin ich doch glücklich! – ich werf mich auf die Erd mit dem Angesicht und küß die Erde. Das ist mein Gebet – wie soll ich ihn umfassen als bloß, wenn ich die Erde küß? – Einsam – bin ich nicht – ist der Schatz überall – die dritte Person in der Gottheit überall; auch im Blumenstrauß vom Gärtner, der an meinem Bett steht, vom Mond beleuchtet in der Nacht, wenn's alles still ist und tief schläft alles und kein Licht mehr brennt in den Nachbarhäusern, da fangen diese bunten Farben das Mondlicht auf; – wenn ich den anseh, dann sag ich: »Gelt, das ist deine Rede zu mir, Heiliger Geist, dies Farbenspiel in den Blumen?« – das leugnet er nicht, daß ich ihn versteh. Dir kann ich's alles sagen, denn durch Dich hab ich ihn fassen gelernt, wenn ich Dir gegenübersaß, und Du lasest mir vor am Morgen, was Du am Abend gedichtet hattest; da sah ich mich immer nach dem um, der Dir's wohl vorbuchstabiert hätt, der Klang, der riß mich hin, ich ahnte, es war der Geist, der auch mir begegnet draus, wenn ich auf der Höhe steh, und er braust von ferne daher, beugt die Wipfel auf und nieder und kommt näher und näher und fährt grad auf mich zu – umschlingt mich! wer soll's sein? – wer kann's wehren? – ich fühl seine Weisheit, seine Liebe ist Rhythmus. – Was ist Rhythmus? – Widerhall der Gefühle am großen Himmelsbogen, daß es schallt! – zurück! macht sich uns hörbar, was wir fühlten, daß es zärtlich anschlägt ans Ohr der Seele bis tief ins Herz, das ist Rhythmus, das ist der Heilige Geist; aus der eignen Gedankenkelter gibt er uns zu trinken, süßen Most, der süße Heilige Geist.


Am Mittag

Ach, Günderode, ich weiß, was das ist, die Weltseele, ich hab oft gedacht, was doch so braust, wenn ich ganz allein sitze in der Mittagssonne, denn da ist das Brausen am stärksten; das ist mein Geliebter, der unter der Linde mit mir ist und im Abendwind. – Der Heilige Geist ist die Weltseele. – Er berührt alles, er weckt von den Toten auf, und hätt ich ihn nicht, so wär alles tot. – Und Leben ist Leben wecken, ich war verwundert, als der Geist mir's sagte. – Ich besann mich, ob ich Leben wecke oder ob ich tot sei. – Und da fiel mir ein, daß Gott sprach: Es werde, und daß die Sprach Gottes ein Erschaffen sei; – und das wollt ich nachahmen. Ich ging am Mainufer am Abend, ich sah in der Ferne den blauen Taunus und sah ihn drauf an, daß er lebendig solle werden. Wie bald war mein Wille erfüllt! Du hättest sehen sollen und fühlen den Strom lebendigen Atems, der herüberwallte von ihm auf mich, wo ich saß. – Die Schwalben kamen vorausgeflogen, die Nebel stiegen herab, die Abendstrahlen überleuchteten ihn flüchtig, und die Wiesen am Abhang, die Blumengärten, alles strömte er hinab aus seinem Talschoß mir zu und enthüllte sich vor mir, daß der Blick ihn deutlich fassen konnt; wie sah mein Aug gewaltig. – Aha! – sonst hab ich weiter nichts gedacht, er war mir der langerwartete, innigbekannte Geliebte! – so wandelt sich denn der Geist in alles, was ich mit lebenweckendem Blick anseh. Und keiner wird mir begegnen, mich zu lieben, es ist der Heilige Geist, der aus ihm zu mir spricht. – Ach ja! – ich kann von Glück sagen! – Seelenlauschen! himmlische Grazie! Du trägst mich ins Liebesbett, auf den grünen Rasen! Was du weckst, das weckt dich wieder – und was uns weckt, das ist der Heilige Geist, der an ferne Gipfel über den Nebeln mir aufstieg, denn weil ich gern mit Augen ihn sehen wollt. – Wie vertiefte sich doch mein Blick in ihn und merkte nichts vom Abenddunkel und daß er mich im Schleier fing der Nacht und ganz drin einwickelte. Ja, wecke Du das Leben, so ist's gleich selbständig und überrumpelt Dich. Und Du gehörst ihm, statt es Dein gehöre. – Ich hab aber noch was ganz anders im Schild, das will ich Dir hier sagen: je stärker die Gewalt, je lebendiger ist sie; drum ist Schönheit der lebendige Geist, denn sie weckt allein Leben – alles andre weckt den Geist nicht. Ach, wie schmachtet doch die Seele nach Schönheit, nach Leben – die Schönheit ist Lebensnahrung der Seele. Das ganze Unglück ist, wenn nicht alles Schönheit um uns ist, da stirbt alles ab, und auch für die Ewigkeit ist alles verloren, was nicht Keim der Schönheit ist. Sehnsucht ist Schönheitskeim, der sich entfaltet. – Sehnsucht ist inbrünstige Schönheitsliebe. Heute nachmittag brachte der Büri der Großmama ein Buch für mich – Schillers Ästhetik – ich sollt's lesen, meinen Geist zu bilden; ich war ganz erschrocken, wie er mir's in die Hand gab, als könnt's mir schaden, ich schleudert's von mir – meinen Geist bilden! – ich hab keinen Geist – ich will keinen eignen Geist; – am Ende könnt ich den Heiligen Geist nicht mehr verstehen – wer kann mich bilden außer ihm! – Was ist alle Politik gegen den Silberblick der Natur! – Nicht wahr, das soll auch ein Hauptprinzip der schwebenden Religion sein, daß wir keine Bildung gestatten – das heißt, kein angebildet Wesen, jeder soll neugierig sein auf sich selber und soll sich zutage fördern wie aus der Tiefe ein Stück Erz oder ein Quell, die ganze Bildung soll darauf ausgehen, daß wir den Geist ans Licht hervorlassen. Mir deucht, mit den fünf Sinnen, die uns Gott gegeben hat, könnten wir alles erreichen, ohne dem Witz durch Bildung zu nahe zu kommen. Gebildete Menschen sind die witzloseste Erscheinung unter der Sonne. Echte Bildung geht hervor aus Übung der Kräfte, die in uns liegen, nicht wahr? – Ach, könnt ich doch alle Ketten sprengen, die uns daran hindern, jeder innern Forderung Genüge zu leisten; – denn dadurch allein würden die Sinne in ihre volle Blüte aufbrechen. –

Ich lese eben meinen Brief durch und wundre mich über den Paradegaul von prahlerischen Gedanken, der drin an der Leine im Kreis läuft. – Ein philosophischer Harttraber, ich fühl mich nicht bequem, wenn ich ihn reite, was kommt mir doch so viel in den Kopf, was ich selbst gar nicht wissen mag – könnt ich nur immer von der Himmelsleiter des Übermuts herab unter die Philister speien. – Gute Nacht – das ist der vierte Tag, wo ich nichts von Dir weiß, jetzt wenn morgen kein Brief kommt, so frag Dich doch selber, was ich dann denken soll. –


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