Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Es trifft sich wohl, wo viele sündigten, daß Gericht und Strafe wie Gewitterwolken über die Häupter der Schuldigsten fortrollen, um einzuschlagen auf einen armen Sünder, der den geringsten Teil der Schuld trägt. War Hans Jochem so arg, wie die Frau ihn schalt, so war er darin wenigstens noch unverdorben, daß er sein Schuldbewußtsein nicht zu bemänteln wußte; es stand auf seiner Stirn geschrieben, und sein kreideweiß Gesicht sagte zu allem ja, als die Base ihm seine Eitelkeit und Hoffart in Worten zu kosten gab, die wie Hagel auf eine Fensterscheibe klirrten.

Er wußte sich nicht zu verteidigen, er verwirrte sich in seinen Worten, wie seine Hände in den Schlingen des Gurtes, den er durchaus nicht loskriegte. Er hatte das Prachtstück gewollt und auch nicht gewollt, aber Agnes Bredow trat plötzlich als seine Advokatin auf. Das stille Mädchen ward zur Rednerin. Ihr Vetter hatte es nicht gewollt, versicherte sie, durchaus nicht gewollt, aber der Krämer hatte es ihm angetan; er hatte sich gesträubt, aber er hatte sie anprobieren müssen, und da saßen sie ihm fest, man wußte nicht wie. Selbst hatte sie's gesehen, wie er die Schnallen und Binden geschlossen, der schlimme Mann, und durchs Herz war's ihr gefahren, wie es da aus seinen Augen geblitzt. Oh, es war ganz gewiß, daß ihr armer Vetter besprochen war, und der Beweis dafür war zu deutlich, daß er noch jetzt das Bund nicht loskriegte.

Eva sah verwundert ihre Schwester an, wie ihre Augen glänzten: »Und er ist verzaubert! Ich laß mir's nicht nehmen!« schloß Agnes und sah sich nach Hilfe um, wobei ihr Blick fast bittend auf dem Dechanten haften blieb. Der zuckte die Achseln und meinte, daß allerdings einige in Berlin meinten, wie es mit dieser Mode, die aus den Niederlanden herübergekommen, nicht seine Richtigkeit habe, und von Dämonen wissen wollten, die in diesen zerhackten und zerschlitzten Ungetümen säßen, um des Menschen Sinne zu betören, wie er indes in solchen weltlichen Dingen zu wenig Erfahrung habe, um darüber zu entscheiden. Peter Melchior, der sich sehr in den Hintergrund gedrückt hatte, gab auch jetzt sein Wort darein, es sei ihm sehr wahrscheinlich, er habe dem Hedderich nie getraut. Der Knecht Ruprecht nickte bedeutungsvoll mit dem Kopfe, die Großmagd Anne Susanne schrie und weinte über den gottlosen Zauberer, und der Dechant, der sich in die allgemeine Stimme fügte, zuckte wieder die Achseln und erklärte sich wohl bereit, wenn der Bund nicht aufginge, durch einen gehörigen Exorzismus die bösen Mächte zum Weichen zu bringen; aber Frau Brigitte meinte: »Den Exorzismus überlaßt mir!«

Mit einem Ruck von ihren kräftigen Händen war es geschehen, der Gurt gerissen. Da aber die Knieriemen noch fest verschnallt waren, fiel die ganze Wucht der fünfzig zerschlitzten Ellen wie ein Faß, dessen Reifen gesprungen sind, nach allen Seiten und bedeckten in flammendem Karmesin des Junkers Füße. Jetzt sah Hans Jochem allerdings wie verzaubert aus.

»Verhext war er auch, das hat seine Richtigkeit, Herr Dechant«, sagte die Edelfrau ruhig. »Will's Euch aber erklären, wie es zuging. Als er das bunte Satanszeug umhatte, will's gern glauben, daß er's nicht genommen, überkam ihn die Lust, daß er's nicht wieder abtäte. Da war's ihm schon angetan; das ist der eine Teufel. Und weiter ward's ihm angetan, als Ihr den Schelmen einen Schelmen nanntet und jagtet ihn über alle Berge, doch seine Sachen, da hattet Ihr kein Ärgernis dran, daß er sie hinterließ. Und Hans Jochem hatte auch kein Ärgernis, daß ihm der Plunder fest am Leibe saß, mit der einen Hand hat er genestelt, daß er ihn losbekäme, aber mit der andern sie wieder festgehalten. Da kam der zweite Teufel und hat ihm zugeflüstert: Wenn der Hedderich sie nicht kommt holen, wer zwingt dich, daß du sie ihm bringst? Nun betete er, zu wem, das will ich nicht sagen, daß er sie nicht holen möchte, und das war der dritte Teufel. Einer, drei, meinethalben sieben, damit ein Junker ein Paar Hosen umsonst kriegt, aber ich will sie alle sieben austreiben, so wahr ich Brigitte Bredow heiße, und dazu brauch ich kein Weihwasser und keinen Priester.«

Man weiß nicht, wie es Hans Jochem ergangen wäre, und ob die Base zu ihm gekommen wäre, wenn er nicht zu ihr kam, was aber gar nicht gehen wollte, da ihm die Knieschnallen noch fest saßen, und als er sich bewegte, der halbe Kramladen Tuch an seinen Beinen schleppte und eine Wolke Staubes auffegte, wenn nicht jetzt sein Vetter Hans Jürgen ihm zu Hilfe gekommen wäre.

Ohne Sattel und Bügel zu Roß, und doch lenkte er noch ein ander Roß, mit einem Manne drauf, und zog es hinter sich an einem Seil, wie der Knochenhauer das Kalb, das er zu Markt schleppt, und jetzt riß er es vor, ohne den Mann drauf drum zu fragen, daß es sich überstürzte und der Krämer Hedderich fast auf seinen Kram gefallen wäre.

»Mir gefällt etwas hier nicht«, sprach der Junker Peter Melchior bei sich. Da doch alle von Herzensgrund lachten, die einen vor Schadenfreude über den Krämer, die andern vor Freude über Hans Jürgen, daß er es so gut gemacht. Der Dechant, der neben ihm stand, sagte, es sei die Luft, und schlug sein Gewand fester um.

»Was ist das!« schrie einer, »Sieh da!« und der Wind antwortete. Es war nicht mehr das Flüstern und das Lispeln in den Wipfeln, es wehte wie warmer Brodem aus dem Ofen und pfiff und schrillte dazwischen. Das Wasser war unruhig, und die Krähen flogen krächzend um die Kieferwipfel.

Die Wetterbank im Abend war aufgestiegen, unmerklich, aber schwarz wie ein Gebirg, und unten riß es wieder und teilte sich, ein großes Tor, und ein gelbes helles Licht strahlte draus vor.

»Jesu Maria, sei mir gnädig, das will was bedeuten!« So rief eine, und die andere dachte es. Die Edelfrau allein hatte, die Hand vorm Auge, ruhig hingeschaut.

»Ein Sturm, das will's bedeuten, wie Gallus ihn nachschickt!«

Es fuhr, kaum daß sie's gesprochen, wie ein Schlag oder Schuß. Die eine Wand des letzten Zeltes war losgerissen, es schlug über, der Sturm faßte die Leinwand, und mit einem Krachen fuhr es über die Köpfe sausend hin. Nicht das Zelt allein, Leinen, Zeug, wie ein Schneetreiben flog es. Mützen, Mäntel, Hüte hintendrein, wer sie nicht festhielt. Wo die Fichten sich beugten wie Rohr, was sollte man nicht kreideweiße Gesichter sehen und von den blassen Lippen Stoßgebete gemurmelt und die Heiligen angerufen.

»Es ist hier nicht richtig, ich hab's immer gesagt«, wiederholte der Junker Peter Melchior.

»Da fliegt die Hexe leibhaftig!« schrie es. Nicht die Wolken, die, mit gelbroten Streiflichtern vom Sturm getrieben, über die Köpfe sausten und ihre Bäuche an den Fichten schlitzten, ein Klumpen, ein Ungetüm von allerhand Farben breitete in der Luft seine Polypenarme aus.

»Ave Maria, alle Heiligen!« stöhnte der Dechant. »Es sitzt auf ihm.« –

Er lag auf seinen Knien; es zog ihn nieder, eine dunkle, unwiderstehliche Macht. Er rang vergeblich, wie der unglückliche Heerführer der Griechen, als sein treuloses Weib ihm das faltenreiche Gewand über den Leib geworfen. Jeder hatte mit sich und dem Seinen zu tun, selbst die Edelfrau flog an ihm vorüber, unbekümmert um ihren Seelsorger. Aber das tüchtige Weib packte den Hans Jochem, dem's endlich gelungen war, die Knieschnallen zu lösen, und der mit aufgerissenem Munde dem Pluder nachsah, als ihn der Wind forttrug. Nun drohte sie ihm, hier sei nicht Maulaffen feilzuhalten. Seinem Vetter Hans Jürgen ging's nicht besser. Den riß sie von der Arbeit, die sie ihm kaum aufgetragen, denn in der Not ist jeder sich selbst der nächste. Der Krämer Hedderich war auch wohl der Mann, für sich allein zu sorgen, wenn man ihn nur sorgen ließ. Mit einem Satz war er auf den Dechanten losgestürzt. Der arme Dechant! Auf schrie er, denn nun glaubte er, der Gottseibeiuns selbst liege auf ihm, und stöhnte Gebete unter dem Alp. Aber der Alp löste sich, und unversehens hatte er ihm die Wolke vom Gesicht gerissen. Nur die Worte des Verderbers hörte noch der fromme Mann: »Daß dich! lüstet's dem Pfaff auch nach Pluder, das gibt Luder.« –

»Sanktissima!« kreuzte sich der Dechant und floh in den dichtesten Wald den andern nach.

Wer das vorhin gesehen und es nun sah, hätte mit guten Ehren an einen Hexensabbat denken mögen. Noch ebensoviel Wirtschaft und Wirrwarr, und kaum das Viertel einer Stunde, so war es still und einsam am Lieper Eck. Menschen, Tiere und Wagen waren in den Wald verschwunden. Noch hörte man die Räder knarren, noch das Blasen des Hornes, wenn der Sturm einen Augenblick schwieg, aber von allen, die hier eine Woche so lustig hantiert, war nicht übriggeblieben ein Tüchlein am Strauch, nicht ein Strumpf in den Büschen. Das Aug der Edelfrau spähte wie der Uhu durch Sturm und Nacht, das Verlorene wiederzuholen.

Wenn noch etwas Weißes durch die Föhren jagte, war es der Schaum vom See, den der Sturm auftrieb. Wenn es sich noch regte in der Dämmerung, waren es die Stämme, die sich schüttelten. Wenn noch Stimmen ertönten durch das Nachtgrauen, waren's die Eulen, und fernher schlich der Fuchs, zu sehen, ob auch für ihn nichts im Lager zurückgeblieben.

Doch war noch ein menschlich Wesen zurückgeblieben in der Nachteinsamkeit. Es stöhnte tief auf, wie der Schmerz in einer Brust, die lange, lange ihn verhalten, und nun kann er sich Luft machen, da seine Peiniger nicht da sind. Kreischend, rauh, halb Verzweiflung, halb teuflischer Grimm, preßten sich die Worte heraus, als der Krämer Hedderich sich aufrichtete.

»Schinder und nicht Menschen! Raubmörderisch Gesindel, und das heißt Burgfrieden! Was wär's denn schlimmer, so ich den Köckeritz und Lüderitz in die Hände fiel! –«

Wie er zähneknirschend beide Hände gen Himmel ballte, da leuchtete der Mond durch die zerrissenen Wolken auf ein häßliches Gesicht, über das der böse Feind sich im stillen freut. Den braucht er nicht zu ködern, nicht Reiche zu verheißen; selbst suchte er ihn auf am Kreuzweg.

»O ihr Edelleute, ihr Ritter, ihr Herren, ihr Gewaltigen, einen Wurm zertreten, ihn kitzeln mit den Spießen, daß die Eingeweide ihn brennen, ihn rollen mit den Sporen im Sande, schinden und anspeien! Das ist Zeitvertreib, juchheißa! Sankt Nikolas hilf mir, ich wollte mir auch das Herz aus dem Leib lachen; wie 'nen Maikäfer euch zappeln lassen am Faden, reißen und schmeißen. Sohlen hab ich wie ihr, langsam zertreten, wie ein Regenwurm solltet ihr euch krümmen, Stück für Stück; Stück für Stück habt ihr mich auch zerschlickt, meine Seiden, meine Tücher, meine Wollen! Allbarmherzige Mutter Gottes, gnadenreiche – Pestilenz, Höll und Teufel, ein verlorner Mann bin ich, wenn sie –«

Er schien nicht zu wagen, den Gedanken auszusprechen. Er zitterte, fuhr mit der Hand durch die wilden Haare, warf sich auf das Gepäck, umklammerte es, und doch suchte er schon durch verstohlene Drücke den Inhalt der Ballen zu prüfen, während er die dürren Finger zum Gebete zusammenpreßte.

Stück um Stück umwerfend, kam er an ein Pack. Der Angstschweiß perlte auf seiner Stirn. Jetzt konnte er es mit dem Finger erreichen. Er klopfte daran; ein feiner Silberklang antwortete. Des Mannes Züge erheiterten sich, oder vielmehr ein grinsendes, widerwärtiges Lächeln breitete sich um seinen Mund. Die tierische Lust flammte auf. Höhnisch lachte er auf, und die Hand, eben noch zum Gebet gefaltet, schnellte die Finger höhnisch:

»Habt ihr das nicht gefunden, ihr Geier vom Rabenstein, ihr Habichte vom Garaus, ihr Falken vom Lug in die Not! Blinde Köter bellen zu früh. Aber wartet nur, die Wölfe haben zu lang die Hürde umschlichen. Die Gerechtigkeit wird losgebunden; euch wird Heulen und Zähneklappern kommen, wenn sie euch in die Waden fahren. Ich bin ein schlechter Mann, aber euch soll's schlechter gehn als meinem schlechtesten Hund. Der Kurfürst, sagt ihr, ist ein Knabe. Aus Knaben werden Männer, was aber aus euch werden wird, fragt nach des Henkers Freiknechten. Mir im Burgfrieden die Rosse ausspannen, mein Gefährte umschmeißen, wer zählt die Stücke! Und die Riemen zerrissen. Wer knüpft mir die Riemen zusammen? Der Deckel ist eingeschlagen. Ich will klagen. Schwören will ich, auf den Hals euch schwören, so wahr niemand hier mich hört, Gold und Perlen waren drin, drei Tausend – Ave Maria, was ist das?«

Es rauschte und klatschte. Der Sturm hatte doch ausgetobt, nur ein leiser Luftzug wehte noch.

Es rauschte und klatschte; ein Wesen erhob sich in den Lüften, langsam zwei Riesenarme unter den Kiefern.

Klaus Hedderich war wie eine Katze vom Wagen geglitten. Drunter lag er, platt auf der Erde, zähneklappernd.

»Sankt Nikolas, Sankta Ursula, gebenedeite, allerheiligste Mutter Gottes, schütze mich. Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, ich habe immer ein Kreuz geschlagen am Kreuzwege, ich hab nie eine Messe versäumt, wenn ich konnte, ich habe keine Todsünde begangen, kein Blut vergossen, ich beichte und bete, wenn die Straßen frei sind und der Markt aus, der Ketzer Lehren sind mir ein Greuel, und die Juden speie ich an, Mariä Lichtmeß hab ich geopfert eine geweihte Kerze im Dom zu Havelberg, und den Rabbiner Eliezar stieß ich mit dem Ellenbogen an der Treppe. Sankta Klara, Sankta Martha, Sankta Ursula, Sankta Beata und das heilige Blut in Wilsnack, Gold und Perlen waren nicht drin, die lieben Heiligen sollen's zählen; zehn zum Aufgeld, was mich's kostet und Zehrgeld, den Hafer nur einen Groschen überm Marktpreis, will ich schwören. Alle guten Geister –«

Die Hexe hatte ihn noch nicht am Schopfe ergriffen; er murmelte noch, als er den Kopf leise aufhob und unter den wirren Haaren vorschielte; aber je schärfer er blickte, um so leiser wurden die Töne. Es rauschte und klatschte noch immer zwischen den Kiefern, als er plötzlich sich aufrichtete und ärgerlich, den Staub abklopfend, rief: »Dummes Zeug! das sind des alten Herrn Götz seine. Sollen mir wenigstens für die zerrissenen Riemen gut sein.«


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