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Der Zahnarzt

J. P. Hebel

Zwei Tagdiebe, die schon lange miteinander in der Welt herumgezogen, weil sie zum Arbeiten zu träge oder zu ungeschickt waren, kamen doch zuletzt in große Not, weil sie wenig Geld mehr übrig hatten und nicht geschwind wußten, wo nehmen. Da gerieten sie auf folgenden Einfall: Sie bettelten vor einigen Haustüren Brot zusammen, das sie nicht zur Stillung des Hungers genießen, sondern zum Betrug mißbrauchen wollten. Sie kneteten und drehten nämlich aus der Brotkrume lauter kleine Kügelein oder Pillen und bestreuten sie mit Wurmmehl aus altem zerfressenem Holz, damit sie völlig aussahen wie gelbe Arzneipillen. Hierauf kauften sie für ein paar Batzen einige Bogen rotes Papier bei dem Buchbinder. Das Papier zerschnitten sie und wickelten die Pillen darein, immer acht in ein Päcklein. Nun ging der eine voraus in einen Flecken, wo eben Jahrmarkt war, und in den roten Löwen, wo er viele Gäste anzutreffen hoffte. Er forderte ein Glas Wein, trank aber nicht, sondern saß ganz wehmütig in einem Winkel, hielt die Hand an den Backen, winselte halblaut für sich und kehrte sich unruhig bald so her, bald so hin. Die ehrlichen Landleute und Bürger, die im Wirtshaus waren, bildeten sich wohl ein, daß der arme Mensch ganz entsetzlich Zahnweh haben müsse. Aber was war zu tun? Man bedauerte ihn, man tröstete ihn, daß es schon wieder vergehen werde, trank ein Gläslein und ging wieder an die Marktgeschäfte. Indessen kam der andere Tagdieb auch. Da stellten sich die beiden Schelme, als ob noch keiner den andern in seinem Leben gesehen hätte. Keiner sah den andern an, bis der zweite durch das Winseln des erstern, der im Winkel saß, aufmerksam zu werden schien. »Guter Freund,« sprach er, »Ihr scheint wohl Zahnschmerzen zu haben?« und ging mit großen, aber langsamen Schritten auf ihn zu. »Ich bin der Doktor Rapunzia von Trafalgar,« fuhr er fort. Denn solche fremden, volltönenden Namen sind zum Betrug ebenso notwendig wie bunte Farben. »Und wenn Ihr meine Zahnpillen gebrauchen wollt,« fuhr er fort, »so soll es mir eine schlechte Kunst sein, Euch mit einer, höchstens zweien, von Eurem Leiden zu befreien.« – »Das wollte Gott,« erwiderte der andere Hallunk. Hierauf zog der saubere Doktor Rapunzia eines von seinen roten Päcklein aus der Tasche und verordnete dem Patienten, ein Kügelein auf den bösen Zahn zu legen und herzhaft darauf zu beißen. Jetzt streckten die Gäste an den andern Tischen die Köpfe herüber, und einer um den andern kam herbei, um die Wunderkur mitanzusehen. Auf die erste Probe wollte der Patient wenig rühmen, tat vielmehr einen entsetzlichen Schrei. Das gefiel dem Doktor. »Der Schmerz,« sagte er, »ist jetzt gebrochen,« und gab ihm geschwind die zweite Pille zu gleichem Gebrauch. Da war nun plötzlich aller Schmerz verschwunden. Der Patient sprang vor Freuden auf, wischte den Angstschweiß von der Stirn weg, obgleich keiner daran war, und tat, als ob er seinem Retter zum Dank etwas Namhaftes in die Hand drückte. – Der Streich tat seine Wirkung. Denn jeder Anwesende wollte nun auch von diesen vortrefflichen Pillen haben. Der Doktor bot das Päcklein für 24 Kreuzer, und in wenig Minuten waren alle verkauft. Natürlich gingen die beiden Schelme wieder einer nach dem andern weiter, lachten, als sie wieder zusammenkamen, über die Einfalt der Leute und ließen sich's wohl sein von ihrem Geld.

Das war teures Brot. So wenig für 24 Kreuzer bekam man noch in keiner Hungersnot. Aber der Geldverlust war noch nicht einmal das Schlimmste. Denn die Weichbrotkügelchen wurden natürlich mit der Zeit steinhart. Wenn nun so ein armer Betrogener nach Jahr und Tag Zahnweh bekam und in gutem Vertrauen mit dem kranken Zahn einmal und zweimal auf ein Kügelein biß, da denke man sich den Schmerz, den er, statt geheilt zu werden, sich selbst für 24 Kreuzer gekauft hatte.


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