Emile Zola
Germinal
Emile Zola

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Zweites Kapitel

In einer bei Rasseneur abgehaltenen Versammlung hatten gestern Etienne und einige Kameraden die Abgesandten ausgewählt, die am folgenden Tage zur Direktion entboten werden sollten. Als am Abend Frau Maheu erfuhr, daß ihr Mann mit dazu gehöre, war sie trostlos und fragte ihn, ob er wolle, daß man sie auf die Straße werfe. Maheu selbst hatte nur mit Widerstreben die Sendung angenommen. In dem Augenblicke, wo es galt zu handeln, verfielen beide – trotzdem sie ihr Elend als ein Unrecht empfanden – in die Ergebung ihres Stammes, zitternd vor dem morgigen Tage und doch lieber sich ins Unvermeidliche fügend. In Fragen der Lebensführung überließ er sich sonst seiner Frau, die stets guten Rat wußte. Aber diesmal geriet er in Zorn, um so mehr als er im stillen ihre Besorgnisse teilte.

»Laß mich in Frieden«, sagte er, als er zu Bett ging und ihr den Rücken zuwandte. Wäre es anständig, seine Kameraden im Stiche zu lassen? Ich tue meine Pflicht.

Dann ging auch sie zu Bette. Keines von beiden sprach. Nach langem Stillschweigen antwortete sie:

»Du hast recht, gehe hin. Aber, mein armer Alter, wir sind verloren.«

Um zwölf Uhr frühstückte man; die Zusammenkunft war für ein Uhr bei Rasseneur bestimmt, von wo man zu Herrn Hennebeau gehen sollte. Man aß Kartoffeln; weil nur ein Stückchen Butter da war, rührte keiner daran. Am Abend wollte man Butterbrot essen.

»Wir rechnen auf dich als Sprecher«, sagte Etienne plötzlich zu Maheu.

Dieser war ganz betroffen, als er das hörte.

»O nein, das ist zuviel!« rief Frau Maheu. »Meinetwegen soll er mitgehen, aber ich verbiete ihm, den Führer zu machen. Warum lieber er als ein anderer?«

Etienne erklärte die Sache mit seiner eifervollen Beredsamkeit. Maheu sei der beste Arbeiter der Grube, der beliebteste, geachteteste, der für den vernünftigsten galt. Die Beschwerden der Grubenarbeiter würden in seinem Munde ein entscheidendes Gewicht haben. Anfänglich hieß es, er, Etienne, solle sprechen; aber er war noch zu kurze Zeit in Montsou. Man werde einem Alten aus der Gegend eher Gehör schenken. Kurz, die Kameraden vertrauten ihre Interessen dem Würdigsten an; er dürfe nicht ablehnen, es sei feig.

Frau Maheu machte eine verzweifelte Gebärde.

»Geh, Mann, laß dich totmachen für die anderen; mir kann es schließlich auch recht sein.«

»Aber ich werde nicht sprechen können«, stammelte Maheu. »Ich werde Dummheiten reden.«

Etienne, der sehr froh war, ihn endlich bestimmt zu haben, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:

»Du wirst sagen, was du fühlst; so wird es gut sein.«

Der Vater Bonnemort, dessen Beine jetzt weniger geschwollen waren, hörte zu, während er aß, und nickte nur mit dem Kopfe. Stille trat ein. Wenn man Kartoffeln aß, stopften sich die Kinder und verhielten sich artig. Nachdem er einen tüchtigen Bissen hinuntergeschluckt hatte, murmelte der Alte:

»Mag man reden, soviel man will, es ist gerade so gut, wie wenn man nichts gesagt hätte. Ich habe solche Geschichten schon gesehen! Vor vierzig Jahren warf man uns bei der Direktion hinaus, und es gab noch Säbelhiebe dazu. Heute wird man euch vielleicht empfangen, aber man wird euch so wenig antworten wie diese Mauer ... Mein Gott! Sie haben das Geld, sie lachen sich ins Fäustchen.«

Es ward wieder still. Etienne und Maheu erhoben sich und ließen die Familie in düsterer Stimmung vor den leeren Tellern zurück. Sie holten Levaque und Pierron und begaben sich mit diesen zu Rasseneur, wo die Abgesandten der benachbarten Dörfer in kleinen Gruppen eintrafen. Als die zwanzig Mitglieder der Abordnung beisammen waren, stellte man die Bedingungen fest, welche denen der Gesellschaft gegenüber geltend gemacht werden sollten. Dann brach man auf nach Montsou. Ein schneidender Nordost fegte über die Heerstraße. Es schlug zwei Uhr, als man ankam.

Zuerst hieß der Diener sie warten und schloß ihnen die Tür vor der Nase zu; als er wiederkam, führte er sie in den Salon, dessen Vorhänge er öffnete. Ein zartes, durch die Spitzen gedämpftes Licht drang durch die Fenster herein. Als die Grubenarbeiter allein geblieben waren, wagten sie nicht, sich zu setzen; verlegen standen sie da, alle fein säuberlich mit ihren Tuchwämsern bekleidet, frisch rasiert, mit ihren gelben Haaren und Schnurrbärten. Sie drehten ihre Mützen zwischen ihren Fingern und warfen schiefe Blicke auf das Mobiliar, das ein Wirrsal aller Stile war, wie es der Geschmack für das Altertümliche in die Mode gebracht hat: Sessel im Stile Heinrichs II., Stühle im Geschmacks Ludwigs XV., ein italienisches Kabinett aus dem siebzehnten Jahrhundert, ein spanischer Contador aus dem fünfzehnten, eine Altardecke als Decke am Kamin, die Verbrämungen alter Meßgewänder, als Aufputz von Türvorhängen verwendet. All das Altgold, diese alten Seidenstoffe in den matten Farben, all der kapellenartige Luxus hatte in ihnen ein Gefühl achtungsvollen Unbehagens hervorgerufen. Die orientalischen Teppiche schienen mit ihrer hohen Wolle sie an den Füßen zu fesseln. Am meisten aber benahm ihnen den Atem die Hitze, eine gleichmäßige, durch Wasserdämpfe hervorgebrachte Hitze, die den von der Straße kommenden, durchkälteten Leuten eine wohltuende Überraschung war. So vergingen fünf Minuten; ihre Verlegenheit wuchs immer mehr in dem Wohlbehagen dieses prächtigen, sorgfältig geschlossenen Gemaches.

Endlich kam Herr Hennebeau in seinem militärisch zugeknöpften Rocke mit der Schleife seines Ordens im Knopfloche. Er nahm zuerst das Wort.

»Ah, da seid ihr ja! Ihr lehnt euch auf, wie es scheint.«

Er unterbrach sich, um mit einer gewissen steifen Höflichkeit hinzuzufügen:

»Setzt euch; es ist mir gerade recht, daß ich Gelegenheit habe, mit euch zu reden.«

Die Arbeiter drehten sich um und suchten Sessel. Einige wagten Platz zu nehmen; andere blieben stehen, eingeschüchtert durch die Seidenstoffe.

Eine Stille trat ein. Herr Hennebeau, der seinen Lehnsessel zum Kamin gerollt hatte, betrachtete sie mit lebhaftem Interesse und suchte sich ihrer Gesichter zu erinnern. Er hatte Pierron erkannt, der sich in der hintersten Reihe zu verbergen trachtete. Seine Augen waren auf Etienne haften geblieben, der ihm gegenüber saß.

»Was habt ihr mir zu sagen?« fragte er.

Er erwartete, daß der junge Mann das Wort ergreifen werde, und war dermaßen überrascht, als er Maheu vortreten sah, daß er nicht umhin konnte hinzuzufügen:

»Wie, Ihr seid es? Ein guter Arbeiter, der sich immer so vernünftig zeigte, ein alter Insasse von Montsou, dessen Familie seit dem ersten Spatenstiche in den Gruben arbeitet. Das ist schlimm; es betrübt mich, Euch an der Spitze der Unzufriedenen zu sehen.«

Maheu hörte mit gesenkten Blicken diese Worte an. Dann begann er mit anfänglich zögernder und dumpfer Stimme:

»Herr Direktor, eben weil ich ein ruhiger Mensch bin, dem man nichts vorzuwerfen hat, haben meine Kameraden mich gewählt. Dies mag Ihnen ein Beweis sein, daß es sich nicht um den Aufruhr von Randalmachern, von unruhigen Köpfen handelt, die nur Unfrieden stiften wollen. Wir wollen bloß Gerechtigkeit; wir sind es müde, Hunger zu leiden, und es scheint uns, daß es an der Zeit wäre, eine Einigung zu treffen, damit wir wenigstens unser tägliches Brot haben.«

Seine Stimme gewann an Sicherheit. Er erhob die Augen und fuhr fort, während er den Direktor anblickte:

»Sie sehen ein, daß wir Ihr neues Lohnsystem nicht annehmen können ... Man wirft uns vor, daß wir schlecht verzimmern. Es ist wahr, wir widmen dieser Arbeit nicht die notwendige Zeit. Wenn wir es täten, würde unser Tageserwerb sich noch mehr vermindern; und da er schon jetzt nicht hinreicht, um uns zu ernähren, so wäre dies für Ihre Leute der Kehraus, das Ende von allem. Zahlen Sie uns besser, und wir werden besser verzimmern, werden der Verholzungsarbeit die nötige Zeit widmen, anstatt unsern ganzen Eifer dem Ausschlag zuzuwenden, weil dies die einzig lohnende Arbeit ist. Es gibt keinen andern Ausweg: eine gute Arbeit muß auch gut bezahlt werden ... Was haben Sie statt dessen ersonnen? Eine Sache, die uns nicht in den Schädel will. Sie vermindern den Preis des Karrens und behaupten, diese Verminderung dadurch wettzumachen, daß Sie die Verholzung gesondert bezahlen. Wäre dies wahr, dann wären wir nicht minder betrogen; aber uns verdrießt eben, daß es gar nicht wahr ist; die Gesellschaft ersetzt uns gar nichts, sie steckt einfach zwei Centimes bei jedem Karren in die Tasche.«

»Ja, ja, so ist es«, murmelten die übrigen Abgesandten, als sie sahen, daß Herr Hennebeau eine heftige Gebärde machte, wie um Maheu zu unterbrechen.

Maheu schnitt übrigens dem Direktor das Wort ab. Er war jetzt im Zuge, die Worte kamen von selbst. Zuweilen hörte er sich selbst mit Überraschung, als habe ein Fremder in ihm gesprochen. Es waren Dinge, die sich in der Tiefe seiner Brust angehäuft hatten; Dinge, von denen er gar nicht wußte, daß sie da seien, und die jetzt hervorbrachen, weil sein Herz zu voll war. Er schilderte ihrer aller Elend, die harte Arbeit, das viehische Leben, das Darben von Weib und Kind. Er sprach von den letzten traurigen Lohnzahlungen, von den lächerlichen Halbmonatslöhnen, welche durch die Strafen und Arbeitsruhetage um die Hälfte vermindert den jammernden Familien heimgebracht wurden. Sei man entschlossen, sie völlig zugrunde zu richten?

»Wir sind also gekommen, Herr Direktor,« schloß er, »um Ihnen zu sagen, daß, wenn schon krepiert sein muß, wir lieber krepieren wollen, ohne zu arbeiten. Das ist weniger ermüdend ... Wir haben die Gruben verlassen und werden nicht eher anfahren, als bis die Gesellschaft unsere Bedingungen annimmt. Sie will den Preis des Karrens herabsetzen und die Verzimmerung besonders bezahlen. Wir wollen, daß die Dinge bleiben, wie sie waren, und wollen überdies, daß man uns fünf Centimes für den Karren mehr bezahle ... Sie müssen zusehen, ob Sie für die Gerechtigkeit und die Arbeit sind.«

Unter den Arbeitern wurden einige Stimmen laut.

»Ja, ja ... Er hat unsere Gedanken ausgesprochen ... Wir verlangen nur, was recht ist.«

Andere nickten nur stillschweigend. Das prunkvolle Gemach war verschwunden mit seinen Goldstoffen und Stickereien, mit seiner Anhäufung von Altertümern; sie fühlten selbst den Teppich nicht mehr, den sie mit ihren schweren Stiefeln zertraten.

»Laßt mich doch antworten!« rief Herr Hennebeau endlich verdrossen. »Vor allem ist es nicht wahr, daß die Gesellschaft zwei Centimes bei jedem Karren gewinnt ... Laßt uns einmal rechnen.«

Es folgte nun ein verworrener Streit. Um sie uneinig zu machen, fragte der Direktor den Pierron, der sich stotternd hinter den anderen versteckte. Levaque hingegen war einer der Kecksten, verwirrte die Dinge und behauptete Tatsachen, von denen er nichts verstand. Das Gemurmel der Stimmen verlor sich zwischen den Vorhängen in der Treibhaushitze dieses Gemaches.

»Wenn ihr alle zugleich redet,« sagte Herr Hennebeau. »werden wir uns niemals verständigen.«

Er hatte seine Ruhe, die strenge, aber nicht herbe Höflichkeit eines Leiters wiedergefunden, der seine Weisungen empfangen hat, und entschlossen ist, ihnen Geltung zu verschaffen. Seit den ersten Worten ließ er Etienne nicht aus den Augen und richtete es so ein, daß der junge Mann das Schweigen breche, in das er sich eingeschlossen hatte. Er brach denn auch den Streit über die zwei Centimes plötzlich ab und begann die Frage auf breiterer Grundlage zu erörtern.

»Nein, gestehet es nur, ihr hört auf schändliche Hetzer. Es ist dies eine Pest, die heutzutage alle Arbeiter ergreift und die besten verdirbt ... Oh, es braucht mir keiner zu beichten; ich sehe ja, daß man euch, die ihr ehedem so ruhige Leute waret, ganz verändert hat. Nicht wahr, man hat euch goldene Berge versprochen, man hat euch gesagt, es sei die Zeit gekommen, daß ihr die Herren werdet ... Kurz, man reiht euch in die vielgenannte Internationale ein, in diese Armee von Räubern, die davon träumen, die Gesellschaft umzustürzen ...«

Da unterbrach ihn Etienne.

»Sie irren sich, Herr Direktor. Kein einziger der Kohlengräber ist noch beigetreten. Aber wenn man sie dazu treibt, werden sämtliche Gruben beitreten. Es hängt nur von der Gesellschaft ab.«

Seit diesem Augenblicke ward der Kampf zwischen Herrn Hennebeau und ihm fortgeführt, als ob die Kohlengräber gar nicht da seien.

»Die Gesellschaft ist eine Vorsehung für ihre Arbeiter, und Sie haben unrecht, ihr zu drohen. Dieses Jahr hat sie über dreimalhunderttausend Franken auf den Bau von Arbeiterdörfern ausgegeben, die ihr kaum zwei Prozent bringen; ich will nicht von den Ruhegehältern sprechen, die sie bezahlt, noch von den Kohlen, von den Arzneien, welche sie unentgeltlich verabfolgt ... Sie scheinen so vernünftig und sind in wenigen Monaten einer unserer geschicktesten Arbeiter geworden. Sie würden besser tun, diese Wahrheiten zu verbreiten, als in Ihr Verderben zu rennen, indem Sie mit Leuten von schlechtem Rufe verkehren. Ja, ich spreche von diesem Rasseneur, den wir entlassen mußten, um unsere Gruben vor der sozialistischen Fäulnis zu bewahren. Man sieht Sie immer bei ihm; er hat Sie sicher dazu gedrängt, diese Unterstützungskasse zu gründen, die wir gerne dulden würden, wenn sie nur eine Sparkasse wäre; wir vermuten in ihr aber eine gegen uns gerichtete Waffe, einen Reservefond zur Deckung der Kriegskosten. Ich muß bei dieser Gelegenheit hinzufügen, daß die Gesellschaft eine Kontrolle über diese Kasse auszuüben wünscht.«

Etienne ließ ihn ruhig sprechen, während er seine Leute betrachtete und seine Lippen von einem nervösen Zittern bewegt wurden. Bei dem letzten Satze lächelte er und antwortete einfach:

»Das ist also eine neue Forderung; denn bisher haben Sie, Herr Direktor, diese Kontrolle nicht gefordert ... Unser Wunsch ist unglücklicherweise der, daß die Gesellschaft sich weniger mit uns beschäftige, und daß sie, anstatt die Rolle der Vorsehung zu spielen, ganz einfach gerecht sei und uns gebe, was uns gebührt, unsern Gewinn, den sie mit uns teilt. Ist es rechtschaffen, bei jeder Krise die Arbeiter Hungers sterben zu lassen, um die Dividenden der Aktionäre sicherzustellen? ... Sie mögen sagen, was Sie wollen, Herr Direktor: das neue Lohnsystem bedeutet eine neue Lohnverminderung, und das empört uns; denn wenn die Gesellschaft Ersparungen machen muß, tut sie sehr unrecht, bloß bei dem Arbeiter zu sparen.«

»Also, da sind wir ja auf dem gewissen Punkt!« rief Herr Hennebeau. »Ich erwartete diese Anklage, daß wir das Volk hungern lassen und uns von seinem Schweiße nähren. Wie können Sie solche Torheiten reden, der Sie wissen sollten, welches große Risiko die Kapitalien in der Industrie, beispielsweise im Bergwerksbetriebe haben? Eine vollständig eingerichtete Grube kostet anderthalb bis zwei Millionen; und wieviel Mühe hat man, ehe man aus einer solchen Summe eine mäßige Verzinsung zieht! Fast die Hälfte der Bergwerksgesellschaften in Frankreich geht zugrunde ... Es ist übrigens blöd, die Erfolg haben, zu beschuldigen. Wenn ihre Arbeiter leiden, leiden auch sie selbst. Glauben Sie, daß die Gesellschaft in der gegenwärtigen Krise nicht ebensoviel zu verlieren hat wie Ihr? Sie ist nicht Herrin des Lohnes; sie muß sich dem Wettbewerbe fügen, wenn sie nicht zugrunde gehen will. Haltet Euch an die Tatsachen und nicht an sie ... Aber Ihr wollt nicht hören und nicht begreifen!«

»Doch, wir begreifen,« sagte der junge Mann, »daß es für uns keine Besserung gibt, solange die Dinge so gehen, wie sie gehen, und darum müssen früher oder später die Arbeiter sich entschließen, einen anderen Weg zu betreten.«

Dieses Wort, so gemäßigt in der Form, wurde halblaut mit einer solchen Überzeugung gesprochen, durch die eine Drohung hindurchzitterte, daß eine tiefe Stille eintrat. Eine Verlegenheit, ein Hauch der Furcht zog durch das stille Gemach. Die anderen Abgeordneten, die nur unvollkommen begriffen, fühlten doch, daß der Kamerad inmitten dieses Wohlstandes ihren Teil forderte, und sie begannen scheele Blicke zu werfen auf die warmen Vorhänge und Teppiche, auf die bequemen Sessel, auf allen den Luxus, dessen geringstes Stück hingereicht hätte, ihnen einen Monat lang ihre Suppen zu bezahlen.

Herr Hennebeau hatte eine Weile nachdenklich dagesessen und erhob sich dann, um sie zu verabschieden. Alle folgten seinem Beispiele. Etienne hatte Maheu sachte mit dem Ellbogen angestoßen, und dieser sagte schwerfällig und schwankend:

»Ist das alles, mein Herr, was Sie uns antworten? Wir werden also unseren Kameraden sagen, daß Sie unsere Bedingungen verwerfen.«

»Ich verwerfe gar nichts, lieber Mann«, rief der Direktor. »Ich bin ein bezahlter Angestellter wie ihr und habe hier nicht mehr eigenen Willen als der letzte eurer Handlanger. Man gibt mir Weisungen, und es ist meine Aufgabe, darüber zu wachen, daß sie gebührend durchgeführt werden. Ich sagte euch, was ich euch sagen zu sollen für gut erachtete; aber ich werde mich wohl hüten, eine Entscheidung zu treffen ... Ihr bringt mir eure Forderungen; ich werde sie der Verwaltung vorlegen und euch ihre Antwort übermitteln.«

Er sprach mit der vornehmen Miene eines hohen Beamten, vermied es, sich in diesen Fragen zu ereifern, war von der höflichen Trockenheit eines einfachen Werkzeuges der Autorität. Die Grubenarbeiter betrachteten ihn jetzt mißtrauisch und fragten sich, woher er komme, welches Interesse er daran haben könne zu lügen, und wieviel er wohl stehlen möge, indem er sich so zwischen sie und die wirklichen Herren stelle. Er sei vielleicht ein Ränkeschmied, ein Mann, den man bezahle wie einen Arbeiter, und der hier so fein lebe!

Etienne wagte nochmals sich einzumengen.

»Es ist wirklich zu bedauern, Herr Direktor, daß wir unsere Sache hier nicht austragen können. Wir würden viele Dinge erklären, wir würden Gründe finden, die Ihnen notwendigerweise entgehen ... Wenn wir nur wüßten, wohin wir uns wenden sollen!«

Herr Hennebeau wurde nicht böse; er lächelte sogar.

»Wenn ihr kein Vertrauen zu mir habt, wird die Sache schwieriger ... Ihr müßt dorthin gehen.«

Die Abgesandten waren seiner undeutlichen Gebärde gefolgt, seiner Hand, die er nach einem der Fenster ausstreckte. Wo war das: dorthin? Ohne Zweifel Paris. Aber sie wußten es nicht genau; es wich in eine erschreckende Ferne zurück, in eine unnahbare, ehrfurchtgebietende Gegend, wo der unbekannte Gott thronte, in der Tiefe seines Heiligtums hockend. Niemals würden sie ihn zu sehen bekommen; sie fühlten ihn bloß wie eine Macht, die von ferne auf den zehntausend Kohlengräbern von Montsou lastete. Wenn der Direktor sprach, war es diese verborgene, Orakel sprechende Macht, die er hinter sich hatte.

Tiefe Niedergeschlagenheit kam über sie. Etienne selbst zuckte mit den Achseln, um ihnen zu sagen, es sei das Beste, daß sie ihrer Wege gingen; während Herr Hennebeau freundschaftlich Maheu auf den Arm klopfte und sich nach dem Wohlergehen von Johannes erkundigte.

»Das war euch doch eine grausame Lehre, und dennoch verteidigt ihr die schlechten Verholzungen!... Überlegt euch die Sache, Freunde; ihr werdet einsehen, daß ein Streik ein Unglück für alle ist. Ehe eine Woche zu Ende geht, sterbt ihr Hungers; was wollt ihr da anfangen?... Ich rechne übrigens auf eure Klugheit und bin überzeugt, daß ihr spätestens am Montag wieder anfahret.«

Alle gingen; sie verließen den Salon mit dem Getrappel einer Herde, mit gebeugtem Rücken, ohne auf diese Erwartung der Unterwerfung auch nur ein Wort zu erwidern. Der Direktor, der ihnen das Geleite gab, sah sich genötigt, die Unterredung zusammenzufassen: auf der einen Seite die Gesellschaft mit ihrem neuen Tarif; auf der ändern Seite die Arbeiter mit ihrem Verlangen nach einer Lohnerhöhung um fünf Centimes für jeden Karren. Um ihnen jeden Wahn zu benehmen, glaubte er ihnen sagen zu sollen, daß ihre Bedingungen von der Verwaltung sicherlich zurückgewiesen würden.

»Überlegt euch die Sache, bevor ihr Dummheiten macht«, wiederholte er, beunruhigt durch ihr Schweigen.

Im Hausflur grüßte Pierron sehr untertänig, während Levaque in auffälliger Weise seine Mütze aufsetzte. Maheu wollte zum Abschiede noch etwas sagen, als Etienne ihn mit dem Ellbogen anstieß. Dann gingen alle in diesem drohenden Schweigen. Die Haustür fiel geräuschvoll ins Schloß.

Als Herr Hennebeau in den Speisesaal zurückkehrte, fand er seine Gäste unbeweglich und stumm vor den Likören. In wenigen Worten unterrichtete er Deneulin, dessen Antlitz sich noch mehr verdüsterte. Während er seinen kalten Kaffee trank, suchte man von anderen Dingen zu sprechen. Allein die Grégoire selbst kamen wieder auf den Streik zurück, erstaunt darüber, daß es keine Gesetze gebe, welche den Arbeitern verbieten, ihre Arbeit zu verlassen. Paul beruhigte Cäcilie mit der Versicherung, daß man die Ankunft der Gendarmen erwarte.

Endlich rief Frau Hennebeau den Diener.

»Hippolyte,« befahl sie, »bevor wir in den Salon hinübergehen, öffnen Sie die Fenster, um frische Luft einzulassen.«


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