Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Elftes Kapitel

Kloster Lehnin

»Hier, gebt mir Eure Hand, Junker, oder faßt lieber meine Stange an, ein Schritt links oder rechts ab, und Ihr seid verloren«, sprach der Knecht Ruprecht.

Sie waren aus dem Dickicht des Waldes in die sumpfige Niederung hinabgestiegen, welche sich noch heut in weitem Halbkreis um Ort und Kloster fortzieht. Hier war kein Steg, kein Pfad zu sehen, ob doch die Dämmerung schon in den weiten Lug schien; nur Elsenbüsche, verräterisches Schilf und offene Lachen. An dieser Stelle ging der Führer selbst unschlüssig und prüfte vorher das trügerische, zitternde Erdreich, hier wand er sich in weitem Umkreis um mannshohe Rohrbüschel und gelangte nur durch einen Sprung mit der Stange hinüber, die er dann seinem Gefährten zu gleichem Dienste zurückreichte.

Jetzt standen sie ungefähr in der Mitte des Moors. Weithin zur Linken blinkten einige Lichter aus den Klostergebäuden, während ringsum nur die dunklen Föhrenwälder im Nachtkleide ihre ungastlichen Schatten warfen. Ruprecht blieb stehen und schaute nicht unruhig, aber bedächtig nach Luft und Erde und den vier Winden.

»Wir hätten doch besser getan, den großen Weg über den Damm und durch den Ort einzuschlagen.«

Ruprecht schüttelte den Kopf: »Daß wir die Hunde geweckt und dem Dieb die Spur gezeigt.«

»Ruprecht, bleiben wir länger stehen? Unter mir bricht es schon.«

Der Knecht winkte ihm, die Stellung zu wechseln, wie er selbst tat: »Hört Ihr die Glocken?«

Es läutete vom Kloster zur Frühmette. Ruprecht faltete still die Hände; Hans Jürgen folgte unwillkürlich seinem Beispiel. Nach einer Weile hörte man über das Wasser den Chorgesang der Mönche. Als sie ausgesungen, wandte sich der Knecht zum Junker:

»Will's Euch nur gestehen, wußte 'nen Augenblick auch nicht aus und ein. So, nun seh ich wieder klar; ich finde schon. Denke mir nun so, wie muß denen dazumal gewesen sein in der alten Zeit, die hier verirrten, und in der Wildnis war kein Licht, keine Glocken und kein Gesang!«

»Sie sagen, das sei das erste Kloster, was sie in den Marken gebaut.«

Ruprecht nickte: »Muß doch grauslich gewesen sein in solchem Land, wo der Teufel sein Wesen trieb, ungestört und überall umher nichts als Wald und Sumpf voll Bären und Heidenmenschen. Wo kein Heiliger war und keiner einen Schutzpatron hatte, wie man da nur durchkam durch die Finsternis und das Kobolds- und Nixenzeug, das itzt noch so festsitzt, und die Geistlichen können's nicht ausrotten.«

Hans Jürgen hatte gehört, das komme davon, weil die Mönche jetzt nicht wären wie sonst.

»Sie sind Schlemmer und Tunichtgute, das ist schon recht, aber die Glocken haben sie noch. Ohne die hätten die Geister schon längst wieder Oberwasser. Das war wohl ein gut Werk, daß sie grad hier das Stift gründeten, was es auch kosten tat an saurer Arbeit und auch Menschenblut. Da drüben bei Ramitz erschlugen die Wendischen den Abt Seebald. Man sieht noch den Stock vom Baum, wo sie ihn runterschütteln wollten, aber da er sich festhielt, sägten sie den Baum ab und schlugen ihn dann tot, was auch die Mönche den Heiden Lösegeld boten. Friede seiner Seele! Ob sie den Frieden hat, das weiß ich nun nicht. Denn die Leute hierum sprechen anders als in den Kirchenbüchern zu lesen steht. Mehr als einer sah ihn im Dämmerlicht auf dem Stumpf sitzen, und wenn man ihn anrief, huschte es in den Wald.«

Hans Jürgen hatte immer nur gehört von dem frommen Abt Seebald, der ein Märtyrer geworden, weil er zu den Bauern umherging, in die schlechteste Hütte, um sie zu bekehren.

Ruprecht machte ein eigen Gesicht: »Davon sollte man eigentlich hier nicht sprechen, aber die Bauern meinen, zum Bekehren ist er wohl ausgegangen, aber ihm war's mehr um die Frauen zu tun als die Männer. Einst kam er in Namitz in eines Fischers Haus, und die junge Frau, die grade buk, kriegte einen Schreck und wußte sich nicht anders zu verstecken, als sie kroch unter den Backtrog. Da, als der Abt sie nicht sah, setzte er sich auf den Trog und wollte warten, bis sie käme. Doch ihre kleine Tochter lief erschrocken aufs Feld und schrie: ›Vater! Vater! Der Abbat sitzt auf der Mutter.‹ Da liefen sie alle vom Felde und schworen ihm den Tod. Als der Abt sie nun herankommen hörte mit Mistgabeln und Sensen, lief er, was er laufen konnte, aus dem Hof in den Wald. Sie hinter ihm drein, und da er nicht weiter konnte, denn er war dick, kletterte er auf eine alte Rüster, und darauf kam denn die Geschichte. Alle die Mönche waren erschrocken über den wilden Grimm der Heiden, daß sie das Kloster wieder verlassen wollten und auswandern, und es wäre geschehen, wäre ihnen nicht da am Ausgang der heilige Johannes erschienen, grad wie er dem Wußo erschienen.«

Derweil hatten sie das Ende der Niederung erreicht, zwar oft bis unter die Knöchel im Wasser schreitend, doch ohne weitere Fährlichkeiten, und die Hallen des alten Lehniner Waldes, schlanke, himmelhohe Kiefern mit uralten Eichen untersprenkelt, nahmen die Wanderer unter ihrem Schattendach auf.

Wohl hatte Hans Jürgen von seinem Ahnherrn Wußo gehört, aber das war dunkles Gerede gewesen, auf das er wenig geachtet, hier in den feierlichen Waldhallen, durchschauert vom Morgenhauch, klang es anders.

Wußo war ein wilder Heide gewesen, der nur gedürstet nach dem Blut der Fremden, welche eine fremde Sitte und einen fremden Gott in das Land seiner Väter einführen wollten. Oft hatte er sich unterworfen der wilden Gewalt, weil er ihr nicht länger widerstehen konnte, aber ebenso oft, wenn die Gelegenheit sich bot, hatte er in das Horn des Urs gestoßen, die alten Freunde und Genossen gerufen, die Kruzifixe niedergerissen, die Kapellen zerstört und verbrannt und das Joch abgeworfen, das ihm eine Schmach dünkte. Und auch jetzt, als die Herrschaft der Sachsen in der Nordmark gefestet schien, diente er nur mit innerem Grollen den Söhnen des Bären Albrecht. Da war er einst zur Jagd ausgeritten mit dem Markgrafen Otto, und sie waren in eine Wildnis gekommen, die der Markgraf noch nicht kannte. Und darauf rechnete Wußo. Der Böse gab es ihm ein, daß er den Markgraf verlocken sollte, fernab von den Seinen, und da ihn töten, wo keiner es sah und keiner die Spur finde. Dann werde alles bleiben und werden, wie es gewesen; denn was tue das Neue, das die Christen gebracht, dem Lande und Volke gut, als daß es die Leute unzufrieden mache mit dem, was sie hätten und ihre Väter. Die an Eicheln und Buchnüssen sich genügen lassen, wollten nun Brot essen, und die auf fauler Streu lagen, wollten in Betten schlafen und aus Höhlen und Hütten in Häuser und Türme überziehen. So überredete sich Wußo und machte seine schwarzen Gedanken weiß, weil doch auch diesem Heiden, denn das war er trotz des Taufwassers, das Gewissen anging, daß Markgraf Otto ihm so viel Liebes erzeigt und sein Vertrauen auf ihn gesetzt.

Dazumal war die Gegend ganz anders, als sie jetzt ist. Wo jetzt die Fichten lustig und schlank ins Blaue schießen, war ein Dickicht von Eichen und Rüstern und Buchen, die ineinanderwuchsen und Krieg führten um das bißchen Boden und Luft. Da lagen umgeworfene Stämme faulend einer über dem andern, und Gewürm, Kröten und Schlangen wimmelten am Boden, auf den nie ein Lichtstrahl fiel. Und wo der Wald aufhörte, war die Heide mit stachlichten Ginster- und Wacholdersträuchern besetzt, und wo die Heide aufhörte, war das Bruchland; verwachsene Elsen und wilde Schlingpflanzen, daß kein Lüftchen durchdrang, und in dem warmen, feuchten Dunst nisteten Schwärme giftiger Stechfliegen. Wer sich verirrte und nicht untersank, blieb stecken in den Dornen und kam jämmerlich um vor Hunger und Qual unter den Stichen des Geschmeißes. Und auch das Wasser, wo es zutage lag, spiegelte nicht die Sonne und die Sterne und den blauen Himmel. Da trieben umgefallene Bäume umher, mit dickem Moos und Pflanzen überzogen, Inseln schwammen und ein buntes, schillerndes Netz von faulenden Stoffen schien darüber ausgebreitet. Die wilden Katzen kletterten in den verwachsenen Baumkronen, Krieg führend mit den Habichten, den Raben und Krähen. Der Bär schlich noch brummend in dem Schatten um, ein Schrecken der andern Tiere, und die Waldameise baute ihre hohen Kegelhäuser, das einzige geordnete Gemeinwesen. Nur den Auerochsen hatte schon der Mensch vertrieben, und auf die stolzen und wilden Elentiere richtete er eine verderbliche Jagd, daß sie weiter gen Osten flohen und die wenigen, die noch waren, scheu im tiefsten Dickicht sich verbargen.

»Wird Euch in der Wüstenei nicht bang, Herr Markgraf?« fragte Wußo, da sie nun auf der Spur eines großen Elenhirsches ganz ab waren von ihrem Gefolge, und die Stöße ins Hüfthorn riefen keinen, und die Luft war schwül, und Gewitterwolken zogen am Himmel auf. Und Wußo war doch selbst bang geworden, denn vorhin, als der Fürst über einen Baumstamm setzte und sein Tier zu kurz sprang, daß er herabglitt, hatte der grimmige Mann schon die Axt geschwungen, die ihm am Sattel hing, um dem Herrn den Garaus zu machen. Aber sein Arm blieb in der Luft hangen, ein ferner Donner rollte über die Wälder.

»Was soll mir bange werden!« antwortete Otto. »Da Sankt Johannes bei mir ist in den Wüsteneien, der mein Schutzpatron ist und auch deiner, Wußo.«

Nun dachte Wußo heimlich: Ob dir der Sankt Johannes jetzt den Weg zeigen wird! und blieb tückisch zurück, da der Fürst, den Speer über sich schwingend, der Fährte des Elens folgte, ohne viel vor sich auf den Boden zu sehen. Ihre Rosse, die nicht weiter konnten durch das Moor, hatten sie nämlich verlassen und anbinden müssen, und Otto ging mit kühnen Schritten den Tapfen des Hirsches nach. Nur Wußo kannte den einzigen, schmalen Weg durch das Bruchland, und bei jedem Schritt meinte er, der Fürst werde sinken. Dann überhob ihn der Morast der Mordarbeit, und wie viele Deutsche waren in den Kriegen, von den tückischen Wenden in die Moräste gelockt, da versunken.

Aber der Fürst fand den Weg, ohne daß er ihn kannte, sein Fuß traf immer das Feste und sank nie ein. Da er fast drüben war, rief er dem Wenden zu: »Was scheust du, Wußo! Kommst du mir nicht nach?« – Wußo machte sich nun auf den Weg, den er so oft zurückgelegt, aber seine Augen waren wie geblendet, oder war es die Unruhe in ihm. Er sank mit dem Fuß ein-, zweimal, und plötzlich, als der ganze Boden unter ihm zu zittern anfing, ward er inne, daß er falsch gegangen, und es war zu spät, die Richtung zu ändern. Da in seinen höchsten Nöten rief er: Ach Sankt Johannes, wie du den da rüber gebracht, hilf auch mir, wenn du den Weg kennst. Und ihm war's, als liege um ihn eine Wolke, und ein Mann, halb nackend, mit zottigem Haar und einem Fell um die Schulter, aber einen lichten Schein um die Stirn, reichte dem Versinkenden die Hand und hob ihn und führte ihn sicher hinüber. Da verschwand er, und der Fürst lächelte: »Ei Wußo, kennst du so wenig dein Land, daß du selbst eines Führers bedarfst?«

Der Tag war heiß, und die beiden wurden müde von der Jagd, denn der Hirsch, wie oft sie ihn auch sahen, immer verschwand er wieder. Da rief Markgraf Otto: »Den Hirsch muß ich zum Stehen bringen; ist mir doch, als hinge mein Heil und Leben von seinem Leben ab. Ich hab's gelobt dem heiligen Hubertus: aber itzt kann ich nicht mehr.« Und er sank um, den Speer in der Hand, todmüde unter einer alten Eiche.

Aber Wußo hatte auch gelobt bei seinem Götzen, das ist der Teufel, sein Heil und Leben solle davon abhängen, daß er das Leben des Markgrafen nehme, was es ihn auch koste. Schwer ward es ihm, denn er war kein schlechter Mann, und glaubte es nur zu tun um seines Landes Wohl. Und da es Nacht wurde von den Wolken, die aufzogen, drückte er die Augen zu und faßte den Wurfspieß mit beiden Fäusten, und wild rannte er auf den schlafenden Fürsten zu. Da fuhr ein Blitz aus der Eiche nieder, und ein Donner krachte, als wäre der Baum von seinen Wurzeln gebrochen. Vor dem Mörder stand wieder derselbe Mann, der ihn über den Bruch geführt, drohend den Arm aufhebend, und Wußos Wurfspeer blieb wie angelötet in der Hand: »Ist das dein Dank, daß ich dich hergeführt«, sprach Sankt Johannes! Und in demselben Augenblicke fuhr auch der schlafende Fürst in die Höh, mit einem Schrei, der Wußo wie die Trompete des Gerichts durch die Seele ging: »Ha, es ist überstanden!« Und Wußo lag auf den Knien und wollte Worte stammeln, aber seine Zunge klebte am Gaumen, und in ihm brannte es wie ein stilles Feuer.

Markgraf Otto rieb den Schlaf vom Auge: »Wo ist nun das Ungetüm? Es stürzte mir ja zu Füßen?«

»Hier, Herr«, sprach Wußo, »zertritt es.«

Der Fürst schüttelte das Haupt und stierte in die Wolken, wie noch im Traum: »Den großen Hirsch meine ich, mit seinem gezackten Geweih, und sein Rachen sprühte Flammen. Heiß setzte er mir zu, und ich hatte schweren Kampf. Nun ist er überwunden, der mir will streitig machen das Reich, so mein Kaiser mir zuwies, daß ich lichten soll in der Finsternis, ausroden die alte, schlimme Weise und bauen und bahnen die Wege zur Erkenntnis des wahren Gottes. Sein Licht war über mir; es schmetterte ihn nieder, aber wo ist der Feind? Eine Mark Goldes, wer ihn mir schafft!«


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