Heinrich Zschokke
Die Rose von Disentis
Heinrich Zschokke

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11.
Ein Brief aus dem Pathmos.

Andern Morgens war Flavian aus dem Gasthause verschwunden, ehe noch Jemand erwacht war. Wir wollen hier nicht erzählen, wie der politische Flüchtling glücklich über den Rhein entkam; sich mit andern Flüchtlingen, die er auf Schweizerboden fand, besprach; mit einem Handelshause in Basel seine Geldangelegenheiten ordnete, und darauf nach Luzern reiste, dem damaligen Sitz der höchsten helvetischen Behörden. Wir theilen, statt dessen, lieber einige der Briefe von daher mit, die der junge Mann, während des Winters, seiner Schwester schrieb.

»Warum denn Vorwürfe, Sabine, daß ich nicht sein kann, gleich Andern; auch nicht werden mag, wie sie? Ist's meine, oder des Schöpfers Schuld? Wahrhaftig, fast möchte ich schwören, es gäbe, wie von Menschen und Thieren, auch verschiedene Racen von Geistern. Schilt mich immerhin einen unruhigen Taugenichts; Du hast Recht. Ich tauge unter diesen Leuten nichts, und weiß nicht, was ich in einer Welt zu schaffen habe, in der ich entweder entbehrlich bin, oder gehaßt und betrogen werde. Wenn ich nicht bei Dir, und bei Dir allein sein darf, ist mir nirgends wohl, als allein bei mir. Und ich bin in meinem jetzigen Pathmos allein; daher ist's mir auch behaglicher, als seit langer Zeit.

Mein Pathmos aber ist ein altes Landhaus auf der Höhe am Ufer des Vierwaldstätter-Sees; etwa eine viertel Wegstunde von Luzern. Unter mir, im Erdgeschoß, wohnt ein ehrlicher Küher, sammt Weib und Kindern, der das Vieh seiner Herrschaft zu überwintern hat; die Bedürfnisse meiner Haushaltung besorgen läßt; mir Bücher, oder Briefe, aus der Stadt bringt, oder dahin trägt. Unter meinen Fenstern breitet sich, in dunkelm Glanz, der See aus: jenseit desselben die stolze Kette der Alpen von Unterwalden, die sich rechts an die verwitterte, gewaltige Pyramide des Pilatus stützt. Links drüben schweben im Halbkreise die Eisfirnen von Uri, in wunderlichen Windungen und Umrissen.

Ich sitze am Fenster, voll frommer Gefühle, Dir schreibend. Nahe und ferne ist die ganze Natur in das Gewand des Winters eingekleidet; die ganze Welt schwimmt in blendendem Silberlicht. Mir ist, als begehe die Natur einen heiligen Feiertag; als rufe sie, leise, auch das Menschenherz zur Mitfeier, und mahne in ihrer Einförmigkeit, an Unendliches und Ewiges, was nicht dem Hienieden angehört. Ich liebe den Winter. Da bin ich in mich gekehrter, ruhiger, frommer; im Sommer leichtsinniger, aufgeregter, aufgelöster in die Außendinge. Ich möchte um Alles nicht in südlichen Ländern wohnen, wie laut man sie auch preist. Der nördliche Himmel ist's, der die Völker, durch Mühen und Entbehrungen, zur Kraftentwicklung des Leibes und Geistes zwingt und im häuslichen Leben durch engeres Beisammenwohnen, zum reicheren Gedankentausch. Darum sind die Nationen des Nordens, in Kunst und Wissenschaft die Ersten der heutigen Welt geworden; darum civilisirter; darum erfindungsreicher und kühner. Darum sind die Religionen des Nordens prunkloser, aber geistiger; die der Südländer irdischer und sinnlicher gestaltet. Darum konnte im Norden nur der Protestantismus feste Wurzel fassen; der Süden nie vom Katholizismus lassen.

Mein Tagewerk ist ein so gleichförmiges, daß ich nichts davon erzählen mag; ein wahrer Gedankenstrich im Lebenslauf. Ich lese, ich schreibe, ich träume. Ein kleiner, ältlicher Herr, Namens Balthasar, Bibliothekar zu Luzern, versorgt mich, gefällig, mit den besten Werken englischer, französischer und deutscher Literatur. Da lebe ich, nur als Geist unter den Geistern, und lasse mich von ihnen belehren und veredeln. Ich spiele mit den Kindern meines Hausgenossen und werde in ihrem Umgange, was sie sind; was wir sein und werden sollten: unschuldiger, wahrer, natürlicher. Ich fühle es, wenn wir, bei allen unseren Erfahrungen, Kenntnissen und Künsten, nicht werden, wie diese, können wir nimmer in's Himmelreich eingehen. Der tiefe Sinn des Jesuswortes ist mir nie so klar erschienen, als jetzt.

Zuweilen besuche ich unsern jungen diplomatischen Agenten in der Stadt, um Neues aus dem unglücklichen Bündnerlande zu vernehmen; zuweilen kommt er auch wohl zu mir. Seit dem Einzug der kaiserlichen Truppen erfährt man aber wenig mehr von dorther. Der Churer Kriegsrath entweiht ohne Scheu das Briefgeheimniß, und nimmt das Vermögen der Ausgewanderten in Beschlag. Unser Agent ist seines Bürgerrechtes verlustig geworden, sogar für vogelfrei erklärt. Man hat sein Bildniß an den Galgen geschlagen, weil er sich mit rastloser Thätigkeit der armen Ausgewanderten bei den Behörden der Schweiz annimmt. Er hat es mir selbst, mit lachendem Munde, erzählt. Weil mir nichts mehr gehört, will ich der Welt angehören; weil mir Niemand hilft, Jedem helfen, sagte er neulich.

Ich weiß nicht, woher er den ewigen Frohsinn nimmt. Er ist jung; ungefähr meines Alters; wissenschaftlich gebildet, beliebt und gesucht, lebt aber äußerst eingeschränkt, fast ärmlich; ob wegen Mangels an Mitteln, oder aus Grundsatz, ist schwer zu errathen. Ich glaube, er ist eine Doppelgestalt; in seinem Innern der schreiende Gegensatz des Aeußern. Jenes läßt er selten durchblicken und ich weiß nicht, ob er die Menschen inbrünstiger lieben, oder verachten mag? Er ist ein Diplomat von eigener Natur, der Opfer bringt und keines verlangt; heimlich weinen, öffentlich lachen kann; frommer Schwärmer in seinem Innern, glatter Weltmann von außen ist; wie ein Spiegel, die Farben, nach den Umgebungen, wechselnd; der in sich aber starr, kalt und spröde bleibt, wie das Spiegelglas. Ich beschreibe ihn Dir, weil ich Dir rathe, die Briefe für mich an ihn zu schicken. So erhalte ich sie mit größerer Sicherheit.

Er gefällt mir und doch fürchte ich ihn heimlich. Ich möchte mich dem gefälligen Manne ganz hingeben und kann es aus einer absonderlichen Art von Mißtrauen nicht. Er bleibt mir dunkel, oder zweideutig; mich aber hat er durch und durch erkannt, so klar, wie Du mich kennst. Denke Dir, als ich ihm den ersten Höflichkeits-Besuch abstattete, sagte er mir Dinge, als wäre er in meine verborgensten Zustände eingeweiht: Dinge aus meinen Verhältnissen, die selbst Dir noch unbekannt sind.

Durch ihn wurde ich auch den bedeutendsten Männern der helvetischen Regierung und den gesetzgebenden Räthen vorgestellt. Die Bekanntschaft derselben kann mir vielleicht in Zukunft nützlich werden. Am besten von Allen gefiel mir der Direktor Laharpe, ein Mann nach meinem Herzen; vom edelsten Korn und Schrot; ganz Gluth für das Große und Gute, wie es sein sollte; vielleicht darum eben nicht für das, was da ist, gemacht. Eben so der gelehrte Senator Usteri, ein umsichtiger, großthätiger, behutsamer Staatsmann; und der bescheidene, stillwirkende Minister Stapfer. Alle haben sie die gleiche Liebe für das Gerechte und Wahre; Alle das gleiche Ziel: Volksglück durch Volksfreiheit, und Volksfreiheit durch Geistesbefreiung der Menge. Alle aber wandeln dem gleichen Ziele auf ungleichen Wegen zu.

Genug für heute. Ein Glück für uns Beide, daß Du im heimathlichen Schlosse Deines Mannes, und nicht in Bünden, wohnst. Wir können wenigstens furchtlos Herz gegen Herz aufschließen, bis ich Dich im Frühjahr wiedersehe.


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