Heinrich Zschokke
Die Rose von Disentis
Heinrich Zschokke

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32.
Das neue Gelübde.

Die Gemahlin des Bundeshauptes, oder des Landrichters vom grauen Bunde, Frau von Castelberg, eine Tochter des im Volke hochgeachteten Geschlechtes Derer von Capol, empfing ihren Gastfreund mit gewohnter Huld. Doch ließ sich in ihrem Wesen eine gewisse ängstliche Verlegenheit und Trauer, die sie umsonst zu verheimlichen sich befliß, nicht verkennen. Mit einem, wenn auch nicht mehr jugendlichen, doch frischen Aeußeren und einem durch seine Erziehung erworbenen Anstande, verband sie jenen Sinn für Einfachheit und Häuslichkeit, welcher damals, unter den Bündnerinnen von guter Familie, eine Haupttugend zu sein pflegte. Ebenso, wie ihre Kleidung, welche zum Theil nach einer längst veralteten Mode, zum Theil der gewöhnlichen weiblichen Landestracht entsprechend, nur von köstlicherem Stoffe, und nicht ohne Geschmack gewählt war, so sah man auch Verzierungen und Geräthe der sämmtlichen Zimmer des Schlosses aus wohlerhaltenen alterthümlichen Stücken des Familienerbes, wie aus Arbeiten späterer Künstler und Handwerker, dem Auge gefällig zusammengeordnet. Man fühlte sich dort sehr bald einheimisch, wo Zeugen einer ehrenwerthen Vergangenheit, mit den Schöpfungen neuerer Kunst zu jeder Bequemlichkeit, so freundlich beisammenstanden, wie Großeltern, Kinder und Enkel, in einer glücklichen Familie.

Sie treffen Anstalten zur Abreise, höre ich, sagte die Gebieterin des Schlosses, und ließ Flavian neben sich auf dem Sopha niedersitzen.

Wirklich stand ich im Begriff, antwortete er, Ihnen, gnädige Frau, mein Lebewohl zu sagen. Ich habe nur zu lange schon Unruhe und Mühen in Ihr stilles Hauswesen gebracht; es ist Zeit, daß ich scheide; doch gewiß, es geschieht mit schwerem Herzen. Durch Ihre Theilnahme an meinem Schicksale, durch die vielen Opfer, welche Ihr Mitleiden mit mir Ihnen auferlegte, bin ich Ihr größter Schuldner geworden, und kann einstweilen doch mit nichts Anderem, als armen Worten zahlen. Ohne Ihre menschenfreundliche Pflege, ohne Ihre liebevolle Sorgfalt, wie sie nur eine Mutter bei dem eigenen Sohne üben kann, läge ich wahrscheinlich längst im Schooße des Grabes. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken und vergelten soll.

Lieber Hauptmann, Sie rechnen mein Thun offenbar zu hoch an. Es ist ja kein Verdienst, eine natürliche Pflicht zu erfüllen, und noch weniger, wenn es nicht ganz uneigennützig geschieht. Sehen Sie, das ist leider bei mir der Fall. Sie wissen nicht, sagen Sie, wie mir danken? Ich aber weiß es schon lange, und gerade deshalb ließ ich Sie zu mir bitten. Darf ich für meine geringen Dienste fordern, was ich will?

Alles, gnädige Frau, was Sie verlangen, und wenn es sein muß, mein Leben, das ich Ihnen schuldig bin.

Ich halte Sie für ritterlich genug, lieber Hauptmann, selbst Ihr Leben für eine Dame auf das Spiel zu setzen. Wenn ich nun aber um ein solches Wagestück, oder um etwas Aehnliches, bitten würde?

Betrachten Sie es, ehe Sie, meine Gnädige, darum bitten wollen, als schon zugesagt.

Gilt es im Ernst? fragte sie lächelnd und reichte ihm die offene Hand dar.

Hier mein Handschlag, erwiederte er, und zog die dargebotene Hand der Herrin an seine Lippen.

Wohlan, mein getreuer und tapferer Ritter, jetzt bin ich zufrieden. Hören Sie meine erste Bitte, der aber noch eine lange Reihe anderer folgen wird. Verlassen Sie dies Schloß nicht bis ich es Ihnen erlaube; die Erlaubniß hoffe ich Ihnen in wenigen Tagen geben zu können.

Flavian, der dieses am wenigsten erwartet hatte, fühlte sich in einer beengenden Verlegenheit. Er dachte an die Gefangenen, an das gegebene Wort, an das ihnen drohende Schicksal, und zugleich fiel ihm auch die mit Pater Gregorius gepflogene Unterredung ein, nebst gewissen Aeußerungen desselben, welche mit dem jetzigen Wunsche der Frau von Castelberg in Verbindung zu stehen schienen. Er sann einen Augenblick darüber nach, ob er ihr sein Vorhaben für den folgenden Tag entdecken dürfe?

Es scheint beinahe, hob die Dame nach kurzem Schweigen an, während dessen sie ihn aufmerksam beobachtete, schon die erste Bitte fällt Ihnen etwas schwer auf's Herz?

Vielleicht am schwersten von allen möglichen anderen, antwortete Flavian, sich aus seiner Verwirrung befreiend. Urtheilen Sie selbst. Ich machte mich heute schon, durch ein unwiderrufliches Versprechen, verbindlich, morgen eine kleine Wanderung in die Nachbarschaft zu machen. Gestatten Sie mir diese, so bin ich am Abend, oder zeitig am folgenden Tage, zurück.

Warum sollte ich Ihnen nicht eine kurze Abwesenheit gestatten? Wenn ich nur Ihrer Rückkunft vollkommen versichert bin. Ich bin es durch Ihr Ehrenwort, sagte die Gemahlin des Landrichters, und nun die zweite Bitte. Ich nehme mit derselben Ihren ganzen ritterlichen Heldenmuth und Edelsinn in Anspruch. Wir leben leider! in einer wildbewegten, schreckensreichen Zeit. Es gehen düstere Gerüchte von einem nahe bevorstehenden Kampfe der Kaiserlichen und Franzosen in unseren unglücklichen Thälern. Wege und Stege sind durch unser bis zur Wuth aufgeregtes Volk unsicher. Eine hülflose, verlassene, sogar durch Parteiwuth verfolgte Dame, eine mir sehr liebe Freundin, wünscht unter diesen Umständen Bünden, sobald, als möglich, verlassen zu können. Sie wohnt nicht in Disentis. Wollen Sie sie in Ihren Schutz nehmen und über die Grenze nach Deutschland, oder Italien, oder in die Schweiz führen? Hier im Dorfe und in der ganzen Umgegend ist gegenwärtig keiner, dem ich sie anzuvertrauen wage. Unsere Männer, Sie wissen es, sind es leider in dieser Zeit nicht – –

Ohne Bedenken, meine Gnädige, unterbrach sie der Hauptmann. Jede Stunde bin ich freudig bereit, Ihre Befehle zu erfüllen. Gebe der Himmel, daß mein Geschäft morgen schnell und glücklich von Statten gehe, und ich Abends wieder hier sein könne! Wer, wenn die Frage erlaubt, ist die Verfolgte? und warum flüchtet sie?

Das wird Ihnen die Verfolgte selbst anvertrauen, sobald sie sich in Sicherheit weiß. Sie ist und heißt Fräulein Pauline von Stetten. Doch muß ich Ihnen sagen, junger Herr, die Dame ist weder sehr jung, noch sehr schön; vielleicht ein paar Jahre älter, oder jünger, als ich selbst. Sie wird von einer Dienerin und einer Freundin begleitet. Die Letztere leidet unglücklicherweise an einer häßlichen Krankheit. Aber Fräulein Pauline will sich von der armen Person nicht trennen; und diese will lieber sterben, als von ihrem Schutzengel scheiden und zurückbleiben. Sie hat, wie ich Ihnen sagen muß, einen furchtbaren Krebsschaden im Gesichte und dadurch, denken Sie sich das Elend! schon eines der Augen so gut, als verloren. Wie ist's? Verlieren Sie den Muth noch nicht?

Durchaus nicht, gnädige Frau. Sie haben mir des Guten so unendlich viel erwiesen, daß, was Sie von mir fordern, noch Alles viel zu wenig ist. Sie haben Recht; es sind gefährliche, unsichere Zeiten. Gebe nur der Himmel, daß ich morgen . . . Wie aber, wenn ich durch irgend ein böses Verhängniß verhindert werden sollte, morgen oder übermorgen – – –

Wie, mein tapferer Ritter, blasen Sie schon zum Rückzuge, nachdem Sie hören, daß die Ihrem Schutz und Schirm empfohlene Dame nicht mehr ganz jung, und deren Freundin krank ist? Ich weiß freilich, für Herren, wie Sie, ist es keine geringe Plage, als dienender Ritter, sich mit mehreren Frauenzimmern zugleich tagelang in der Welt herumzuschleppen. Allein – –

Verstehen Sie mich wohl, gnädige Frau. Ich dachte in diesem Augenblicke nur daran, daß ich, wie gesagt, von einem früheren Gelübde gefesselt sei; daß ich in der Gewalt von Zufälligkeiten stehe. Aber nur Gefangenschaft oder Tod sollen mich hindern, Ihnen mein Wort zu erfüllen.

Sie fürchten viel zu schreckliche Hindernisse, lieber Hauptmann. Ich vertraue Ihnen mit vollem Herzen. Bis zu Ihrer Rückkunft in's Schloß soll auch für die nöthigen Transportmittel gesorgt werden, was eben jetzt keine leichte Sache sein wird. Die Franzosen haben unsere wenigen Pferde in Beschlag genommen, fast sämmtliche, welche man in diesen Thälern besitzt. Doch, was mir nicht gelingt, wird, hoffe ich, dem Pater Gregorius möglich werden.

Also ist er bei der Angelegenheit ebenfalls im Spiele? Er ließ diesen Morgen einige Worte fallen, die darauf hindeuteten; erklärte sich mir jedoch nicht deutlicher.

Warum that er's nicht? erwiederte Frau von Castelberg. Er selbst ist sogar der, welcher zuerst den Gedanken auf Sie lenkte, obgleich Fräulein Pauline Bedenken trug, und es sogar ein wenig unschicklich fand, sich den Händen eines jungen Herrn anzuvertrauen. Sie müssen diese Schüchternheit einer Unvermählten verzeihen, setzte Frau von Castelberg lächelnd hinzu; sie lernt nun ebenfalls aus der Noth eine Tugend zu machen. – Worüber denken Sie nach?

Nur eine Bitte, gnädige Frau, eine dringende, flehentliche! Habe ich in meiner Krankheit von Ihnen und der jungen Dame in Trauerkleidern blos geträumt? Es ist unmöglich; die Erscheinung war mir gar zu deutlich. Und heute wieder, diesen Morgen, sah ich, doch in anderer Gestalt, beinahe ein ähnliches Gesicht; es gehörte einer jungen Bäuerin an. Ich erkannte es nur unbestimmt, nur aus der Ferne. Ich beschwöre Sie, seien Sie lieb und gut; helfen Sie mir aus dem wirren Traume!

Wenn es ein angenehmer war, lieber Hauptmann, wäre es ja recht grausam, ihn zu vernichten; und war er unangenehm, so könnte ich's mit dem besten Willen nicht. Das Gesicht, welches Sie heute sahen, ist mir leider so unbekannt, als Ihre Vision im Fieber.

Pater Gregorius sah das Mädchen auch und schien dabei, wie mir's vorkam, verlegen.

Wirklich? Mit wem hier hätte die Traumgestalt, oder die Bäuerin, etwa Aehnlichkeit?

Hier mit Niemanden, aber mit einer Dame in Wien, mit einem – – – nein, ich fühle selbst, es ist eine Unmöglichkeit! Und doch, so arg kann mich die Phantasie nicht täuschen.

Je länger Flavian im Vermuthen, Zweifeln, Betheuern und Widerlegen fortfuhr, desto höher spannte er die Neugierde der Frau Landrichterin. Sie ruhete auch nicht, ihn so lange und mit allem Aufwande weiblicher Schlauheit und Theilnahme auszuhorchen, bis sie über die schöne Elfriede vollkommen unterrichtet war, die er eben so lebhaft zu hassen, als zu lieben schien. Er sprach mit Begeisterung und zugleich mit bitterer Verachtung, während er dabei Miene und Ton der Zuhörerin aufmerksam belauschte. Doch überzeugte er sich, daß Frau von Castelberg der Hauptperson seiner Erzählung durchaus fremd sei. Zuweilen lachte sie über den Widerspruch in seinen Gefühlen laut auf; verrieth aber mehr Theilnahme an ihm, als an dem jungen, stolzen Mädchen, das ihn, oder in dem er sich selbst getäuscht hatte.

Das Gespräch dauerte bis spät in die Nacht. Als er in sein Zimmer zurückkehrte, fand er keinen Schlaf. Die wachgerufenen Erinnerungen, der Gedanke an die Befreiung der Gefangenen, die Unruhe wegen Uli Goin's Abwesenheit, die zur Pflicht gewordene Begleitung der ihm empfohlenen Frauen, scheuchten den Schlummer von seinen Augen. Erst gegen Morgen verlor er sich in unerquickliches Träumen.


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