Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Der Dechant selbst aber sonnte sich nach der Predigt, im Polsterstuhl ausgestreckt, an den Nachwonnen ihres Eindrucks, und hatte ebensowenig eine Bewegung gemacht, aufzustehen, da der Junker Peter Melchior eintrat, als er jetzt, nachdem er gesprochen, ihm ein Zeichen freundlicher Teilnahme gab. Vielmehr hatte er das Ansehen eines Richters, vor dem ein armer Sünder etwa ein Privatbekenntnis ablegte, und statt Trost ihm einzureden, weist der Mann des Gesetzes ihn noch herb zurecht.

»Das sollte ich Euch gesagt haben, Herr Junker von Krauchwitz! Und das wagt Ihr noch auszusprechen, nachdem Ihr vorgebt, eben aus meiner Predigt zu kommen!«

»Ihr müßt Euch doch entsinnen«, sagte der Junker, »als Wedigo mir den Antrag tat und ich zu Euch ritt nach Brandenburg und in Eurer Klause Euch die Sache vortrug und um Euren Rat bat: ob Ihr's geraten hieltet oder nicht und Ihr den Kopf schütteltet und meintet: es sei eine kitzliche Sache, man wisse nicht, wohin sie ausschlagen möchte, und endlich sagtet Ihr: Zögert mit Eurem Ja und Nein. Ja blickt mich nur verwundert an! So sagtet Ihr zu mir und drücktet mir die Hand, und gerade da trat ein anderer Chorherr ein, es war der Sydow. Er hat es noch gehört.«

Der Dechant strich mit der Hand über das Gesicht: »Der Sydow hat es gehört. Das ist etwas anderes, lieber Junker. Davon also redet Ihr. Der Sydow, richtig! Nun das ist ein guter Mann. Wenn man ihn nicht fragt, redet er nicht. Setzt Euch doch, Herr von Krauchwitz. Über die Tücken Satans, der so oft in unsere Worte einen andern Sinn legt, nämlich daß die andern etwas anderes verstehen, als wir meinten, können wachsame Christen nicht ernstlich genug sich gegenseitig verständigen. Worte, wie gesagt, hört einer so, der andere so, aber Ihr wißt, als Ihr damals mit dem Lindenberg ausrittet –«

»Sprecht nicht davon.« Der Junker erblaßte. »Ich kam ja darum nicht, auch nicht darum.«

»Dann ist es für uns beide gut, daß wir von dem schweigen, was wir wissen, vor allem aber für Euch«, sagte der Dechant und fing wieder an, seinen Fuß behaglich über dem Kohlenbecken zu wärmen, das vor ihm stand. »Warum kommt Ihr denn?«

»Dechant!« sagte der Junker, sein Barett drückend. »Das Haar steht einem doch zu Berge.«

»Kämmt es glatt.«

»Die Galgen und Hochgerichte, und Stangen draußen wie ein Wald! Jeden Tag neue eingefangen, schubweise führt man sie hinaus. Soll man fliehen, soll man bleiben?«

»Ich bleibe.«

»Wenn ich mich versteckte –«

»Lauft Ihr Gefahr, daß man vergäße, Euch zu suchen«, sagte mit einem hochmütigen Lächeln der Dechant. »Der Adel muß ein ander Kleid anziehen, mein Lieber, das alte taugt nicht mehr. Das ist der beste Rat, den ich Euch als Freund geben kann. Geht zu Eurem Schneider und fragt nach der neuesten Mode. Wenn's Euch auch zuerst unbequem sitzt, Ihr werdet Euch darin zu finden wissen. Ihr seid ein Mann, den man am Ende überall brauchen kann. Ja, lieber Junker«, sprach der künftige Prälat und legte seine Hand mit der behaglichen Miene eines Gönners Peter Melchior auf die Schulter, »bleibt; so ich mich recht bedenke, grad Ihr seid jetzt am Flecke. Nun kommt Eure Zeit. Lehrt Eure Zunge Knoten schlingen, Euren Rücken wie einen Aal biegen. Edelleute wird man bei Hofe immer brauchen, aber nicht im Eisenkleid, keine graden Nacken. Mit denen ist es aus. Der Adel muß in die Schule gehn. Aber tröstet Euch: Was Hänschen nicht lernen wollte, ich meine, diesmal wird es Hans doch lernen.«

Peter Melchior ist nicht geflohn und hat sich nicht verborgen. Hier scheiden wir von ihm für dieses Mal.

Aber am selben Sonntagnachmittage ritt ein hoher, stolzer Ritter mit stattlichem Gefolge in Berlin ein. Sein Gesicht war blaß, seine Augen rollten fast zornig von dem, was er gesehen. Es hätte auch andere erschreckt, die langen Reihen von Galgen, der Kopf auf der Eisenstange über dem Köpnicker Tore, der ihn schon von fern angrinste. Es war Otterstädts Kopf. Ein Karren mit zerrissenen Gliedern peitschte an den Reitern vorüber. Es waren Otterstädts Glieder.

Der Graf von Giech trat in glänzender Silberrüstung als Abgesandter seines Herrn, des Markgrafen Friedrich des Ältern, vor den Kurfürsten von Brandenburg. Der Vertreter des Oheims sprach zu dem Neffen seines Herrn. In ihm sprach mit der Zorn des großen, freien Edelmanns, vielleicht auch das verwundete Herz des Menschen. Nicht alle Gesandte sprechen so vor einem Fürsten, und einem Fürsten, in dessen Hand noch das Richtschwert zittert. Die Hofleute sahen es mit Schrecken und hörten es doch mit heimlicher Freude.

»Mein Herr sende mich, war ich des Glaubens«, so schloß er, »in ein Land des heiligen römischen Reiches christlicher Nation, aber heiliger Gott, ich glaubte jetzt in ein Reich zu treten, wo der Großtürke und seine Bassen Gericht hielten!«

»Beim Kurfürsten von Brandenburg seid Ihr, Herr Graf von Giech«, unterbrach ihn Joachim, »der dies Land hat von Kaiser und Reich, daß er richte nach dem Recht, gleich über alle.«

»Heißt das gleich richten über alle, so Ihr die hochstehen und edel vor dem Volke, schlachtet und hängt wie seinen Auswurf? Der Fürsten Blut und Macht ging aus dem deutschen Adel hervor, und auf den Adel müssen die Fürsten sich lehnen, wenn sie bestehen wollen vor dem Volke. Das trug mein Herr mir auf, seinem Neffen zu sagen, den er der Vormundschaft entließ, weil er ihn für mündig hielt. Soll er Kaiser und Reich wieder angehn, daß sie ihm die Regentschaft, nach der der fromme Fürst nie getrachtet, wieder zurückgeben, weil der sie führt, vergißt, daß er hier ein Exempel gibt, so allen Fürsten zum Schaden ist? Welcher Fürst den Adel nicht achtet, achtet sich selbst nicht; welcher des Adels Ansehn vernichtet, vernichtet sein eigenes; er untergräbt die heiligen Satzungen, auf denen alles Regiment ruht; er wütet gegen sein eignes Blut, er beschimpft sich selbst, denn er ist nur ein deutscher Edelmann, der glücklicher war als die andern. Weil aus einem Dienstmanne ein Herr ward, soll er nicht vergessen der Mannen, die seinesgleichen sind an Blut und Abkunft, so spricht mein Herr durch meinen Mund.«

Der Graf von Giech hatte vielleicht erwartet, daß der Kurfürst aufbrausen, gewiß, daß er an Otterstädts Freveltat mahnen werde. Aber Joachim ließ ihn ruhig ausreden, und ruhig, fast lächelnd, hat er geantwortet:

»Ihr irrt, Herr Graf von Giech; sagt meinem teuren Ohm, ich habe kein adlig Blut vergossen. Die ich dem Henker überliefert, waren Schelme, Straßenräuber und Mörder. Den Adel achte ich so hoch, als nur ein Fürst, sagt das meinem erlauchten Ohm; meldet ihm aber auch, daß ich in den Jahren, seit er mich nicht sah, gewachsen bin. Ich ward so groß, daß ich jetzt allein gehen kann und mich auf niemand mehr zu stützen brauche. Die Fürsten beklage ich, die so schwach vor ihrem Volke sich fühlen, daß sie den Adel als Krücken benutzen. Im übrigen, was Rechtens ist, so meldet ihm auch, daß ich in meinen Feierstunden nicht umsonst in rechtsgelehrten Büchern lese. Ich fand daraus, daß das Recht in den Marken ein anderes ist als in Franken. Daher mag der Irrtum kommen, der meinen Grafen von Giech zu der weiten, beschwerlichen Reise nötigte, die ich sehr bedaure.«

Der Abgesandte, der vorhin um einen Kopf höher schien als der Fürst sah jetzt fast kleiner aus. »Jetzt kein Wort mehr!« flüsterte ihm ein Brandenburger Herr zu. »Heut ist alles verloren.« – »Er ist fürchterlich in seiner Heiterkeit«, erwiderte der Graf, der nun seinen zweiten Auftrag: daß wenigstens von jetzt ab kein adlig Blut mehr vergossen werde, auf einen anderen Tag verschob.

Und wie er heiter umherging, mit so vielen sprach! Von geringfügigen Dingen, als beschäftigten sie allein die Seele. Den Hofleuten ward unheimlich: »So sahen wir ihn nimmer.« Ihnen war wohl, als er sie entließ.

»Es ist gar keine Hoffnung! Was soll draus werden!« sprach einer zum fränkischen Abgesandten.

Der Graf schüttelte den Kopf: »Und doch hat er recht, die Luft ist hier anders als im Reiche. Wer hier bauen will, muß andere Fundamente legen und anders richten, das kann ein groß Gebäude werden! Wir, die wir leben, sehen es freilich nicht mehr.«

»Was wird's werden«, brummte ein verdrießliches Gesicht. »Alles wird schlimmer und gemeiner. So die Edelleute nicht mehr auf die Straße sollen, wird sie dem Gesindel gehören, das keine Ehre und Sitte kennt, und vor dem alle gleich sind. Schneider und Landsknechte und Roßkämme werden im Graben liegen und das arme Volk schatzen, man spricht schon viel von dem Roßkamme Kohlhas; wollen doch sehn, ob sie die Zeiten dann loben tun.«

Da drückten viele dem Sprecher die Hand und schüttelten den Kopf: »Er hat recht, es kommen schlimme Zeiten.«

Der junge Kurfürst saß mit lächelndem Gesicht in seinem Zimmer, und doch lag in den Augen etwas, das Hans Jürgen erschreckte, ein Glanz, der ihm nicht von dieser Erde schien, aber ob er vom Himmel kam, das wagte er sich nicht zu sagen.

»Die sind alle nicht Lindenbergs!« hatte Joachim vor sich gesprochen. »Ich stünde allein, meinst du, nicht vollbringen könne ich's, was ich begann? O, matter, schwacher Nachhall des einen; aber auch sein Schatten wacht ehrerbietig vor der Macht, die über mir schwebt. Ich will's vollbringen, ich werde es. Ich bin mir selbst genug. Denn unter einem Höheren stehe ich, dessen Abgesandter bin ich, dessen Ruf vollbringe ich. Er wird die Spitzen der Dolche, die Bolzen aus dem Hinterhalte, die Kugeln aus dem Rohre von mir ablenken. Der ist's, der dich an mich gesandt. Sei mein treues Werkzeug, aber nie bilde dir ein, mehr zu sein. Er wird auch ferner seine Engel herabsenden und mit Weisheit mich umleuchten. Ich brauche Diener, aber keine Räte. Plaudern will ich sie hören in ihrer Art; mein Rat bin ich selbst.«

Und er war aufgestanden und an einen Tisch mit Himmelskugeln und astronomischen Instrumenten getreten, wo Joachim mit seinem Hofastrologen, dem berühmten Carion, zu arbeiten pflegte. Die Hand auf den Globus legend, antwortete er auf die ungesprochene Frage des Jünglings mit seltsamem Lächeln:

»Und auch denen, die nach mir kommen, wird es gelingen. In den Sternen zeigte mir der Meister das Glück meines Hauses, groß, wie auch nur zu wähnen Vermessenheit gewesen wäre. Ich bin glücklich und sicher, was ich unternehme gelingt, und was ich weiß, ist Wahrheit.«


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