Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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»Das sehnt sich nun alles nach der Erlösung«, fuhr der Knecht Ruprecht nach einer Weile fort. »Daher läuten sie um Mitternacht; es hilft ihnen aber nichts; sie haben sich zu schwer versündigt. Manchmal zogen auch die Fischer, die im Gohlitz fischen, so schwer mit den Netzen, daß es gar kein Zweifel war, sie hatten die Glocken darin, die 'raus wollten; doch sobald das Erz ans Licht kam, sank es unter. Da ist schon mehr als ein Netz verlorengegangen. An einem heiligen Weihnachtsabend, das ist aber schon sehr lange her, hat ein Fischer, der sie im Netz hatte, sie sprechen gehört. Die eine sagte zur andern:

›Anne Susanne,
Willte met to Lanne‹,

als ob sie mit ihr zu Land wollte; aber die andere sagte:

         

›Anne Margrete,
Wi willn to Grunne schete!‹

und da schossen sie gleich wieder zu Grunde.«

Sie stiegen jetzt aus einem tiefen und weiten Sandkessel, in dessen Mitte nur ein schwarzes Moor mit einigen dürftigen Lehmhütten lag, wieder in den höheren Kiefernwald. Im Sande hatte Ruprecht die Spuren gefunden, denen er folgte; auf der Höhe verloren sie sich wieder in der Waldfinsternis. Er richtete seine Blicke nur nach oben, wo der schmale Luftstrich zwischen den Wipfeln den einzigen Weg durch das Dickicht anzeigte.

»Hier seht Euch vor«, flüsterte der Knecht zum Junker, »und betet drei Paternoster, das ist die schlimmste Stelle. Da haben die Unholden recht ihr Wesen, und wer nicht muß, geht nicht zu Nachtzeiten.«

Und doch entsann sich Hans Jürgen, daß es ja der Weg nach dem Kloster sei.

»Ihr habt schon recht. Eine halbe Stunde nur ist's bis hin, und doch hört Ihr nicht mal die Glocken. In der Niederung verklingen sie, daß die Töne nicht bis her dringen. Der Weg, auf dem wir gehen, ist nur ein schmaler Bergkamm, und bald werdet Ihr's zu beiden Seiten flimmern sehen. So, da blickt links schon der Gohlitz vor, aber rechts kommt gleich der Mittelsee, und drüben liegt das Nest Schwina, Gott sei bei uns! Wenn Ihr ein altes Weib seht, mit 'ner weißen Hucke auf dem Rücken, drückt die Augen zu und antwortet ihr nicht. Das ist die Frau Hucke, und ist der Korb braun, dann ist's die Frau Harke. Die treiben hier ihren Spuk; aber wer tut, als merkt er sie nicht, dem tun sie nichts. Das ist noch kein Menschenalter her, daß ein Britzke und ein Hagen hier geritten kamen. Sie hatten einen reichen Kaufmannssohn aus Magdeburg bis aufs Hemd ausgezogen beim Würfelspiel, dort im Kruge von Jeserich, und hatten noch nachmals beim Abt in Lehnin eingesprochen und stark getrunken. Der Abt hatte ihnen gesagt, sie möchten doch bei ihm nächten, weil's im Wald duster ist, und mit ihm, dem Abt, auch eins würfeln; wenn's Sünde wär, käme das auf eins raus, und am Morgen könnten sie zur Beichte gehen, dann wär's rein gewaschen, eins und das andere. Sie aber lachten, sie wollten sich's im Wald überschlagen, ob das bißchen Sünde den Beichtschilling lohne. Eigentlich fürchteten sie sich mehr vorm Abt als vorm Walde, denn es hieß, er hätt 'ne glückliche Hand. Kaum waren sie ein paar hundert Schritte vom Kloster im Elsenbruch, so wußten sie schon nicht mehr, wo sie waren. Sie drehten sich links und rechts und dachten, nun wollen wir doch umkehren. 's ist besser, Geld lassen und beichten beim Pfaffen, als das Leben lassen im Sumpf. Da sahen sie ein Licht und meinten, es wär aus dem Kloster, aber das Licht ging immer weiter, und endlich sahen sie, es war eine Laterne, die ein alt Weib vor sich trug, und auf dem Rücken hatte sie eine Kiepe, die war voll weiß Zeug gepackt. Sie gaben ihren Pferden die Sporen, doch je schneller sie ritten, um desto schneller trippelte die Alte fort, und sie hörten sie keuchen und husten, bis sie mal stille stand und rief: ›Herr Jemine, ich glaube, da ist jemand hinter mir her.‹ – ›Freilich, du Wetterhex‹, rief der Britzke, ›wir haben den Weg verloren.‹ – ›Wo wollt ihr denn hin, gnädige Herren?‹ rief sie wie ganz erschrocken. – ›Nach Kloster Lehnin zum Abt.‹ – ›Ach du meine Güte‹, sprach das Weib, ›da muß ich ja auch hin; da können wir eines Weges gehen.‹ – ›So führe uns‹, sagte der Hagen, ›und du sollst den Lohn haben, den du verdienst.‹ – Da trippelte sie vor ihnen her, bergauf, bergab, und um sie her ward alles dunkel, daß sie nicht einen Schritt sehen konnten; nur allein das Licht von der Alten. Nun riefen sie ihr zu, sie sollte doch nicht so schnell gehen, denn sie fürchteten, sie zu verlieren. Da lachte sie – und schwor bei einem Heiligen, den beide Herren nicht kannten, das sei doch kurios: die Herren wären ja zu Roß, und sie zu Fuß und siebenundachtzig Jahr alt! Der Britzke rief ihr zu, sie möchte wenigstens nicht so springen, das Licht in der Laterne könnte ausgehen, dann säßen sie ganz im Dunkel. ›Ach‹, sagte sie, ›dann leucht ich mit meinen Augen, ich habe Katzenaugen.‹ Den beiden Herren war's doch nun ein bißchen unwirsch, zumal da sie immer tiefer in die Elsen und in die Brüche mußten und gar kein Weg mehr unter ihren Füßen war. ›Wer bist du denn, wo kommst du denn her?‹ rief endlich der Britzke, da die Alte sich auf eine der trockenen Palten im Moor niedergesetzt, und schnaufte wie nach Luft. ›Kennt ihr mich denn nicht?‹ rief das Weib. ›Ich bin ja die alte Pracherfrau, die humpelt durchs Land und sammelt, was die Leute zuviel haben. Wovon soll unsereins leben? Gestern war ich in Kemnitz, da hatte die gnädige Frau Wäsche. Da hat mir der liebe Gott manch Hemde und manchen Strumpf beschert. Sie hatten ja viel zu viel.‹ – ›Warst du nicht in Hohennauen auch?‹ fuhr der Hagen drein, denn er war von Hohennauen, wie der Britzke von Schloß Kemnitz, und dem Britzke war schon die Ader geschwollen bei der Frau ihren Worten, denn mit der Wäsche bei ihm zu Haus war's richtig, seine Frau durfte sich aber nicht unterstehen, auch nur ein Tüchlein fortzuschenken. Also hatte es die Alte aufgerafft. – ›Freilich war ich auch in Hohennauen‹, kicherte sie böslich. ›Ach, da hab ich erst hübsche Sachen eingepackt. Das war ein gesegneter Tag.‹ – Nun mußte der Hagen den Britzke ordentlich festhalten, daß er nicht lospolterte: ›Warte nur bis Lehnin, lieber Bruder. Hier hat sie uns, das Diebsmensch; da haben wir sie. Ich lasse sie peitschen.‹ – ›Mit den Hunden hetzen‹, kreischte der Britzke. – ›Das steht dann bei uns‹, meinte der Hagen. ›Jetzt aber laß nichts merken, bis wir raus sind.‹ Aber die Alte hatte alles gemerkt. Wie sie nun wieder vor ihnen lief und die andern dicht hinter ihr her, warf sie ein Stück aus dem Korbe und dann noch eins, und so streute sie links und rechts in das Moor die feinsten Hemden, Tücher, Strümpfe und Laken. Dem Britzke krabbelte es in den Fingern, daß er's auflange. Das schönste, feinste Weißzeug ging so verloren. Aber der Hagen kniff ihn in den Arm: ›Beileibe nicht, das ist ja ihre Tücke. Wenn wir uns dabei aufhalten, entwischt sie uns. Nur darauflos!‹ Und so ritten sie drauflos, bis sie nicht weiter konnten, bis das Moor um ihre Augen spritzte und das helle Wasser den Tieren bis an die Halfter ging. Ja, ihr Schreien hörte keiner als die Hexe. Die hielt ihre Laterne hoch: ›Nur ein bißchen weiter noch, ihr lieben Herren, da findet ihr's wieder fest unter euch.‹ Der Britzke riß auch sein Pferd noch einmal los, bis Mann und Roß in ein tiefes Loch stürzten: ›Hilf mir, Bruder Hagen!‹ schrie er, bis am Hals im Wasser. ›Hilf dir selber!‹ rief es wider aus allen Waldecken, und es lachte wie zehntausend Teufel. Da seht, Junker, das ist der Mittelsee. Dahin hatte sie die beiden Herren verlockt, und nun ging der Mond auf, und mitten auf dem See fuhr ein Kahn, ohne Ruder und Segel, ganz von selbst, und drinnen ein weißer Bock, der meckerte. Und den Kahn und den Bock drin sieht man noch oft, mittags, bei hellstem Sonnenschein über den See fahren; kein Wind bläst, und kein Mensch rudert.«

»Und die beiden Herren, Ruprecht?«

»Sind ertrunken und erstickt. Keine Seele hat sie wiedergesehen, und sie liegen noch im Moor. Da wagt sich auch kein Mähter hin, auf die falsche, grüne Decke. Der Storch selber, wenn er sich niederläßt, wippt sich erst mit den Flügeln, traut dem Frieden nicht.«

»Mann und Roß, das ist schrecklich.«

»Der Hagen hatte noch Zeit, drei Vaterunser zu beten, und rief zum heiligen Rochus, seinem Patron, und davon mag's gekommen sein, daß sein Pferd sich durcharbeitete, nämlich in den See, es schwamm rüber, und dann fuhr es durch den Wald wie der Satan und stand nicht eher still als vor der Klosterpforte. Da wieherte es und schnaufte und schlug mit den Hufen dran, daß der Abt und die Mönche in Todesangst waren. Und davon erfuhren sie's, was vorgegangen war, und der Abt ließ Seelenmessen –«

»Konnte denn das Pferd sprechen?«

Der Knecht Ruprecht sah ihn groß an: »Solch ein Pferd, Junker! – ein Pferd, mein ich – nun, Junker, das mein ich, ist gottlos, so zu fragen.«

»Herr Gott, was ist das!« rief Hans Jürgen.

Es schnaufte heran, durch die Büsche knisterte es, und ein wildes Pferd mit schnaubenden Nüstern, funkelnden Augen und zottigen Mähnen fuhr wie im Nu an ihnen vorüber. Laub und Erde stoben unter seinen Hufschlägen.

Ruprecht stand, die Arme auf der Brust gekreuzt, die Augen niedergeschlagen. Jürgen aber, so schnell es ihm auch aus den Augen war, hatte sich doch nicht enthalten können, dem Ungetüm nachzublicken.

»Ruprecht, sahst du's?«

Ruprecht nickte nur mit dem Kopf.

»Das war Hans Jochems Pferd. Ritt er nicht auf dem Falben vom Hof? Ja, ja, und das war auch sein Sattel.«

»Gelobt sei Jesus Christ, in Ewigkeit!« schloß der Knecht und schüttelte mit zufriedenem Lächeln den Kopf. »Das ist alles Satans Blendwerk, um uns zu irren. Und hättet ihr Eure Schecke gesehen, sie wär's doch nicht. Das soll uns nur täuschen, Ihr glaubt, der Sattel war ledig. Ich sah aber einen reiten, quer saß er drauf und schaukelte die Beinchen. Einer von den kleinen Leuten war's. Er grinste und steckte die Zunge raus; kreuzt Euch nur noch einmal. Sind auf dem rechten Wege und lassen uns nicht irren.«

Das Pferd wollte Hans Jürgen nicht aus dem Sinn, und er hörte nur halb auf die andere Geschichte, die Ruprecht erzählte: von der Hebamme aus Kloster Lehnin, die sich eines Abends bei der alten Ziegelei verirrt, und ein kleines Männlein war auf sie zugetreten und hatte sie gebeten, ihm zu einer Wöchnerin zu folgen, und auf seinen Rutenschlag hatte sich das Wasser des Gohlitz wie eine Falltür geöffnet, und sie war mit ihm hinuntergestiegen in das Reich der Kleinen, wo sie eine Frau glücklich entbunden, wofür der kleine Mann ihr erlaubte, vom Kehricht so viel zu nehmen, als ihre Schürze faßte, und als sie nach Haus gekommen, war das Müll eitel Gold geworden. Und daß die Nachkommen der Frau noch heute lebten und reiche Leute wären. Auch vom Klostersee drüben und dem grünen Hut, der drauf schwimmt, aber den Fischer, der ihn greifen will, zieht er in den Abgrund. Und von den Unterirdischen im Mittelsee, was ein gar wunderbar Geschlecht sei von schönen Seejungfern, die in Kristallpalästen wohnten, und wo Not wäre, den kreißenden Frauen zu Hilfe kämen.

Hans Jürgen grauselte; sein Zittern und die kurzen Schritte, die er tat, verrieten, daß er der Furcht war, hinter jedem Baumstamm könne ein neues Ungetüm vorschießen. Da wandte sich Ruprecht, der itzt ihm voraufging, mit langen Schritten zu ihm, und er blieb bei ihm:

»Junker Hans Jürgen!« sprach er, »nur noch eine kleine Weile das Herz zusammengehalten. Dort am Waldrand, wenn wir in die Niederung kommen, da hören wir schon die Klosterglocken wieder, da müssen die Spukbilder weichen. Wer nicht auf bösen Wegen geht, hat sich nicht zu ängsten. Glaubt Ihr denn, der Britzke und Hagen wären in den Sumpf gegangen wie die blinden Heiden, wenn sie nicht schon dem Teufel den Finger hingehalten hätten. Der Spaß in Jeserich und der Soff im Kloster, und daß sie nicht zur Beichte gehen wollten, da hatte der Böse schon Quartier in ihrer Seele. Ihr seid doch noch jung und ohne Sünde. Dankt Gott, daß Ihr nicht reitet, wo der Hans Jochem reitet.«

»Ruprecht, du glaubst doch nicht –«

»Bin nur ein schlechter Knecht und darf mich so was nicht unterstehen zu denken. Aber der Teufel versteht keinen Spaß, der fragt auch nicht –«

»Ruprecht, der Herr von Lindenberg –«

»Ist ein gar feiner und vornehmer Herr, der weiß gewiß alles besser als ich, und solchem schlechten Krämer auf den Kopf schlagen, das geschieht ihm im Grunde schon recht, aber Junker, ich weiß doch nicht, mir ist lieber, daß Ihr nicht dabei seid, und ich auch nicht dabei bin. Paßt mal acht, wenn Ihr zurückkehrt und die Herren auch. Ihr habt's gefunden, was Ihr suchen gingt, und 's war Euch aufgetragen; und die haben gefunden, was sie suchen gingen, und kein Mensch trug's ihnen auf, paßt mal acht, wenn Ihr beide vor dem Muttergottesbilde am Dorf vorbeikommt. Ihr werdet dreist auf der Straße gehen, Eure Mütze ziehen und Eure Knie beugen. Die Herren, wett ich, wenn sie das Bild sehen, meinen, der Weg sei zu sandig, und der eine schwenkt durch den Wald, wo der Sand noch viel tiefer ist, und der andere quetscht sich hinter dem Bilde durch das Moor. Sie wagen nicht, der Mutter Gottes in das Antlitz zu sehen. Und nun denkt Euch, wenn Ihr zurückkehrt nach Ziatz!«

Das Bild, das der Knecht andeutete, trat Hansen mit einem Male vor das innere Auge, so hell, als der Wald dunkel war. Da kam er stolz über den Damm und stieß in eine schrillende Pfeife vor dem Burgtor im Morgenrot. Die Zugbrücke war gefallen, die Edelfrau öffnete selbst das Tor und sah ihn fragend an. Ihr strenger Blick verzog sich in ein freundliches Lächeln. Sie hielt die Hand ihm entgegen: »Das ist brav von dir, Hans Jürgen!« und hinter ihren Schultern blickte Evas noch freudeglänzenderes Gesicht. – Wäre er aber zu Roß mit den andern zurückgekommen, wie langsam, deuchte ihm, hätte er den Damm entlangreiten müssen, den Schatten der hohen Ulmen hätte er gesucht, sich und was er trug, unter dem Mantel verborgen. Was hätte der Wetterhahn auf dem Turm verzweifelt gekräht, wie würde der Torflügel geknackt, welche fragenden, scharfen, durchbohrenden Blicke würde die Burgfrau ihm entgegengeworfen haben. Ihm war so leicht, eine Zentnerlast fiel ihm von der Brust, er schritt mutig zu und sah keine Gespenster mehr.


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