Achim von Arnim
Gedichte
Achim von Arnim

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Elegie aus einem Reisetagebuche in Schottland

Arnim besuchte auf seiner großen Reise 1801-1804 auch Oberitalien, Genua, England und Schottland.

Genua seh ich im Geist, so oft die unendlichen Wellen
Halten den Himmel im Arm, halten die taumelnde Welt;
Seh ich die klingenden Höhlen des nordischen Mohrenbasaltes,
Glaub ich die Erde gestützt auf den Armen der Höll'.
Dann, dann sehne ich mich in deine hellschimmernden Arme,
Weißer karrarischer Stein, kühlend die schwülige Luft,
Denk ich der Treppen und Hallen von schreienden Menschen durchlaufen,
Keiner staunet dich an, jedem bist du vertraut.
Sage, Vertraulichkeit, mir, du innere, treu mir gehegte,
Was zum Norden mich trieb, ach und du schweigest beschämt.
Meine Begleiter die rufen sich Geister des Fingal im Echo,
Und ich denke mich fern hin nach dem südlichen Land,
Liege am Felsen gestreckt mit zierlich gebundenem Tagbuch
Und verlange vom Geist, daß er was Gutes bescher'!
»Fingal«, das klinget schon wieder so hell, mir wird doch so trübe,
Frierend wähn ich mich alt, Jugend verlorene Zeit!
Dreht sich die Achse der Welt? Wie führt mich Petrarka zu Fingal?
War es doch gestern, ich mein, daß ich nach Genua kam.
Ja, dort sah ich zuerst das Meer, das nunmehr mir grauet,
Weil es vom Vaterland mich, von den Freunden mich trennt.
Damals von der BocchettaBocchetta, Engpaß zwischen Rovi und Genua. herab in des Frührots Gewühle
Sah ich die Hoffnung darauf, weichlich im schwebenden Bett,
Nicht am Anker gelehnt, nein sorglos schlummernd, sie dreht sich,
Daß die Schifflein so weiß flogen wie Federn davon;
Lässig band sich vor mir die Göttin das goldene Strumpfband,
Zweifelnd, daß frühe so hoch steige der lüsterne Mensch.
Und so stehend und ziehend am Strumpfe sie bebte und schwebte
Wie ein Flämmelein hin über die spiegelnde Welt.
»Fiametta!« ich rief, mir schaudert', sie faßte mich selber,
Ja, ein Mädchen mich faßt, lächelnd ins Auge mir sieht.
»Ich bin's!« sagte sie peitschend den buntgepuschelten Esel,
Daß aus dem ledernen Sack schwitzte der rötliche Wein;
»Esel, du kennst schon den Weg zum Markte der glänzenden Hauptstadt,
Mit Laternen zur Nacht stiegest du gestern erst hier.
Lieber, was willst du?« sie fragt, »du riefest mich eben bei Namen!«
Wenn sie nicht Blicke verstand, Worte die wußt' ich noch nicht.
Der Beschämung sich freuend, sie strich mir die triefenden Haare,
Tau und Mühe zugleich hatten die Stirne genetzt.
Wie ein Bursche der Schweiz ich schien ihr nieder zu wandeln,
Um zu suchen mein Glück, und sie wollte mir wohl.
Als sie den Stein erblicket, den sorglich in Wissenschaftsliebe
Auf den Händen ich trug, daß der Anbruch nicht leid' –
Rötlicher Feldspat es war mit köstlich großen Kristallen,
Wie er nirgends als dort schmücket den alten Granit –
Ei, da lachte sie laut und riß mir den Stein aus den Händen,
Warf ihn über den Weg, daß er zum Meere hin rollt',
Und dann spielte sie Ball, sich freuend meiner Verwirrung,
Mit der Granate, die schnell kehrte zu ihr aus der Luft,
Nicht der schrecklichen eine, die rings viel Häuser zerschmettert,
Doch die feurige Frucht, mystisch als Apfel bekannt.
Und ich sprach ihr in Zeichen, so zärtlich ich immer vermochte,
Küßte die innere Hand, warf dann mein Küßlein ihr zu.
Und sie verstand mich doch wohl? O Einverständnis der Völker,
Das aus Babylons Bau blieb der zerstreueten Welt,
Suchte doch jeder den Sack beim brennenden Turm und fragte,
Also blieb auch dies Wort Sack all den Sprachen gesamt. –
Ob der Esel auch eilte so schnell mit dem Sacke hernieder,
Doch die Liebe versteht jegliche Zeichen geschwind,
Die sie niemals gebraucht, im Blick, in guter Gebärde,
Sei es in südlicher Glut, sei es auf nordischem Eis.
Folgend dem trabenden Esel, sie blickte sich um so gelenkig,
Die Granate entfiel, und ich ergriff sie geschickt;
»Kühle, vielliebliche Frucht, einst Göttern und Menschen verderblich,
Wohl, du fielest auch mir; zauder ich, wo ich gehofft?«
Doch ich zögerte noch, gedenkend an Helena traurend,
An Proserpina dann, beide erschienen mir eins
Mit der Eva, da wollt' ich die Frucht verscharren der Zukunft,
Daß nur dies Heute, was mein, bleibe vom Frevel befreit,
Daß ich dem Zufall vermach', zu treiben die Kerne in Äste,
Daß ich dem Zufall befehl', daß er die Blüte verweht.
Aber da mocht' ich nicht wühlen im Boden voll zierlicher Kräuter,
Jegliches Moos, noch so zart, drängte sich üppig zum Tag.
Zweifelnd ging ich so hin, sie schwand mir, da stand ich am Meere,
Fern mich weckte ihr Ruf, daß ich nicht stürze hinein.
Nein, zu seicht ist die Küste, sie würde nicht bergen den Apfel,
Nur die Tiefe des Meers birgt ein unendlich Geschick.
Also kam ich zum Meere und sah die Fischer am Fischzug,
Springend durch kommende Well', ziehend ein bräunliches Netz,
Rot die Mützen erschienen wie Kämme von tauchenden Hahnen,
Fischer in Mänteln, ganz braun, schrien, als jagten sie die.
Andere stießen halbnackt ins Meer die schwarze Feluke,Feluke, italienisch feluca, kleines Ruderschiff.
Trugen die Leute hinein, die nach Genua ziehn.
Ach, da entschwand mir die Schöne hinter den grünenden Bergen,
Zweiflender stand ich nun da, alle dort gingen zu Schiff,
Auch mich trugen sie hin, ich dacht' nur des Apfels des Bösen
Und des unendlichen Meers, das mich zum erstenmal trug.
Wie sie enthoben das Schiff, begann bei dem Schwanken und Schweben,
Daß mir das Herz in der Brust recht wie von Heimweh zerfloß;
Durch die fließenden Felsen erscholl dann ein liebliches Singen,
Ich verstopfte das Ohr, war vor Sirenen gewarnt.
Bald belehrte ich mich, es fang ein Weiblein im Schiffe,
Das im Mantel gehüllt deckte vier Knaben zugleich,
Wechselnd die Hände bewegt sie im Takt wie Flügel der Windmühl'
Und als Zigeunerin singt, wie sie Maria begrüßt;
Sagt die Geschick' ihr voraus des heiligen Kinds, das sie anblickt,
Als es im Kripplein noch lag, Öchslein und Es'lein es sahn;
Zeigt ihr den himmlischen Stern, dem Hirten und Könige folgen,
Alles das sah sie sogleich an den Augen des Herrn;
Auch das bittere Leiden, den Tod des Weltenerlösers,
Hebt er den Stein von der Gruft, von der Erde den Leib. –
Alles Verderben mir schwand, ich sahe das Böse versöhnet,
Statt zur Tiefe des Meers warf ich den Kindern die Frucht,
Die begierig zugleich all' griffen und fingen sie doch nicht,
Denn sie fiel in den Schoß, der sie alle gebar.
»Engel, versöhnt ihr das Herz, das tief arbeitende Böse,
O so versöhnt auch die Frucht und vernichtet sie so!«
Dankend die Mutter sie nahm, hellsingend sie öffnet die Schale,
Nahm mit der Nadel heraus jeglichen einzelnen Kern:
Wie im Neste die Vöglein, also im Mantel die Kinder
Sperren die Schnäbel schon auf, ehe ihr Futter noch nah,
Also sie warten der Kerne mit offenem Munde zur Mutter,
Und die Mutter verteilt gleich die kühlende Frucht.
Doch da tobte herab ein Sturm aus schwarzem Gewölke,
Weil es dem Teufel verdroß, daß ich die Frucht ihm entwand!
Wälze dich, schäumendes Meer, ich habe die Frucht dir entzogen,
Nichts vermagst du allhier, schaue die Engel bei mir;
Stürze die Wellen auf Wellen, erhebe dich höher und höher,
Du erreichest uns nicht, höher treibst du uns nur.
Schon vorbei dem brandenden Leuchtturm schützt uns George,
Der in sicherem Port zähmet den Drachen sogleich! –
Liebliche Ruhe des Hafens nach wildem Gesause der Stürme,
Dann erst siehet man ein, wie es auf Erden so schön!
Wie von Neugier ergriffen, so heben sich übereinander
Grüßend der Straßen so viel, drüber erhebt sich Gebirg,
Höher noch Heldengetürm, da wachet der Festungen Reihe,
Schützet uns gegen den Nord, und wir schweben im Süd.
Ei, wie ist's? Ich glaubte zu schauen und werde beschauet,
Amphitheater erscheint hier die Erde gesamt:
Spiel ich ein Schauspiel euch vor, ihr bunten Türken und Mohren,
Daß ihr so laufet und schreit an dem Zirkus umher?
Kommen von Troja wir heim, am Ufer die Frauen und Kinder
Kennen den Vater nicht mehr, freuen sich seiner denn doch?
Also befremdet ich wandle auf schwankendem Boden und zweifle;
Aber sie kennen mich bald, bald erkenne ich sie.

»Fingal« und »Fingal« da rief's schon, muß ich erwachen in Schottland,
Bin ich noch immer kein Held, bin ich noch immer im Traum?
Muß heimkehren zur Erdhütt', keinen der Menschen versteh ich,
Muß mir schlachten ein Lamm, rösten das lebende Stück,
Mehl von Hafer so rauch mir backen zum Brote im Pfännchen
Und des wilden Getränks nehmen vieltüchtige Schluck'.
Wanderer Mond, ach du schreitest die stumpfen Berge hinunter,
Nimmer du brauchest ein Haus, dich zu stärken mit Wein;
Alle die Wolken sie tränken dich froh mit schimmernden Säften,
Ja, dein Überfluß fällt tauend zur Erde hinab.
Nimmer du achtest der gleichenden Berge und Gräser und Seen,
Denn im wechselnden Schein du dich selber erfreust;
Siehe mein Leiden, o Mond, durch deine gerundete Scheibe,
Schmutzig ist Speise und Trank, was ich mir wünsche, das fehlt!


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