Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Ehedem, wenn hier der Herr saß und tafelte mit seiner Familie und seinen Knechten, die Herrn und die Nächsten ihm oben am Feuer, die Knechte unten an der Tür, ward wohl noch an dem Herde selbst gebraten und gekocht; jetzt war schon seit zwei Menschenaltern die Küche in ein Seitenhaus gebracht. Nur ein warmes Morgenbier oder eine Ingwersuppe kochte bisweilen die Burgfrau ihrem Eheherrn hier, wenn er über Land ritt und es garstig blies. Getafelt ward noch, aber es waren nicht mehr die alten lustigen Zeiten. Herr Gottfried war grämlich, und wenn er lustig ward, dann schickte Frau Brigitte die Knechte hinaus. Die Knechte waren eigentlich froh, wenn sie ihre Schüssel Brei im Stall oder auf dem Hofe verzehren konnten, und die Hausfrau war auch froh, wenn sie früher den Tisch aufbrechen konnte. Sie meinte, was das lange Plaudern täte. Gescheites käme nicht raus. Herr Gottfried Bredow aber meinte, sie hätte unrecht, denn der Wein sei da, daß er des Menschen Herz erfreue; mit andern zusammen trinken sei eine gute Gewohnheit aus alter Zeit, aber da die gute alte vorüber sei, müsse er sich in die Zeit schicken, wie sie ist, und allenfalls auch allein trinken.

Schien es doch, als habe der Wein die Geister diesmal nicht aufgeregt, sie saßen alle da, nicht schläfrig, aber auch nicht lustig um den schon etwas dunklen Tisch. Denn das Feuer auf dem Herd verglimmte, und die Kienfackeln an den Pfeilern hingen mit langen Aschenzöpfen zur Erde gesenkt. Der Zeiger der Turmuhr hatte neun geschlagen.

»Müßte man sich doch grauen zu Bett zu gehen«, sprach einer.

Der Dechant, der eine Weile vor sich sinnend gesessen, räusperte sich: »Mitnichten, werte Herren! Bei den furchtbaren Meteoren sah wohl keiner recht genau, was ihm und andern passierte. In solchen Augenblicken des Schreckens und der Verwirrung glaubt der schwache, sündige Mensch allerlei außer ihm zu erblicken, was doch nur in ihm ist.«

Ihr Gespräch hatte sich um die kurz erlebten Begebenheiten gedreht: ob der Junker Hans Jochem wirklich verhext gewesen, ob man Hexen im Sturm daherfahren gesehen, und ob der Krämer, wie einige behaupteten, den bösen Blick habe? Ein halbdunkles Zimmer, in einer einsamen Burg, bei einbrechender Nacht ist nicht geeignet, die Gespensterfurcht zu vertreiben. Und doch wollten die, welche vorhin sichtlich dieser Angst erlegen waren, es jetzt am wenigsten Wort haben. Hans Jochem war wieder obenauf und meinte, die Finger wären ihm verklemmt gewesen, sonst hätte er das Zeug gleich vom Leib gerissen. Nur Peter Melchior schwor Stein und Bein, daß es nicht mit rechten Dingen zugegangen, wobei er doch auch der Lust nicht widerstand, den Dechanten zu hecheln. Der gab es redlich wieder, was Peter Melchior ihm versetzte, nur daß er nicht wie dieser die Gelegenheit vom Zaun brach, sondern sie im Augenblick faßte, wo sie ihm handrecht entgegenkam.

Das Schrauben ist eine uralte Lust bei den Menschen, wenn mehrere beieinander sind, und einer dünkt sich klüger als der andere. Nun kömmt's aber, daß einer in dem einen Ding und der andere im andern sich klüger dünkt; und wenn sie dann sich einer den andern schrauben, gibt das viel Lustigkeit, zuweilen aber auch ein traurig End. Die beiden jungen Vettern hörten vergnügt zu, wie der geistliche Herr und der Junker sich aufzogen, und Hans Jochem gab auch wohl mit sein Wort zu, wo es sich schickte, und wo sich's nicht schickte; nur Hans Jürgen hörte, ohne ein Wort zu sagen, im Winkel zu.

Nun war es allen bekannt, daß der Junker Peter Melchior ein Verschwender war, der das Seine vertan hatte und auch wohl noch vertat, wenn er wieder was fand. Und wenn er nichts hatte, zechte er bei seinen Vettern und Freunden umher. So ward es dem geistlichen Herrn leicht, ihm auf die Finger zu klopfen, mit denen er eben seinen Gegner gekitzelt hatte. Und wie der Junker gern unverdrossen im Angreifen war, so war er dafür gar leicht verdrossen und geschlagen, wenn einer ihn bei seiner Schwäche stachelte.

Da stritten sie, was der Teufel lieber fasse, einen Pfaffen oder einen Junker. Peter Melchior versicherte, Satan wäre nichts lieber, als viel Pfaffen unten in der Hölle. Der Dechant sagte, das glaube er wohl, dann hätten die Junker oben frei Spiel und kämen ihm von selber zugelaufen. Peter Melchior versicherte, dem Gottseibeiuns mache nichts mehr Vergnügen, als wenn er einen dicken Chorherrn bei den Haaren durch die Luft schüttele. »Was hätte er auch zu schütteln bei manchem Junker«, entgegnete der Dechant, »wenn er sie kriegt, ist gemeinhin ihr Bestes schon fort.«

Darauf stritten sie, wer den Teufel am besten zu betrügen verstände, und der Dechant schien gar nicht abgeneigt, dem Junker zuzugeben, daß die geistlichen Herren darin noch geschickter wären als die Weiber, denn den Teufel betrügen sei eigentlich keine Sünde. Vielmehr sei es die Aufgabe eines guten Christen, den Teufel um seinen Anteil zu täuschen, so gut er könne.

Peter Melchior erzählte die Geschichte von dem Abt, der mit dem Teufel um seine Seele gewürfelt. Der Teufel verlor. »Als er nun abzog, lachte er, Und wißt Ihr warum? In der Tasche hatte er die Seele nicht, aber er hatte sie doch gewonnen. Der Abt hatte mit falschen Würfeln gespielt. Man soll auch nicht den Teufel betrügen.«

»Wie war doch die Geschichte mit dem Nippel Bredow? sagte der Dechant nach einigem Schweigen, als wisse er auf den Trumpf des Junkers keinen Gegentrumpf.

Hans Jochems muntere Augen glänzten schalkhaft, er verstand den Blick, den der Dechant ihm zuwarf.

»Die weiß ich haarklein und kann sie Euch erzählen. Ihr meint doch den Nippel, der in Saus und Braus lebte und immer alles ausgegeben hatte, eh er's eingenommen. So was kann auch nur in der Heidenzeit geschehen sein, was man davon erzählt.«

Aber alles, was der Schalk erzählte, von den sechs Trompetern, die zu Tische blasen müssen, wie er die Brosamen den Hunden vorwerfen ließ, statt sie den Armen zu geben, wie er denn ein Gut ums andere versetzt, bis er durch die Hintertür auch aus dem letzten bei Nacht und Nebel ausgeritten, war vielleicht die Geschichte Nippel Bredows, aber gewiß auch die Peter Melchiors, nur etwas ins Boshafte übersetzt, weshalb man den Junker wohl spottweis den andern Nippel nannte.

Der Junker verstand es vollkommen, weshalb er Hans Jochem einen bösen Blick zuwarf. Sie konnten sich beide nie gut leiden.

»Und darauf verschrieb sich der arme Nippel dem Teufel«, sagte der Dechant. »Das pflegt wohl so zu gehen in der Welt, wenn man nicht mehr aus und ein weiß.«

»Und niemand mehr borgen will«, sagte Hans Jochem; »dann borgt der Teufel.«

»Erzählt doch weiter, lieber Herr von Bredow; ich will Euch nachher auch eine Geschichte erzählen«, sagte Peter Melchior mit anscheinender Ruhe.

»Da lebte denn der Nippel wieder groß wie vorher«, fuhr Hans Jochem fort, »bis die Zeit heranrückte, wo der Vertrag zu Ende ging. Er hatte ihm nichts verschrieben für alle die Herrlichkeiten als seine Seele, weil Nippel gar nichts weiter zu geben hatte. Da ward's ihm aber ganz kurios zumute, und sein großes Maul wurde mit einemmal klein. Wenn's Abend wurde, graute ihn. Es durfte niemand von Gespenstern reden, und wenn der Wind Spreu und Lumpen trieb, sah er nichts als Hexen reiten. Nun hatte er einen Schäfer, der war klüger als sein Herr. Der merkte, was ihm war, und Nippel, der keinem Priester beichten durfte, beichtete dem Schäfer. Der Schäfer sann eine Weile nach, und endlich knipste er mit seinen Fingern und sagte: Ich hab es! Muß Euch nicht, gnädiger Herr, der Teufel bis auf die letzte Stunde tun, was Ihr verlangt? – Freilich, so ist der Pakt. – Nun, dann ist alles gut, sagte der Schäfer. Da gruben sie des Nachts, der Schäfer und sein Herr, beim Dorfe Landin das Loch in den Berg, das noch da ist, und der Berg heißt heute noch der Teufelsberg, aber noch viel tiefer, so tief, daß gar kein Ende da war. Und darüber stellten sie einen Scheffel, aber so, daß, wenn er voll war, schlug er über, und alles, was drin war, rollte ins Loch. Nächste Nacht nun rief Nippel den Teufel und sagte ihm: Füll mir den Scheffel mit Gold. Der Teufel sah ihn verwundert an: Denkst du alles noch zu brauchen? dachte der Teufel. O noch viel mehr, dachte Nippel. Und der Teufel ging an die Arbeit. Einen Sack um den andern schmiß er in den Scheffel, um bald fertig zu werden, aber sobald er sich umdrehte, kippte der Scheffel um, und wenn er mit einem neuen Sack wiederkam, war der Scheffel leer, und kaum ein paar Goldstücke lagen am Boden. Zuerst merkte er's nicht. Nippel hatte ihn vielleicht aus dem Schlaf geweckt, oder der arme Teufel hatte auch einen Schluck über den Durst genommen. Als er's aber inne ward, da ward er erst gar hitzig und heulte und warf und schmiß, denn er meinte, jedes Loch müsse doch ein Ende haben. Endlich rief er zornig aus:

Nippel, Nappel, Neepel,
Wat hest vöörn grooten Scheepel!

und er fragte den Herrn, ob er denn wirklich schütten solle, bis er voll sei? – Eher darfst du nicht ausruhen, antwortete Nippel. Da der arme Teufel nun voraussah, daß er dann bis ans Ende der Welt tragen und schütten müßte, und schon ganz außer Atem war, rief er ärgerlich: Hol der Teufel nun solchen Vertrag! und raus zog er das Pergament aus der Brust, zerriß es, schmiß es Nippeln vor die Füße und, den Schweif zwischen den Beinen, flog er wie eine Fledermaus davon.«

Der Dechant schielte auf den Junker: »Daß nun dem armen Nippel all sein Witz nichts geholfen hat! Weil er mit falschem Spiel den Teufel betrog, mußte seine Seele auch ohne Teufel zur Hölle fahren. So meintet Ihr ja wohl?«

»Ich meine«, sagte Peter Melchior, »daß ich dem Junker da auch eine Geschichte erzählen will. – Wißt Ihr, woher die vielen Bredows ins Havelland kommen? Vor alten Zeiten mal stand es schlecht auf der Welt. Zu unserem Herrgott im Himmel kamen so viele Klagen über die Edelleute von damals: sie scharrten zusammen und gäben nichts wieder aus. Wenn einer zu seinen Freunden käme, dem's mal schlimm ginge, da zuckten sie die Achseln, klammten die Hände zusammen und verredeten ihn gar noch. Da sprach unser Herrgott ärgerlich zum Teufel: Dazu hab ich die Edelleute gemacht, daß sie ausgeben sollen, was sie einnehmen; er solle mal Musterung halten, und wenn's so wäre, die Knauser und Filze gleich mitnehmen. Also mein Teufel nimmt einen großen Sack und fliegt durch die Länder und mustert. Da hatte er bald eine große Ernte gemacht, und der Sack war schon übervoll, als er zur Hölle fuhr. Aber weil der Sack schwer war, mußte er niedrig auf der Erde fliegen, und so ging's über die Mark Brandenburg weg. Aber gerade über der Stadt Friesack wird ihm der Arm so schwer, daß er den Sack etwas sinken läßt, und da streift er mit dem unteren Ende an den Kirchturrn. Der Teufel war auch müde wie der, den Euer Nippel balbierte, denn er merkte es nicht, daß der Sack riß und wohl ein Viertel von seinen Edelleuten rausfiel. Vielleicht hat er's auch gemerkt, aber er dachte, was tut's, die Hölle ist doch voll genug. Wie er mit dem Sack schlenkerte, da fiel der erste in Friesack nieder, was davon seinen Namen hat, daß hier der Sack frei wurde. Das sind die Bredows auf Friesack. Der sagte nun zum zweiten, der nach ihm fiel, daß er weiter hin gehen sollte, er wolle Friesack für sich allein behalten. Besser hin! (Beß hin) rief er ihm zu, bis er weit genug war und sitzen blieb. Davon heißen die Bredows noch die auf Peßin. Den dritten, der gern mochte bei ihnen sitzen bleiben am großen Luch, wiesen sie auch fort, landeinwärts: Land in! riefen sie ihm zu, davon heißt sein Dorf Landin. Der vierte ging denselben Weg lang, und wo er sich niederließ, heißt noch Selbelang. Der fünfte ging rechts zu (rechts to), und jedes Kind weiß, daß die Bredows in Retzow sitzen. So sind also die Bredows des Teufels Bescherung im Havelland. – Der sechste, als er aus dem Sack fiel, stieß mit der Stirn grad an ein Brett. Da rief er: O! Davon heißt er Bredow. Junker Hans Jochem, wenn ich recht gehört, war das Euer Urgroßvater. Nehmt Euch in acht, daß Ihr mit Eurem Witz nicht an ein Brett stoßt, denn das Brett stößt wieder. Dem Brett tut's nicht weh, sondern Euch, und wenn Ihr sie lachen hört, lachen sie nicht das Brett aus, sondern Euch.«

Peter Melchior war aufgestanden, und den Hut aufgestülpt, legte er die Hand dem Junker auf die Schulter, wie einer, der mit sich zufrieden ist. »Für heute gute Nacht!« sprach er. Aber als er hinaus wollte, war Hans Jürgen von der Bank aufgestanden und vertrat ihm den Weg.

»Ich heiß auch Bredow, Herr von Krauchwitz, Hans Jürgen Bredow aus Selbelang bin ich, vom Havelland.«

»Wahrhaftig! Du bist deines Vaters Sohn.«

Hans Jürgen ward über und über rot:« So einer auf meine Sippschaft losziehn tut, und die andern, die reden sollten, das Maul zutun –«

»Sperrst du's auf! Nimm dich in acht; es fliegen keine gebratenen Tauben 'nein.«

Hans Jürgen ballte die Hand: »Ich frag nicht viel, wer vor mir steht.«

»Du bist Hans Jürgen.«

Damit ging er an ihm vorüber, und seine Sporen klirrten, als um Hansen zu bedeuten, daß er noch keine habe.

Alle lachten, auch Hans Jochem, der noch eben verdrießlich schaute.

»Hans Jürgen, du bist nicht zum Ritter gemacht«, sprach die Edelfrau, die durchging nach der Tür draußen, da es im Hofe laut ward und der Türmer blies. Die andern folgten ihr.

»Warum denn nicht!« brummte Hans Jürgen. »Er hat meinen Vater seliger schlecht geredet.«


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