Achim von Arnim
Gedichte
Achim von Arnim

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Die Wettfahrt

Zum Raubschloß geht der Wolken Lauf
Wie flücht'ger Heere Troß.
Es schlägt der Sturm die Fenster auf
Und weckt den Herrn vom Schloß.
Er träumte noch vom Fest der Nacht,
Ein Traum scheint jetzt der Tag,
Er sieht, was schon der Sturm vollbracht,
Denkt, was er noch vermag.
Der schön verzierte Giebel wankt,
Die Tanne stützt sich dran,
Auf der so manche Flagge schwankt,
Die er im Kampf gewann.

Der Wasservogel flieht zum Land
Und jammernd es umzieht,
Die See braust übern Ufersand
Und scheu zurück entflieht;
Am Himmel steht bald schwarze Nacht,
Bald grelles Tageslicht,
Der Sturm bekämpft der Erde Pracht,
Was sich nicht beugt, das bricht;
Ein Wolkenadler deckt die Welt
Wie ein Gewölbe zu,
Sein Flügelschlag die Meere schwellt
Und läßt kein Blatt in Ruh'.

Umschauend tritt der Herr vors Tor,
Sieht da sein Pflegekind,
Das in Gedanken sich verlor,
Es scheint vom Weinen blind.
Er spricht: »Kein Brunnen sich ergießt,
Du ringst ein Leintuch aus,
Wer ist es, den dein Blick begrüßt,
Wem bandest du den Strauß?
Was wandelt für ein Mißgeschick
Durch deinen Trauerblick?
Sonst rühmtest du des Fischers Glück
Im Fang bei Sturmes Tück'!«

Sie spricht: »Lief auch der Brunnen ab,
Dies Tränenmeer bleibt mir,
Drin wasch ich für mein nahes Grab
Die Leinentücher hier.
Du nahmst mich milde in dein Haus,
Mich armes Fischerskind,
Nun bring ich dir hinein den Graus
Wie dieser kalte Wind!
Hör, beide Söhne plagten mich
Mit Liebsgesang bei Nacht,
Schier hätten sie mit Messern sich
Hier morgens umgebracht.

Mich forderten sie zu der Eh',
Einander auf den Speer,
Da schickte ich sie auf die See,
Wer da der erste wär';
Das sei bei einer Fischerin
Der höchsten Ehre Ziel.
Sie folgten meinem Eigensinn
Und rüsteten das Spiel.
Sie fuhren in den Schiffen aus,
Zur Wette segeln sie,
Dem Sieger soll ich Herz und Strauß
Dann geben für die Müh'.«

Der alte Herr in Eifer spricht:
»Du bist ein töricht Kind,
Zur Ehe nehmen sie dich nicht,
Verführen dich zur Sünd';
Du weißt, ein streng Gesetz hier trennt
Den Freien von der Magd,
Ihr ehlich Kind, das er erkennt,
Doch nicht zu erben wagt.
Vergiß die Lust, das eitle Wort,
Bleib fromm in meiner Hut,
Zum Krieg send ich die Söhne fort,
Sie tun zu Haus nicht gut.« –

»Ach Herr, wer denkt so weit hinaus,
Wenn hier so nahes Leid;
Die Söhne meid ich und das Haus,
Ich schwör's mit heil'gem Eid.
Ich dacht' der Söhne hohe Ehr',
Ich zieh sie nicht herab,
Und wurd' es mir auch noch so schwer,
Ich nahm den Wanderstab.
Eh' sie die lange Fahrt vollbracht,
Konnt' ich ins Kloster fliehn:
Dies hatt' ich klüglich mir erdacht,
Umsonst war mein Bemühn.

Der Wind hat erst mit grimmer List
Sie günstig angeweht,
Jetzt seine Eile keiner mißt,
Der Atem mir vergeht.
Ich habe hier umsonst gewinkt,
Sie ziehn kein Segel ein,
Und wenn der Liebste mir ertrinkt,
Ich mich zu Tode wein!
Noch leben sie, sind kühn bemüht
An ihrer Schiffe Bord,
Wenn ihnen Unglück jetzt geschieht,
So ist es doch kein Mord!«

Der Herr sieht durch die hohle Hand,
Sieht beide Schiffe ziehn,
Als ob's ein Schaum am Wellenrand,
Als ob zwei Fischer kühn
In Sturmesheul'n, in Well'ngeschwätz
Erschrockne Fisch' belauscht
Und drängen sie ins Todesnetz,
Das zwischen ihnen rauscht:
Zwei Segel jeder hat gesetzt,
Als wär' der Wind zu schwach,
Mit Schaufeln jeder sie durchnetzt,
Und keiner bleibet nach.

Der Alte sagt: »Ich zürn dir nicht,
Du hast's nicht bös gemeint,
Ich zürne deinem Angesicht,
Weil es so vornehm scheint:
Ich zürne mir, ich zog sie auf
Zum Spiel mit Waffenehr',
Das sollte flügeln ihren Lauf
Auf wildem Todesmeer.
Mir schallen ihre Stimmen jetzt
Im Sturm zum letztenmal,
Der Mond am Meer die Sichel wetzt
Beim flücht'gen Sonnenstrahl.«

Jetzt hört er seiner Söhne Wort,
Zerrissen bringt's der Wind,
Es klingt, als ob sie nah dem Ort,
Obgleich sie fern noch sind.
Der ältre spricht: »Der Sturm meint's schlecht,
Gleich ist der Schiffe Lauf,
Laß mir die Magd, ich geb mein Recht
Als Erstgeborner auf.«
Der jüngre ruft: »Das wär' mir Schand',
Wenn ich dein Gut dir nähm',
Es ist die Magd in meiner Hand,
Wenn ich die Wellen zähm!«

»Die Wellen sind mir untertan,«
Ruft jener, »sie ist mein,
Erweitern wir der Wette Bahn,
Der Himmel fällt nicht ein;
Und stieg die See auch himmelan,
Die uns zur Hölle senkt,
So ist doch ehrlos, ist kein Mann,
Der hin zum Lande lenkt,
Eh nicht der Sieg hat Hand und Mund
Für einen frei gemacht;
Legt mich der Sturm jetzt in den Grund,
Dich stört ein Geist der Nacht!«

Der Vater ruft: »Hört meinen Fluch,
Kommt ihr nicht gleich ans Land!«
Fort trägt der Wind im Adlerflug
Das Wort wie einen Brand,
Doch seine Söhne hören nicht,
Wie er mit schwacher Stimm'
Des Himmels höchstes Strafgericht
Beschwört im Vatergrimm;
Der Wolken schwarz Gewölbe bebt,
Viel Hagel fällt herab,
Die Welle, die das Schiff jetzt hebt,
Gräbt unter ihr ein Grab.

Die Welle steigt wie eine Wand
Vom Fluch aus Vatermund,
Der ältre stürzt vom Schiffesrand,
Das Schiff sinkt auf den Grund.
Ganz leise fragt der alte Mann:
»O sag mir, liebes Kind,
Mein schwaches Aug' sich täuschen kann,
Ein Schiff nur steht im Wind?«
Die Magd seufzt tief: »Es sank, verschwand,
Als wär's nie auf der Welt,
Und bald verkehrt im Ufersand
Sich wie die Muschel stellt!

Der Bruder denkt, er sei voraus,
Weil er allein im Wind,
Hört Ihr, er fordert jetzt den Strauß
Zu seinem Angebind'!
Den bunten Strauß, ich werf ihn hin,
Er sink' zum Grund der See,
Den ich als Sieger trug im Sinn,
Da drunten schmück' zur Eh':
Verein dich, Seufzer meiner Brust,
Mit seinem Todeshauch,
Und stürz des Siegers Segellust,
Versenk ins Meer ihn auch.

Es öffnet mir sein Tod den Mund,
Er schloß den seinen zu,
Nie ward ihm meine Liebe kund,
Ach gäb' sie ihm jetzt Ruh'.
Ja, nun wird alles ihm bewußt,
Wie ich an ihn gedacht,
Wie ich so oft mit sel'ger Lust
Den Becher ihm gebracht;
Und wie ich ihm den Sieg erfleht
In dieser Wettfahrt Lauf,
Der Sturm hat mein Gebet verweht,
Den Fluch bewahrt er auf.«

Der Alte ruft die Dienerschaft,
Daß schnell ein Schiff bemannt;
Sie ruhn vom Fest in Schlafes Haft,
Kein Diener kommt gerannt.
Da stößt die schöne Fischerin
Ein Segelboot ins Meer,
Sie fährt den alten Herrn darin,
Die Brandung rollt so schwer:
Doch wohlbekannt mit dem Geschäft,
Sie hält den richt'gen Lauf,
Die Segel, die all' eingerafft,
Spannt schnell der Alte auf.

Dem Land hat sich der Sohn genaht,
Weil er sich Sieger meint,
Doch neue Täuschung ihn umfaht,
Als dieses Schiff erscheint,
Er glaubt, der ältre Bruder sei
Zum Wettlauf neu bemüht,
Er höret nicht des Vaters Schrei,
Sein Schiff in Segeln blüht,
So treibt die Wettfahrt beide fort,
Der Vater möcht' ihm nahn,
Daß er nur hör' sein Trauerwort
Und wende heim den Kahn.

Doch eh das Wort noch ist gesagt,
Eh ihn der Sohn erkannt,
Ein Stoßwind sie zusammenjagt,
Zum Abgrund beide bannt;
Auch sinkt die schöne Fischerin,
Doch hebt sie Wellenhand
Noch lebend an das Ufer hin,
Sie ist dem Meer verwandt;
Geboren war sie auf der See,
Erzogen an dem Strand,
Mit ihrer Schönheit, ihrem Weh
Ist jede Well' bekannt.

Kaum ist sie an dem Strand erwacht,
So kommt der Diener Schar
Und denkt, daß sie nach froher Nacht
Hier sanft entschlummert war.
Da füllt ihr Klagelied die Luft,
Der Sturm hat ausgebraust:
»Das Meer ist eurer Herren Gruft,
Im Schlosse keiner haust.
Doch wartet kurze Zeit am Strand,
Seht meinen Traum erfüllt,
Das Meer wirft dreie Hand in Hand
Ans Land und ist gestillt.

Begrabt die Herrn, vom Meer gebracht,
Dies ist die letzte Pflicht,
Ich aber halt am Grabe Wacht,
Verlasse sie noch nicht.
Im Sturm, der rings den Wald gestreckt,
Erweitert sich mein Blick,
Die andre Welt wird erst entdeckt
Im ird'schen Mißgeschick;
Im Sturm, der diese Welt zerstört,
Die andre Welt erscheint,
Der Lieb' und Ehre angehört,
Und beide ewig eint.

Es sinkt das Haus, doch ohne Schuld,
Den Mut, der es gezeugt,
Hat nicht des reichen Lebens Huld
Und nicht der Sturm gebeugt.
Die Flamme, die der Sturm nicht beugt,
Die löscht er auch nicht aus,
Was hier vollendet, ist gezeugt
Für eines Höhern Haus:
Bald ringt ihr mit vereinter Kraft
Im reinen Element,
Und in der ird'schen Leidenschaft
Des Himmels Führung kennt.«


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