Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Nun hatte er's doch gehört! Die Edelfrau sah auf den Junker, wie etwa ein Tausendkünstler ängstlich auf ein Haus oder einen Turm, den er auf der Schaubühne aufgerichtet hat, und auf sein Kommandowort soll es zusammenstürzen. Hans Jürgen stand wirklich nicht mehr ganz sicher, und es hätte nur eines leisen Druckes bedurft, so wäre er niedergestürzt.

Aber die Edelfrau verdarb es.

»Gnädigster Herr, rechnet uns das nicht an, wir haben Leides genug in der Familie. Er gehört wohl zu uns; unsres Vetters Kind ist er, eine Waise, aber Gott allein weiß, warum das. Von mir hat er's nicht, und von meinem Gottfried auch nicht. Wir hatten einen Besseren, aber dem ist das Bein gebrochen. Der würde gleich knien. Dieser ist auch ein guter Junge, aber macht uns viel Herzeleid; seine Dummheit und sein Trotz bringt uns ins Verderben.«

Da trat plötzlich Hans Jürgen einen Schritt vor und sah dem Kurfürsten recht dreist und dumm, aber grad ins Gesicht.

»Herr Kurfürst, daß mir's Gott verzeih, ich kann's nicht. Aber wenn ich meine Blutsfreunde ins Verderben bringe, dann will ich's doch. Warum soll ich denn niederknien? Wer was übertreten hat, der soll's, wer was bitten tut, der mag's. Ich hab nichts übertreten, ich mag nichts bitten. Herr Götze, mein Ohm, hat nichts Böses getan, die Base hat auch nichts getan; hier hat keiner was getan. Ihr seid ein großer Herr, Ihr seid der Kurfürst; was ich denke, das hab ich draußen gesagt, wo ich noch nicht wußte, wer Ihr wart, und Ihr habt's gehört, wo Ihr noch nicht wußtet, wer ich war. War das nicht recht, nu, da hab ich's getan. Es tut mir gar nicht leid, denn was mir im Herzen saß, mußte raus. Ihr seid Herr im Land und könnt befehlen, und wir müssen gehorchen. Wenn Ihr befehlt: knie nieder, so tu ich's darum; aber von freien Stücken, Gott straf mich, ich tu's nicht, und nun erst gar nicht.«

Nun mußte er ihn doch auf der Stelle nach Spandow schicken und hängen lassen! – Gegen das erstere hätte sie vielleicht nicht viel einzuwenden gehabt. Aber Joachim faßte ihn leicht beim Arm und schob ihn beiseite, aus der Wasserpfütze, darin er mit den Füßen, da er nicht ruhig stand, spritzte und umhernäßte.

»Ein ungeschickter Bub ist's, das seh ich nun, Frau von Bredow, und hier ein ungebetener Gast, gleich mir. Wir stören die Ordnung, darum muß man uns die Tür weisen; und da unsere Wirtin zu freundlich ist, will ich ihr Amt verwalten.«

Damit führte er den Hans Jürgen freundlich zur Tür hinaus.

Was weiter an dem Tag in der Burg Hohen-Ziatz vorgefallen, das kann noch ein anderer beschreiben, wer Lust hat. Uns drängt wichtigeres, das einbricht, und wir halten's nicht auf. Die Kraniche hatten doch recht gehabt, dachte der Knecht Ruprecht.

»Das ist ein Herr!« sprach die Edelfrau, als sie wieder zu Atem kam, und sie hatte wohl Grund, es zu sagen, denn der nicht merken läßt, daß er ein Herr ist, ist der rechte Herr. Der Kurfürst ging mit seinem Begleiter in der Burg umher, als hätte er Wunder was zu sehen, das ihn ganz von allem abzöge. Da erklärt er dem Ritter von Holzendorf, was die Bauart der Wenden gewesen, und was die Deutschen gemauert hätten. So, nachdem er über die Mauern ringsum gegangen, wollte er, da die Sonne schon die Kieferwipfel berührte, noch einmal ins Freie vor dem Abendimbiß, als er den blassen Kranken in der Torstube am Fenster sitzen sah. Er trat zu ihm ein und tröstete ihn: wen Gott heimsuche, den liebe er, und wen er zu töten scheine, den erwecke er oft; er verhieß ihm, wenn er in den geistlichen Stand trete, sein Aug auf ihm zu haben, und dafür zu sorgen, daß er in den geistlichen Würden wie in der Erkenntnis steige. Aber das irre Auge des Junkers war ihm unheimlich, und er eilte, daß er ins Freie kam.

Die Leute wußten nicht, über wen sie sich mehr verwundern sollten, über den Fürsten oder über ihre Frau. Es war viel, mit Händen schien man's kaum zu schaffen, aber es ward doch geschafft. Überall kann doch nicht ein Mensch sein, aber sie war überall; jetzt in der Küche, jetzt in der Halle, nun wühlte sie in den Schränken, nun flog sie in den Keller. Da war der Flur der Halle nun trocken, das hatte manches Stück der Herbstwäsche gekostet, da war feiner weißer Sand draufgestreut und Tannenreiser, da prasselte der Kamin und verbreitete angenehme Wärme, aber auch angenehme Düfte, sie hatte Bernstein und würzige Kräuter hineingeworfen; über die nassen Treppen waren Decken gelegt und die Geländer mit grünen Sträuchern umwunden. Da stand der Tisch schon in der Mitte mit ihrem Hochzeitsgedeck und einem silbernen Armleuchter und Flaschen und Schüsseln: »So wird's wohl gehen«, sprach sie aufatmend und sank erschöpft in den Armsessel.

Sie hatte für alles gesorgt, auch das Bett stand schon draußen, das sie hineintragen wollten, wenn der Fürst abgespeist, denn die Halle war das einzige Gemach in der Burg, wo ein Fürst zur Not nächtigen konnte vor dem Wasser, das alles überschwemmt hatte. Ja, für alles hatte sie gesorgt, nur nicht für sich. Da saß sie, die Hände auf ihren Knien, und nun erst sah sie sich selbst. Es war noch alles, wie es gewesen. Der Rock auf dem Rücken verknotet, die Ärmel aufgekrämpt, die Haare – mit einem Aufschrei stürzte sie fort, denn schon kehrte der Fürst über die Zugbrücke zurück.

Der junge Fürst, der noch vorhin so freundlich und leutselig gewesen, saß stumm und mit bewölkter Stirn an der hellen Tafel. Mundeten ihm die Speisen, schmeckte ihm der Wein nicht, vermißte er den Wirt ihm gegenüber, oder war das Sonnenlicht seiner Laune mit der Sonne am Horizont untergegangen? – Er wird auch müde sein, dachten sie in der Halle. »Seit der Geschichte mit dem Lindenberger«, flüsterte sein Büchsenspanner zum Gesinde draußen, »ist er allabends so, wenn es dunkelt.«

»Mein gnädiger Herr wird's Euch zu Lieb und Dank wissen, gnädige Frau«, führte der Ritter von Holzendorf für seinen Fürsten das Wort, »daß Ihr Euch so angelegen sein laßt, ihn mit Ehren und Gutem zu bewirten. Wir treffen's nicht überall so, wenn wir auf der Jagd in ein Haus einfallen. Man nimmt da gern vorlieb, was man findet, Ihr aber tragt vom Besten auf, und ist's doch fast so stattlich alles hier wie zu einer Hochzeit.«

Das machte die Edelfrau erröten, denn sie hatte ihr Brokatkleid angezogen, mit dem sie an den Altar getreten war, und auf dem Kopf saß schön gepufft die Flügelhaube von damals. Aber auch darauf sah der Fürst nicht. Den Leuten in Burg Hohen-Ziatz schien das fast noch merkwürdiger, als vorhin seine Leutseligkeit. Und wenn die Gestrenge ihm so mit tiefem Knicks das Backwerk reichte, oder auf der Silberschale den feinen Wein zum Nachtisch, nickte er wie in Gedanken, und hatte es kaum an die Lippen gebracht, da er es wieder hinsetzte.

»Daß ich auch nicht einmal einen einzigen anständigen Menschen meinem Herrn zu Tisch setzen konnte, das ist, was ich mir mein Lebtag nicht verzeihen werde«, flüsterte die Burgfrau zum Begleiter des Fürsten; ihn selbst anzureden wagte sie nicht mehr. »Aber wo sollten wir hinschicken. 's ist ja keine vernünftige Seele hierherum.«

Joachim erhob sein Gesicht aus dem Arm, in den er es gestützt.

»Wo ist der junge Mensch! Der Bursch, den ich im Walde traf und der mich auf den Richteweg führte? Ich sehe ihn nicht mehr.«

Frau von Bredow hatte ihn vorsorglich in ein unweit gelegenes Vorwerk geschickt, um ihre Tochter Eva abzuholen. Mit großen Herren ist nicht gut zu spaßen, hatte sie gedacht, und wenn er ihn auch nicht hängen ließ, so liegen doch zwischen dem Hängen und Spaßen Dinge, über die man nicht spaßen muß. Nun war er zwar schon zurückgekehrt, aber sicher ist sicherer, dachte sie, und ihr gutes Herz erlaubte ihr eine Lüge.

»Ach, Durchlauchtigster Herr, der ist sehr müde, er kommt heut von weither. Da erlaubte ich ihm –«

»Müde zu bleiben«, unterbrach Joachim lächelnd und warf das Handtüchlein auf den Tisch. »Da erlaubt meine freundliche Wirtin es ihrem Gast wohl auch, sintemal er mit Eurem Vetter in einem Falle ist. Morgen, Frau von Bredow, führt ihn mir vor. Wir haben ein Gespräch zu Ende zu bringen, das seltsam genug ich im Walde anfing.«

Und wieder sah der Fürst vor sich nieder, mit der Hand auf den Tisch gestützt, als träten abermals ernste Gedanken vor seine Seele.

»Beliebt es meinem gnädigen Herren?« weckte ihn eine feine, wohlklingende Stimme. Er fuhr mit einem Seufzer auf und sah ein liebliches Mädchen vor sich stehen, in der einen Hand eine silberne Schüssel, in der andern eine silberne Kanne; ein weißes Linnentuch hing über ihrem Arm. Indem sie Wasser in die Schale goß, überzog Stirn und Wangen eine helle Röte.

Joachim tauchte die Finger in die Schale und netzte sie wie mit Wohlgefallen in dem Wasserstrahle, den die Jungfrau darüberträufelte. Er sah ihr freundlich in das blaue Auge, aber es war kein Liebesblick.

»Möge der Strahl der Gnade so klar auf dich und mich perlen, als dieses Wasser über meine blutige Hand.«

»Sie ist nicht blutig, gnädigster Herr!« Aber ihr Gesicht ward blutrot, daß sie sich zu sprechen unterstanden.

»Nicht, Jungfrau? Mir scheint doch, der Fleck will nicht abgehn.«

»Wahrhaftig, sie ist rein. Das ist nur der Widerschein vom Fackellicht, Durchlauchtigster Herr. Morgen bei Tageslicht, da werdet Ihr sehn, sie ist ganz rein.«

»Rein wie dein Antlitz und klar wie dein blaues Auge? O, daß es immer Tageslicht wäre!«

Der Fürst brach auf.

Das Tagewerk der guten Frau von Bredow war damit nicht geendet. Was der Tag war gewesen, und was sie am Abend bis spät in die Nacht noch getan und geschaffen, davon ließe sich wieder ein Buch schreiben, und will's Gott und gibt mir Kraft dazu, und meine Leser werden nicht müde, so wird's Frau Brigitte ihnen selbst noch ein andermal erzählen, wie sie's ihren Enkeln und den Gästen, die brave Frau, so oft erzählt hat von ihrem Ehrentage; und das Hauptstück davon ist, wie sie das Bett in die Halle geschafft und ein Himmeldach darüber aufgeschlagen, ohne daß der Fürst es merkte. Und als er sich niedergelegt und schlief, wie sie da ohne Geräusch und Klappern den Abendtisch mit Flaschen und Schüsseln, mit Kerzen und Fackeln, mit Kesseln und Sesseln heimlich hinausgeschafft, und die Halle eingerichtet mit Teppichen und Vorhängen, mit Geschirr und Ampeln, mit allen Bequemlichkeiten des Lebens, daß Joachim, als er erwachte, in seinem eignen Schlafgemach zu sein vermeinte, und dann dachte er an Zauberei, denn mit natürlichen Dingen konnte das nicht zugehn. So hat Frau von Bredow es oft erzählt und ihr Auge leuchtete dabei. »Ich war die Zauberin, Allerdurchlauchtigster Kurfürst, so ich es mich unterstehen darf«, hatte sie, ihre Knie bis zur Erde senkend und die Augen niederschlagend, gesprochen.

Was der Kurfürst geträumt im Bernsteindufte der Halle von Hohen-Ziatz, das weiß ich nicht. Er schlief fest. Der rechte Arm hing vom Lager herab. Wenn die Burgfrau auf den Zehen die Treppe hinunterschlich, eine Hand frische Bernsteinkörner und Weihrauch auf die glimmenden Kohlen zu streuen, und die Kohlen flackerten auf, dünkte es auch sie, als wenn die Hand blutig rot sei. Leise schlich sie zur Tür hinaus, wo die Wacht stand, auf die Hellebarde gelehnt. Die Burgfrau brauchte ihn nicht zur Wachsamkeit zu ermuntern. »Keinen Fremden laß ich nicht ein; da soll keiner ihm ein Haar krümmen, bis er mag für sich selbst stehen.« So sprach Hans Jürgen, und wie kleidete ihn jetzt die Stahlhaube, die er nicht mehr verkehrt aufgesetzt, der verblichene Wappenrock seines Vaters, der Küraß und das lange Schwert an seiner Seite. Die Base hatte es ihm aus dem Schrank gereicht und gesprochen: »Nun tu deinen ersten guten Dienst.« Er hatte laut geantwortet: »Das will ich, Base.« Für sich hatte er hinzugesetzt: »Aber vor den Hosen steh ich nun nicht mehr Wache!«

Es war lange nach Mitternacht, als die gute Frau von Bredow endlich zur Ruhe kam, wenn das Ruhe war. Oben im Erkerstüblein ihres Herrn, das zur Notdurft trocken geworden, lag sie jetzt im Bette, das sie mit ihrer Eva teilen wollte, die noch das Abendgebet vor dem Kruzifix sprach. Zwei hatten gut Platz, aber wo fanden ihn alle die Gedanken, die in ihr arbeiteten und hin und her schwankten, wie die Fahne des Hohenlohers über dem Kopfkissen, wenn der Wind durch die zerbrochenen Scheiben strich. – Ob sie wohl alle gut untergebracht waren? Ach Gott, der Herr von Holzendorf lag in der Scheune! Zwar auf ihren besten Betten, aber doch immer in der Scheune, und solcher Herr! Ob er es ihr wohl nachtragen würde! – Aber er hatte es ja nicht anders gewollt. – Und ihr Herr! Wo mochte der wohl liegen? Vielleicht bei den Vettern im Havellande. Da kriegt er genug; es schadete denn auch nichts, wenn der Kasper ihn nicht mehr getroffen. Der Kasper würde wohl für sich die Blutwürste essen. Ausverschämt war er nicht, die Gans würde er wohl wieder mitbringen. – Und welch ein Glück es noch war. Wenn Götz ins Scheuern gefahren wäre, das hätte ein Unglück gegeben. Es war am besten, daß alles so gekommen, wie es kam. – Der Kurfürst war doch ein sehr feiner Herr! – Vielleicht war er auch kurzsichtig und hatte nicht alles so gesehen. – Wenn doch ihr Götz auch so wäre! – Na, man muß zufrieden sein, wie man's hat. – Ob wohl im kurfürstlichen Schloß auch gescheuert wurde? Denken konnte sie sich's nicht recht, aber es mußte doch sein. Der Gedanke wollte ihr gar nicht aus dem Kopf. Und wenn der Kurfürst dann zu früh nach Hause kehrte, und die Treppen schwammen – und die Kurfürstin – dummes Zeug! Sie wandte den Kopf: die Kurfürstin würde nicht scheuern lassen, und es gab ja noch gar keine Kurfürstin. Aber nun wollte ihr wieder die Kurfürstin nicht aus den Augen, wie sie oben auf der Treppe stand und ängstlich ihrem heimkehrenden Herrn entgegensah, und die Kurfürstin sah gerade aus wie ihre Tochter Eva.

Sie faltete ihre Hände: »Ach Jungfrau Maria, bewahre mich vor der Sünde!« Die Käuzchen, die beim Scheuern hinausgejagt waren, heulten vor dem Fenster. Da kam ein neuer Gedanke, der ihr Angstschweiß entlockte: Ach, der arme Herr von Lindenberg! Vom Gefolge des Fürsten hatte sie endlich von der Geschichte gehört, wenigstens den notdürftigsten Zusammenhang und das schreckliche Ende. Damals hatte sie keine Zeit, darüber zu denken, sie hatte sich's aufgespart, bis sie allein wäre. So ein lieber, guter, feiner Herr, und ihr Verwandter, und so schrecklich zu enden! Sie sah die Raben flattern, sie hörte sie krächzen; sie schloß die Augen und steckte den Kopf unter die Decke. Aber eigentlich taugte er auch nicht viel; er hatte eine glatte Zunge und glatte Haut, aber kein Herz für Freundschaft. Hatte er sich um sie gekümmert, bis Wind und Wetter nach langen Jahren ihn in ihr Haus verschlugen? Und da war er's ja, der die Geschichte angezettelt. Wie vieles wurde ihr da mit einem Male klar. Ihre Ziehkinder wollte er verführen, ihren Götz hatte er ins Unglück gebracht; er allein. O, er war ein grundschlechter Mann, vom Teufel besessen. Sie hatte es ihm auch schon angesehn, als er, noch ein schöner, junger Herr, um alle Fräulein scharwenzelte. O, er verdiente – nein, ein so schreckliches Ende gönnte ihm die gute Frau doch nicht. Hätte er nur Gottesfurcht gehabt, und dann das Hofleben! Ihr Hans Jochem hatte auch gar zu gern an den Hof gewollt. Den hatte Gott dafür gestraft, und wie gnädig! Nun war die Gottesfurcht mit dem zerbrochenen Beine ihm mit einem Male aufgegangen. Und die arme Agnes! Nun, die wird für sie alle im Kloster beten. Das Kloster war arm. Ob ihr wohl das viele Fischessen bekommen würde. Daß das zur Gottesfurcht gehöre, konnte sich Frau von Bredow nicht denken. Die Äbtissin war keine strenge Frau, man könnte ja dem Kinde dann und wann was Eingesalzenes schicken. Und der Dechant wollte ja der heiligen Agnes einen Altar stiften. Sie hatte das Sündengeld zwar zurückgewiesen, aber ob es denn nun nicht besser sei, schlechtes Geld zu einem guten Zwecke zu nehmen, als daß er's zu schlechten Zwecken durchbringe? Das Geld konnte ja nichts dafür, daß der Dechant es dem Lindenberg abgenommen. Sie kam zu einem Vergleich zwischen ihrem Gewissen und ihren Wünschen. Wenn von dem Lindenbergschen Gelde ein Altar der heiligen Agnes gestiftet würde, so sollten vor demselben täglich drei Seelenmessen für den toten Herrn von Lindenberg gelesen werden.

So legten sich die Stürme, so verglichen sich die widerstrebenden Gedanken, und nur der an Hans Jürgen quälte sie noch, als ihre Augenlider sich immer fester schlossen, ihre Brust immer ruhiger atmete. Was sollte aus dem Jungen werden? Seinen Trotz konnte ihm der Fürst nimmermehr hingehen lassen. – Er wird noch ein kläglich Ende nehmen! –

Der Fürst wälzte sich und röchelte. Der Bernsteindampf erstickte ihn. Vergebens rief sie, er möge nicht sorgen, der Zug durch Schlot und Treppen werde die böse Luft forttreiben. Eine unsichtbare Gewalt hielt sie fest und schnürte ihre Kehle. Sankta Katharina, er erstickt in unserm Haus und uns schelten sie Mörder. Der Fürst war nicht erstickt, er war aufgesprungen, die Tür hatte er aufgerissen und fand seinen Wächter schlafend. O, der freche Bub, er widersetzte sich, er schlug auf seinen Fürsten. »Hans Jürgen! Hans Jürgen!« Noch versagte ihr die Stimme. Aber jetzt sprang das Band: »Gnade, Barmherzigkeit! Mein armer Hans Jürgen! – Ach am Galgen!«

»Hans Jürgen! »schrie eine andere Stimme, aber nicht mit der durchdringenden Ängstlichkeit. Hell und froh rief sie: »Hans Jürgen, so fange doch!«

Da saßen Mutter und Tochter aufgerichtet im Bette und sahen sich verwundert ins Gesicht beim Schein der Lampe, die Eva auszulöschen vergessen. Sie hatten beide geträumt, beide von derselben Person und beide doch wie anders! »Ach der arme Junge, und er war dir so gut«, sprach die Mutter. Eva rief: »Das ist er, aber es war wohl nur ein Traum! Er spielte mit dem Kurfürsten Fangen und sie warfen sich rotbackige Äpfel zu.« – »Ihm wird's schlimm gehn«, sagte die Mutter. »Nein, gut«, erwiderte Eva. Beide stritten in Güte und hatten doch keine Gründe, bis sie beide lachen mußten. Und dann plauderten sie noch lange fort, und Eva erzählte der Mutter, was Hans Jürgen auf dem Heimweg vom Vorwerk ihr erzählt, wie er mit dem fremden Jäger zusammengetroffen, und noch mancherlei, bis die Mutter sanft entschlief. Das Lächeln auf ihren Lippen küßte Eva verstohlen weg, und selbst mit einem himmlisch frohen Lächeln, das ich einem gegönnt hätte, daß er's gesehen, steckte sie ihr Köpfchen unter die Decke.


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