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10

Der Geburtstag Jim Costers, des Nachtwächters von Eltingville, fiel auf den 25. Juni. Wäre sein Geburtstag an irgendeinem andern Tage des Jahres gewesen, so hätte er höchstwahrscheinlich die Nacht vom 25. zum 26. Juni 1928 überlebt, und der kleine Bäckerlehrling, der jeden Morgen als erster auf seinem verrosteten und in allen Teilen klappernden Fahrrad durch die Straßen Eltingvilles hastete, hätte an der Ecke der Rossville Road nicht jenen durchdringenden Schrei ausgestoßen, der sofort alle Bewohner der nächstgelegenen Häuser auf die Beine brachte. Vermutlich wäre Jim Coster noch lange Jahre hindurch Nacht für Nacht mit Flinte und Nebelhorn bewaffnet, in seinen, allen Einwohnern bestens bekannten, grauen und etwas schäbigen Regenmantel gehüllt, durch die Straßen gepilgert und hätte nicht am Morgen des 26. Juni, mit dem Gesicht nach unten, in einer schwarzen, halbeingetrockneten Blutlache liegend, den Mittelpunkt der allgemeinen Teilnahme und Neugierde gebildet.

Es ist nur gut, daß den Menschen die wahren Gründe und Ursachen eines Unglücksfalles verschlossen bleiben. Wäre es sonst denkbar gewesen, daß die Witwe Jim Costers noch nach Jahren mit Stolz und Ehrfurcht allen Bekannten das schwarzumflorte Bildnis ihres Seligen mit der darüber angebrachten Inschrift: »In Erfüllung seiner Pflicht den Heldentod erlitten« zeigte, wenn sie gewußt hätte, daß er besagten Heldentod nur starb, weil das bei der Geburtstagsfeier von Schwager Reginald gestiftete Fäßchen siebzigprozentigen Whiskys eine etwas zu starke Anziehungskraft auf ihn ausübte!

Jim Coster trat am 25. Juni seinen Dienst wie üblich bei Dunkelwerden an. Er war in besonders guter Stimmung und verließ nur ungern die Wohnung, wo auch während seiner Abwesenheit der Geburtstag in etwas lauter und ausgelassener Weise weitergefeiert wurde. Er schritt langsam und gemessen durch die dunklen Straßen, und seine gute Stimmung äußerte sich eigentlich nur darin, daß er öfter als sonst in sein Nebelhorn stieß und beim Hause des Schusters Billing, an den er vorige Woche drei Dollars im Kartenspiel verloren hatte, genau um Mitternacht dieses Horn in besonders ausgiebiger Weise in Tätigkeit setzte.

Es mochte etwa zwei Uhr morgens sein, als Jim Coster zum ersten Male in dieser Nacht etwas Auffälliges bemerkte. Alle Häuser außer seinem eigenen lagen bereits im Dunkeln; nur in »Manhattanhouse« sah er durch die herabgelassenen Rollvorhänge Licht schimmern. Der Nachtwächter blieb stehen und beobachtete die drei erhellten Fenster: deutlich war der Schatten einer menschlichen Gestalt zu erkennen, der bald hier bald da über die Vorhänge huschte.

In jeder anderen Nacht wäre Jim Coster der Sache bestimmt auf den Grund gegangen, denn er wußte, daß in »Manhattanhouse« regelmäßig um elf Uhr alle Lichter gelöscht wurden. Der reiche Manhattan war ein närrischer Kauz, und Jim Coster hatte so manchesmal über des Alten sprichwörtlich gewordene Ängstlichkeit gelächelt, wenn ihn der Diener Lux im Auftrage seines Herrn mitten in der Nacht irgendwo am andern Ende seines Reviers aufspürte, nur um ihm mitzuteilen, daß Manhattan heute vermutlich bis zum Morgen aufbleiben und Licht brennen würde. In dieser Nacht war eine derartige Mitteilung nicht erfolgt, doch war dieser Umstand gerade jetzt nicht geeignet, Jim Coster irgendwie zu beunruhigen. Nachdem er eine Zeitlang die erleuchteten Fenster beobachtet hatte, glaubte er seiner Pflicht Genüge getan zu haben und lenkte seine Schritte heimwärts, um noch schnell ein knappes halbes Stündchen an der Geburtstagsfeier teilzunehmen.

Aus der knappen halben Stunde waren zwei ganze geworden. Als Jim Coster um vier Uhr morgens sein Haus verließ, war eine auffallende Veränderung mit ihm vorgegangen. Dies zeigte sich, als er bei Manhattanhouse vorbeiging und dort noch immer Licht schimmern sah: anstatt unverzüglich die nächste Polizeiwache zu verständigen, beschloß der Nachtwächter, die vermutlichen Einbrecher ganz allein festzunehmen.

Auf sein lautes Rufen und die kräftigen Hornsignale öffnete sich sogleich ein Fenster, und ein Kopf wurde sichtbar. Da Coster durch das Licht aus dem Zimmer geblendet wurde, vermochte er nicht zu erkennen, ob die im Fenster lehnende Gestalt Manhattan, Lux oder ein Fremder war.

»Hilfe! Kommen Sie schnell!« rief eine heisere Stimme.

Der Nachtwächter besann sich keinen Augenblick; mit wahrem Löwenmut stürzte er durch das Gärtchen auf die Villa zu. Als er bei der Tür anlangte, öffnete sie sich ein wenig, und eine Hand streckte sich vor. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Coster einen länglichen, dunklen Gegenstand dicht vor seinen Augen; dann brach er, von einer Kugel durchbohrt, zusammen.

Man fand ihn auf der Straße, etwa hundert Meter von »Manhattanhouse« entfernt. Die Mordkommission stellte jedoch unschwer fest, daß er im Gärtchen vor diesem Hause erschossen und dann erst auf die Straße hinausgeschleift worden war.

Um sechs Uhr früh hatte man den Leichnam Costers entdeckt. Eine halbe Stunde darauf war die Mordkommission bereits an Ort und Stelle; um sieben Uhr drangen die Kriminalbeamten nach längerem fruchtlosem Klopfen in »Manhattanhouse« ein, und wenige Minuten später ging es wie ein Lauffeuer durch die ganze Gegend: der Millionär Manhattan sei in der vergangenen Nacht in bestialischer Weise ermordet worden. Die wildesten Gerüchte wurden in Umlauf gesetzt; eine schwarze Menschenmenge stand vor dem kleinen Häuschen und starrte gespannt auf die dicht verschlossenen Fenster. Jeder, der kam, und jeder, der ging, wurde mit abschätzenden Blicken gemustert, und sobald er außer Hörweite war, wurden von den ganz besonders klugen Gaffern Vermutungen über den Zweck seines Hierseins angestellt.

Als der durch die Mordkommission telephonisch verständigte Polizeibeamte Hearn eintraf, hatte die Erregung der Menge ihren Höhepunkt erreicht. Der kleine Kapitän entstieg einem offenen Auto und gab den ihn begleitenden Polizisten einen Wink, wobei er auf die Menschenansammlung deutete. Als kümmere er sich nun nicht mehr im geringsten um das Schreien der aufgeregten Leute, drehte er sich dann kurz um und betrat, die Hände in den Hosentaschen und die Schultern hochgezogen, das Mordhaus.

Die Mienen der Kriminalbeamten, die ihn im Vorzimmer empfingen, waren ernst.

»Kapitän, gehen Sie noch nicht in jenes Zimmer«, warnte ihn der eine, ein älterer, grauhaariger Mann. »Der Anblick ist schrecklich. Illing, unser jüngster Kollege, wurde beim Betreten des Raumes weiß wie ein Tuch und fiel um.«

»Hm … hm …« brummte Hearn und betrachtete prüfend jeden der Anwesenden. Plötzlich bohrten sich seine kleinen, stechenden Habichtsaugen in das Gesicht eines jungen Mannes. »Wer sind Sie?« fragte er dann scharf.

»Huntington«, lautete die rasche Antwort. »Huntington, in Firma Clayvills & Huntington.«

»Ah, ein Privatdetektiv! Hm … so, so!«

»Er stand mit dem Ermordeten in dauerndem Geschäftsverkehr«, erklärte der grauhaarige Polizeibeamte.

»Ach so!« Hearn nickte. »Natürlich, dann kann er dableiben. Ich dachte, es wäre schon einer von den nichtsnutzigen Zeitungsmenschen.«

»Nein, nein. Wir haben keine zugelassen«, widersprach der andere eifrig.

»Dann ist's gut. Und jetzt wollen wir uns die Sache einmal ansehen …«

»Lassen Sie sich's lieber erst erzählen«, riet der Beamte. »Wie gesagt, der Anblick ist entsetzlich …«

Hearn hielt bereits die Türklinke in der Hand.

»Sagten Sie nicht am Fernsprecher, der Mann sei tot?« fragte er kurz.

»Nun ja, aber …«

»Dann ist doch nichts Entsetzliches dabei«, schnitt Hearn ab. »Ich habe schon Schlimmeres ansehen müssen. Zum Beispiel sah ich einmal, wie ein böser Junge einer Libelle einzeln Flügel und Beine ausriß; und die Libelle lebte noch! Das war ein entsetzlicher Anblick, meine Herren!« Damit stieß der Kapitän die Tür auf und betrat das andere Zimmer.

Das Bild, das sich seinen Blicken bot, war bestimmt geeignet, einen Menschen umzuwerfen, der nicht über eiserne Nerven verfügte.

Am Boden lag, in einen kostbaren seidenen Schlafanzug gehüllt, eine menschliche Gestalt, deren Gesichtszüge bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren. Nur eine klebrige, schwarze Masse war davon übriggeblieben, und an einzelnen Stellen war das Fleisch bis auf die Knochen durchfressen. Man brauchte nicht lange nach dem Ursprung der grauenhaften Verletzungen zu suchen, denn die am Tischrand liegende umgeworfene Flasche, deren Hals sich genau über dem Gesicht des Toten befand, sagte alles.

Hearn schien von alledem zunächst nichts zu bemerken. Er stand still an der Türschwelle, hatte seinen Kopf ein wenig gehoben und schnupperte eifrig in der Luft herum.

»Wonach riecht es hier?« fragte er plötzlich.

Die Beamten sahen einander etwas betreten an.

»Wir haben noch nicht danach geforscht«, meinte der Grauhaarige nach einer Pause. »Die anderen Feststellungen erschienen uns wichtiger.«

»Sehr zu Unrecht«, erklärte Hearn gemessen. »Die anderen Feststellungen kann man auch ruhig eine halbe Stunde später machen – die laufen uns nicht davon; der Geruch aber ist in einer halben Stunde restlos weg. Also, wonach riecht es?« Da niemand antwortete, ergänzte er: »Nach bitteren Mandeln. – So, und jetzt wollen wir mit der Arbeit beginnen.«

Er steckte die Hände wieder in die Hosentaschen und spazierte langsam im Zimmer auf und ab. Seine kleinen Augen schienen überall zu sein. Bald wanderten sie am Boden entlang, bald streiften sie in scheinbarer Achtlosigkeit über die Tische, Sessel und den Fenstersims hinweg. Der Kassenschrank in der Ecke war erbrochen, und seine Tür nur leicht angelehnt. Hearn stieß sie im Vorbeigehen mit dem Ellbogen auf, warf einen flüchtigen Blick ins Innere des Schrankes und schloß die Tür auf dieselbe Weise, ohne die Hand aus der Tasche zu nehmen.

Etwa zwanzig Minuten waren vergangen, und die Kriminalbeamten fingen an, ungeduldig zu werden. Sie hatten ihre Arbeit bereits beendet und warteten nur auf den Augenblick des allgemeinen Aufbruchs.

»Was ist Ihre Meinung, Kollege?« wagte schließlich der Grauhaarige zu fragen.

Hearn blieb stehen und sah mit einem Blick auf, als wären seine Gedanken eben meilenweit von hier entfernt gewesen.

»Darf ich vorerst mal nach Ihrer Meinung fragen?« gab er zurück. »Sie haben die Untersuchung doch zweifellos schon abgebrochen. Wie lautet Ihr Spruch?«

»Mord natürlich«, war die Antwort. »Mord, begangen von einem oder mehreren unbekannten Tätern.«

»Nicht Unfall?«

»Nein. Man könnte ja annehmen, daß es dem Unglücklichen plötzlich schlecht geworden, er gestürzt sei und dabei selbst die Flasche umgerissen habe. Der erbrochene Kassenschrank aber spricht gegen eine solche Annahme.«

Die Mienen des Kapitäns drückten weder Zustimmung noch Ablehnung aus.

»Sie können jetzt ruhig nach Hause gehen«, erklärte er. »Ich bleibe noch ein wenig hier und werde, wenn Mr. Huntington nichts dagegen hat, gemeinsam mit ihm noch einiges untersuchen.«

Der alte Beamte schüttelte den Kopf.

»Das darf ich leider nicht zugeben. Ich muß das Zimmer versiegeln, und da die Vorschriften …«

Hearn hielt ihm ein Papier vor die Augen.

»Hier sind andere Vorschriften«, sagte er leise. »Sehen Sie die Unterschriften! Polizeipräsident und Minister selbst haben die Feder gezückt, um dem Papierchen mehr Geltung zu verschaffen.«

Die Wirkung dieser Worte, unterstützt durch das seltene Dokument, entsprach vollkommen dem Wunsche des Kapitäns: die Beamten verabschiedeten sich etwas hastig und sehr ehrerbietig und ließen die beiden Detektive allein.

»Nun, Mr. Huntington, was sagen Sie zu dem allen?« erkundigte sich Hearn nach einem kurzen Schweigen.

»Es kann Mord sein, es kann auch ein Unfall sein«, entgegnete der junge Mann unbestimmt. »Wenn wir zum Beispiel annehmen, daß ein Unbekannter in die Wohnung eindrang, um zu rauben, daß er von Manhattan überrascht wurde, und nachher beim Kampf die Flasche umfiel – dann könnte die letzte Erklärung stimmen. Auf der Flasche befindet sich übrigens das chemische Zeichen: CCl 3-COOH. Das bedeutet, daß in ihr Trichloressigsäure enthalten war, einer der ätzendsten Stoffe, die es gibt. Sollte es also doch Mord gewesen sein, so ist die Säure bestimmt gut gewählt.«

Kapitän Hearn kniff seine kleinen Äuglein zusammen.

»Eine etwas sonderbare Tötungsart, Mr. Huntington!« sagte er nachdenklich. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«

Huntington nickte zustimmend.

»Es ist tatsächlich mehr als merkwürdig! Sogar wenn wir annehmen, daß der Täter allen Grund hatte, eine Art des Mordes zu bevorzugen, die lautlos verlief, sogar dann verstehe ich nicht, warum er diese umständliche Tötungsweise wählte.«

»Rache!« murmelte Hearn leise. »Rache, – das ist die einzig mögliche Erklärung. Nur aus Rache kann man sich zur Anwendung einer solchen Mordwaffe entschließen. Der Tod muß sehr qualvoll gewesen sein.«

»Es spricht eigentlich mehr für Raubmord«, widersprach Huntington.

Hearn schnitt eine Grimasse.

»Sie meinen – wegen des erbrochenen Kassenschrankes? Das bezweckt Irreführung, nichts weiter! Sehen Sie hier: der Schlüsselbund Manhattans liegt recht schön sichtbar auf dem Nachttisch. Ein Mensch, der rauben will, nimmt lieber die Schlüssel. Ein Mensch, der einen Raubmord vortäuschen will, bricht aber einen Schrank auf, ohne dabei auch nur an die offen daliegenden Schlüssel zu denken. So etwas hat es schon gegeben …«

Hearn öffnete die Ofentür und stocherte mit dem Schürhaken in der Asche. Huntington bückte sich und betrachtete aufmerksam die winzigen kohlschwarzen Blättchen, die in der grauen Asche sichtbar waren.

»Verbranntes Papier!« sagte er nachdenklich. »Und zwar erschien unserem Mann das Verbrennen so wichtig, daß er das verkohlte Papier nachher noch zerkleinerte und sorgfältig mit der übrigen Asche vermischte.«

Hearn nickte schweigend. Er kauerte noch immer in geduckter Haltung vor dem Ofenloch und starrte gedankenvoll vor sich hin. Plötzlich entnahm er seiner Brieftasche ein kleines Kärtchen und schob mit dem Zeigefinger einen der verkohlten Papierreste darauf. Von dem schwarzen Blättchen zeichnete sich deutlich ein weißer Streifen ab, der ringsherum eine bräunliche Färbung zeigte. Der Polizeibeamte trat ans Fenster und betrachtete seinen Fund eine Weile durch die Lupe. Dann reichte er mit fragendem Blick beides seinem Begleiter.

»Nun?«

Huntington musterte einige Minuten lang schweigend das schwarze Blättchen. Achselzuckend legte er endlich das Kärtchen auf eine Schale und reichte die Lupe ihrem Eigentümer zurück.

»Ich werde nicht klug daraus. Was soll es sein, Kapitän?«

»Seife!« sagte Hearn kurz.

»Seife?« wiederholte Huntington verwundert. »Wie sollte wohl Seife in den Ofen kommen? Und warum?«

»Genau genommen, ist es nicht Seife, sondern Seifenschaum«, erklärte der kleine Polizeibeamte und machte sich am Toilettentisch zu schaffen. »Dieser Schaum war übrigens noch naß, als er mitsamt dem Papier in den Ofen geworfen wurde. Wenn er nämlich schon eingetrocknet gewesen wäre, hätte er vollkommen verbrennen müssen.«

»Ich verstehe aber nicht …« begann Huntington stirnrunzelnd.

»Nun?« fragte Hearn mit einem bedeutsamen Lächeln.

»Bei welcher Gelegenheit verbrennen denn zum Beispiel Sie Papier mit Seifenschaum?«

Huntington ging ein Licht auf.

»Er hat sich rasiert!« rief er tief aufatmend.

»So ist es!« bestätigte Hearn. »Sehen Sie, hier am Rasierapparat sind zwei kleine, schwarze Härchen. Manhattan war stets glattrasiert. Der Mann, von dem diese Härchen stammen, muß aber vordem das gewesen sein, was man unrasiert nennt. Oder … oder …«

»Oder er nahm sich nach vollbrachter Tat den Bart ab!« ergänzte Huntington.

»Sehr richtig!« sagte Hearn mit Nachdruck.

»Demnach haben wir nunmehr nach einem glattrasierten Mörder zu fahnden!«

»Ach! Wenn das alles wäre!« rief der Kapitän leise. »Wenn das alles wäre, – es lohnte sich nicht, ein Wort darüber zu verlieren. Es läßt sich noch viel mehr daraus schließen, Mr. Huntington! Sehen Sie hier am Rasiermesser den kleinen Blutstropfen? Der Mann hat sich geschnitten.«

»Die Schnittwunde wird vermutlich nicht so groß sein, daß sie uns als besonderes Merkmal für einen Steckbrief dienen könnte!« widersprach der Detektiv.

»Das meine ich ja gar nicht!« Hearn schüttelte bekümmert den Kopf. »Ich bin mit der jungen Schule der draufgängerischen Kriminalisten nicht einverstanden! Wie kann man nur bei einem harmlosen Schnitt gleich an den Steckbrief denken und dabei das Nächstliegendste nicht beachten!«

Huntington schien etwas verärgert.

»Wenn Sie meinen, ich hätte nicht daran gedacht, daß der Blutstropfen eine noch viel zu rötliche Färbung hat, um alt zu sein …«

»Um Gotteswillen! Solche Selbstverständlichkeiten!« rief Hearn vorwurfsvoll aus. »Ich meine etwas anderes! Ich muß wieder fragen: Was machen denn zum Beispiel Sie, wenn Sie sich beim Rasieren schneiden?«

»Komische Frage! Was soll ich denn da schon machen?«

»Warten Sie etwa, bis die Wunde von selbst zu bluten aufhört?«

»Nein!« erwiderte Huntington zugeknöpft. »Natürlich nehme ich den Blutstiller und …«

»Sehen Sie!« rief Hearn triumphierend. »Sehen Sie, das ist es! Hier in der Schublade liegt der Blutstiller! Fein säuberlich in Papier eingewickelt! Und auf dem Papier – eine solide, dicke Staubschicht! Folgerung: der Blutstiller wurde seit langer Zeit – demnach also auch in der vergangenen Nacht – nicht benutzt.«

»Das ist eine Kleinigkeit, eine belanglose Nebensächlichkeit«, versetzte Huntington achselzuckend.

Hearn faßte ihn bei einem seiner Westenknöpfe und tippte bedächtig mit dem Zeigefinger der andern Hand auf die Brust des Detektivs.

»Ich will Ihnen mal was sagen, junger Mann!« erklärte er väterlich. »Wenn Sie herausbringen, warum der Mann nicht den Blutstiller benutzte, dann haben Sie den Mörder in der Hand!«


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