Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Viertes Kapitel

Der Krämer und der Sturm

Hans Jürgen und Eva hätten nicht nötig gehabt, sich zu fürchten, weil sie der Edelfrau begegneten. Die Frau von Bredow sah nach anderen Dingen. Ein Wunder, daß sie nicht früher das Kichern, Schreien und Händeklatschen gehört, ein Lärm, den eine Hausfrau nimmer dulden durfte.

Sie standen, ihr den Rücken zugekehrt. Die schlugen in die Hände, die sprangen vor Lust. »Heidi mit ihm! So ist's ihm recht!« schrien sie und hörten darüber nicht, daß die Herrin zürnend fragte: wer denn schon Feierabend geboten?

Es war nicht der Feierabend, es war ein Reiter, der auf seinem atemlosen Gaule einen sehr unfreiwilligen Ritt machte. Mutwillige Buben hatten ihm das Geleit gegeben mit Ruten und Stricken; aber mehr als ihre Streiche scheuchte das arme Tier der trockene Dornenbusch, den sie ihm an den Schweif gebunden. Der alte schwerfällige Gaul schoß über Stock und Block, unbekümmert, ob der Mann, der auf seinem Rücken saß und sich mit vorgestrecktem Leibe in seinen Mähnen festhielt, einen Willen hatte oder keinen; unbekümmert, ob er noch hing oder schon herabfiel.

Der Mann, der jetzt nur noch ein schwarzer Punkt war, war vorhin hier der Mittelpunkt. Es war viel vorgegangen. Als er noch auf seinem Karren stand, wie hatten die Mägde Maul und Nase aufgesperrt. Litzen und Seidenbänder, Gespänge, Ketten und Ohrringe, und die feuerroten und schreiend gelben Tüchlein, wie hatten sie in der Sonne geflimmert. Solche Schätze, die ein ganzes Leben glücklich machen konnten, besaß ein Mann. Dann hatten sie mit ihrem Schatz verhandelt, und der Schatz zog endlich sein ledern Beutelein hervor und zählte die Pfennige, ob es reichen würde, und dann war gehandelt und gefeilscht worden, und der Krämer hatte Stein und Bein geschworen, daß das Bändchen und der Ring ihn selber mehr koste, als er fordere, aber um die Hälfte hätte er's doch gelassen, nur der Kundschaft wegen.

Hans Jochem, der Junker, der doch immer obenauf war, wo es was Lustiges galt und Schelmenstreiche, was war er mit einem Male ernst geworden und schaute auf ein Etwas, das der große Handelsmann vor ihn hinhielt. Zuerst sah es aus wie eine große Wurst, etwa zwei Schuh lang und gut einen dick; dann als der Kaufmann die Schnüre löste und es auseinanderlegte, und immer weiter und weiter, da hätte einer denken mögen, es wäre ein Sack, um einen Eber darin zu fangen. Aber nun steckte er beide Arme hinein und gar den Kopf auch, und so weit er auch mit den Armen fuhr, er erreichte nicht das Ende, denn ein Fältchen faltete sich nach dem andern, und es war pures schönes Tuch, ausgeschlitzt und gesäumt und gefüttert mit Seiden. Dann gab er's dem Junker zu halten, daß er es gegen die Sonne hielte, und als Hans Jochem es hielt, zitterte fast der Junker vor Freude.

»Ihre Kurfürstlichen Gnaden haben selbst nicht bessere«, sagte der Krämer.

»Dann ist's nichts für mich«, sagte der Junker leise und wollte zögernd das Prachtstück dem Kaufmann zurückreichen.

»Was«, rief der, »nichts für meinen Junker von Retzow. Für wen denn sonst? Braucht ein havelländischer Junker sich zu scheuen, um den Leib zu gürten, was der Markgraf umtut! Der Wichard von Rochow, gnädiger Junker, hatte schon bei Lebzeiten Kurfürst Johann Ciceros ein Paar Hosen um, wenn man sie auspuffte, war er in der Breite so lang als groß, und er maß doch an sechs Fuß. Das kümmerte ihn gar nicht, als der Kurfürst hochseliger ihn fragte, ob die Ernte von Golzow in einem und die von Rekahne im anderen Beine Platz hätte. Kurfürstliche Gnaden, erwiderte Herr Wichard, auch die von Potsdam, so mir das wiedergegeben würde, was meine Väter mit Recht besitzen taten. Da wandte ihm der Kurfürst den Rücken und sprach kein Wort, aber die anderen Edelleute lachten für sich und drückten Eurem Vetter die Hand, daß er's ihm so gut gegeben hatte.«

»Kriegen Potsdam doch nicht wieder«, sagte der Junker Melchior.

»Probiert sie nur an«, fuhr der Handelsmann fort, der sich um das Prachtstück nicht viel mehr zu kümmern schien, indem er schon in neuen Schubladen nach neuen Schätzen suchte. »Nehmt Ihr sie nicht, nimmt sie ein anderer. So was verkauft sich von selbst. Bloß probieren, Junker, weiter nichts, damit die Frölein sehen, wie es sitzt. – Ei der Tausend, und wie angegossen, wie zugeschnitten für Euch. Nun häkeln wir's nur ein bißchen fest und dann die Knieschnallen.«

Junker Hans Jochem hatte probiert. Über die knappen Drilchhosen waren die weitgebauschten Tuchhosen mit Leichtigkeit gefahren, und der Handelsmann hatte sie mit fertigen Händen zugenestelt.

»Nein, so schön und fürnehm sahen wir unseren Junker doch noch niemals«, sagten die Mägde, und alles trat zurück, ihm Platz zu machen, und seine Wangen glühten einen Augenblick im Abendrot, wie der Saum der Purpurschlitze, die sich öffneten und schlossen.

Als er schüchtern gefragt, was sie wohl gelten täten, hatte der Krämer Pah! gerufen, sie würden auch nicht das Römische Reich kosten. Unversehens, meinte Hans Jochem, war er ans Fließ getreten und hatte sich unversehens im Wasser beschaut. So hatte ihm nie ein Kleid gestanden. Und er dachte: Ei, und wenn's auch eine Mark ist! »Frag ihn aber genau, Hans Jochem, der Hedderich ist ein Schelm«, hatte Mühmchen Agnes ihm besorglich zugeflüstert. Und das Wort war nun ausgesprochen, das alle Freude vergällte, und eiskalt und schwer bauschten sie ihm nun um die Hüften und schienen den armen Tor auszulachen. »Fünfzig Ellen Zeug verschnitten!« fuhr der Krämer fort. »Und Flamländisches, vom Feinsten, wie es nur ins Land gekommen, und die Schlitze von mailändischer Seide und die Schnallen von Venedig. Ein paar Mark ist gar kein Geld dafür!« –

»Ach, armer Hans Jochem!« hatte Agnes leise geklagt.

Der ist mir sicher, hatte Klaus Hedderich gedacht. »Wer wird von jungen Leuten bar bezahlt nehmen. Im Stock zu Havelberg, da liegt mein Schilling gut aufgehoben, und nur ein Wort vom gnädigen Vormund, so zahlt er auch drei Mark fürs Warten.«

Wie sollte Junker Gottfried zahlen wollen für ein paar Pluderhosen, er, der – welche niederschlagenden Wetterwolken zückten da um alle. Wär's doch für ganz Hohen-Ziatz eine Ehre, so dachte der Meier, so dachte der Knecht. Und der unterste leibeigene wendische Mann, der mit den Schweinen unter einem Dache verkehrte, der nie sich unterstehen dürfte, mit seinen Bastschuhen über die Schwelle zu treten, wo die Herrschaft saß, er dachte auch so. Er hätte sich auch freuen müssen, und hätte sich gefreut, wenn das hübsche Ziehkind von Hohen-Ziatz das Leibstück gewann. Was hatte er vom Junker? Der sah ihn nicht an, wenn er aufs Roß stieg. Einmal, als er nicht schnell genug beiseite sprang, hatte er ihm mit der Gerte einen Riß gegeben, der durch die Schwielenhaut drang, und viel fehlte nicht, hätte er ihn übergeritten, aber der Junker gehörte doch zum Haus. Des Hauses Ehre war auch des armen Leibeigenen Ehre. Eigene hatte er nicht.

Das dachten die andern, Hans Jochem aber nestelte an dem Bund, und ihm zur Qual hatte der Krämer den Riemen so fest verhakt, daß er's gar nicht loskriegen konnte.

Bald darauf hatte es aber ganz anders ausgesehen. Da stand der Krämer nicht mehr auf seinem Wagen wie ein Herr der Herrlichkeit. Sie hatten ihn heruntergerissen und schrien ihn an, und er hob umsonst die Hände und beteuerte umsonst seine Unschuld. Die Mägde hatten am Fließ an einem der bunten Tücher, die er als echt verkauft, die Probe gemacht, und: »Es ist falsch!« schrien die wütenden Dirnen, und die Knechte wiederholten: »Er verkauft falsche Ware!« Das nasse Tuch schlug ihm ums Gesicht, daß es gelb und rot wurde. Vor Schrecken war der Anne Susanne der Silberring, den der Großknecht Christoph für sie gekauft, aus der Hand gefallen, und der ein Brautring werden sollte, zersprang am Stein, auf den er fiel, und das Silber war zusammengelötet Blei. Nun schien es um den Krämer Klaus Hedderich getan. Vergebens lag er auf seinen Knien und versprach Buße, vergebens rief er, er selbst sei von den Nürnberger Herren betrogen worden, vergebens versprach er schöne, bessere Ware dafür, ein Goldringlein, das des Kurfürsten Goldschmied selbst prüfen solle, für das Wollentuch eins von echter Seide. Vergebens rief er den Junker Melchior an, seiner sich anzunehmen, vergebens den Burgfrieden von Hohen-Ziatz und die Gerechtigkeit der edlen Herren von Bredow, vergebens den Junker Hans Jochem, er wolle ihm die Hosen lassen um den halben Preis. Er war ein ganz verlorener Mann. Zum Galgen mit ihm! schrie es. Da waren die Pferde ausgespannt, da war sein Karren umgestürzt, die Riemen gesprengt, und die Päcke und Kasten und Kisten rollten. Sie zerrten und stießen ihn, und die Peitschenschnüre der Knechte konnten gar noch nicht an ihn kommen vor den ergrimmten Mädchen, die mit ihren Fäusten und Nägeln gegen den gottvergessenen Betrüger eiferten.

Daß sie ihn gehängt hätten, will ich nicht meinen, aber schlimm wär's ihm ergangen, wenn nicht der Junker Peter Melchior sein Wort darein gesprochen. Er meinte, was es ihnen hülfe, so sie dem Mann die Haut gerbten oder ihn aufhingen mit den Händen an die Kiefer, oder in den Sumpf steckten bis ans Kinn; dann kämen doch andere und zögen ihn raus, und man wisse nicht, was danach käme, wobei der Junker nach dem Waldweg zwinkerte, den die Burgfrau gegangen. Sie sollten ihn laufen lassen oder zum Teufel jagen. Ja, je eher man solchen falschen Kerl los würde, desto besser; dann könne man sich an seine Sachen halten und zusehen, ob in dem Plunder was sei, um den Schaden gut zu machen.

Ehe er sich's versah, saß nun der arme Krämer auf dem Gaul, ehe er noch ein Valet sagen konnte seinem Kram, sah er ihn nicht mehr.

So war es geschehen, und der Junker Hans Jochem sah auf seine schönen Hosen nieder, in deren Karmesinpuffen die Abendsonne mit Wohlgefallen sich zu fangen schien, und er dachte, die hat der Mann nun vergessen, und zugleich dachte er, wie mag der Mann nun zu seinem Gelde kommen, und dann kam noch ein Gedanke, der machte sein Gesicht so rot wie die Puffen. Es klang ihm mit einem Male wie des Dechanten Stimme aus dem Dornbusch: »Da sieht man abermals Gottes Fingerzeig und sichtliche Fügung, er hat dich betrügen wollen, und nun ist er betrogen. Wollte den doppelten Preis, den sie kosten, und nun hat er nichts!« So lispelte es zu ihm, oder der Junker glaubte es, aus dem Dornstrauch, durch den ein gelbes Licht von der untergehenden Sonne streifte, und es ging ein seltsam Zittern und Knistern darin um, wie wohl zuweilen der Wind tut. Aber derselbe Wind schüttelte in den Wipfeln des Baumes, daran Hans Jochems Spieß stand, und der Spieß, der nicht fest stand, rüttelte. Da schien es ihm, als ob der Spieß flüsterte: »Schäme dich, Hans Jochem. Du bist ein Edelmann und kein Dieb. Ja, wenn du ihn geworfen hättest, den schlechten Kerl, in den Graben mit ihm und einen blutigen Kopf, wenn er räsonierte, dann hättest du's ehrlich nehmen mögen, mit guter Sitte, und kein guter Mann hätte zu dir sagen können, du seist ein Dieb. Aber so du sie behältst und hast nichts für gegeben, nicht Streiche, nicht Geld, das kann das Bettelmensch auch und der Zigeunerbub, die hängt man, und die Hand wird unehrlich, die sie anrührt!«

So sprach's im Busch und so im Baum zu Hans Jochem, und er stand wie eingewurzelt und hörte noch nichts von dem Donnerwetter. Mit der einen Hand nestelte er am Gurt und mit der anderen streichelte er die schönen Karmesinpuffen. Da flüsterte ihm wieder etwas ins Ohr: »Tu sie los, lieber Hans Jochem, tu sie los, es tut nicht gut. Ach heilige Agnes, da ist sie schon«, seufzte die kleine blasse Agnes.

Es frommt nicht, zu viele Ungewitter zu malen, nicht für den Maler, nicht für den Dichter. Wer immer Sturm und Nacht vorbringt, von dem meint man wohl, daß er das liebe Sonnenlicht nicht ertragen und vor der stillen Luft sich fürchte.

Und wir haben noch von so vielen Unwettern zu erzählen.

Also es hatte gedonnert und gewettert, und wer denkt sich nicht wie, der unsere Frau von Bredow kennt, und wie ein Kornfeld mit geknickten Ähren standen sie blaß umher und ließen die Köpfe sinken. Nun hatte sich Frau Brigitte umgesehen, wer dem Krämer nachreiten sollte, und ihr Auge fiel auf Hans Jochem. Der ist nicht der Schlimmste, dachte sie, er ist von gutem Blute.

Wie sollte Hans Jochem aufs Pferd! Der konnte nicht reiten, das sagte der erste Blick; aber rasch hatte die Edelfrau nach dem nächsten sich umgeschaut, der's konnte: »Hans Jürgen!« Hans Jürgen ward auch blutrot, und er hatte doch keine Pluderhosen an. Eva sah erschreckt die Mutter an, die auch rot war, aber vor Zorn. »Aufs Pferd!« Wo stand auch gleich ein gesattelt Pferd bereit?

Ein Kärrnergaul trabt dem anderen am besten nach. Hans Jürgen mußte auf das Tier ohne Bügel und Sattel. Alt war es, hochbeinig und mehr Knochen als Fleisch, und ein Ritt war es, der durch Mark und Nieren ging. Zu anderer Zeit hätten sie aus Herzenslust gelacht; wer sich aber fragte, ob er lieber Hans Jochem war, der zurück blieb, oder Hans Jürgen, der fort mußte, beneidete heut den armen Hans Jürgen, den der Gaul in die Lüfte warf.

Eine dunkle Wetterwand war im Abend aufgezogen. Sie stieg höher und höher; ein verräterischer Wind streifte über die Heide und regte die Wipfel der Bäume. Zu anderer Zeit hätte meine Frau von Bredow, deren scharfem Auge nichts entging, das anziehende Unwetter längst gemerkt, und sie würde, wie der Schiffskapitän, rasch und kurz ihre Befehle ausgeschrien haben, die Segel einzuziehen, die Päcke und Ballen zu schnüren, um das Schiff nach dem Hafen zu steuern. Aber die beste Frau bleibt eine Frau. Die Beichte im Walde, das Gericht am Lager, sie die Richterin und vor ihr der arme Sünder, das war zuviel innerer Sturm, um auf die Zeichen des Sturms draußen achtzuhaben.


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