Heinrich Zschokke
Die Rose von Disentis
Heinrich Zschokke

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29.
Letzte Fortsetzung des Tagebuches.

Wahrlich, Pater Gregorius ist mehr, als Mönch; mehr, als Schulgelehrter; mehr, als gewandter, erfahrungsreicher Weltmann. Er ist liebenswürdig, wie eine Minerva, in Mentors Gestalt: die lebendig umherwandelnde Weisheit. Seine Unterhaltung ist mir für das Leben schon lehrreicher und nützlicher gewesen, als alle Vorlesungen der Wiener Professoren. Durch ihn habe ich angefangen, mich selbst und die Welt richtiger zu verstehen.

Als ich mich zu ihm niedergesetzt hatte, schwieg er, nachdenkend; nahm dann meine Hand in die seine und sagte: Ist's Ihr Ernst, mein junger Freund? Sie denken an Abreise?

Warum sollte ich nicht? war meine Antwort. Sie sehen mich vollkommen hergestellt. Ich möchte nicht länger ein überflüssiger Gast der trefflichen Frau von Castelberg bleiben, während mich eine nun Wittwe gewordene Schwester in ihrer Verlassenheit erwartet. Hier bin ich unter allen Müßiggängern der Entbehrlichste.

Nicht so entbehrlich, Herr Hauptmann, als Sie in Ihrer Bescheidenheit vielleicht glauben. Ein Mann von Kopf und Herz, wie Sie, steht in der Welt auf jeder Stelle, die er einnimmt, an der rechten Stelle; ist überall nöthig und nicht, ohne Schaden Anderer, entbehrlich. Verweilen Sie noch einige Zeit bei uns. Ich bin beauftragt, Sie dazu zu bereden. Ich kann und darf Ihnen zwar nicht Alles, was Sie wissen sollten, sagen; wohl aber das Eine: Sie können schwerlich durch eine höhere Pflicht von hier weggerufen werden, als die ist, welche Sie mahnt, einstweilen noch im Schlosse Castelberg zu verharren.

Sie werden aber zugeben, hochwürdiger Herr, die kleinste Pflicht, die man kennt, ist wichtiger, als die wichtigste, die man noch nicht kennt.

Sie haben Recht, mein Freund. Glauben Sie indessen, wenn ich jemals Ihres Vertrauens würdig war, mir dieses Mal. Ich bitte nicht für mich, sondern für andere würdige Personen, die Ihres Schutzes in diesen unruhigen Tagen bedürfen. Es sind Personen, deren Ehre, Gut und Leben durch mich in Gefahr gekommen sind, und deren Retter Sie werden können; Personen, die Sie darum anflehen, und die Sie seiner Zeit kennen lernen sollen. Glauben Sie mir altem Mann auf's Wort. Wollten Sie diese Bitte zurückweisen, Sie würden vielleicht den Frieden Ihrer eigenen Seele auf immer vernichten.

Herr Pater, Sie sprechen ein inhaltschweres Wort. Wem, in aller Welt, könnte meine Gegenwart in Disentis Schutz und Rettung bringen? Doch nicht in Ihrem Kloster?

Nein, mein Lieber, ich spreche so wenig für das Kloster, als für mich. Aber es sind Andere, in und außer Disentis, die Ihre Großmuth ansprechen. Dürfte, zum Beispiel, Frau von Castelberg, Ihre Retterin, Ihre Krankenpflegerin, nicht einiges Recht darauf haben; sie, die in jetziger Zeit ohne Schutz dasteht; sie, deren Gemahl landesflüchtig geworden; sie, die von allen Blutsfreunden verlassen ist. Man spricht vom nahe bevorstehenden allgemeinen Angriff der kaiserlichen Armee auf Bünden. Ich fürchte, die Bewohner unserer Gebirge werden beim Kampfe nicht stille Zuschauer bleiben wollen; nur dem Allwissenden ist es bekannt, wie die Würfel fallen werden. Behaupten sich die Franzosen in den Bündnerthälern; dann Wehe denen, die wider Sie aufgestanden sind. Siegen die Oesterreicher, dann Wehe – – –

Kein Wort mehr, hochwürdiger Herr; Sie haben Recht! Ich schäme mich, meiner Schuld gegen eine unvergeßliche Wohlthäterin nicht besser eingedenk gewesen zu sein. Dieser Dame schulde ich die Erhaltung meines Lebens, eines Lebens, welches freilich wenig Werth für mich hatte, selbst noch jetzt kaum hat; und ihn vielleicht erst gewinnt, wenn es einer heiligen Pflicht zum Opfer gebracht werden kann.

Mein Sohn, nicht solche Worte. Sie sind ungerecht gegen sich und die Welt. Ich liebe Sie seit jener entsetzlichen Nacht, wo Sie ohne Bedenken für einen Kriegsgefangenen heldenmüthig das Leben wagten. Ich lernte Sie seitdem näher kennen. Mit meiner Achtung für Ihr reines Gemüth, wuchs mein Verlangen, Sie glücklich zu wissen. Ihre Wunden sind wohl heil; Ihr Gemüth aber ist noch krank, sehr krank. Sie sind nicht glücklich, und sind es vielleicht nur durch einen Ihrer kleinen Irrthümer nicht. Erlauben Sie, daß ich in diesen Augenblicken, wie ein Vater zu seinem Sohn, reden darf. Ich weiß mehr von Ihnen, als Sie vermuthen; mehr, als Sie vielleicht selbst wissen. Sie sind nicht glücklich; waren es nicht im Hause des Barons von Schauenstein; waren es nicht in Ihren Verhältnissen zu Wien, und werden es noch lange nicht sein, wenn – – –

Ich muß Sie unterbrechen, Hochwürdiger. Haben Sie mich denn früher gekannt? Oder verrieth ich, in Augenblicken der Fieberhitze, mein vergangenes Leben? Ihre Aeußerungen setzen mich in einige Verwunderung. Von welchem Irrthum aber reden Sie? Was haben Sie von meinem Leben im Hause Schauenstein's, was von meinem Aufenthalt in Wien erfahren können? Ich bin mir wenigstens keines großen Irrthums, noch weniger einer Schuld bewußt. Ich habe selige Stunden genossen!

Denken Sie vielleicht dabei, mein junger Freund, an – – Hier lehnte sich der Mönch vertraulich, aber schalkhaft, an mich, und flüsterte leise: an die Rose von Disentis?

Stelle Dir meine Bestürzung vor, liebe Sabine, diese Worte von einem Klostergeistlichen zu hören, den ich erst seit wenigen Wochen kenne; dem ich nie von unseren, am wenigsten von meinen früheren Erlebnissen erzählt hatte! Ich sah ihn starr an und that in meiner Verlegenheit einige Fragen. Er aber ließ mich nicht ausreden, sondern, indem er mir mit der Hand, wie beschwichtigend, auf die Achsel klopfte, fuhr er fort: Nein; doch forschen Sie nicht weiter, denn ich bleibe verschwiegen und muß es bleiben. Ich wollte mich bei Ihnen durch jenes bedeutsame Losungswort blos legitimiren, daß mir nicht nur Ihre Denkungsweise, sondern auch Ihre Vergangenheit bekannt sei. Ich liebe Sie, ich möchte Sie glücklich sehen; Sie verdienen es zu sein, und sind es nicht.

Wenn ich's nicht bin, erwiederte ich mit etwas stolzem Selbstgefühl, so glauben Sie nur, ich bin es keineswegs durch das, woran Sie mich eben erinnern. Nein, wahrhaftig! Ich würde mich eines solchen Grundes schämen, den Sie vorhin vermuthlich meine Krankheit nannten.

Keineswegs, ich meinte eine andere Krankheit, sprach er, die Sie vielleicht für Gesundheit halten, und durch die Sie doch weder Ihres Lebens, noch der Welt froh werden können. Sie wollen das Gute, und begegnen aller Orten dem Bösen. Sie möchten die Menschheit, rings um sich her, nach den göttlichen Urbildern Ihres Geistes gestalten und werden ausgelacht, verspottet, verhaßt. Sie möchten das Höchste leisten und gelangen nicht zum Kleinsten. Und darum sind Sie unglücklich in Ihrem innersten Wesen.

Wie, Pater Gregorius, nennen Sie Begeisterung für das Heilige Krankheit? Können Sie, mit Ihrem frommen Herzen inmitten aller Ruchlosigkeit, mit Ihrem hellen Geiste, inmitten der Barbarei und des Aberglaubens, wodurch die Menschheit seit Jahrtausenden starrsinnig ihr Elend schafft, und sich ihr Grab gräbt, glücklich sein? Können Sie es wirklich? Ich kann es nicht! – Sehen Sie doch um sich her die Menge der Geschöpfe, welche den Namen Menschen tragen, die, wie wir, mit Vernunft, mit Ahnungen des Göttlichen und Ewigen ausgestattet sind, und doch so vernunftwidriges Wesen treiben, wie vernunftlose Geschöpfe; das Göttliche in den Staub ziehen, und das im Staube Geborene vergöttern; die Tugend kreuzigen, die Wahrheit einkerkern, aber den Verwüstern des Landes, den Räubern an Staat und Volk, und feilen Dirnen Ehrensäulen bauen. Blicken Sie doch um sich, vom Menschenfresser und afrikanischen Beduinen, bis zu den Deutschen, Engländern, Franzosen; mit höchst wenigen Ausnahmen, finden Sie überall reinthierische Selbstsucht, Gier nach Wollust und Wohlleben, und den dazu erforderlichen Mitteln. Sehen Sie um sich! Frei gehen und fliegen, schwimmen und kriechen, von ihrer Natur sicher geleitet, die Thiere; aber unfrei liegen die Nationen in weiten Gefängnissen, die man Staatsordnung nennt, und in denen alle Kraft, alles Eigenthum, Talent, Recht, Glauben und Leben von Millionen Unterthanen zum Vortheil weltlicher und geistiger Mitgeschöpfe, wohl oder übel, eingezwängt sind. Schauen Sie umher! Nichts als Krieg und Kriegsgeschrei. Völker werden gegen Völker in Noth und Tod gejagt, morden sich nach den Regeln der Kriegskunst. – Nein, Pater Gregorius, nein, ich tauge nicht in diese Welt.

Der greise Mönch lächelte mich bei diesen Worten mit der gutmüthigen Ironie eines Vaters an, dessen Kind in aller Unbefangenheit Albernes gesagt hat, während es etwas sehr Kluges vorgebracht zu haben meint. Nicht wahr, lieber Freund, ließ er sich darauf vernehmen, Sie wollen zu verstehen geben, Sie wären zu gut für eine Welt von der Art, wie die unsere? Wenn ich Ihnen gegenüber nun aber behaupte: Sie wären noch nicht gut genug für dieselbe? Sie sind unzufrieden, daß die Menschen sich nicht nach Ihren Ideen richten wollen, sondern daß Sie selbst sich dem Zustande der Menschen anbequemen sollen, wie sie nun einmal sind? Und nebenbei muß sich Gott Ihren Vorwurf gefallen lassen, daß er Sie in ein Leben hinein versetzte, für das Sie nicht taugen oder nicht taugen wollen.

Ich möchte von Ihnen nicht falsch verstanden werden, hochwürdiger Herr, fiel ich ihm in die Rede. Vielleicht habe ich – –

Nein, nein, unterbrach er mich, ich meinte es nicht so böse, und glaube Sie ganz verstanden zu haben. Sie sprachen Ihre Ansicht von unserem barbarischen Weltzustande, in voller Wahrheit und Klarheit des noch unverdorbenen Jugendgeistes, des heiligen, von Gott selbst den Menschen gegebenen Willensgesetzes, aus. Aber hören Sie mich an. Allerdings, durch die Vernunft sind wir über die Thierseelen erhaben. Sie erwacht und wirkt schon im Kinde, sogar früher, als der Verstand, oder das Verstehen der äußern Verhältnisse. Der Verstand wird erst durch Erfahrung reif. So kommt es, daß junge Leute oft im Urtheil fehlen, wenn sie den Maßstab des in der Vernunft unbedingt Wahren und Gerechten, an das in der Wirklichkeit nur unter Bedingungen Wahre und Rechte anlegen. Doch eben daher ist der Ausspruch der unerfahrenen Jugend oft vernunftgemäßer und weiser, als derjenige vieler alten Leute. Daher ist's nicht selten, daß die tugendhaftesten, weisesten Männer zuweilen offenbar unverständig handeln; und die verständigsten, klügsten Weltleute unvernünftig und gewissenlos.

Und wie wenden Sie das auf mich an? fragte ich.

Sie sind ein junger Mann, mein Lieber, mit reifer Vernunft; glühend für das ewig Wahre und Heilige; aber von noch unreifer Erfahrung. Daher Ihr ungestümes Streben, wo möglich ein Weltverbesserer zu werden. Sie können sich mit dem nicht versöhnen, was der gesunden Vernunft widerspricht. Ich tadle Sie nicht, bleiben Sie so; bleiben Sie ein unschuldvolles Kind bis in's Greisenalter. Ihr liebenswürdiger Fehler ist der Fehler aller jungen Männer von edler und tüchtiger Gesinnung. Aber hüten Sie sich, gewaltsamer Weise Weltreformator werden zu wollen, wie es heute viele junge Leute sind, bevor sie noch durch die Erfahrung gelernt haben, die Menschen, auf ihren unendlich verschiedenen Bildungsstufen, in rechter Weise und dem stillen Gange der Natur gemäß, nach und nach zum Edlern heranzubilden. Verlangen Sie nicht, daß unwissende Kinder sogleich gelehrte Männer sein sollen. Leuchten Sie in der Finsterniß mit Ihrem Lichte, aber ohne eine Feuersbrunst anzurichten.

Ich bekenne, Sabine, daß ich von dieser Antwort ein wenig betroffen war. Es klang aus ihr eine Wahrheit, der ich selbst zuweilen nahe gekommen war, die mir aber der baare Widerspruch gegen die gesunde Vernunft zu sein schien. Ich wußte im ersten Augenblick nicht recht, was ich erwiedern sollte. Endlich half ich mir mit einer Frage, welche eine Widerlegung zu sein scheinen konnte, und sagte: Hat der Anblick menschlicher Bosheit also noch niemals einen heiligen Zorn in Ihnen entflammt?

Mein Sohn, versetzte er ruhig, nennen Sie doch ja den Zorn nicht heilig. Nach meinen Begriffen giebt es keine heilige Unheiligkeit; und nach meinen Erfahrungen giebt es wohl verirrte Menschen, aber keine, die, aus Liebe zur Ungerechtigkeit und Bosheit, ungerecht und böse sind. Jeder will trotzdem wenigstens gut scheinen; will seine ungerechten Thaten rechtfertigen; oder, kann er dieses nicht, durch den Zwang der Umstände entschuldigen. Der innere Mensch ist bei allen Sterblichen besser, als der äußere. Der innere will das Wahre, Gerechte und Gute; er kann nicht anders. Aber der äußere, der leibliche, der deshalb thierische wird durch tausenderlei Täuschungen, durch den Reiz der Sinne, durch Gewohnheit, oder durch falsche Ansicht der Dinge, oft dem innern Menschen abtrünnig. Doch kehrt er zuletzt gern und reuig, wenn auch manchmal erst spät, wieder zu ihm zurück.

Ihre Jahre, hochwürdiger Herr, entgegnete ich, geben Ihrer Menschenkenntniß allerdings den Vorzug vor der meinigen. Wäre es aber nicht auch möglich, daß Sie die Menschheit von ihrer besseren, ich leider! sie von der schlechteren Seite kennen lernte?

Liebster Hauptmann, beide Seiten hat ein jeder Mensch in sich selbst; und wer sich und die heimlichen Beweggründe seines äußerlichen Thuns scharf beobachtet, ist auf dem Wege zur Menschenkenntniß im Allgemeinen. Zur vollen Kenntniß und Durchschauung des einzelnen Menschen freilich gelangt kein Sterblicher. Daher soviel Mißverständniß und so häufig die lieblose Beurtheilung Anderer. Auch Ihnen, mein Lieber, gebe ich, Ihres inneren Friedens wegen, den Rath, behandeln Sie Jeden nach seiner, nicht nach Ihrer Denkungs- und Gemüthsweise, sonst werden Sie vom Anderen durchaus nicht verstanden, nicht von ihm begriffen. Sie verlieren sein Zutrauen, und mit diesem Ihre eigene Fähigkeit, kräftig auf ihn einzuwirken. Sie aber wollen doch wirken, wollen doch geliebt und von Anderen verstanden sein?

Allein, mein bester Pater Gregorius, Sie werden hoffentlich von mir nicht fordern, daß ich, um Anderen zu gefallen, heuchle, und mein wahres Selbst verläugne?

Mit nichten, mein Sohn; nehmen Sie das nicht in dieser Weise, was ich gesagt habe. Ich rieth Ihnen nur, so viel Aufmerksamkeit für Andere zu haben, als Sie für Sich selbst fordern; ungefähr so viel Liebe zu Anderen zu hegen, als zu Sich selbst; und nicht nach eigenem Sinne zu verlangen, Jeder solle fühlen, denken, glauben, wie Sie. Mit einem Worte, Sie sollen sich nicht, ohne alle Berücksichtigung der Eigenthümlichkeiten Anderer, bequem und selbstzufrieden gehen lassen, wie man sagt; sondern sich ernst beherrschen in Wort und That. Gleichwie des Dichters Geist über den Sturm der Gefühle, die er im Gesange ausspricht, und die er in seinen Hörern anregt, immer ruhig bleibt, sich selbst beherrschend, sie ruhig ordnet, daß sie ihn selbst nicht überwältigen; so soll im gemeinen Leben, wer Andere bessern will, den Blick eben so sehr auf sein Ich, als auf die Anderen richten. Man soll sich nie gehen lassen, beim besten Freunde, auch bei der geliebtesten Person nicht. Ich nur allein lebe in mir, kein Anderer in mir zugleich; sondern der Andere lebt in seinem eigenen Innern; er ist daher ein Anderer; beurtheilt mich aus seinem Innern allein, und versteht mich, trete ich nicht ganz in sein eigenes Reich der Vorstellungen, in den meisten Fällen, falsch.

Liebe Sabine, vielleicht habe ich die letzten Aeußerungen des guten Mönches nicht völlig richtig aufgezeichnet, denn ich hatte die Aufmerksamkeit plötzlich verloren, und Auge und Ohr wo anders hin gewendet. Es kam nämlich ein kleiner hölzerner Bergkarren, wie sie hier gebräuchlich sind, den holprigen Weg heraufgefahren; ein kleiner Leiterwagen mit kaum zwei Fuß hohen Rädern, und ein kleines, mageres Pferd davor gespannt, welches indessen gewandt, wie eine Katze, bergauf kletterte. Im Wagen saß, auf einem Bänkchen, eine Bäuerin; eine andere ging, mit einem betagten Fuhrmann plaudernd, nebenher. Die Fußgängerin war ein junges Mädchen von feinem Wuchs und anmuthiger Haltung, in einem rothen Leibchen, rothen Strümpfen, Linnenärmeln, blauem Brustlatz, blauem Rock und blauer gestreifter Schürze; ein gelbliches Seidentuch nachlässig um den Hals geschlungen. Lache nicht, Sabine, daß ich Dir die Tracht so genau beschreibe; ich male sie eigentlich nicht Dir, sondern noch einmal mir selbst vor.

Je näher das Bauernmädchen heran kam, desto mehr bewunderte ich dessen Grazie; das abwärts geneigte Köpfchen von einer schwarzen, mit schmalen Florkanten umsäumten, und über die weiße Stirn in einem zarten Ausschnitt niedergehenden Haube bedeckt, unter welcher das saubergescheitelte Seidenhaar hervorglänzte. Das fromme, sittsame Gesichtchen, mit den zu Boden gesenkten Augen unter hohen, stolzgewölbten Augenbraunen; der kleine, wie eine Granatblüthe geformte Mund, und darunter das noch kleinere Kinn, um welches das schwarze Seidenband des Häubchens gebunden war – Sabine, ich schwöre Dir's, es war ein Gesichtchen, ganz wie das des Fräuleins von Marmels. In meinem Leben erblickte ich nichts Aehnlicheres. Als der Wagen unter uns, in der Tiefe, vorüber kam, grüßte die darauf sitzende Bäuerin; auch der Fuhrmann und die Fußgängerin. Diese jedoch wendete das Gesicht zur Erde hin.

Ich war außer mir; wollte hinunterspringen; besann mich indessen meiner Thorheit; schaute dennoch dem Karren nach, der hinter den kolossalen Felsblöcken bald verschwand. Ich drehte mich hastig zu meinem Benediktiner, um ihn zu fragen, wer und von wo die Bauernmädchen wären? Doch die Frage erstarb unter einem anderen Erstaunen. Ich sah das Antlitz meines Mönches geröthet, und in seinen Augen und seinen Bewegungen eine eigenthümliche Verlegenheit. – Wie? Zündet die Schönheit noch beim Greise, und glüht die verbotene Liebe hinter gottgeweihten Mauern? – Ich darf; ich mag nicht vermuthen, daß – – –


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