Heinrich Zschokke
Die Rose von Disentis
Heinrich Zschokke

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31.
Der Kommandant.

Der Hauptmann Salomon saß Mittags an der wohlbesetzten Tafel, ein Gläschen alten Klosterwein in der Hand, als sein Dolmetscher zu ihm in's Zimmer trat, über das Verhör der Gefangenen Bericht zu erstatten.

Setzen Sie sich, Bürger Prevost, rief der Kommandant mit kirschrothem Gesichte, und füllte dem Gaste das Glas aus frischer Flasche; nehmen Sie, Bürger, flüssiges, feuriges Gold. Der Pater Kellermeister in der Abtei versteht sein Geschäft, und nun erzählen Sie; wer sind die Zeisige, die wir im Käfig haben?

Ein herrlicher Fang, Kapitän, sagte Flavian. Wir müssen sie nur kirre machen, damit sie die Schüchternheit verlieren, und noch heller pfeifen. Was ich bisher von ihnen herausbrachte, ist Folgendes: Der Jüngere ist ein Deutscher, ein Handelsreisender, der, glaube ich, Schweizerkäse aufkauft, und von den Bauern angehalten wurde, als er nach Ursern ging; der Andere ist ein altersschwacher, fast kindischer Greis von Rueras, hier, im Tavetscher Thal. Beide, halb verhungert, waren zu erschrocken und ermattet, als daß ich viel von ihnen hätte vernehmen können. Der Jüngere ist erbötig, zu entdecken, was er in der Bauernversammlung gehört und gesehen habe, wenn man ihm die Frist gönnt, um sich auf Alles zu besinnen, und dagegen versprechen will, ihn, als Fremden, die Reise fortsetzen zu lassen. Darum werde ich, mit Ihrer Erlaubniß, Beide diesen Abend noch einmal besuchen.

Wohlgethan! rief der Kommandant. – Sparen Sie schöne Worte nicht. Versprechen Sie, was die Schurken irgend wünschen. Morgen mag man ihnen in Chur davon halten, was man will. Mir ist's einerlei.

Kapitain, nichts übereilt, versetzte der Berichterstatter. Behalten Sie die Leute morgen zurück. Wir müssen ihnen das ganze, kein halbes Geheimniß ablocken, damit der Bericht im Hauptquartier wichtigere Dinge enthält, als leere Namen von Verdächtigen, deren Einer im Stande ist, sich in Chur sogar als unschuldiger Fremdling auszuweisen. Folgen Sie meinem Rathe, Sie werden dabei mehr Ehre ernten.

Der Kommandant schüttelte bedenklich den Kopf und erwiederte: Sie mögen einerseits Recht haben. Aber die Kerle sind hier, bei den Rebellen, schlecht aufgehoben; die Gefängnisse unsicher, und wie es scheint, wird es im Lande von Tag zu Tag unruhiger.

Eben deswegen, Kapitän, entgegnete Flavian. Einer der Verhafteten hat schon bekannt, daß in der Versammlung der Bauern von dem nahen allgemeinen Angriff der Oesterreicher auf den St. Luziensteig die Rede gewesen wäre. Ist's wahr, so kommt, wenn man sich schlägt, Ihr Bericht in der ungünstigsten Zeit nach Chur, und Sie erfahren möglicherweise noch dazu, daß man die Gefangenen unterweges durch einen Volksauflauf frei macht. Starke Bewachung können Sie so nicht mitgeben. Erwarten wir, ob nicht vielleicht heute oder morgen schon Kanonendonner von Osten her gehört wird. In dem Fall . . .

Sacre bleu! schrie Kapitän Salomon. Die Oesterreicher wagen's nicht. Wir sind stark und gut verschanzt.

Das Zwiegespräch dauerte noch geraume Zeit, ohne daß Einer den Andern bekehrt hätte. Flavian war jedoch schon zufrieden, als er den Platzkommandanten in dessen erstem Entschluß etwas erschüttert sah. Er entwarf danach seine Pläne, zu deren Gelingen ihm Uli Goin, wie er hoffte, kräftige Hand reichen sollte.

In's Schloß zurückgekommen, ließ er den sonst so dienstfertigen Uli überall aufsuchen. Er war jedoch im ganzen Dorfe nirgends zu finden. Flavian gerieth in Verlegenheit; denn ohne dessen Beistand war an das Befreiungsgeschäft gar nicht zu denken. Uli kannte zur sicheren Flucht Wege und Stege des Landes, und wußte, wenn List nichts vermochte, Gehülfen genug zu finden, um die Kerle mit Gewalt zu erbrechen. – Der Tag verstrich, doch Uli Goin erschien nicht.

Prevost begab sich noch einmal zu den Verhafteten, um ihnen Hoffnung zu machen, die ihm selbst fehlte. Er entwickelte seine Entwürfe; theilte ihnen die Rollen mit, die sie künftig dem Kommandanten gegenüber, wie auch gegen jeden Anderen zu spielen hätten, der sie in's Verhör nehmen würde.

Graf Malariva saß dabei, wie am Morgen, in völliger Vernichtung; hörte kaum Flavian's Worte, und streckte die gefalteten Hände von Zeit zu Zeit flehend zum Sprechenden empor. Gilg Daniffer hingegen hatte den kalten Trotz, mit welchem er eben so gleichgültig seinem Todesurtheil, als seiner Befreiung entgegensah, nicht eingebüßt. Er gab dem jungen Freunde noch mancherlei Rath zur glücklichen Ausführung des gewagten Vorhabens, und schloß mit den Worten: Läßt mich der vermaledeite Kommandant nur noch vierundzwanzig Stunden gewähren, dann, mein braver Bursche, soll er selbst unter das Messer, meiner Seele, und Dir wird alle Mühe erspart.

Der Kommandant, zu dem sich Prevost abermals verfügte, war und blieb aber, aller Beredtsamkeit seines Unterhändlers ungeachtet, fest entschlossen, die Gefangenen keinen Tag länger zurückzubehalten. Er hatte zu deren Begleitung, für den nächsten Morgen, schon die Mannschaft ausgesucht und lachte zu den furchtsamen Bedenklichkeiten des Schützenhauptmanns. Meine Soldaten haben gemessenen Befehl, sagte er, Feuer zu geben, sobald sich unterweges Bauerngesindel zur Befreiung der Gefangenen nähert, und diese ebenfalls sogleich niederzuschießen, mögen sie Miene zum Entwischen machen, oder nicht. Lebendig soll man diese Schurken nicht bekommen. Dabei bleibt's!

Es war spät Abends, als Flavian in's Schloß zurückkehrte und vergebens nach dem vermißten Uli Goin fragte. Er sah die Unmöglichkeit ein, ohne des Tavetschers Hülfe, in der Nacht etwas Gedeihliches vorzunehmen. In dem festen Vorsatze, sie um jeden Preis in Freiheit zu setzen und dem gewissen Tode zu entreißen, beschloß er, ihnen am anderen Tage, auf dem Wege nach Ilanz und Chur, voranzueilen; um Leute zu werben, kein Geld zu sparen, und unterweges das militärische Geleit zu überfallen. Wohl lag ihm die Gefahr des Grafen Malariva weniger am Herzen; denn er verachtete ihn; die Hoffnung jedoch, dessen tückisches Treiben in Wien mit Großmuth vergelten zu können, schmeichelte dem Stolze seines Herzens. Wichtiger war es ihm, den alten Daniffer nicht in die Mörderhand eines französischen Kriegsgerichtes fallen zu sehen; den Mann, welchem er selbst zum Danke verpflichtet war, und den nur blinde, ungestüme Liebe zum Vaterlande zur Empörung gegen dessen Unterdrücker getrieben hatte. Einige Hoffnung des Gelingens gab ihm die zwölf Stunden weite Entfernung von Chur. Die Franzosen mußten unterweges nothwendig einmal übernachten.

Um jeden Augenblick am Morgen zum Aufbruch gerüstet zu sein, legte er Kleidung und Geld bereit; Geschenke für die Diener des Schlosses und ein Briefchen mit Abschiedsworten an den würdigen Pater Gregorius. Er wollte gerade die Herrin des Hauses aufsuchen, um ihr noch einmal seinen Dank für die mütterliche Güte auszusprechen, als eine Magd in's Zimmer trat, die ihn zur Frau von Castelberg einlud.


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