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Die Ratsstühle

Karl Stoeber

Wenn zwei Ameisen an dem Stamm eines Baumes in Geschäften gehen, die eine hinauf, die andere herab, und sich begegnen, pflegen sie anzuhalten und beieinander stehen zu bleiben, aber nur einen kleinen Augenblick. Und in Nürnberg waren einmal zwei Frauen, die begegneten einander täglich, mit den Fleischkörben im Arm, auf, dem Platz vor dem Rathause und blieben dann auch immer beisammen stehen, eine Stunde oder darüber, je nachdem sie viel oder wenig auf dem Herzen hatten. Und wenn sie auch dazwischen auseinanderliefen und unmüßig taten, als kälbere daheim die Kuh, oder schwärmten die Bienen, oder wollte der Topf überlaufen, so blieben sie doch meistens auf sechs oder zehn Schritte voneinander stehen und plauderten fort, bis sie wieder so nahe beisammen standen, daß ihre Armkörbe ausweichen mußten. – Darüber aber betrübte sich der Bürgermeister, der dies böse Exempel tagtäglich vor dem Fenster seiner Amtsstube mit ansehen mußte, und weil er fürchtete, daß dieser Unfug, gegen der Stadt Bestes, weiter um sich greifen möchte, lud er den ganzen kleinen und großen Rat ein auf eine bestimmte Stunde und sagte zween Stadtknechten, was sie zu tun hätten.

Und als die zwei ehrbaren Frauen des andern Tages wieder beisammen stunden und kehrten, wo ihre Türen nicht waren, und mit ihren Zungen das fremde Korn draschen, und den Flachs des Nächsten durch ihre haarfeinen Hecheln zogen und dieses und jenes Vöglein rupften, bis keine gute Feder mehr an ihm war, – siehe, da kamen die zwei Stadtknechte, der eine von der Pegnitz herauf und der andere von der Festen herab, ein jeder aber mit einem rotsaffianenen Ratsstuhl. Je weiter sie aber gingen, desto größer wurde ihr Schweif von Schulkindern und Lehrburschen. Und als sie bei den zwei Weibern angekommen waren, stellten sie ihre Armstühle hin, richteten einen Empfehl von Bürgermeister und Rat aus und sagten, die ehrbaren Frauen möchten doch Platz nehmen. Und als sie das sagten, gingen am Rathaus alle Fenster auf, die es hat, und alle Perücken schauten heraus, die darin waren, das böse Volk der Schreiber gar nicht gerechnet, und die Geier hinter den Ratsdienern schlugen ein Geschrei auf, dergleichen die alte Reichsstadt bis dahin noch nicht gehört hatte, und gaben den Frauen das Geleite bis vor ihre Häuser. – Die Chronik aber berichtet, das Mittel des Bürgermeisters hätte angeschlagen, und die Töchter Jerusalems stellten sich, seit der Zeit, nicht mehr so oft und so lange zusammen. Ja, sie geht noch weiter und will behaupten, das Mittagessen um elf Uhr datiere sich von dieser Zeit, wo die Frauen der ehrbaren Bürgerschaft angefangen hätten, das Fleisch bälder heimzubringen und an das Feuer zu setzen. Vordem wäre es oft um zwölf Uhr noch nicht weich gewesen.


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