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Das Examen

Karl Stoeber

Es war einmal ein Professor, der ging mit keinem Dinge sparsamer um, als mit der Zeit. Hatte er es den Studenten abgelernt oder den Weiblein, wenn sie auf dem Markte beisammen stehen und von einem auf das andere kommen, weiß ich nicht. Kurz, der Professor pflegte vor dem Aufstehen jeden Tag nach seinem Kopfe abzuzirkeln. Als, zum Exempel, eines Jahres der Medardi-Tag (8. Juni) graute, sprach er bei sich selber: Von fünf bis acht Uhr schreibe ich an meinem Buche von den schlafenden Pflanzen, darauf laß ich mir meinen Zopf binden und lese dabei in Rösel's Insektenbelustigungen: dann gehe ich in den botanischen Garten und bleibe daselbst bis um zehn Uhr, weil ich den neuen Gärtner einweisen muß; von zehn bis zwölf Uhr lese ich meine zwei Kollegien über die Zergliederung und die Bestandteile der Gewächse: von zwölf bis ein Uhr wird gegessen und dazu die Zeitung gelesen oder andere leichte Ware: sodann geht's in die Universitätsbibliothek und von da auf das Erlensteger Ried; den Rest des Tages aber bring ich in der Abendgesellschaft bei Hofrat Huflattig zu. So zirkelte der Professor den Medardustag ab, von einer Stunde zur andern. Und es wäre nichts dagegen zu sagen, wenn er hinzugesetzt hätte: »Salva ratificatione«, das ist verdolmetscht: So Gott will und der Herr mir nichts Besseres zu tun schickt. Aber wenn er einmal anfing, bei sich selber zu sagen: Ich will, ich muß, ich werde, war er wie alle Gelehrten und ungelehrten Leute, welche die Zeche ohne den Wirt machen.

Doch ging alles recht gut. Er schrieb einen ganzen Bogen an dem Buche von den schlafenden Pflanzen. In dem Rösel las er zwei Seiten, die zusammen so lang waren wie sein Zopf, und als er schon seinen Stock in der Hand hatte, um sich in den botanischen Garten zu verfügen, kam zwar ein kleines, schmächtiges Studentlein und bat um ein Zeugnis, entfloh aber sogleich wieder, als der Professor ungehalten erwiderte: »Jetzt hab' ich keine Zeit, Ihn zu examinieren, frag Er nur in zwei oder drei Tagen wieder an.« Und so ging es weiter, durch den botanischen Garten in die Kollegien und von dem Mittagstisch durch die Säle der Bibliothek auf das Erlensteger Ried, ohne allen Anstoß und Aufenthalt, wie bei dem Zeiger am Turme, wenn die Uhr aufgezogen ist, und keine Fledermaus oder anderes dergleichen Ungeziefer in das Räderwerk fällt. Das Ried aber ist noch heutigestags ein böser Sumpf. Leichter geht die Fliege über die dünnste Haut auf der Milch, als des Menschen Fuß über dieses Moor. – Büschel von Gras und Binsen bilden darin Inseln ohne Zahl. Zwischen denselben steht braunes Wasser oder ein schwarzer, bodenloser Brei. Der schreiende Kiebitz fliegt lustig über dies alles hin und her, und seine Jungen finden leicht, wo ihr Fuß ruhen kann. Der Professor aber mußte von einem Inselein auf das andere hüpfen und glich dem Schiffbrüchigen auf der Ostsee, der von einer Eisscholle auf die andere springt und auf keiner länger verweilt, als bis sie sich unter seinem Tritte in die grüne Flut taucht. Die Bauern von Erlensteg aber, welche auf zwei Seiten aus dem Walde hervorkamen, hielten den Professor für den Räuberhauptmann Hildebrand, wider den sie mit Prügeln und etlichen alten Flinten ausgezogen waren, und griffen ihn, ob er sich gleich mit vielen Worten wehrte und nicht verschwieg, daß er ein Gelehrter sei und an den Einbrüchen in der Umgegend so wenig teil habe, als der Hahn auf dem Kirchturme.

Die guten Leute meinten, er lüge. Denn er sah aus, als komme er nicht von dem Lehrstuhle her, sondern von dem Querbalken, daran das Halsgeschmeide von Hanf noch lange hängen bleibt, wenn der, der es trug, mit seinem Fleische die Raben gespeist hatte. Sein Hut war von Stroh, und die Krempen waren nicht aufgeschlagen, sondern hingen herab, als sollten sie das Gesicht darunter, nicht allein gegen die Sonne decken, sondern auch gegen das scharfe Auge der Obrigkeit. Seine Binde hatte er nicht um den Hals, sondern in der Tasche, und seine Stiefel sahen aus wie bei den Leuten, die von einer Schuhbürste gerade so viel wissen wie der Bär, wenn er sich von seinem Winterschlaf erhebt, von einem Kamm. Weil aber der Professor auf dem ganzen Wege nach Erlensteg fort und fort behauptete, er sei nicht der Hildebrand, sondern ein Gelehrter, und das breite Messer in seiner Seitentasche sei kein Mordinstrument, sondern ein Ding, damit man die Pflanzen samt ihren Wurzeln und Zwiebeln ausheben könne, so führten ihn die Bauern zu ihrem Schulmeister und begehrten, daß er ihren Arrestanten examiniere und ihnen dann sage, ob er ein Gelehrter sei oder nicht. Der saß gerade an seinem Federknecht und schnitt oder besserte die Kiele daran und gab diesem einen breiten und jenem einen kurzen, dem einen langen und jenem einen spitzigen Schnabel, danach der Schreiber war, für den er gehörte. Ließ sich auch in seinem guten Werke nicht stören, sondern drückte nur seine Brille etwas fester auf die Nase und fragte den vermeintlichen Übeltäter: »Wie lange brauchen Sonne, Mond und Sterne, bis sie einmal um die Erde herumkommen?«

Der Professor antwortete nicht sogleich auf diese Frage, sondern sprach bei sich selbst: Sage ich kurzweg vierundzwanzig Stunden, so hält mich der Schulmeister für einen ABC-Schützen, der nicht weiß, daß die Sonne auf einem Flecke stehen bleibt und die Planeten um sie herumlaufen. Sage ich aber, die Sonne steht still und die Erde geht um sie herum, so lachen mich die Bauern aus, weil sie, von Kindesbeinen an, das Gestirn des Tages, von einem Ende des Himmels zum andern, wandeln sehen und nicht glauben können, daß es anders sei. Aber der Professor konnte sich nicht lange besinnen, denn hinter ihm stand der Armenpfleger. Der pflegte, da er zu seiner Zeit in die Schule ging, seinem Nachbar zur Rechten oder zur Linken mit dem Ellenbogen in die Seite zu stoßen, wenn der Lehrer gefragt hatte, und der Gefragte mit der Antwort nicht sogleich bei der Hand war. Und dem Professor machte er es nun geradeso. Er gab ihm einen solchen Puff von hinten, daß er, ohne sich länger zu besinnen, antwortete: »Die Sonne geht nicht um die Erde, sondern umgekehrt, die Erde geht um die Sonne.«

Darüber schüttelte der alte Schulmeister den Kopf und sprach: »Der will's auch besser wissen, als der grundgelehrte Ptolemäus, der in seiner Sternkunde schreibt, daß Sonne, Mond und Sterne um die Erde herumgehen.« Dann aber fuhr er in seinem Examen fort und fragte: »Wie muß man sich für eine Sonnenfinsternis fürsehen?« Der Professor, der die Erinnerung seines Hintermannes nicht antworten wollte, erwiderte unverzüglich: »Man muß Gläser schwarz anlaufen lassen, damit man in die Sonne sehen kann.« Darüber lachten aber die Bauern, und einer unter ihnen rief: »O dummes Zeug und kein Ende! Die Brunnen muß man zudecken, daß der böse Tau nicht hineinfällt.« Der Schulmeister nickte seinem gewesenen Schüler Beifall zu. Dann warf er auf seinen Examinanden einen verächtlichen Blick und fragte weiter: »Wo hat Europa seinen Mund?«

Der Gelehrte legte zwar auf diese Frage den Zeigefinger seiner linken Hand, der Länge nach, über die Nase und drückte das linke Auge fest zu, wie einer, der nach der rechten Antwort zielt: aber weiter brachte er es nicht. Dagegen rief es aus einer Ecke der Schulstube: »Hispania ist der Mund von Europa, durch welchen alle Reichtümer der neuen Welt gehen und sich den anderen Teilen des Leibes mitteilen.« Denn auf das Gerücht, daß der Hildebrand gefangen sei und von dem Schulmeister ins Verhör genommen werde, waren indes viele Knaben in die Schule gekommen, und unter ihnen auch derjenige, der erst bei der letzten Prüfung, wegen seiner gut einstudierten und herzhaften Antworten, von dem Pfarrer einen neuen Kreuzer empfangen hatte.

Der Schulmeister freute sich seines Zöglings und setzte sein Examen fort mit der Frage: »Wo sind die Bratwürste erfunden worden?« Der Professor antwortete ärgerlich: »Der Henker mag das wissen!« Aber die Knaben, die hinter den Bauern auf der Schultafel standen, erhoben wie ein Mann ihre Finger, damit anzudeuten, daß sie alle zur Antwort bereit wären. Und Maiers Johann, den der Schulmeister wählte, rief, über den Schächer vor ihm triumphierend: »Zu Cremona in Italien, allwo auch die besten Geigen in der Welt gemacht werden.« Der Schulmeister gab seine Zufriedenheit über die Antwort damit zu erkennen, daß er sein kahles Haupt etwas senkte. Dann steckte er die frisch geschnittenen Kiele in den Federknecht und sagte dabei zu dem Gelehrten: »Sieht Er, hätte Er in seiner Schule etwas gelernt, und wäre Er nicht von Jugend auf ein Taugenichts gewesen, so dürfte Er jetzt nicht vor diesen Schulknaben dastehen, wie die Butter in der Sonne. Doch wir wollen weiter sehen. – Sag Er uns: Wo ist so altes und dürres Eis zu finden, daß es brennt?« Auf diese Frage machte der gelehrte Mann ein Gesicht, als wäre er selbst eingefroren und antwortete nichts. Sein Examinator aber wurde verdrießlich und wendete sich nun, um den armen Schacher, der sich für einen Gelehrten ausgab, vollends zu beschämen, an seinen eigenen fünfzehnjährigen Sohn, der nach ihm Schulmeister in Erlensteg werden sollte, wie er es selbst nach seinem Vater und Großvater geworden war. Die Fragen von ihm und die Antworten seines Sohnes folgten aber ungefähr so aufeinander, und zwar Schlag auf Schlag, daß meistens, zwischen der Frage und der Antwort, kein Augenblick verlief, geschweige denn mehr.

Vater: »Wo findet man so altes und dürr gewordenes Eis, daß es brennt?«–Sohn: »Auf der Insel Island, wo man sogar altes und dürres Eis findet, das man wie Holzklötze beim Feuer anzünden und verbrennen kann.« – Vater: »Wo kauft man die Butter nach der Elle?« – Sohn: »Butter ist auch in Hispania nicht wohl zu bekommen, und pflegen sie dieselbe nicht in Tonnen, sondern in Schweinedärmen zu verwahren, daher man daselbst die Butter bei Ellen zu kaufen pflegt.« – Vater: »Wo ist der Stein des Erzvaters Jakob?« – Sohn: »In einer Kirche zu London, Westminster genannt, welche die größte in der ganzen Welt sein soll, und wird, unter anderen Kuriositäten, auch der Stein gezeigt, welcher dem Erzvater Jakob zum Hauptkissen gedienet.« – Vater: »Wo muß man so viele Katzen halten, als Kammern im Hause sind?« – Sohn: »In Sardinien, woselbst Ratzen in abscheulicher Menge sind, daher die Sardinier, auf Befehl des Königs von Spanien, so viel Katzen halten müssen, als Kammern im Hause sind.« – Vater: »Woher hat Straßburg seinen Namen?« – Sohn: »Von der breiten Straße, welche der König Attila durch die Stadt machte, als er aus Frankreich nach Deutschland zog.« – Vater: »Wo braucht man die Wagenschmiere nicht zu machen?« – Sohn: »Zu Weißenburg in Siebenbürgen, bei welcher Stadt aus einer lebendigen Quelle pure Wagenschmiere hervorquillt und auch dafür verbraucht wird.«

Kurz, und wie oben schon erwähnt, der Schulmeisterssohn, so jung er auch noch war, bestand aufs beste in dem Examen, während der Professor jede Antwort schuldig blieb. Die Bauern glaubten daher auch Beweis genug zu haben, daß er kein Gelehrter sei und beschlossen, ihn dem Schwerte der Gerechtigkeit zu übergeben. Der Ortsvorsteher befahl dem Gemeindediener, den Schlüssel zu dem Turme in der Kirchhofmauer zu holen und dem vermeintlichen Hildebrand sein Nachtquartier, bis auf weiteres, anzuweisen. Dieser Befehl ging dem Schulmeister zu Herzen. Er konnte immer noch nicht glauben, daß das stubenfarbige Männlein mit seiner hochdeutschen Sprache der Hildebrand wäre, sondern sprach bei sich selbst: »Ich will es mit ihm doch aus der Bibel versuchen. Ist er auch kein Gelehrter, wie er, vielleicht nur in seines Herzens Angst, vorgewendet hat, so kann er doch sonst ein christlicher Mann sein. Die Bauern ließen sich auch die Fortsetzung des Examens gefallen, weil sie Vergnügen daran fanden und nichts zu versäumen hatten.

Der Schulmeister wollte es dem Professor leicht machen und fragte: »Wo war die Höhle, darin fünf große Herren, wie eingemauerte Füchse, beisammen saßen?« Ja, er machte es wie bei einem Schüler, dem man durchaus helfen möchte und rief ihm etlichemal zu: »Ma – Ma – Ma –« (Makeda, vgl. Jos. 10, 16). Da es aber auch so nicht gehen wollte, wurde er selbst über den armen Schächer zornig und rief, um ihn noch mehr zu beschämen, den kleinen David, der eben mit den Erlensteger Schafen von der Weide gekommen war, herein, und setzte mit ihm das Examen folgendermaßen fort:

Schulmeister: »Wer hat, in einem Odenzug, den Apostel des Herrn einen Tollhäusler und einen großen Gelehrten geheißen?«

David: »Der Landpfleger Festus, da er mit lauter Stimme sagte: »Paule, du rasest; die große Kunst, d. i. die große Gelahrtheit, macht dich rasend.« (Apg. 26, 24).

Schulmeister: »Wer hat Schellen getragen und war doch kein Narr?«

David: »Aaron, der Hohepriester in Israel, nach dem Worte: »Und unten an seinem Saum sollst du Granatäpfel machen von Blau, Purpur und Scharlach, um und um, und zwischen dieselben goldene Schellen auch um und um, daß eine goldene Schelle sei, danach ein (2. Mos. 28, 33, 34.)

Schulmeister: »Von wem wurde der Tod gekocht, aber nicht gegessen?«

David: »Von den Kindern der Propheten, da sie von dem Gemüse aßen und schrien: ›O Mann Gottes, der Tod im Topf!‹« (2. Kön. 4, 40.)

So fragte der Schulmeister und antwortete der kleine David noch länger. Aber dem Gemeindediener wurde es zu lange, und er ging, die Schlüssel zu dem Turme an der Kirchhofmauer zu holen, einen verächtlichen Blick auf den Professor werfend, der neben dem Knaben mit der Hirtentasche stand, wie ein ungelehrter Heide, neben dem Sohne Isais. Auch dem freundlichen Leser wird es in der niederen Schulstube zu eng, und er geht mit dem Erzähler gern auf das Erlensteger Ried zurück. Über das Ried auf einem schmalen Fußwege, der die höheren Stellen des Sumpfes sucht, schritt der ältere von den beiden Söhnen des Schulmeisters; das nämliche Studentlein, welches der Professor am Morgen so schnöde abgewiesen hatte. Er schwebte über das Moor hin, wie ein Schatten, den viele Fasttage, eine lange Reihe halbdurchwachter Nächte, Frost und Blöße von dem sonst blühenden Leibe des Jünglings übrig gelassen hatten. Seine feinen Haare waren etwas aus der ängstlichen Ordnung gekommen, in der sie sonst gehalten wurden; auf seinem Gesichte lag Totenblässe, als würde es nicht von der untergehenden Sonne, sondern von angezündetem Spiritus beleuchtet. Seine Hände waren rot und angelaufen von der ungeheizten Stube, in der er schon zwei harte Winter zugebracht hatte; an seinem Überrocke waren keine vier Knöpfe, die nicht schon zweimal frisch überzogen worden wären. Und doch hatten sie nicht viel zu halten. Denn das alte Kleid hing um seine Lenden fast wie die Ärmel daran um seine dünnen Arme. Seine Augen gingen zuweilen von einer fehlgeschlagenen Hoffnung über. Denn seine Mittel zum Weiterstudieren waren nun bis auf den alleruntersten Heller erschöpft, und vor seine letzte Aussicht auf Unterstützung, schien eine eiserne Falltüre getreten zu sein. Ein Kaufmann in N. nämlich hatte ein Stipendium zu vergeben und es in dem Anzeiger der Reichsstadt ausgeschrieben. Dieses Blatt kam dem Sohne des Schulmeisters erst spät in die Hand, doch noch zeitig genug. Aber er war von dem Professor, von dem er ein Zeugnis zu seiner Meldung unumgänglich nötig hatte, drei Tage hintereinander abgewiesen worden, weil die kleine Prüfung, die der Ausstellung des Attestes vorausgehen mußte, niemals auf der Zeiteinteilung stand, die er sich am Morgen für den angebrochenen Tag gemacht hatte. Und mit den Abendstunden des heutigen Tages lief der Termin ab, den der Kaufmann gesteckt hatte.

Als daher das Studentlein auf die Schwelle der Schulstube seines Vaters trat, war sein Herz das Schwerste an ihm. Aber es wurde bald so leicht wie die Schwalbe, die sich über das Alpengebirge weghebt und dann das schöne, warme Mittagland vor sich hat. Sein Zeugnis und die große Ehrfurcht, damit er dem berühmten Manne näher trat, erlösten den Professor aus der Hand der Bauern. Sie gingen alsbald ab, einer nach dem andern. Aber draußen vor der Tür schüttelten sie die Köpfe. Denn sie begriffen nicht, wie einer, der nicht wert sei, daß er des Schulmeisters Johann und dem kleinen David die Schuhriemen auflöse, auf dem Lehrstuhl sitzen könne. Der Gelehrte aber wollte gegen seinen Erretter nicht undankbar sein. Er ließ das Schweizerwäglein des Wirts von Erlensteg vor das Schulhaus kommen und fuhr mit dem Studentlein nach Giebelstein zurück und sagte ihm beim Aussteigen an der Haustür, er sollte morgen früh Punkt acht Uhr wiederkommen. Und als der andere Tag graute, sprach der Professor, der, beiläufig gesagt, ein Bruder des Kaufmanns in R. war, bei sich selbst: »Von fünf bis acht Uhr schreib' ich an meinem Buche über die schlafenden Pflanzen. Um acht Uhr fahr ich mit dem Schulmeisterssohn nach R. und stelle ihn meinem Bruder vor. Denn es ist gewiß keiner in der Welt so dürftig und würdig, ein Stipendium zu empfangen, als er. Und wenn ich wieder heimgekommen bin, gehe ich noch zu seiner Magnifizenz, dem Prorektor, und besorge dem Studentlein einen Freitisch, damit er sich doch des Tags wenigstens einmal satt essen kann, 8alva ratificatione. Der freundliche Leser weiß aber schon, was dieses lateinische Wort zu bedeuten hat, und der Erzähler darf ihm daher nur noch berichten, daß der liebe Gott nichts gegen den Vorsatz des Professors hatte, daß der Kaufmann und die Magnifizenz ja sagten, und daß aus dem Studentlein ein berühmter Arzt geworden ist, der alles liegen und stehen ließ, wenn er helfen sollte, ob er gleich auch seine Tage so scharf abgeteilt hatte, wie der Uhrmacher sein Zifferblatt.


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