Willibald Alexis
Die Hosen des Herrn von Bredow
Willibald Alexis

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Zweites Kapitel

Die Macht der Überzeugung

Es war ein großer Markttag in Berlin. Aber wo die Verkäufer und Käufer ihre Köpfe zusammensteckten, war's nun bei den Tuchen aus Brandenburg und Burg oder bei den Stiefeln aus Kalau oder dem süßen Gebäck aus Spandow oder den Kochlöffeln und Quirlen und den Honigwaben, welche die Wenden aus Beeskow und Storkow feilboten, überall gab es nur eine Neuigkeit, die besprochen ward. Ein Raubritter war gefangen worden und in Ketten eingebracht und sollte gerichtet werden. Ein Bredow war es, und der Bredow von Hohen-Ziatz, das wußten alle; aber was er getan, wie er gefangen, ob er allein für sich stand oder im Bunde mit vielen, darüber liefen so verschiedene Erzählungen um, als Berlin und Kölln zusammen Einwohner hat. Eine war immer schreckhafter als die andere, und einer wußte besser als der andere, wie der Kurfürst gewütet und sich die Haare gerauft und geschworen, er wolle an den höchsten Galgen ihn hängen lassen.

Waren die Bürger und die von draußen uneins, ob sie darüber sich freuen oder klagen sollten – denn einige meinten, es sei doch schade, daß es gerade den Götze von Bredow getroffen –, so sah man dafür nur zornige Gesichter unter den Herrn, die vom Lande gekommen. Sie steckten die Köpfe zusammen in den Schenken und Gaststuben, die Augen rollten, und die Fäuste schlugen auf den Tisch. Was da geflüstert ward, die Flüche und Drohungen, die von den Lippen quollen, wie jener über die Tafel spie und mit dem Fuß auftrat, daß die Tischbeine knackten; es war gut für die Herren und für das Gemeinwohl auch, daß es dazumal noch keine Horcher gab, und gab es deren, daß die Angeber nicht bezahlt wurden, die nichts hinterbringen konnten als Worte. Davon würden heutzutage Berge geschrieben von Akten, und Prozesse geworden, die hätten lange Jahre gedauert, ja es hätte nicht Tinte genug gegeben, noch Papier, um alles zu schreiben, noch hätte die Mark so viele Festungen gehabt, um alle, die verurteilt wären, einzusperren. Auch dazumal kamen die Worte bis zu den Geheimräten und Kanzlaren und den Fürsten selbst; die aber dachten einer wie der andere: Worte sind Wind. Der kommt und geht, und der ist ein Tor, der den Wind fassen will. Und darum ward es nicht schlimmer. Den Kurfürsten aber nannten seine Zeitgenossen und Nachkommen Joachim Nestor oder Joachim den Weisen.

Durchs Spandauer Tor kamen an die hundert Mann geritten, in Wehr und Waffen, und sahen gar nicht freundlich aus. Es waren die Bredows von Friesack mit ihren Lehnsvettern und Lehnsleuten. Jeder wußte, um was sie kamen, und verargte ihnen nicht ihre bösen Blicke, aber es ward darum keine Trommel gerührt, noch schickten die kurfürstlichen Offiziere ins Schloß, daß man sich vorsehe, ja die Wache vom Tor trat nicht einmal ins Gewehr. Die Bredows ritten nach ihrem Hause am Hohen Steinweg, um da zu ratschlagen, was zu tun sei, und man fand das gut und ließ sie ratschlagen, soviel sie wollten; erst wenn sie etwas getan, das nicht gut war, dann war es Zeit, daß man nach ihnen fahndete und richtete.

An seinem Fenster aber sah sie der Herr von Lindenberg vorüberreiten, und sein blasses Gesicht war darum nicht freudiger. Man sah ihm an, daß er die Nacht wenig geschlafen, sein Morgentrunk stand auf dem Tische fast unberührt; sein buntes, glänzendes Hofkleid schien wie ein Spott zu seiner Miene. An seiner Türe klopfte es, und herein trat der Dechant von Alt-Brandenburg.

In beider Blicken sprach sich etwas aus, was keiner Verständigung durch Worte bedurfte. Da bedarf ein Gespräch keiner langen Eingänge.

»Wir haben wohl beide Eil«, sagte der Herr von Lindenberg.

»Es freut mich, daß mein gnädiger Herr von Lindenberg zu Hofe muß, so kostet das, worum ich ihn bitte, keinen besondern Gang.«

»Ihr kennt wie ich den unbiegsamen Charakter meines Herrn.«

»Auch wenn der Herr von Lindenberg es auf sich nimmt, diesen Sinn zu beugen? Wir haben alle Beweise gesammelt, die Zeugen sind unterwegs, daß Herr Gottfried in jener Nacht geschlafen hat.«

»Sagt lieber, daß er zu Bett gegangen und spät am Morgen aufgestanden ist. Der Kanzler wird entgegnen, daß damit nicht das Alibi erwiesen, daß es eine oft vorgekommene List derer ist, die nachts ausziehen, sich abends vor den Leuten zu Bett zu legen und morgens vor den Leuten aufzustehen, derweil man in der Nacht durch die Fenster schlüpft, an einem Seil über die Mauer gleitet, und auf der Koppel ein gesattelt Pferd findet. Da kann man denn auch schwören, daß das Tor verschlossen blieb. Übrigens wißt Ihr, was die Zeugnisse der Dienstleute und Freunde in solchen Dingen vor Gericht gelten.«

»Auch mein Zeugnis!« sprach der Geistliche mit einem scharfen Blick auf den Ritter. »Ich komme eben von einem Krankenlager. Es war ein jammervoller Anblick, den edlen Herrn von Krauchwitz zu sehen, wie er, vom Fieber und unaussprechlicher Angst geschüttelt, alle Heiligen anrief, sich seiner zu erbarmen. Etwas ruchlos sonst in seinen Gesinnungen, schien doch die Gnade plötzlich zum Durchbruch gekommen. Eine rechte Freude war es, einen solchen Sünder in zerknirschter Buße der Kirche wiedergewonnen zu sehen. Auf seinen Knien, die Hände krampfhaft faltend –«

»Herr Dechant«, unterbrach ihn der Ritter aufspringend, »Ihr seid ein Diener der Kirche, Ihr kennt Eure heiligen Pflichten. Ein Priester, der das Geheimnis der Beichte bricht, und gälte es des Kurfürsten Leben, Joachim vergibt es ihm nimmer.«

»Nicht in der Beichte, als Freund vertraute mir der Junker, was er wußte. Mich bindet nichts als – meine Vernunft, wenn ich alle Schritte tue, die Freundschaft und Religion mir gebieten, die Ehre und das Leben eines unschuldigen Freundes zu retten.«

Sie standen sich gegenüber, der Ritter mit verkreuzten Armen, der Geistliche die Hände in den Ärmeln verschlungen, und maßen sich mit ihren Blicken:

»Sprecht! »sagte der Geheimrat mit vollkommener Ruhe, das Auge scharf auf den Priester, der seine Augen jetzt auf der Diele ruhen ließ:

»Der Rechtsstreit unseres Domkapitels über die Caveln und die Fischerei in den Havelseen dauert schon Jahre und kann noch Jahre dauern, und wiewohl ich nicht zweifle, daß das Recht, welches auf seiten des Stiftes ist, zutage kommen muß, so sind die Grävenitze doch leider jetzt im Besitz und –«

»Und Ihr möchtet gern die süßen Karpfen, die Aale, Karauschen und Zander schon jetzt auf Eurer Tafel haben Herr Dechant! Ich bin nur der Vormund der Grävenitzschen Kinder.«

»Als gerechter Vormund dürft Ihr aber doch kein Unrecht verteidigen; Ihr könntet namens der unschuldigen Kleinen –«

»Das ist viel gefordert, Herr Dechant!«

»Es steht bei Euch, was Ihr opfert und was Ihr gewinnt, abzuwägen. Ich spreche nicht für mich, nur im Auftrag des Kapitels, das mir schon seit länger Vollmacht erteilte.«

Der Geheimrat schwieg eine Weile: »Der Kauf wäre für Euch zu vorteilhaft und mein Gewinn mehr als zweifelhaft. Mit den stummen Fischen stopfe ich nur den Mund eines Zeugen. Wo soll ich die Fische hernehmen für die andern Mäuler! So wie Euer Verstand Euch sagen wird, kann ich auf den Handel nicht eingehen. Ihr müßt zulegen, viel, das Beste.«

Der Dechant schlug wieder die Augen auf: »Sprecht!«

»Götze war es, dabei bleibt, dabei muß es bleiben. Glaubt Ihr nicht, daß ich auch Beweise sammeln kann? Ich habe auch Zeugen vorzuführen. Aber ich will einen besseren haben. Götze selbst soll es eingestehen.«

Mit halboffenem Munde sah ihn der Geistliche an.

»Wäre das so schwer, ihn zu überreden, daß er eine Tat einräumte, die ihm vor den Menschen keine Schande macht? Was! Hat nicht der Krämer beim Handel seine Leute übers Ohr gehauen, mußten diese nicht selbst Justiz an ihm nehmen? Noch mehr, wie ich erfuhr, hat der Schelm von dem Trockenplatz des Herrn Leibkleid bei nächtlicher Weile fortgestohlen. Sollte Götz das ruhig hinnehmen! Wenn er gesteht, will ich sein Advokat sein vor dem Kurfürsten. Und kein schlechter, das glaubt mir. Nur ein Exzeß in eigenmächtiger Selbsthilfe war es; in die andere Waagschale tut man seinen guten Leumund, die ganze Ritterschaft tritt für ihn ein. Eine ritterliche Haft von ein paar Monaten, eine Geldbuße von ein paar Mark, die ich bezahlen will, und der ganze Bettel ist ausgeglichen.«

»Gnädigster Herr, wer soll ihn dazu überreden!«

»Wozu seid Ihr Pfaff, wozu habt Ihr Logik studiert und die Beredsamkeit in Ingolstadt?«

»Wenn er bei gesunden Sinnen ist, Herr von Lindenberg –«

»Auf den Götz kommt's nicht an, es kommt auf Euch an, ob Ihr bei gesunden Sinnen seid.«

»Er ist zu ehrlich und wahrhaftig.«

»Will ich denn, daß er lügen soll? – Wenn er nicht geschlafen, wenn er gewußt hätte, daß der Krämer mit seinen Hosen durchging, würde er nicht gewütet und getobt, würde er nicht auch ohne Hosen aufs Pferd sich gesetzt haben, und hätte er dann ihn sanfter gestreichelt?«

»Ich glaube kaum.«

»So verständigen wir uns. Er schlief acht volle Tage, so glaubt Ihr, er, ich vielleicht auch; aber tut der Mensch im Schlafe nichts? Vegetiert, träumt er nicht, fährt er nicht auf, ja, man weiß sogar, daß er auf Dächern spazierengeht! – Ist's so schwer, ihm einzureden, daß er das getan, was er hätte tun müssen, was er bei freien Sinnen getan haben würde? Ehrwürdiger Herr, bedürfen denn nicht Menschen wie er immer eines Vormundes, wie denn eigentlich die Mehrzahl der Menschen nur nachspricht, was andere ihnen vorsagen. Worauf wäre das Regiment der Kirche begründet, als daß sie bei guter Zeit die Vormundschaft über die Unmündigen übernahm. Diese Zeit möchte ihrem Ende sich nähern, da mancher Laie mündig wird. Es täte daher gut, wenn die Kirche beizeiten vernünftig teilte, was sie nicht allein besitzen kann.«

»Herr von Lindenberg, wir verstehen uns, aber die Aufgabe –«

»Ist nicht so schwer, als sie aussieht. Kann Götz ein künstlich gewebtes, verschlungenes Redenetz rasch durchschauen? Nein. Kann er, darin gefangen, sich loshaspeln? Vielleicht, wenn er wieder geschlafen hat und erwacht ist und noch einmal geschlafen hat. Das mag er, wir haben, was wir wollten. Auf dem Landtage hat er immer nein gesagt, aber der Landtagsmarschall wußte ihn so zu verstricken in seinen Reden, daß er immer glaubte, ja gesagt zu haben, und als er aufwachte, stand es zu Papier und sein Name darunter. Ich sage Euch da nur sehr was Alltägliches, was auf jedem Landtag vorkommt, aber wollt Ihr minder klug sein als unser Landtagsmarschall?«

Der Ritter legte seine Hand auf des Dechanten Schulter und sah ihn mit durchdringender Freundlichkeit an.

»Es wäre – aber – sein Weib –«

»Wir haben es nur mit ihm zu tun. Sie ist in Hohen-Ziatz. Man hat Einlagerung nachgeschickt, damit nichts verschleppt wird.«

»Versuchen will ich es«, sprach der Dechant mit gedämpfter Stimme, »in Anbetracht, daß das allgemeine Wohl –«

»Um Gottes willen laßt das aus Eurem Gebet. Fliegt jetzt nach dem Mühlenhof. Der Vogt von Hoym wird Euch ohne Zaudern einlassen; Geistliche finden bei uns nirgend verschlossene Türen. Der Hofprediger Musculus ist, wie ich höre, schon bei ihm. Sprecht wie Cicero, wie Sankt Johannes, singt wie Orpheus, aber in einer Stunde muß es geschehen sein.«

Der Dechant ging. An der Tür faßte der Ritter noch einmal seine Hand:

»Der Bischof Scultetus wird alt. Mir hat es nie gefallen, daß ein Bauernsohn, eines schlesischen Schulzen Enkel, den Bischofssitz von Brandenburg einnehmen durfte. Wenn ich dann noch in der Nähe des Kurfürsten bin, so seid dessen gewiß, daß nur ein Kurmärkischer von Adel zu dieser erhabenen Würde gewählt wird. – Herr von Krummensee, rechnet dann auf mich.« Er drückte ihm die Hand.

Es wäre ihm gut gewesen, wenn der Dechant hätte fliegen können, denn das Gedränge auf der Straße war groß, es war aber doch vielleicht besser, daß er nicht flog, sondern nur mit großer Anstrengung sich durch die Volkshaufen und Marktleute den Weg bahnte. Inzwischen hatte ihm ein anderer auf unerwartete Weise bei dem Gefangenen den Weg in ganz anderer Weise gebahnt.

Der Hofkaplan Andreas Musculus, ein junger Priester, war auf Anlaß einer alten Frau von Bredow, die in Berlin lebte, zu ihrem gefangenen Verwandten gegangen, um ihm Trost einzusprechen oder seine Beichte abzunehmen. Sie hatten vieles und lange miteinander gesprochen, und Musculus den gedrückten Mann noch durch keine zornschnaubenden Verwünschungen und Blicke auf seine Sündhaftigkeit niedergeschmettert, wiewohl der Priester Art ist. Vielmehr hatte er so aufmerksam ihm zugehört, wie ein Arzt, der einen Kranken, dessen Zustand ihm noch zweifelhaft erscheint, ganz aushören will, um alle Symptome zu erfahren, bis er sein Urteil spricht.

»Es muß mit dem Satan zugehn«, schloß der Gefangene, »ich kann mir's gar nicht anders denken. Bin mir doch keines Fehls und keiner Sünde bewußt. Die drei Wochen, daß wir Stände beim Landtage saßen, lieber Gott, da haben wir doch alle nichts getan, das weiß jedes Kind. Ihr nickt dazu. Dann kam der Festschmaus, da tranken wir auf des Kurfürsten Wohl und des ganzen kurfürstlichen Hauses, solange wir stehen konnten, das ist doch keine Sünde! Wie's unterwegs war, das weiß ich nicht. Dann kamen wir in Hohen-Ziatz an, das weiß ich noch. Sie brachten mich zu Bett, das wird Sonntag vor acht Tagen gewesen sein. Freilich da konnte ich nicht zur Kirche. Wäre das etwa? – Ihr schüttelt den Kopf. Und von da ab hab ich denn doch geschlafen, eigentlich bis ich wieder nach Berlin geholt wurde. Da fällt mir etwas ein. Meine Frau, die Brigitte, 's ist ein gutes Weib, aber sie sagen, daß sie ein bißchen freigeistig wäre, ich verstehe das nicht. Wär's das etwa?«

Der Prediger schüttelte den Kopf: »Danach verlangt itzo Satan nicht. Strengt Euer Gedächtnis, lieber Ritter, vielmehr anderswo an. Habt Ihr nimmer geträumt?«

»Das wohl, ich weiß es nur nicht mehr recht. Einmal, das war kurios, stand ein langer Mann vor meinem Bette, im roten Mantel, mit einem großen blanken Schwert unterm Arme; der fragt mich: Warum warst du in Berlin? – Ich sagte: Ich war ja Landstand. – Was hast du da getan? fragte er. Ich sagte: Ich habe gegessen, getrunken, geschlafen, ja gesagt und vivat gerufen. Er sagte: Dazu brauchst du keinen Kopf! Und schwipp, schwapp, schlug er ihn mir ab. Er rollte unters Deckbett, daß ich Mühe hatte, ihn wieder zu greifen. War das etwa der Gottseibeiuns?«


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