Emile Zola
Germinal
Emile Zola

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Vierter Teil

Erstes Kapitel

An diesem Montag hatten die Hennebeau Frühstücksgäste: die Grégoire mit ihrer Tochter Cäcilie. Man hatte einen Ausflug vereinbart: nach der Tafel sollte Paul Negrel den Damen die Thomasgrube zeigen, die man mit großem Aufwande neu eingerichtet hatte. Doch war dieser Ausflug nur ein liebenswürdiger Vorwand, von Madame Hennebeau ersonnen, um die Heirat Cäcilies mit Paul zu beschleunigen.

Da war plötzlich an demselben Montag um vier Uhr morgens der Streik ausgebrochen. Als die Gesellschaft am ersten Dezember ihr neues Löhnungssystem eingeführt hatte, blieben die Arbeiter ganz ruhig. Am Schlusse des Halbmonats, am Zahltage, hatte kein einziger auch nur die geringste Beschwerde erhoben. Das ganze Personal vom Direktor an bis zum letzten Aufseher glaubte, der Tarif sei angenommen. Es herrschte denn auch seit dem Morgen große Überraschung angesichts dieser Kriegserklärung, die mit einem Geschick und einer Einmütigkeit geschehen war, die auf eine tatkräftige Leitung hinzudeuten schienen.

Um fünf Uhr weckte Dansaert Herrn Hennebeau, um ihm zu melden, daß im Voreuxschachte kein einziger Mann angefahren war. Das Dorf der Zweihundertundvierzig, durch das er soeben gekommen, lag hinter geschlossenen Türen und Fenstern in tiefem Schlafe. Seit dem Augenblicke, als der Direktor mit schlafschweren Augen aus dem Bette gesprungen war, verschlimmerte sich die Lage immer mehr; von Viertelstunde zu Viertelstunde kamen Boten; die Depeschen fielen hageldicht auf sein Schreibpult nieder. Zuerst hoffte er, die Empörung werde sich auf den Voreuxschacht beschränken; allein, die Nachrichten lauteten mit jeder Minute ernster: im Mirouschachte, im Crèvecoeurschachte, im Magdalenenschachte waren bloß die Roßwärter angefahren; im Siegesschachte, in der Grube Feutry-Cantel war nur ein Drittel der Arbeiter erschienen; der Thomasschacht allein war vollbesetzt und schien außerhalb der Bewegung zu stehen. Bis neun Uhr diktierte er Depeschen, telegraphierte nach allen Seiten, an den Präfekten von Lille, an die Leiter der Gesellschaft, verständigte die Behörden, verlangte Weisungen. Er hatte Negrel entsendet, eine Rundfahrt nach den benachbarten Gruben zu machen und genaue Erkundigungen einzuholen.

Plötzlich erinnerte sich Herr Hennebeau des Frühstücks und schickte sich an, den Kutscher zu den Grégoires zu entsenden mit der Nachricht, daß der Ausflug verschoben sei, als ein Schwanken seines Willens ihn zurückhielt, ihn, der soeben in wenigen knappen Sätzen das Schlachtfeld militärisch vorbereitet hatte. Er ging zu seiner Frau hinauf, die sich in ihrem Toilettezimmer befand, wo eine Kammerzofe den Haarputz ihrer Herrin beendet hatte.

»Sie sind im Arbeitsausstande!« sagte sie ruhig, als er sie befragt hatte. »Was geht das uns an? ... Ich denke, wir hören deswegen nicht auf zu essen?«

Sie beharrte bei ihrer Absicht. Vergebens sagte er ihr, daß das Frühstück gestört werde, daß der Besuch in der Thomasgrube nicht stattfinden könne. Sie hatte auf alles eine Antwort bereit. Warum solle man ein Frühstück verlieren, das schon am Feuer stand? Auf die Besichtigung der Grube könne man ja auch nachher verzichten, wenn dieser Spaziergang nicht ratsam sein solle.

»Übrigens,« fügte sie hinzu, als die Kammerfrau hinausgegangen war, »übrigens weißt du, weshalb ich Gewicht darauf lege, die guten Leute zu empfangen. Diese Ehe sollte dich mehr interessieren als die Dummheiten deiner Arbeiter. Mit einem Worte: ich will es; ärgere mich nicht.«

Von einem leichten Zittern ergriffen, schaute er sie an, und sein hartes, verschlossenes Gesicht eines Mannes der Disziplin drückte den geheimen Kummer eines gequälten Herzens aus. Sie war mit entblößten Schultern sitzen geblieben, schon überreif, aber schimmernd und noch begehrenswert mit ihren Ceresschultern, über welche der Herbst seinen Goldhauch gebreitet hatte. Einen Augenblick schien ihn das leidenschaftliche Verlangen anzuwandeln, sie zu ergreifen und seinen Kopf zwischen ihren Brüsten zu wälzen, die sie zur Schau trug in diesem warmen Gemache, wo der geheime Luxus eines sinnlichen Weibes herrschte und ein sinnverwirrender Moschusduft die Luft sättigte. Doch er wich zurück; seit zehn Jahren waren ihre Schlafzimmer getrennt.

»Es ist gut«, sagte er, als er sie verließ. »Wir wollen nichts abbestellen.«

Herr Hennebeau war in den Ardennen geboren. Der Beginn seiner Laufbahn war hart genug, denn er war als armer Waisenknabe auf das Pariser Pflaster geschleudert worden. Nachdem er unter Not und Mühen die Bergwerksschule durchgemacht hatte, war er mit achtundzwanzig Jahren nach den Grantle-Combe-Gruben, als Ingenieur des Barbaraschachtes gegangen. Drei Jahre später ward er Divisionsingenieur im Pas-de-Calais in den Gruben von Marles. Hier heiratete er in einer jener glücklichen Fügungen, wie sie in der Welt der Bergleute nicht selten sind, die Tochter eines reichen Spinnereiinhabers zu Arras. Fünfzehn Jahre lang wohnte das Ehepaar in demselben Provinzstädtchen, ohne daß irgendein Ereignis die Eintönigkeit ihres Lebens störte, selbst die Geburt eines Kindes nicht. Eine wachsende Gereiztheit ließ Frau Hennebeau sich von ihrem Gatten abwenden. Sie war in der Achtung vor dem Gelde erzogen und verachtete diesen Mann, der in harter Arbeit seine bescheidenen Bezüge erwarb und ihr keine jener Befriedigungen der Eitelkeit bot, von denen sie in der Pension geträumt hatte. Er in seiner strengen Rechtlichkeit spekulierte nicht, sondern blieb auf seinem Posten wie ein Soldat. Die Uneinigkeit nahm nur zu, noch verschärft durch eines jener sonderbaren Mißverständnisse des Fleisches, welche selbst die Glühendsten zu Eis erstarren lassen: er betete seine Frau an, sie aber war von der Sinnlichkeit einer lüsternen Blonden, und schon schliefen sie abgesondert, unbehaglich, sogleich verletzt. Seit jener Zeit hatte sie einen Liebhaber, was er nicht wußte. Endlich verließ er das Pas-de-Calais, um in Paris eine Bürostelle anzutreten, mit dem Gedanken, daß sie ihm hierfür dankbar sein werde. Allein in diesem Paris ward ihre Absonderung eine vollkommene, – in diesem Paris, nach dem sie seit ihrer ersten Puppe sich gesehnt hatte, und wo sie nach acht Tagen ihr provinziales Wesen abgestreift hatte, um mit einem Schlage eine elegante Modedame zu werden, die sich allen kostspieligen Torheiten der Zeit hingab. Die zehn Jahre, die sie daselbst verbrachte, waren von einer großen Leidenschaft ausgefüllt, von einem allgemein bekannten Verhältnisse mit einem Manne, dessen Trennung von ihr fast ihren Tod herbeigeführt hatte. Diesmal konnte der Gatte nicht in Unkenntnis der Dinge bleiben. Nachdem abscheuliche Szenen zwischen ihnen stattgefunden, ergab er sich in sein Schicksal, entwaffnet durch die ruhige Gewissenlosigkeit dieser Frau, die ihr Glück nahm, wo sie es fand. Nach dem Bruche mit ihrem Liebhaber hatte er, als er sie krank vor Kummer gesehen, die Stelle eines Bergwerksdirektors zu Montsou angenommen in der Hoffnung, daß er sie dort in jenem wüsten, schwarzen Lande bessern werde.

Bei den Hennebeau waren, seitdem sie in Montsou wohnten, die Gereiztheit und die Langeweile der ersten Zeit ihrer Ehe wiedergekehrt. Anfänglich schien sie beruhigt durch die tiefe Stille, durch die Eintönigkeit der endlosen Ebene. Sie begrub sich da wie eine Frau, die mit dem Leben abgeschlossen; sie tat, als sei ihr Herz tot, und schien dermaßen losgelöst von der Welt, daß selbst ihre zunehmende Beleibtheit sie nicht betrübte. Dann aber brach unter diesem Gleichmut ein letztes Fieber durch, ein Bedürfnis, noch zu leben, das sie sechs Monate damit einschläferte, daß sie das kleine Haus der Direktion nach ihrem Geschmack einrichtete und möblierte. Sie sagte, das Haus sei abscheulich, und füllte es mit Teppichen, Nippsachen und einem Luxus in Kunstgegenständen, von dem man weit und breit, selbst in Lille sprach. Die Gegend brachte sie jetzt in Verzweiflung, diese dummen, endlos sich dehnenden Felder, diese ewig schwarzen Wege, wo es keinen Baum gab, und wo eine gräßliche Bevölkerung wimmelte, die ihr Schrecken und Abscheu einflößte. Es begannen die Klagen über Verbannung; sie beschuldigte ihren Gatten, sie seinen Bezügen von vierzigtausend Franken geopfert zu haben, einem Bettel, der zur Fortführung des Haushaltes kaum hinreiche. Er habe es machen müssen wie die anderen, einen Anteil fordern, Aktien erlangen, kurz, zu etwas Rechtem kommen. Sie beharrte dabei mit der Grausamkeit einer Erbin, die das Gold ins Haus gebracht. Er mit seiner stets vornehmen Haltung, in die erheuchelte Kälte eines Verwaltungsmenschen sich hüllend, war von dem Verlangen nach diesem Geschöpfe verzehrt, von einer jener späten, heftigen Begierden, die mit dem Alter nur zunehmen. Niemals hatte er sie als Liebhaber besessen; ein Bild verfolgte ihn unablässig: sie einmal so für sich zu haben, wie sie sich einem andern hingegeben habe. Jeden Morgen träumte er davon, sie am Abend zu erobern; wenn sie ihn dann mit ihren kalten Augen ansah; wenn er fühlte, daß alles in ihr sich weigerte; vermied er es, auch nur ihre Hand zu berühren. Es war ein Leiden ohne Möglichkeit der Heilung, verborgen unter der Straffheit seiner Haltung; das Leiden einer zärtlichen Natur, die im Stillen daran zugrunde ging, daß sie in der Ehe nicht das Glück gefunden. Als nach Ablauf der sechs Monate das Haus vollständig möbliert war und ihr nichts mehr zu tun gab, verfiel Frau Hennebeau in eine verzehrende Langeweile als ein Opfer, das die Verbannung töten mußte, und das sich glücklich pries, da zu sterben.

Zu jener Zeit kam Paul Negrel nach Montsou. Seine Mutter, Witwe eines Kapitäns aus der Provinz, lebte in Avignon von einer mageren Pension und hatte sich die größten Entbehrungen auferlegt, damit ihr Sohn seine technischen Studien beendigen könne. Er verließ die Hochschule mit schlechtem Zeugnis, und sein Oheim, Herr Hennebeau, bot ihm die Stelle eines Ingenieurs im Voreuxschachte an. Seither wurde er als Kind des Hauses behandelt, hatte da sein Zimmer und seine Verpflegung, was ihm gestattete, die Hälfte seiner Bezüge von dreitausend Franken seiner Mutter zu senden. Um diese Wohltat zu bemänteln, sprach Herr Hennebeau von der Verlegenheit, in der ein junger Mann sich befinde, der genötigt sei, sich einen Haushalt einzurichten in einem der Schweizerhäuschen, die für die Grubeningenieure bestimmt waren. Frau Hennebeau hatte sofort die Rolle einer guten Tante angenommen, duzte ihren Neffen, wachte über sein Wohlergehen. Besonders in den ersten Monaten bekundete sie eine mütterliche Sorgfalt, die bei dem geringsten Anlasse von guten Ratschlägen überfloß. Doch blieb sie Weib dabei und gelangte allmählich zu persönlichen Vertraulichkeiten. Dieser starke, praktische Bursche mit skrupellosem Verstande, der über die Liebe sich zu philosophischen Grundsätzen bekannte, amüsierte sie durch die Lebhaftigkeit seines Pessimismus, der seinem schmalen Gesichte mit der spitzen Nase einen schneidigen Zug verlieh. Es fügte sich in ganz natürlicher Weise, daß er eines Abends in ihren Armen lag; und sie schien aus Gutmütigkeit sich ihm hinzugeben mit der Versicherung, daß sie kein Herz mehr habe und nur seine Freundin sein wolle. In der Tat war sie nicht eifersüchtig, neckte ihm wegen der Schlepperinnen, die er für ganz abscheulich erklärte, und schmollte fast mit ihm, weil er ihr keinerlei Späße zu erzählen habe, wie sie ja im Leben eines jungen Mannes vorkommen. Dann begeisterte sie sich für den Plan, ihn zu verheiraten; sie träumte davon, sich zu opfern, ihn einer reichen Erbin in die Arme zu legen. Ihre Beziehungen dauerten fort; er war ihr ein Spielzeug zur Erholung, ein Gegenstand der letzten Zärtlichkeiten einer müßigen und fertigen Frau.

So waren zwei Jahre verflossen. In einer Nacht hatte Herr Hennebeau einen Verdacht, als er nackte Füße vor seiner Tür vorbeihuschen zu hören glaubte. Doch er lehnte sich gegen den Gedanken an dieses neue Abenteuer auf hier in seinem Hause zwischen dieser Mutter und diesem Sohne! Überdies erzählte ihm am nächsten Morgen seine Frau, daß sie Cäcilie Grégoire für ihren Neffen erkoren habe. Sie widmete sich diesem Heiratsplane mit einem solchen Eifer, daß er über seine ungeheuerliche Einbildungskraft errötete. Er war dem jungen Manne nur dankbar dafür, daß das Haus weniger trübselig war, seitdem er eingezogen.

Aus dem Toilettezimmer seiner Frau kommend, begegnete Herr Hennebeau auf dem Flur seinem Neffen, der eben zurückkehrte. Paul schien die Streikgeschichte spaßig zu finden.

»Nun?« fragte der Oheim.

»Nun, ich habe eine Rundfahrt durch die Dörfer gemacht. Die Leute scheinen ganz vernünftig; aber ich glaube, sie werden Abgesandte zu dir entbieten.«

Doch in diesem Augenblicke rief die Stimme der Frau Hennebeau aus dem ersten Stock:

»Bist du es, Paul? Komm' doch herauf, mir Nachricht geben. Ist es nicht drollig, daß diese Leute, die so glücklich sind, die Bösartigen hervorkehren?«

Der Direktor mußte darauf verzichten, mehr zu erfahren, da seine Frau seinen Boten in Beschlag nahm. Er setzte sich wieder an sein Schreibpult, auf dem sich ein neues Häuflein Depeschen angesammelt hatte.

Als um elf Uhr die Gregoire ankamen, waren sie erstaunt, daß der Kammerdiener Hippolyte, der als Schildwache aufgestellt war, sie hastig ins Haus drängte, nachdem er unruhige Blicke nach beiden Seiten der Straße geworfen hatte. Die Vorhänge des Salons waren geschlossen, und man führte sie geradeaus in das Arbeitskabinett, wo Herr Hennebeau sich entschuldigte, daß er sie so empfange. Die Fenster des Salons gehen auf die Straße, setzte er hinzu, und es sei unnötig, den Schein auf sich zu laden, als fordere man die Leute heraus.

»Wie, Sie wissen nichts?« fuhr er fort, als er ihre Überraschung sah.

Als Herr Gregoire erfuhr, daß der Streik endlich ausgebrochen sei, zuckte er mit seiner ruhigen Miene die Achseln. Es werde nichts sein, meinte er; die Bevölkerung sei sehr rechtschaffen. Frau Grégoire bekräftigte mit einem Nicken ihres Kinns sein Vertrauen in die hundertjährige Ergebung der Kohlengräber; während Cäcilie, an diesem Tage sehr lebensfroh und in Jugendschöne prangend, in ihrer Toilette von Kapuzinertuch bei dem Worte »Streik« lächelte, weil es sie an die Verteilung von Almosen in den Arbeiterdörfern erinnerte.

Doch jetzt erschien Frau Hennebeau, gefolgt von Negrel; sie war ganz in schwarze Seide gekleidet.

»Ist das nicht ärgerlich?« rief sie schon an der Türe. »Als ob diese Leute nicht hätten warten können!... Ich will Ihnen nur gleich sagen, daß Paul sich weigert, uns nach der Thomasgrube zu begleiten.«

»Wir bleiben hier«, sagte Herr Grégoire in verbindlichem Tone. »Es wird uns nur ein Vergnügen sein.«

Paul hatte sich begnügt, Cäcilie und ihre Mutter zu grüßen. Unmutig wegen dieses geringen Eifers lenkte ihn die Tante mit einem Blicke zu dem jungen Mädchen; als sie die beiden zusammen lachen hörte, hüllte sie sie in einen mütterlichen Blick ein.

Inzwischen las Herr Hennebeau die Depeschen zu Ende und setzte einige Antworten auf. Die Gesellschaft plauderte in seiner Nähe; seine Frau erklärte, daß sie sich mit diesem Arbeitskabinett nicht beschäftigt habe; es habe seine verblaßte, rote Papiertapete, seine schwerfälligen Mahagonimöbel, seinen alten Aktienschrein behalten. So verflossen drei Viertelstunden, und man war im Begriff, zu Tische zu gehen, als der Kammerdiener Herrn Deneulin meldete. Dieser trat mit aufgeregter Miene ein und verneigte sich sodann vor Frau Hennebeau.

»Sie sind da!« rief er dann, die Grégoire bemerkend.

Dann wandte er sich lebhaft an den Direktor:

»So ist es denn doch eingetreten? Ich erfuhr es soeben von meinem Ingenieur ... Meine Leute sind heute Morgen angefahren. Aber die Sache kann um sich greifen; ich bin besorgt ... Wie ist's mit Ihnen?«

Er war zu Pferde herbeigeeilt; seine Unruhe verriet sich in seiner lauten Sprache und in seinen hastigen Gebärden, die ihm viel Ähnlichkeit mit einem Reiteroffizier verliehen.

Herr Hennebeau schickte sich an, ihn über die Lage aufzuklären, als Hippolyte die Türe des Speisesaales öffnete. Da unterbrach er sich, um seinem Gaste zu sagen:

»Frühstücken Sie mit uns; beim Nachtisch will ich Ihnen weiter erzählen.«

»Wie es Ihnen beliebt«, antwortete Deneulin, von seiner Sorge dermaßen erfüllt, daß er ohne viele Umstände die Einladung annahm.

Indes war er sich seiner Unhöflichkeit bewußt und wandte sich an Frau Hennebeau, um seine Entschuldigungen vorzubringen. Sie war übrigens sehr liebenswürdig. Nachdem sie ein siebentes Gedeck hatte auflegen lassen, brachte sie ihre Gäste unter: Frau Grégoire und Cäcilie an der Seite ihres Gatten; Herr Grégoire und Deneulin zu ihrer Rechten und Linken; Paul zwischen Cäcilie und ihrem Vater. Als dann die Vorspeisen herumgereicht wurden, sagte sie lächelnd:

»Sie verzeihen, ich wollte Ihnen Austern geben... Am Montag gibt es in Marchiennes immer frische Ostendeaustern und ich hatte die Absicht, die Köchin in unserem Wagen hineinzusenden... Allein sie fürchtete, mit Steinen beworfen zu werden.«

Ein allgemeines Lachen unterbrach sie. Man fand die Geschichte drollig.

»Still«, sagte Herr Hennebeau gereizt, indem er nach den Fenstern blickte, durch die man auf die Straße sehen konnte. »Die Leute brauchen nicht zu wissen, daß wir heute Gäste haben.«

»Diese Schnitte Wurst werden sie nicht bekommen«, erklärte Herr Grégoire.

Man lachte von neuem, aber etwas leiser. Die Gäste fühlten sich behaglich in diesem mit flämischen Teppichen überzogenen und mit alteichenen Schränken möblierten Saal. Hinter den Glastüren der Kredenzen schimmerten silberne Tafelgefäße; von der Zimmerdecke hing eine große Kupferlampe herab, in deren blank polierten Rundungen eine Palme und eine Aspidrista sich spiegelten, die in Majolikatöpfen die Tafel zierten. Draußen war ein eisigkalter Dezembertag, unwirtlich gemacht durch einen scharfen Nordost. Aber kein Hauch drang herein; in dem Saale herrschte eine Treibhauswärme, durchzogen von dem feinen Dufte einer Ananas, die zerschnitten in einem Kristallgefäße lag.

»Man sollte die Vorhänge schließen«, meinte Negrel, den die Angst der Grégoire belustigte.

Die Kammerfrau, die dem Diener bei der Tafel behilflich war, nahm den Vorschlag Pauls für einen Befehl und schloß einen der Vorhänge. Von da an folgten endlose Scherze; Gläser und Gabeln wurden behutsam auf den Tisch gesetzt; jede neue Schüssel wurde freudig begrüßt wie ein Stück, das in einer eroberten Stadt aus der Plünderung gerettet worden; und hinter dieser gezwungenen Heiterkeit lauerte eine geheime Furcht, die sich durch unwillkürliche Blicke nach der Straße verriet, als habe eine Bande von Hungerleidern von außen nach der Tafel gespäht.

Nach den getrüffelten Eiern kamen Forellen. Das Gespräch drehte sich jetzt um die Industriekrise, die seit anderthalb Jahren währte und immer ernster wurde.

»Es war unausbleiblich«, sagte Deneulin; »der allzu große Wohlstand der letzten Jahre mußte uns dahin führen. Denken Sie nur an die enormen Kapitalien, die festgelegt wurden, an die Eisenbahnen, Hafen- und Kanalbauten, an all das Geld, das man in die unsinnigsten Spekulationen steckte. In unserer Gegend allein wurden soviele Zuckerfabriken errichtet, als gebe es jährlich drei Rübenernten... Heute wird das Geld knapp; es gilt zu warten, bis die Zinsen der angelegten Millionen hereinkommen; daher die verderbenbringende Stockung aller Geschäfte.

Herr Hennebeau bekämpfte diese Stockung, aber er gab zu, daß die guten Jahre den Arbeiter verdorben hätten.

»Wenn ich bedenke,« rief er, »daß diese Kerle in unseren Gruben sich bis sechs Franken des Tages machen konnten, das Doppelte dessen, was sie jetzt erwerben. Und sie lebten gut und hatten sogar eine gewisse Neigung zum Luxus... Heute kommt es ihnen natürlich hart an, zur ehemaligen, kärglichen Lebensweise zurückzukehren.«

»Herr Grégoire,« unterbrach Frau Hennebeau, »nehmen Sie noch ein wenig von den Forellen; sie sind köstlich, nicht wahr?«

Der Direktor fuhr fort:

»Aufrichtig gesprochen: ist es unsere Schuld? Auch wir sind hart betroffen... Seitdem die Fabriken – eine nach der ändern – schließen, haben wir die allergrößte Mühe, uns unseres Kohlenvorrats zu entledigen; angesichts der immer mehr sich verringernden Nachfrage sind wir genötigt, die Herstellungskosten zu vermindern ... Die Arbeiter wollen alldas nicht einsehen.«

Ein Schweigen trat ein. Der Diener reichte gebratene Rebhühner herum, während die Kammerfrau Chambertin eingoß.

»In Indien ist eine Hungersnot ausgebrochen«, fuhr Deneulin halblaut fort, als spreche er mit sich selbst. »Amerika hat aufgehört, Schmiede- und Gußeisen zu beziehen, und dadurch unseren Hochöfen einen harten Schlag versetzt. Ein Stoß aus der Ferne genügt, um die Welt zu erschüttern... Und das Kaiserreich war so stolz auf die fieberhafte Entwickelung der Industrie!«

Er machte sich an seinen Rebhuhnflügel. Dann setzte er mit lauterer Stimme hinzu:

»Das Schlimmste ist, daß man, um die Herstellungskosten zu vermindern, die Produktion wird vermehren müssen: sonst müßten auch die Arbeitslöhne herabgemindert werden, und der Arbeiter würde recht haben mit seiner Behauptung, daß er das Bad ausgieße.«

Dieses freimütige Geständnis gab Anlaß zu einer lebhaften Erörterung. Die Damen fanden an diesem Gespräch wenig Vergnügen. Übrigens war jeder mit seinem Teller beschäftigt, um den ersten Hunger zu befriedigen. Jetzt kam der Diener zurück; er schien etwas sagen zu wollen, zögerte jedoch.

»Was gibt es?« fragte Herr Hennebeau. »Sind Depeschen gekommen, so geben Sie sie her. Ich erwarte Antworten.«

»Nein, gnädiger Herr, Herr Dansaert ist im Flur; aber er fürchtet zu stören.«

Der Direktor entschuldigte sich und ließ den Oberaufseher eintreten. Dieser hielt sich einige Schritte vom Tische, während alle Gäste sich umwandten, ihn zu betrachten, wie er riesengroß dastand und ganz außer Atem war von den Nachrichten, die er brachte. Die Dörfer blieben ruhig, meldete er, aber es sei entschieden, es werde eine Abordnung kommen. Sie werde vielleicht schon in wenigen Minuten da sein.

»Es ist gut, ich danke«, sagte Herr Hennebeau. »Ich will jeden Morgen und jeden Abend Bericht haben; hören Sie?«

Als Dansaert fort war, fingen die Scherze wieder an. Man warf sich auf den russischen Salat mit der Bemerkung, es sei keine Sekunde zu verlieren. Die Heiterkeit erreichte ihren Höhepunkt, als Negrel Brot verlangte und die Kammerfrau ihm mit einem so leisen und erschrockenen

»Ja, mein Herr!« antwortete, als habe sie eine Bande hinter sich, bereit zu Mord und Schändung.

»Sie können ganz frei reden,« sagte Frau Hennebeau; »sie sind noch nicht da.«

Der Direktor, dem man ein ganzes Bündel Briefe und Depeschen brachte, wollte einen der Briefe laut lesen. Es war ein Brief Pierrons, in dem dieser in respektvollen Ausdrücken bekannt gab, daß er genötigt sei, mit den Kameraden zu streiken, wenn er nicht mißhandelt werden wolle: er fügte hinzu, daß er es nicht ablehnen konnte, an der Abordnung teilzunehmen, obgleich er diesen Schritt tadelte.

»Das ist die Freiheit der Arbeit!« rief Herr Hennebeau.

Man kam wieder auf den Streik zu sprechen und befragte ihn um seine Meinung.

»Ach,« erwiderte er, »wir haben ganz andere Arbeitsausstände gesehen! ... Man wird ein, zwei Wochen faulenzen wie das letztemal. Sie wollen in den Wirtshäusern herumliegen. Wenn sie gar zu großen Hunger haben, kehren sie zur Arbeit zurück.«

Deneulin schüttelte den Kopf.

»Ich bin nicht so ruhig«, sagte er. »Diesmal scheinen sie besser organisiert. Haben sie nicht eine Unterstützungskasse?«

»Ja, mit kaum dreitausend Franken darin. Wohin wollen sie damit? Ich habe einen gewissen Etienne Lantier im Verdacht, daß er ihr Führer ist. Es ist ein guter Arbeiter, und es wäre mir unangenehm, müßte ich ihm sein Arbeitsbuch zurückstellen wie seinerzeit dem famosen Rasseneur, der fortfährt, mit seinen Gedanken und seinem Bier die Gegend zu verpesten... Gleichviel, in acht Tagen fährt die Hälfte der Leute an, und in vierzehn Tagen sind alle zehntausend Arbeiter wieder in den Gruben.«

Er war überzeugt davon. Seine einzige Sorge kam von der Möglichkeit, daß er in Ungnade fallen könne, wenn die Gesellschaft ihn für den Streik verantwortlich machen werde. Er fühlte seit einiger Zeit, daß er weniger in Gunst stehe. Er legte denn auch den mit russischem Salat gefüllten Löffel hin, den er genommen hatte, und las noch einmal die aus Paris empfangenen Depeschen, gleichsam um jedes Wort dieser Antworten zu ergründen. Man entschuldigte ihn; das Mahl glich allmählich einem Soldatenfrühstück, das auf dem Schlachtfelde vor Eröffnung des Feuers eingenommen wird.

Jetzt mengten sich auch die Damen in die Unterhaltung. Frau Grégoire hatte Mitleid mit den armen Leuten, die jetzt Hunger leiden sollten; Cäcilie machte im Geiste schon einen Rundgang, um Anweisungen auf Brot und Fleisch auszuteilen. Allein Frau Hennebeau war erstaunt, als sie von der Not der Bergleute von Montsou reden hörte. Waren sie denn nicht sehr glücklich? Leute, die auf Kosten der Gesellschaft Wohnung, Heizung und ärztliche Pflege hatten? In ihrer Gleichgültigkeit für diese Herde wußte sie von ihr nur die eingelernte Lektion, die sie hersagte. um die Besucher aus Paris in Verwunderung zu versetzen; sie glaubte schließlich daran und war entrüstet über den Undank des Volkes.

Negrel fuhr inzwischen fort, Herrn Grégoire zu erschrecken. Cäcilie mißfiel ihm nicht, und er war bereit, sie zu heiraten, um seiner Tante gefällig zu sein; aber es stellte sich bei ihm kein Liebesfieber ein; er war ein junger Mann von Erfahrung, der sich nicht mehr »verbrannte«, wie er sich ausdrückte. Er gab sich für einen Republikaner aus, was ihn nicht hinderte, seine Arbeiter mit äußerster Strenge zu behandeln und in Gesellschaft der Damen sich über sie lustig zu machen.

»Auch ich teile nicht den Optimismus meines Oheims«, fuhr er fort. »Ich befürchte ernste Unruhen... Darum rate ich Ihnen auch, Herr Grégoire, die Piolaine zu verriegeln. Man könnte sie ausplündern.«

Herr Grégoire, dessen gütiges Antlitz ein Lächeln erhellte, war eben im Zuge, seine Frau an väterlichen Gesinnungen für die Arbeiter zu überbieten.

»Mich ausplündern?« rief er verblüfft. »Warum denn?«

»Sind Sie nicht ein Aktionär von Montsou? Sie tun nichts und leben von der Arbeit der andern. Kurz, Sie sind das infame Kapital, und das genügt. Seien Sie dessen sicher, daß die siegreiche Revolution Sie zwingt, Ihr Vermögen als gestohlenes Geld wieder herauszugeben!«

Er verlor sogleich die kindliche Ruhe und heitere Sorglosigkeit, in der er lebte.

»Mein Vermögen gestohlenes Geld?« stammelte er. »Hat mein Urahn die Summe, die er ehemals in dem Unternehmen angelegt, nicht durch harte Arbeit erworben? Und haben wir nicht alle Wagnisse dieses Unternehmens geteilt? Mache ich etwa einen schlechtem Gebrauch von dem Erträgnisse?«

Frau Hennebeau ward unruhig, als sie Mutter und Tochter erbleichen sah; sie beeilte sich also, sich einzumengen, und sagte:

»Paul scherzt nur, Herr Grégoire.«

Doch Herr Grégoire war außer sich. Als der Diener eben Krebse herumreichte, nahm er drei, ohne recht zu wissen, was er tat, und begann die Krebsenfüße mit den Zähnen zu knacken.

»0 gewiß, es gibt Aktionäre, die Mißbrauch treiben. So hat man mir beispielsweise erzählt, daß Minister Anteile an den Gruben von Montsou erhalten haben gleichsam als Trinkgeld für Dienste, die sie der Gesellschaft geleistet hatten. Ganz so wie jener große Herr, den ich nicht nennen will, ein Herzog, der stärkste unserer Aktionäre, dessen verschwenderische Lebensweise ein wahrer Skandal ist, der für Weiber, Schmausereien und einen nichtsnutzigen Luxus Millionen hinauswirft ... Aber wir, die wir ein Leben ohne Aufsehen führen wie rechtschaffene Leute; wir, die wir nicht spekulieren, die wir uns begnügen, vernünftig von dem zu leben, was wir haben, und den Armen ihren Teil davon geben ... Ihre Arbeiter müßten rechte Räuber sein, wenn sie uns auch nur eine Stecknadel nehmen wollten«

Negrel selbst mußte ihn beschwichtigen, übrigens sehr belustigt durch seinen Zorn. Die Krebse waren noch auf der Tafel, man hörte das leise Knacken der Scheren, während die Unterhaltung sich der Politik zuwandte. Herr Grégoire erklärte, noch vor Aufregung zitternd, er sei trotz alledem liberal, und bedauerte Louis Philippe. Deneulin war für eine starke Regierung; er erklärte, der Kaiser gleite die schiefe Bahn gefährlichen Nachgebens hinab.

»Erinnern Sie sich des Jahres 89!« sagte er. »Der Adel war's, der durch seine Mitschuld, durch seine philosophischen Neigungen die Revolution möglich gemacht hat ... Heute spielt das Bürgertum das nämliche blöde Spiel mit seinem wütenden Liberalismus, seiner Zerstörungswut, seinen Schmeicheleien für das Volk. Ja, ja, Sie machen dem Ungeheuer scharfe Zähne, damit es uns zerfleische. Es wird uns zerfleischen, seien Sie dessen sicher!«

Die Damen hießen ihn schweigen und suchten ein anderes Gespräch anzuknüpfen, indem sie ihn nach seinen Töchtern fragten. Luzie sei in Marchiennes. berichtete er, um mit einer Freundin Gesangsübungen zu halten. Jeanne male den Kopf eines alten Bettlers. Doch Herr Deneulin erzählte diese Dinge mit zerstreuter Miene; er ließ kein Auge von dem Direktor, der in das Lesen seiner Depeschen versunken war, so daß er seine Gäste völlig vergaß. Hinter diesen dünnen Blättchen ahnte er Paris, die Weisungen der Verwaltungsräte, die über den Streik entscheiden sollten. Er konnte seine Unruhe nicht meistern und fragte plötzlich:

»Was werden Sie machen?«

Herr Hennebeau schrak zusammen und antwortete ausweichend:

»Wir werden sehen.«

»Natürlich, Sie stehen fest auf den Beinen, Sie können warten«, sagte Deneulin gleichsam laut denkend. »Ich aber werde die Haut dabei lassen, wenn der Streik sich auf Vandame ausdehnt. Was nützt es mir, daß ich die Jean-Bart-Grube neu eingerichtet habe? Mit dieser einzigen Grube kann ich nur bestehen, wenn der Betrieb unausgesetzt fortgeführt wird. Ich sehe schlimme Tage kommen!«

Dieses unwillkürliche Geständnis schien die Aufmerksamkeit des Herrn Hennebeau zu erregen. Er hörte ihm zu, und ein Plan keimte in ihm. Wenn der Streik eine böse Wendung nehme, warum sollte er diesen Umstand nicht ausnützen, den Nachbar dabei zugrunde gehen lassen und dann sein Unternehmen für einen Pappenstiel erwerben? Dies sei das sicherste Mittel, die Gunst der Verwaltungsräte wieder zu gewinnen, die schon seit Jahren nach Vandame Verlangen trugen.

»Wenn Jean-Bart Ihnen eine solche Last ist, treten Sie die Grube uns ab«, sagte er lachend.

Doch Deneulin hatte seine Klagen schon bereut und rief:

»Niemals!«

Seine Heftigkeit, belustigte die Gesellschaft; man vergaß den Streik in dem Augenblicke, als der Nachtisch erschien. Ein Apfelauflauf wurde mit Lobsprüchen überhäuft; auch die Ananas fand man köstlich, und die Damen besprachen ein Rezept zur Zubereitung dieser Frucht. Das feine Obst, Weintrauben und Birnen, vervollständigte die frohe Laune, in der das reiche Mahl beendet wurde. Alle redeten zugleich in gerührter Stimmung, wahrend der Diener Rheinwein einschenkte anstatt des Champagners, den man schon gewöhnlich fand.

Der Plan einer Heirat zwischen Paul und Cäcilie wurde in der angenehmen Stimmung des Nachtisches bedeutend gefördert. Seine Tante hatte ihm so dringende Blicke zugeworfen, daß der jurige Mann sich liebenswürdig zeigte und mit seiner zutunlichen Art die Grégoire wieder gewann, die er vorhin mit seinen Geschichten von der Plünderung erschreckt hatte. Angesichts des engen Einverständnisses zwischen seiner Frau und seinem Neffen fühlte Herr Hennebeau seinen abscheulichen Verdacht wieder erwachen, gleichsam als habe er in den ausgetauschten Blicken eine Berührung entdeckt. Doch der Gedanke an die Heirat, die hier vor seinen Augen betrieben wurde, beruhigte ihn wieder.

Hippolyte brachte eben den Kaffee, als eine Kammerfrau sehr erschreckt hereinlief und meldete:

»Gnädiger Herr, sie sind da!«

Es waren die Abgesandten. Man hörte Türen zuschlagen und hatte das Gefühl, daß ein Hauch des Schreckens durch die benachbarten Räume fahre.

»Führen Sie sie in den Salon«, sagte Herr Hennebeau.

Die Gäste an der Tafel hatten einander mit einem Beben der Unruhe angeblickt. Stillschweigen war eingetreten. Dann wollten sie ihre Scherze wieder aufnehmen; man steckte den Rest des Zuckers in die Tasche und sprach davon, die Gedecke zu verbergen. Allein der Direktor blieb ernst, und das Lachen verstummte; die Stimmen wurden zu einem Flüstern gedämpft, während im Salon die schweren Tritte der Abgesandten den Teppich zerknitterten.

Frau Hennebeau sagte ihrem Gatten im Flüstertone:

»Ich hoffe, du wirst deinen Kaffee trinken.«

»Gewiß«, antwortete er; »sie sollen warten!«

Er war nervös; er lauschte den von außen kommenden Geräuschen, obgleich es den Anschein hatte, als beschäftige er sich nur mit seiner Kaffeeschale.

Paul und Cäcilie hatten sich erhoben; er ließ sie durch das Schlüsselloch schauen. Sie lachten und sprachen leise miteinander.

»Sehen Sie sie?« »Ja ... Einen Großen und zwei Kleine hinter ihm.«

»Sie sehen abscheulich aus, wie?«

»Nein, ganz artig.«

Plötzlich verließ Herr Hennebeau seinen Sessel, indem er erklärte, der Kaffee sei zu heiß, und er werde ihn später trinken. Als er hinausging, legte er einen Finger an den Mund, wie um der Gesellschaft Vorsicht zu empfehlen. Alle hatten sich wieder gesetzt und saßen stumm an der Tafel, wagten sich nicht zu rühren, horchten mit gespitzten Ohren, unangenehm berührt durch die groben Stimmen dieser Männer.


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