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25

Drei Stunden später …

Mrs. Isatschik kam nach Hause, schüttelte ihren Regenschirm ab und stellte ihn in den Ständer.

»Ein abscheuliches Wetter!« brummte sie. »Gut, daß du nicht mehr hinaus mußt, Wilbur! Was macht dein Schnupfen?«

»Nichts«, antwortete der Sohn gleichgültig und legte das Buch, in dem er gelesen hatte, beiseite. »Was soll er schon viel machen?« Wilbur lag, in Decken und Mäntel gehüllt, auf dem Sofa. Um den Hals hatte er einen dicken Schal gewickelt, und die Hände steckten in Wollhandschuhen. Alles das war von der Mutter angeordnet worden, weil er beim Mittagessen zweimal geniest hatte.

»Nun?« erkundigte sich Mrs. Isatschik, nachdem sie die nassen Überkleider abgelegt hatte. »Wie war es bei der Doris? Du weißt, wenn wir auch augenblicklich die besten Aussichten auf das Erbe haben, so ist es doch möglich – – – Der verrückte Onkel Frederick hat insgesamt zwölf Testamente abgefaßt, – wer kann wissen, ob es nicht noch ein dreizehntes gibt? Wenn nun doch diese Doris seine Erbin werden sollte – – – Wie sind deine Aussichten? War das Mädel freundlich zu dir? Hast du den Eindruck gewonnen, daß sie dich schon liebt?«

Wilbur schüttelte nachdenklich und ein wenig trübselig den Kopf.

»Nein, ich glaube nicht, daß sie mich liebt«, sagte er langsam.

Mrs. Isatschik fuhr auf.

»Du täuschst dich, Wilbur! Du täuschst dich!« rief sie erregt. »Ich möchte das Mädchen sehen, das deinem faszinierenden Wesen widerstehen kann! Sie tut wohl ein bißchen spröde, was? Das macht nichts. Als dein Vater kam, habe ich auch so getan. Solange du keinen Nebenbuhler hast –«

»Frank Leroy war bei ihr«, warf Wilbur dazwischen. »Er tat ganz so, als wenn er dort zu Hause wäre. Ich fürchte, der Fall ist aussichtslos, dear mother.«

Die Mutter sank vernichtet auf einem Stuhl zusammen.

»Das ist ja entsetzlich, Wilbur«, stöhnte sie. »Oh, dieser Leroy … der gemeine Erbschleicher!« Sie schwieg lange, dann fragte sie mit schwacher Stimme: »Sonst nichts Neues, Wilbur?«

»Ich glaube, doch«, meinte er und gähnte leise. »Ein Mann hat vor einer Stunde angerufen. Er hat das Vermögen Onkel Fredericks gefunden und will es uns, sofern das Gericht entsprechend entscheidet, gegen eine Belohnung abliefern.«

Mrs. Isatschik war aufgesprungen. Ihre Augen glühten.

»Was?« kreischte sie auf. »Was sagst du da?«

Wilbur war ebenfalls aufgestanden und machte sich an den Päckchen zu schaffen, die seine Mutter mitgebracht hatte. Bald waren einige Fleischpasteten von ihrer Umhüllung befreit, und er begann sie mit bestem Appetit zu verzehren.

»Die hast du bei Arsenjew gekauft«, stellte er befriedigt fest. »Der Kerl hat was weg in Fleischpasteten!«

Die Mutter schnappte nach Luft.

»Wilbur! So erzähle doch! Wann bringt er das Geld? Wie hoch soll die Belohnung sein?«

»Ich habe ihm die Hälfte versprochen. Übrigens wollen wir jetzt die Pasteten immer bei Arsenjew kaufen. Sie sind bei ihm zwar um einen Cent teurer –«

»Wilbur!« würgte Mrs. Isatschik aufgeregt hervor. »Du hast ihm die Hälfte versprochen? Um Gotteswillen! Fünf Millionen Dollars! Unmöglich! Ganz undenkbar!«

Der Sohn hatte die letzte Pastete verspeist und wischte sich den fettigen Mund mit dem Papier ab. Gleich darauf machte er sich über ein Körbchen saftiger Birnen her.

»So ein Zeug mußt du von nun an immer im Hause haben«, erklärte er zufrieden.

»Wir geben dem Mann hunderttausend Dollars«, erklärte Mrs. Isatschik entschlossen. »Das ist mehr als genug.«

»Ich glaube nicht, daß er damit einverstanden sein wird –«

»Er muß! Er kann ja mit dem Gelde gar nichts anfangen, solange die Nummern gesperrt sind.«

»Und wir können mit dem Gelde erst recht nichts anfangen, solange jener Mann es im Besitz hat.«

»Er aber noch weniger!«

»Nein, wir noch weniger!«

»Wilbur!« Mrs. Isatschik war bleich vor Zorn. »Ist es dein Ernst? Du willst diesem Mann fünf Millionen Dollars schenken?«

»Nein, ich will mir von dem Mann fünf Millionen Dollars schenken lassen.«

»Wilbur, Wilbur«, stöhnte sie. »Du kennst nicht den Wert des Geldes. Wenn du so wie deine Mutter im Schweiße deines Angesichts gespart hättest –«

Ein schrilles Telephonzeichen unterbrach ihre Rede.

»Das wird der Mann mit unseren Millionen sein«, erklärte Wilbur gleichmütig. »Er wollte noch einmal anrufen, um zu erfahren, ob du mit der Teilung des Vermögens einverstanden bist.«

»Sehr vernünftig von ihm. Ah!« Mrs. Isatschik flog förmlich auf den Apparat zu.

»Hier Familie Isatschik, New York!« rief sie laut und triumphierend.

Eine tiefe, offenbar verstellte Männerstimme antwortete am andern Ende der Leitung:

»Mrs. Isatschik, hat Ihnen Ihr Sohn von unserem geplanten Geschäft erzählt?«

»Ja, ja! Ich bin einverstanden! Sie bringen uns das Geld und die Aktien hierher. Sobald uns das Vermögen gerichtlich zugesprochen wird, heben wir die Nummernsperre auf, und Sie können mit Ihrem Anteil machen, was Sie wollen. Sie erhalten hund… häh … fünfzigtausend Dollars!«

Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Der Finder antwortete nicht.

Mrs. Isatschiks Gesicht war geradezu verzerrt vor Spannung. Wilbur stand, die Hände in den Hosentaschen, mitten im Zimmer und betrachtete mit Interesse das hochrote Antlitz seiner Mutter.

»Nun?« krähte sie, und ihre Stimme schnappte vor Erregung über. »Nun?«

Wilbur trat an den Tisch und nahm den Mithörer des Apparates in die Hand.

»So antworten Sie doch!« schrie seine Mutter wütend. »Ich verstehe Ihr Benehmen nicht!«

Da endlich ließ sich der Fremde wieder vernehmen:

»Daß Sie, Madam, ein lächerlich geiziges Frauenzimmer sind, weiß ich. Es wird Ihnen aber alles nichts nützen: Entweder ich bekomme die Hälfte, oder Sie bekommen gar nichts! Überlegen Sie es sich reiflich. Morgen, um zwei Uhr nachmittags, rufe ich zum letztenmal an.«


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