Heinrich Zschokke
Die Rose von Disentis
Heinrich Zschokke

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43.
Die Gesellschaft im Pfarrhause.

Das Alpendörfchen Panix, mit den wenigen Hütten, am wiesengrünen Bergabhange, der von da zu den Felsen, Wasserfällen und schwarzen Zacken des Gebirgsgrathes ziemlich steil hinansteigt, lag endlich vor ihnen. Auf diesen Höhen sah man weit umher keinen Baum und Strauch mehr. Einzelne Personen standen müßig beisammen, berathend, was der Donnerschlag zu bedeuten gehabt habe. den man auch hier, aus der Tiefe des Landes, vernommen hatte. Fragend wandten sie sich an die vorübergehenden Fremdlinge. Uli Goin trug kein Bedenken, ihnen, mit weitschallendem Zuruf, die Rache des heiligen Placidus zu verkünden, welcher die Feinde der römisch-katholischen Religion, die welschen Gotteslästerer, Knall und Fall, ausgerottet habe. Indem der Erdboden unter ihren Füßen gespalten sei, wären sie insgesammt und bei lebendigem Leibe in den Dampf und Rauch des höllischen Abgrundes hinuntergefahren.

Mit sichtbarem Entsetzen schlugen die erschrockenen Bäuerinnen ein Kreuz vor Stirn und Brust; einige alte Männer nickten bedenklich mit dem Kopfe, doch die jungen Burschen lächelten dazu mit beinahe ungläubiger Miene. Indessen zeigte man den Wanderern, auf ihre Anfrage, das Pfarrhaus, welches, gleich anderen Gebäuden, mit dicken Bretterschindeln gedeckt und, um von keinem Windstoße entführt zu werden, mit schweren Steinen belastet war. Durch einen engen Eingang trat man in das reinliche, getäfelte Wohnzimmer des Geistlichen, wo eine schwarzwälder Uhr, ein Barometer, ein Schrank mit Zinngeschirr und wenigen Büchern darauf, so wie ein wurmstichiges Kruzifix und ein paar schlechte Heiligenbilder, den Schmuck der Wände ausmachten. Der von Stein aufgemauerte Ofen, mit daran befestigten Sitzbänken, oberhalb mit einem Gestell zum Wäschetrocknen umgeben, nahm den größten Theil des Raumes ein.

Ein lebhafter, ältlicher Mann, fast zu nachlässig gekleidet, als daß er für einen Priester gehalten werden konnte, kündigte sich dennoch als Pfarrer an. Auf Prevost's Erkundigung nach dem Fräulein von Stetten, eilte er dienstgefällig, die Dame herbeizurufen, die, nach seiner Versicherung, ihn mit Ungeduld erwartet habe.

Sie kam, gefolgt von einem jungen, kräftigen Mädchen, das, durch ehrerbietige Aufmerksamkeit, das Verhältniß der Dienerin zur Herrin gewahren ließ. Nach den ersten üblichen Höflichkeiten, Fragen, Entschuldigungen, verbindlichen Versicherungen und dergleichen, mit denen der Weg zur näheren Bekanntschaft angebahnt zu werden pflegt, ließ man sich auf die hölzernen Bänke nieder. Das Zwiegespräch wurde fortgesetzt, aber so allgemein gehalten, daß selbst Uli Goin Langeweile verspürte, und mit dem geistlichen Herrn Berathungen über ein sicheres Mittel, den Durst zu löschen, anknüpfte. Flavian und das Fräulein aber schienen blos zu sprechen, um sich gegenseitig bequemer mustern, und ihre Neugierde nach dem inneren Gehalt der Personen verbergen und befriedigen zu können.

Bald indessen verlor sich das anfängliche Fremde zwischen Beiden. Man schien einander mit einigem Wohlgefallen zu sehen; das Fräulein mit Zufriedenheit, in dem hübschen jungen Manne Elfriede's gewesenen Auserwählten kennen zu lernen; der Schützenhauptmann hingegen, in der neuen Schutzempfohlenen die Freundin seiner ersten Liebe zu finden. Das Fräulein von Stetten gab sich als eine Dame von Bildung, und zartem, zuweilen sogar überzartem Gefühle zu erkennen. Sie war freilich eine fast verblühte Schönheit, aber noch immer voll Anmuth in ihrem Aeußeren; den schlanken Gliederbau in ein äußerst sauberes, doch locker anliegendes Reisegewand gehüllt. Jedes ihrer Worte wurde durch ein mildes, einschmeichelndes Lächeln des edeln Antlitzes verschönt, während die großen, blauen Augen von einer unüberwindlichen Schwermuth des Gemüthes redeten. Ihr junges Kammermädchen, – sie nannte es Theresel, – konnte einigermaßen als Gegenbild gelten, ein lachlustiges, in üppiger Fülle der Gesundheit aufgeblühtes Geschöpf, mit apfelrundem Gesichte und geläufiger Zunge. Es machte sich mit dem mannhaften Uli lieber zu schaffen, als mit dem Herrn Pfarrer.

Gnädiges Fräulein, sagte Flavian endlich, wollen Sie erlauben, vorläufig die Hauptsache zu berühren? Sie denken ohne Zweifel Ihre Reise heute oder morgen fortzusetzen?

Möglichst bald, Herr Prevost. Doch Ihretwegen thut mir's leid, daß ich, Sie wissen es also schon, von einer lieben Kranken, von meiner Gesellschafterin, abhängig geworden bin. Das Befinden derselben und die Fortdauer des guten Wetters werden über uns entscheiden. Auf der Reise von Wien nach Chur schien ihr Zustand durchaus nicht bedenklich. Wer konnte glauben, daß er sich in ein Paar Monaten so arg verschlimmern würde?

Fräulein Clara hat mir noch vor einer Minute gesagt, bemerkte Jungfer Theresel rasch einfallend, sie fühle sich in der Luft dieser abscheulichen Berge himmlisch wohl; und so gestärkt, daß sie eine Reise um die ganze Welt machen könnte. Mir hingegen springt, in dem entsetzlichen Klima, die Haut an Lippen und Backen auf.

Wir wollen erwarten, fuhr Fräulein Pauline fort, wie sich meine Freundin morgen befindet, und ob die Witterung gut bleibt. In jedem Falle müssen wir den Weg über die Berge wählen. Lieber nähme ich's mit allen Schrecknissen der Natur auf, als mit der Brutalität unserer Feinde.

Das Wetter bleibt gut, bemerkte der Pfarrer, an das Barometer klopfend. Das Quecksilber steht beharrlich auf 21 Zoll 8 Linien.

So niedrig? rief Flavian etwas erstaunt.

Weil wir hoch stehen, beschwichtigte ihn der Witterungskundige, volle 4066 Fuß über dem Spiegel des Mittelmeeres. Auf der Höhe des Panixerpasses aber werden Sie noch um 2830 Fuß höher sein.

Jesus, Maria! schrie Theresel ängstlich lachend, nur nicht in den Himmel mit mir! Nehmen Sie mir's doch nicht übel, hochwürdiger Herr, die Regimentsmusik im Augarten möchte ich vor der Hand noch immer lieber hören, als so jung schon droben den Gesang der lieben heiligen Engel. Ich bekomme immer Schwindel, wenn ich nur das Bild einer Himmelfahrt ansehe.

Sie wollen also den kürzesten Weg nach Uri oder Glarus nehmen? sagte Prevost, zu Pauline gewendet. Er ist mir zwar unbekannt, aber jeder Weg in Ihrer Gesellschaft gleich angenehm.

Er soll nicht gefährlich sein, behauptet der Herr Pfarrer, entgegnete das Fräulein. Ich wünschte auch deshalb nach Glarus, weil ich Bekannte der Frau von Castelberg dort zu treffen hoffe, bei denen, – – – bei denen die, wollte ich sagen – –; mir ist der Name ganz entfallen, setzte sie erröthend hinzu. Aber nicht wahr, Herr Pfarrer, der Weg ist ohne Gefahr?

Vollkommen, vollkommen, stimmte der geistliche Herr ein. Freilich nur Fußwege, doch während des Sommers auch gut für Vieh. Im Jäger-Schlunde könnten Sie allerdings noch Schnee finden. Indessen gebe ich Ihnen solide Männer mit, stämmig genug, die Frauen sämmtlich auf den Armen hinunter zu tragen. Sind Sie dann einmal an der Gurgel vorbei, so haben Sie's überstanden. Denn – – –

Schlund, Gurgel, abscheuliche Namen! fiel ihm Theresel mit komischer Angst in's Wort. Um Gottes willen, liebes, gnädiges Fräulein, ich bitte, bitte, wenn's halt doch einmal verzweifelt sein muß, stürzen wir uns lieber den Herren Franzosen in die Arme, als in den gräßlichen Rachen der Felsengurgeln.

Der Pfarrer, ohne sich durch diese Randglosse, noch durch das Gelächter Uli Goin's beirren zu lassen, fuhr ernsthaft fort: Sie werden ohne Zweifel in Elm oder Matt übernachten wollen? Es ist für Damen eine ganz angenehme Reise. Fürchten Sie sich nicht. In drei Stunden haben Sie die Narasca-Alb und die Höhe des Graths erreicht; von da in eben so vieler Zeit ungefähr den Rinkenkopf; und durch die Wichleralp, bis Elm, gelangen Sie ebenfalls in drei Stunden.

Nach weitläufigen Berathungen, Einwürfen und Widerlegungen, entschied sich Fräulein Pauline muthig für das Wagniß durch Schlund und Gurgel, insofern die kranke Reisegefährtin sich anderen Tages stark genug fühlen würde. Diese, zu der sich abwechselnd, bald die junge Dienerin, bald deren Gebieterin begab, ließ es nicht an Hoffnung dazu fehlen.


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