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Die große Zunft

Karl Stoeber

Einmal als an der Tafel des Herzogs von Ferrara die Unterhaltung ausging, und auch der Witz des Hofnarren Gonelli auf der Neige war, fragte er, welches wohl die größte Zunft in der Stadt wäre? Worauf der Herzog meinte, die Zunft der Schneider, indem es Kleider-, Zelt-, Flick-, Leisten-, Stroh-, Haar-, Stein-, Glas-, Beutel-, Vor-, Zu-, Auf- und andere Schneider gebe. Gonelli aber stimmte ihm nicht bei, sondern versicherte, er wolle eine noch weit größere Zunft namhaft machen, wenn man ihm dazu Zeit gönne bis morgen. Und den andern Tag tat er einen großen, seidenen Zahnbund um, verstellte seine Gebärden und ging in der Stadt umher von einer Gasse in die andere. Es kannte ihn aber jedermann, und wer ihn kannte, fragte nicht nur, was ihm fehle, sondern riet ihm auch dies und das. Der verordnete ihm Rautenblätter und Salbei. Damit solle er das Zahnfleisch reiben, bis der Schmerz nachlasse: das helfe ganz gewiß. Wieder einer riet, er dürfe nur weißes Jungfernwachs in den Zahn drücken, in den hohlen, so müßten die Würmlein darin ersticken und aufhören zu nagen. Ein anderer sagte, fürs Zahnweh gebe es nichts Besseres, als die gebrannte Asche von Hirsekörnern; der Herr Gonelli möchte ihm nur die Ehre schenken und sich ein Schächtelein davon holen. Am ratseligsten erzeigten sich die Weiber, und eine derselben versicherte ihn, wenn er dreimal in den Knochen eines Toten beiße und dabei aus Herzensgrund seufze »Sparlare sparlato Sparlamento,« so werd' es besser mit ihm werden. – Gonelli aber hatte einen zusammengerollten, drei Ellen langen und drei Finger breiten Streifen Pergament bei sich und schrieb darauf alle Namen der barmherzigen Brüder und Schwestern, welche ihn mit Rezepten versorgten. Und als er abends in das Schloß zurückgekommen war, stellte er sich mit seinem Zahnbund unter die Kammerherren, daß ihn der Herzog nicht allein sah, sondern auch einem Edelknaben befahl: »Geh und hol' dem armen Teufel von meinem Mithridat, der wird ihm ganz gewiß gut tun.« Aber Gonelli nahm seinen Zahnbund ab und sagte: »Glück zu, Herr Gevatter! Ihr seid der Zweihundertneunundneunzigste, der mir heute etwas verordnet. Die Zunft der Doktoren ist die größte in Ferrara.«


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