Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Aber der Junker Peter Melchior schien den Redner nicht zu verstehen. »Sie werden ihn schon allgemach lehren, daß die Straßen von alters unser sind.«

»Auf die Art gewiß nicht. Ihrer Zeit taten die Putlitz, die Quitzow, die Bredow, meinethalben alle, taten was sie konnten, und es mag nicht ihre Schuld sein, daß wir keinen zweiten Kremmer Damm hatten. Wir aber zerfielen in uns, wir hielten nicht zueinander. Seht in Schwaben, in Franken, am Rhein, dort waren sie klüger, sie taten sich zusammen in Bündnisse, in Orden. Es ist eine Masse von Männern, Rittern, Burgen, an denen die Fürsten ihre Zähne probieren können, und mancher brach schon dabei.«

»Wir haben keine Berge und Felsen, unsere Burgen stehen in Sand und Sumpf.«

»Darum hätten wir – Doch das Getane läßt sich nicht ändern. Jener erste stolze Friedrich, jener andere mit den eisernen Zähnen, auch Albrecht, der nur als Landvogt zu uns kam, uns seine Achillesfersen fühlen zu lassen, haben es nicht getan. Die betrachteten uns noch als ein fremdes Land, das sie zügelten und preßten. Wenn ihnen nicht mehr heimisch drin war, zogen sie in ihre fränkischen Berge; dann atmeten unsere Väter wieder auf, sie blieben frei. Aber der bleiche Johannes, den die Gelehrten Cicero schalten, hat uns die Daumenschrauben angelegt. Er blieb kein Franke, er ward ein Märker, er lernte unsere Schwächen kennen, und das machte ihn fest.«

»Die fünfzehn Schlösser, die er schon als Kurprinz brach! Es war eine schlimme Zeit, Herr von Lindenberg.«

»Und sie wird noch schlimmer werden unter seinem Sohne. Ihr denkt, er ist ein Knabe, aber ich sage euch, in einem Jahre kann er ein Mann sein. Ihr denkt, er spielt mit Büchern, aber seine Gedanken fliegen weit bis ins Blaue. Wenn wir nicht zusammenstehen, wenn wir nicht die Klugheit aus den Grüften beschwören, wenn wir nicht schlau sind wie die Schlangen, so ist's um uns geschehen. Seine Vorfahren ließen Ritter und Familien kommen aus Franken und dem Reiche. Unsere Väter zwickten sie wieder fort, oder sie wurden durch Heiraten eines Blutes mit uns. Er aber zitiert nicht Menschen von Fleisch und Blut, er zitiert Geister, Gespenster. Wer jagt die aus dem Lande. Einbürgern möchte er die ganze lateinische Weisheit von tausend Jahren, Gelehrte, Pfaffen, die Kirche, eine Universität gar! Es ist nichts, was gewesen ist und anderswo ist, was er nicht aufstellen möchte und probieren. Gesetzbücher sollen gemacht werden, deutsch und lateinisch, Kollegien eingerichtet, zum Regieren, zum Besteuern, zur Oberaufsicht, unsere Sitten sollen verfeinert werden. Ein Spinngewebe von feinen Drahtfäden möchte er übers Land ziehen, daß kein Huhn weiter aufflattern kann, als er will.«

»Herr von Lindenberg«, sagte Peter Melchior, »ich glaube, Ihr selbst seht Gespenster. Wie alt ist er denn?«

»Ihr mögt recht haben. Aber der Kopf wird mir bisweilen warm, wenn ich ihn so schwatzen höre und der Dunst aus dem Griechischen und Lateinischen mir wie ein Alp auf die Brust fällt. Da sehe ich denn nur trüb vor nur. Denn dies Nürnberger Burggrafenblut, das alles besser wissen will, alles besser einrichten, klüger sein, frommer, es sprudelt und spukt in einem wie in dem andern.«

»Auf den Landtagen muß er's doch manchmal hören!«

»Hört er darauf! Das ist eitel Geschwätz. Wenn wir uns helfen wollen, müssen wir's anders anfangen.«

»Daß das Land uns gehört, beweis es ihm einer.«

»Wer zuviel auf einmal will, erreicht nichts. Ich tadle nicht die Köckeritze, die Lüderitze, keinen von ihnen allen, aber sie schlagen zu plump und grob darauf. Warum auf der Straße liegen und den ersten besten werfen? Das gibt immer Geschrei und böses Blut. Preßt doch ein wenig euer Hirn, schlagt eure alten Pergamente nach, Verträge, Urkunden, Schenkungen, Gewohnheiten. Darauf trotzt! Mit Art und Manier zugegriffen, daß sie euch nicht Strauchdiebe und Wegelagerer schelten dürfen. Himmel und Hölle, hast du nicht ein Recht, oder wenn du nicht, hatten's deine Väter nicht, haben sie's nicht einmal geübt, daß der Krämer dort seine Waren auslud, daß er in jenem Kruge trinken mußte, daß der Schiffer dort anlegte, daß die Wallfahrer da singen mußten. Strengtet ihr alle, strengten wir alle unseren Grips an, da kämen Rechte zusammen wie Sand am Meere, und zweifelt ihr dran, daß sie übertreten werden? Da zugeschlagen, da euch in Besitz gesetzt, und wenn die Kerle schreien, wir wieder! Wenn der ganze Adel zugleich den Mund auftäte, was müßte das für ein Geschrei geben. Wenn ihr klug wärt, nähmt ihr Pfaffen, Gelehrte dazu – es gibt überall solche Gesellen von der Feder, die euch für eine Bratwurst aus dem verräucherten Pergament beweisen, was ihr bewiesen haben wollt. Da denn gepocht, ihm das Gewissen heiß gemacht. Solche verräucherten Scharteken mit alten Satzungen und Gerechtigkeiten sind ihm ein Spielzeug; er dünkt sich was darauf, sie zu schützen und zu bewahren. Das Eisen geschmiedet, solange es warm ist. Hier hilft uns seine Jugend. Er muß nicht zur Ruhe kommen vor lauter Klagen und Beschwerden. Er muß so eingeheizt werden, daß er nicht aus und ein weiß, daß er links und rechts ausschlägt. In der Wut schlägt man falsch; das gibt uns immer neue Waffen. Am Ende verwirrt, gescholten, mißverstanden, läßt er alles gehen, wie es ist, und mehr brauchen wir nicht. Dann ist das Regiment wieder in unseren Händen, wie es sein müßte von Gott und Rechts wegen in der Mark Brandenburg.«

Der Herr von Lindenberg war aufgestanden und tat einen vollen Zug aus der Kanne. Peter Melchior kraute sich im Kopf und schielte schlau nach dem Redner und den beiden andern.

»Donnerwetter!« schmunzelte seine Zunge, als schwelgte seine Einbildungskraft in Zuständen, die nur in der Märchenwelt Wahrheit sind.

»Ach, ihr seid alle zu träg«, fuhr der Redner fort. »Ihr schickt euch nicht in die Zeit, ihr lernt nichts von der Zeit. Wozu hat euch Gott ein Maul gegeben, daß ihr andere klagen laßt! Wo soll er Respekt bekommen vor dem Adel? Ich allein kann's nicht alles einfädeln, die Zunge wird mir trocken, der Rücken krumm und steif zugleich. Statt daß ich angreifen dürfte, wenn ich euch hinter mir habe, muß ich in einem fort euch entschuldigen. Da geht dem besten Mann der Mut aus: und ein Höllendienst ist's, der Hofdienst, bei solchem! Wünschte, ich wäre auch, wie der Wilkin Lüderitz, verfemt; da könnte ich mich einmal erholen.«

Es trat eine Pause ein.

»Schade«, sagte Peter Melchior.

»Was?«

»Ich meine den Hedderich! Es muß eine Lust sein, solch ein fettes Schwein in den Graben zu werfen.«

»Um diese Jungen tut's mir leid«, fuhr der Gast, auf und ab gehend, fort. »An uns Alten ist nichts mehr gelegen, wir nehmen unsere Schande mit ins Grab. Aber der Aufwuchs, was soll daraus werden! Wo sollen sie ihre Sporen verdienen? Turniere kommen ab, Fehden gibt's nicht mehr, wenn man nicht für einen Fürsten oder gegen die Türken seinen Leib zerhacken läßt. Absagen soll keiner mehr dem andern. Die goldene Zeit bricht an für die Feigheit; die Federfüchse werden Helden werden. Und das nennen sie Recht und Gerechtigkeit! Wo sollen die Jungen fühlen lernen, daß sie frei sind, daß adlig Blut in ihren Adern fließt! Nicht mal 'nen Zeitvertreib gönnt man ihnen. – Wo zog der Hedderich hin?«

»Nach Brandenburg«, sprach rasch Hans Jochem. »Er hatte zween alte Gäule, die ziehen im Sande nicht schnell.«

»Hört das junge Füllen. Möchte durch den Stall brechen auf die Nachtweide«, lachte Peter Melchior.

»Was seht Ihr mich an?« fragte der Gast.

»Ich meinte nur, Herr von Lindenberg –«

»Pst, keinen Namen.«

»Probieren wir's? 'nen Spaß. Nur daß die Jungen nicht aus der Art schlagen.«

Der Ritter blickte die Vettern an: »Sind die schon mal ausgeritten?«

Beide senkten die Köpfe.

Der Gast war ans Fenster getreten und hatte hinausgeschaut: »'s ist wie Maienluft.«

Peter Melchior hauchte in die Hand: »Gen Brandenburg? Ich weiß den Weg.«

Lindenberg hatte sich wieder in den Lehnsessel geworfen: »'s ist nicht meine Art, das hab ich schon gesagt; aber weiß der Geier, es prickelt mir in den Fingern und saust in den Ohren.«

»Man muß sich solche Gelegenheiten nicht entgehen lassen, und Ihr bedürft einer Erholung, Herr von Lindenberg«, fiel der andere ein. »Ist ja der Lumpenkerl noch nicht mal bestraft von wegen all dem Tand. Ich erzählte Euch doch! Und Hans Jochem hat er um ein paar Hosen geschnellt, und wer weiß, was noch dabei war. Unser Hans Jürgen, eine Schande war's, der mußte ihm die Pferde zäumen und die Ballen aufladen helfen. Pfui eines Bredows Sohn! Weiß auch gar nicht, was der Frau Brigitte einfiel.«

Wilkin von Lindenberg war rasch aufgestanden und schüttelte sich wie einer in seiner Stahlrüstung:

»Na! 's ist ein Fastelabendspaß.«

»Ohne Lichter! Der Mond geht nach Mitternacht unter. Könnten ohne Kappen reiten; keine Katze erkennt uns in dem Duster. Aber wenn man 'nen guten Einfall beäugelt, springt er fort wie der Floh, den man zu lange zwischen den Fingern hielt.«

»Begleiten uns die jungen Herren?« fragte der Ritter.

»Das versteht sich! Frau Brigitte würde sie schön ansehen, so sie Anstand nähmen. Stehn ihre Rosse schon gesattelt, daß sie Euch das Geleit geben:

›Weil's im Walde duster ist‹.«

Der Herr von Lindenberg schien indes die Antwort des Junkers von Krauchwitz nicht für voll zu rechnen, noch ihn als Vormund für die jungen Leute gelten lassen. Er näherte sich ihnen mit halb hingehaltener Hand. Mit einem Sprunge schlug Hans Jochem ein. Seine Augen funkelten. »Und Ihr?«

Hans Jürgen hatte auch schon die Hand gehoben, aber unwillkürlich blieb sie zurück, seine Augen schlugen nieder, als sie den forschenden Blicken des vornehmen Gastes begegneten, und unwillkürlich entfuhr ihm der Name seiner Base Brigitte. Das laute Auflachen des Junkers Peter Melchior hätte ihn weniger erschreckt als der spöttische Zug um des Ritters Lippen.

»Base Brigitte darf's freilich nicht wissen«, lachte Peter Melchior fort.

»Noch jemand sonst, weder jetzt noch künftig«, sprach der Ritter mit strengem Tone. »Aber das sind fromme und gute Bedenken des jungen Mannes. Unsere Wirtin sieht den Spaß wohl anders an als wir. Wer nicht Vater und Mutter hat, handelt klug und gut, wenn er den Willen seiner Pflegeeltern bei allen Schritten seines Lebens zu Rate zieht. Das geht nun hier nicht an, also, mein Herr von Bredow, entbehren wir für diesmal das Vergnügen –«

»Blitz und Hagel«, fiel Peter Melchior ein, »will er ein Duckmäuser bleiben! Solche Gelegenheit sich entwischen zu lassen!«

»Meine Muhme bestimmte ihn vielleicht fürs Kloster, oder zum Schreiberdienst in den Kanzleien. Darum bitt ich mir's aus, scheltet den jungen Mann nicht. Eines schickt sich nicht für alle!«

Wie sich da die beiden Vettern ansahen! Hans Jochem prustete auf, Hans Jürgen traten die Tränen ins Aug; und wie er sie fühlte, ward er glührot. Es zitterte ihm in der Brust, daß er zuerst kein Wort vorbringen konnte. Dann brach's heraus:

»Ein Mönch werd ich nicht und ein Schreiber auch nicht. Herr von Lindenberg, und wenn's kosten soll, ich weiß nicht was, wenn Ihr's für recht haltet, und wenn Ihr mich wert haltet, ich bin meines Vaters Sohn. Nehmt mich doch mit, ich bitt Euch, daß ich's zeigen kann.«

»So hatt ich's erwartet.« Der vornehme Ritter nahm den Arm des jungen Menschen und klopfte ihm an die Hand auf seiner Brust. Er sprach etwas leiser mit Peter Melchior, der sich darauf mit Hans Jochem entfernte. Beide waren nun allein.

»Lieber von Bredow, es freut mich, daß ich meines alten Freundes Sohn als einen so wackeren jungen Mann wiederfinde. Meint Ihr, daß ich im Ernst glaubte, Ihr wolltet Mönch werden oder Schreiber? Nehmt mir's nicht übel, daß ich Euch prüfte, so wenig ich es Euch verarge, daß Ihr vorerst Bedenken trugt. Das zeigt, daß Ihr über eine Sache nachdenkt, und das ist gut. Ihr seid noch jung, und in diesem Sumpfnest konntet Ihr nicht lernen, was in der Welt not tut. Eure Base Brigitte ist ein wacker Weib, eine gute Hausfrau, Gott erhalte sie lange meinem Vetter Götz; aber junge Edelleute zu erziehen, taugt sie nicht. Laßt mich dafür sorgen, wenn ich Euer erstes gutes Stück gesehen.«

Hans Jürgens Brust atmete auf.

»Nachdenken, ehe man's unternimmt, ist gut, wie ich sagte. Doch wenn Eltern für Euch denken, mögt Ihr Euch die Mühe sparen. Hans Jürgen hielt es vielleicht vorhin für nicht ganz recht. Mein lieber junger Freund, wenn alles recht in der Welt herginge, dann sähe es anders aus. Man hätte nicht gewagt, Euch zu befehlen, mein Pferd in den Stall zu führen, Ihr säßet zu Selbelang auf Eurem eigenen. So ist's nun nicht in der Welt; es hat sich alles verrückt, und der einzelne tut genug, wenn er, was an ihm ist, die Sachen wieder in die Richte schiebt. Was sind jene Krämer, die jetzt so viel Geschrei machen über Gewalttätigkeiten und Unrecht? Betrüger! Auf unseren Straßen ziehen sie, über unsere Brücken fahren sie, ihre Pferde grasen in unseren Wäldern, und wir sollen sie nicht zur Rede darüber stellen, ihnen keinen Zoll, kein Geleitsgeld abfordern, was unsere Väter taten. Geben sie uns Geschenke dafür, danken sie uns nur? Nein, sie ziehen dem Bauern, dem Edelmann das Fell vom Leibe, und man muß sie mit Samthandschuhen anfassen, sonst machen sie Lärm. Das kann so nicht dauern. Alle Kreatur krümmt sich und wehret sich; nur der Edelmann soll stillschweigen und alles dulden. Der Bürger schließt sich in seine Mauern und läßt nur die Marktleute ein, die ihm gefallen und Abgaben zahlen. Der Fürst läßt sich steuern, Zins und Schoß, immer mehr, immer mehr. Der Pfaff nimmt den Decem, Opfer, Beichtschilling, und ist's ihm genug! Uns nur soll alles genügen. Das geht nicht an. Im übrigen, das ist heute nur ein Spaß. Wenn wir den Lumpenkerl nicht ein bißchen schütteln, tut's ein anderer, und ärger. Dem Galgen entgeht er doch nicht; er hat bei dem Schacher selbst Seine Kurfürstlichen Gnaden übers Ohr gehauen, und nach Berlin wagt er sich gar nicht mehr. Das war eitel Gerede von ihm, wie man's auch deutlich sieht, daß er sich von der großen Heerstraße mit seinem Raube durch die Wälder schlängelt. Wer ein gut Gewissen hat –«

Draußen ward es lebendig. Die Rosse wurden aus dem Stall gezogen.

»Unterwegs plaudern wir weiter, Herr von Bredow. Seht, da geht der Pfaff über die Galerie in seine Schlafkammer. Der braucht heute nicht gewiegt zu werden. Lacht sich ins Fäustchen, wie er uns balbiert hat. Ihr denkt doch nicht, daß er sich daraus ein Gewissen macht? Vor seinem Heiligen, wenn er kniet, hat er hundert Gründe, warum er's tat. Mein Lieber, so tun's die Menschen alle. Jeder wird balbiert und balbiert die andern wieder. Der nur ist ein Tor, der nur hat unrecht, der es geschehen läßt und sich nicht hilft. Übermorgen, Lieber, müßt Ihr mir den Gefallen tun und mich in Berlin besuchen. Mit Eurer Base laßt mich's abmachen. Ich will Euch dem Kurfürsten vorstellen. Er denkt eine Ritterakademie zu gründen, wo wackere junge Adlige in adliger Zucht und Sitte erzogen werden sollen.«

»Ich!« rief Hans Jürgen.

»Aber erst ein kleines Probestück.« Der Ritter klopfte ihm auf die Schultern.


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