Fedor von Zobeltitz
Der Telamone
Fedor von Zobeltitz

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Zehntes Kapitel

Die Universalsalbe des alten Hempel hatte in der That Wunder gewirkt. Als der Graf am nächsten Morgen, bevor er zur Schwadron ritt, in den Stall kam, fand er den Zappelphilipp bedeutend wohler vor als am Abend vorher. Die Sehne fühlte sich zwar noch immer nicht ganz klar an, aber der Gaul trat schon wieder ziemlich fest auf und hatte sein Morgenfutter mit gutem Appetit genommen.

Wendelin war zufrieden und verließ mit einem freundlichen Worte den Stall, um sich draußen auf sein neues »Schlachtroß«, den Matador, einen dunkelbraunen Hengst von Trakehner Extraktion, den er in einer Wette gewonnen hatte, zu schwingen.

Fritz war überfroh, daß der Zappelphilipp wieder gerade auf den Beinen stand, und umhalste in seiner Freude das Pferd einmal über das andere, was dem Oberkutscher Vegesack, der an seinen dicken Karossiees herumhantierte, zu allerhand spöttischen Bemerkungen Anlaß gab. Fritz und Vegesack standen sich schon seit 177 geraumer Zeit auf gespanntem Fuße. Der erstere hatte dem hochnäsigen Fahrer, der es liebte, die jungen Leute im Stall auf jede mögliche Art zu tyrannisieren, einmal in energischer Weise die Wahrheit gesagt – und seit dieser Zeit erfreute sich Fritz eines tiefgehenden Hasses von seiten des Oberkutschers. Das war unserm jungen Freunde nun freilich herzlich gleichgiltig – gegen die kleinen Possen und Nichtsnutzigkeiten, die Vegesack bei jeder Gelegenheit gegen ihn ausspielte, wußte er sich schon zu wehren. Er hatte dabei die Freude, Tom, Nickel und Basedow immer auf seiner Seite zu sehen; im Grunde genommen mochte niemand von dem Hausgesinde des Grafen Kölpin den albernen Oberkutscher so recht leiden.

Eingedenk der Ermahnung Hempels setzte sich Fritz noch am Vormittage, sobald er von dem Bewegen der Pferde auf der Reitbahn zurückgekehrt, hin und schrieb seinen Absagebrief an den Baron von Krey. Es war ihm leichter ums Herz, als er den Brief couvertiert und in den Postkasten geschoben hatte.

Am Mittwoch Abend sollte bei Kölpins die letzte große Soiree in der sich ihrem Ende zuneigenden Saison stattfinden. Fast alle Bekannte des Hauses waren geladen worden – es war nicht unmöglich, daß man sich diesjährig auf längere Zeit trennen würde. Graf Wendelin wollte noch die Frühjahrsmeetings mitnehmen und beabsichtigte dann, sich auf ein Jahr à la suite des Regiments stellen zu lassen; er hoffte zuversichtlich, sein Wunsch würde Berücksichtigung finden – sein Kommandeur hatte ihm versprochen, sich in wärmster Weise für ihn beim Kriegsminister zu verwenden. Kölpin wollte sodann den Sommer 178 mit seiner Frau in der Schweizer und Tiroler Alpenwelt verbringen und im Herbst nach England reisen, um dort die hervorragendsten Rennställe zu besichtigen. Dem Grafen war der praktische Frontdienst längst langweilig geworden; er ging mit dem Gedanken um, früher oder später ganz zu quittieren, um sich dann durch eine erhebliche Vergrößerung seines Rennstalles mehr als bisher dem Sport widmen zu können. –

Bei allen größeren Festlichkeiten im Kölpinschen Hause wurden auch Fritz, Tom und Basedow – Nickel blieb im Stalle zurück – zur Bedienung herangezogen. Die drei mußten sich dann in große Livree werfen und sich in der Entree und im Vorzimmer postieren, um den geladenen Herrschaften beim Ab- und Anlegen der Mäntel und Überzieher behilflich zu sein. Für Fritz waren diese Tage stets eine unterhaltende Unterbrechung der Monotonie des Stalldienstes; das glänzende Leben, das bei solchen Gelegenheiten kaleidoskopisch an ihm vorüberflutete, interessierte und belustigte ihn.

Gegen acht Uhr des Abends strahlten die im Parterregeschoß des kleinen Palais gelegenen Gesellschaftsräume in glänzendem Lichte. Das Treppenhaus war durch die geschickte Hand des Gärtners in eine förmliche Orangerie verwandelt worden. Schwerer Blütenduft durchwellte hier die Luft, während die Salons nach Angabe des biederen Aalkrug nur ganz diskret parfümiert worden waren.

Aalkrug trat an diesen Festabenden gewichtiger und selbstbewußter auf denn je. Auf seinen und den stattlichen Schultern des Herrn Spirius, seines Freundes, der im 179 Souterrain vor dem lodernden Herdfeuer das Scepter schwang, ruhte eine Last von Verantwortlichkeit. Und Aalkrug war sich dieser Verantwortlichkeit wohlbewußt. Er sah ungemein würdevoll aus in seinem schwarzen Frack mit den seidenen Aufschlägen und den mit Silberagraffen geschmückten Escarpins, mit der sorgsam gefalteten weißen Halsbinde und dem glänzenden, steif gestärkten Chemisette. Wie ein Imperator schritt er durch die hell strahlenden Räume, und bis in die verborgensten Ecken und Winkel drang sein Feldherrnblick. Sein größter Stolz war als ehemaliger Tafeldecker Sr. Majestät das Tischarrangement. Ein Lächeln glitt über sein frisches, altes Gesicht, als er heut in den Speisesaal trat und noch einmal das Werk seiner Hände überschaute. Nach guter alter Sitte war die Tafel in Hufeisenform erbaut worden. Von dem schimmernd weißen Gedeck hob das blitzende Silber der Aufsätze und des Services, das flimmernde Krystall der Gläser und der Karaffen und die berauschende Pracht der Blumenarrangements sich wirkungsvoll ab. Über den ganzen Tisch war eine Fülle einzelner Blüten verstreut worden – Rosenknospen in allen Farben, Fliedertrauben, dunkelglühende Nelken, Veilchen und Geranien.

Aalkrug schritt langsam um den Tisch, rückte hie und da noch einmal an einem Teller, einem nicht ganz in Harmonie mit dem übrigen Krystall stehenden Glase – warf einen flüchtigen Blick auf die kalligraphisch geschriebenen Tischkarten, die als kunstgewerbliche Mustervorlagen dienen konnten, schob dort und hier einen Stuhl zurecht und ging dann mit zufriedenem Kopfnicken in ein anstoßendes Kabinett, in dem unter Spirius' Augen die 180 besseren Weinsorten aufgestellt worden waren. In einem mächtigen, bis zum Rande mit kleinen Eisstücken gefüllten Kübel lag Flasche an Flasche der Champagner – der Schaumwein vom deutschen Rheine, der die Austern hinabspülen helfen sollte, einträchtig neben dem welschen Moët, den Graf Kölpin vor allen andern Marken zu bevorzugen pflegte. In einem zweiten Kübel wurde der Rheinwein und der Mosel in Kühlung gehalten, und die blauen und violettfarbenen Staniolkapseln der Flaschen lugten neugierig zwischen den Eismassen hervor. Auf dem Tische daneben stand der feinere Rotwein, Kabinetsabzüge von erlesener Traube – ferner alter Portwein, der zur Suppe gereicht werden sollte, und Cap Constantia für das Dessert. Graf Wendelin hatte diesmal tief in seinen Keller gegriffen – so splendide war er bei ähnlichen Gelegenheiten nicht.

In diesem kleinen Kabinett versammelte Aalkrug vor Beginn der Soiree noch einmal die ganze Dienerschaft und hielt dieselbe durchdachte und weihevolle Ansprache, mit der er seine Leute bei derlei Festivitäten stets zu erfreuen pflegte. Heut aber betonte er die Einzelheiten noch schärfer als sonst und hob Schlagworte wie »kein Tropfen vorbei« – »immer links herum« – »beim Tellerwechsel muß das Schweigen des Todes herrschen« ganz besonders hervor. »Ich hoffe, Ihr werdet auch diesmal dem Hause Ehre machen,« schloß er seine Standrede, die er mit der ruhig würdevollen Gestikulation eines gewandten Schauspielers, der den Julius Cäsar darzustellen hat, begleitete.

Wenige Minuten später erschienen denn auch die 181 ersten Gäste, und bald darauf stauete sich vor dem Kölpinschen Palais eine lange Wagenkette. Fritz, Tom und Basedow hatten alle Hände voll zu thun, die Damen nach dem Toilettezimmer zu geleiten und die Herren aus Mänteln und Paletots herauszuschälen. Das glänzte und strahlte, wenn die Hüllen fielen! Die schimmernden Uniformen der Gardekavallerie waren am zahlreichsten vertreten, doch auch an ordengeschmückten Frackklappen war kein Mangel. Basedow kannte die meisten und flüsterte Fritz allerhand boshafte Bemerkungen ins Ohr, auf die Fritz freilich nur mit halbem Ohre hörte. Er hatte mehr zu thun. Das schimmernde Leben ringsum nahm ihn völlig gefangen. Aus Mänteln und Überröcken, Capuchons und Sortis de bal schälten sich blendend kostümierte Gestalten – zierlich toupierte Frauenköpfe, mit Rubinen und Brillanten im Haar, weiße Schultern und volle Arme; in den silbernen Candillen der Epaulettes brach sich das Licht, und von den ordengepanzerten Brustseiten ging ein förmliches Flimmern aus . . . Im Portale rollte Wagen auf Wagen vor. In das fröhliche Geplauder und die Begrüßungsworte, die in der Entree und den Vorzimmern gewechselt wurden, mischte sich zeitweilig von draußen her das brüske Zuschlagen der Wagenthüren und das Stampfen und Wiehern der Pferde.

Im ersten Salon empfing der Hausherr mit seiner Gattin die geladenen Gäste. Durch einen Thürspalt hatte Fritz sich an der Erscheinung der Gräfin Katinka erfreuen können. Sie trug ein einfaches helles Seidenkleid mit herzförmigem Ausschnitt und um den etwas zu schlanken, doch schön geformten Hals ein dunkles Sammetband mit 182 aufgehefteten Brillanten. Bei aller Einfachheit in ihrem Äußeren sah sie bezaubernd aus. Sie war nicht hübsch, aber sie besaß unendlich viel Liebreiz, und bei allem Liebreiz eine ausgesprochene Distinktion. Sie war eine vollendete Aristokratin.

Der Abend verlief ohne Störung. Aalkrug war zufrieden. Es war alles »wie am Schnürchen« gegangen. Das Souper machte Herrn Spirius alle Ehre. Er war auch glücklich genug; der Baron Enkevort, vortragender Rat im Ministerium des Innern, ein großer Gourmet, der auch selbst ein Kochbuch geschrieben, hatte zu ihm geschickt und sich von ihm das Rezept eines vortrefflichen Real-Turtle-Ragouts erbeten. Spirius war stolz auf diese Auszeichnung – so etwas war lange nicht da gewesen.

Eine Stunde nach Mitternacht verabschiedeten sich die letzten Gäste. Fritz half ihnen in die Paletots und empfing dafür sein Trinkgeld. In seiner Tasche klirrte und klingelte es – der Abend hatte ihm einen Monatslohn eingebracht. Er war aber auch todmüde. Das Stehen im überheizten Vorzimmer strengte mehr an, als ein fünfstündiger Ritt auf dem Zappelphilipp. Er sehnte sich nach dem Bettzipfel.

Kurz nach ein Uhr erklang noch einmal die Hausglocke. Ein großer, blondbärtiger Herr stürzte eiligst durch die Entree in das Vorgemach. Er trug einen hellen Paletot und den Cylinderhut in der Hand.

»Ich habe noch etwas vergessen – ist der Herr Graf oder die Frau Gräfin noch zu sprechen?« herrschte er Basedow an.

183 Basedow riß die nach dem Salon führende Thüre auf.

»Die gnädigen Herrschaften sind in dem blauen Kabinett – geradeaus,« meldete er respektvoll und ließ den Herrn eintreten. Kaum aber hatte sich die Thür hinter diesem geschlossen, so schnitt ihm Basedow eine Grimasse nach und lachte dann leise auf.

»Donnerwetter!« meinte er, »das fliegt ja wie eine Bombe ins Haus! Als ob man nichts weiter zu thun hätte, als die Thüre auf- und zuzumachen! So ein Pack . . . Wer war denn der Mensch? Sah wie der Graf Falkenhayn aus – war's aber nicht, der ist nicht so groß! Kennst du ihn, Fritz?«

Fritz antwortete nicht. Er war wie erstarrt vor Schreck, denn er hatte in dem hastig Eintretenden den Freiherrn Leopold von Krey wieder erkannt. –

Leopold Krey schritt fest und hoch erhobenen Kopfes durch den großen Salon, in dem bereits die Lichter ausgelöscht wurden – geradeaus, wie Basedow ihm gesagt hatte. Die mit dem Aufräumen beschäftigten Diener wichen ehrerbietig zurück – keiner kannte ihn, aber keiner hielt ihn auf.

Krey trat in das kleine Kabinett, in das sich Wendelin mit seiner Frau noch auf eine Plauderminute vor dem Schlafengehen zurückgezogen hatten. Der Graf saß, eine Cigarette rauchend, in einem Fauteuil am Mitteltische, Katinka am verhängten Fenster. Beide erkannten Krey, der mit ruhiger Hand hinter sich die Thür schloß, im ersten Augenblicke nicht. Als er sich aber dem Lichte zuwandte, sprang Gräfin Katinka jäh auf und starrte ihn totenblaß, doch unfähig ein Wort über die Lippen zu 184 bringen, an. Auch Wendelin hatte sich erhoben und auch er war bleich geworden; instinktiv griff seine Hand nach dem zierlichen Tuladolch, der unter anderm Nippes auf dem Tische lag.

Krey sah es und verbeugte sich mit herbem Lächeln.

»Lassen Sie liegen, Graf Kölpin,« sagte er, »Sie brauchen mich nicht zu fürchten. Nachdem ich zwei Dutzend Mal vergeblich versucht habe, Sie oder meine verehrte Cousine, die Gräfin Katinka, zu sprechen, blieb mir nichts andres übrig, als mich durch List bei Ihnen einzuschleichen. Es steht Ihnen frei, Ihre Lakaien zusammenzurufen und mich vor die Thür werfen zu lassen. Das würde aber einen gewaltigen Eclat geben, und ich weiß, wie sehr Sie einen solchen scheuen. Also hören Sie mich bitte ruhig an, – ich werde mich bemühen, kurz zu sein . . .«

Wendelin schaute scheu, halb ängstlich, halb fragend, zu Katinka hinüber. Die Unselbständigkeit seines Wesens ließ ihn zu keinem eigenen Entschlusse kommen.

Katinka war hinter ihren Stuhl getreten. Die schlanken weißen Finger umspannten fest die Polsterung der Lehne. Die Gräfin war noch immer sehr blaß und sah in diesem Augenblick älter aus als sonst, aber sie zitterte nicht mehr. Ein drohender Ernst lag auf ihrer Stirn.

»Überlaß mir die Verhandlung mit diesem Manne, Wendelin,« sagte sie ruhigen Tones. »Sein« – sie zögerte einen Moment –, »sein Besuch gilt mehr mir als dir, und ich werde ihm Rede stehen. Es ist gut, daß es einmal zu völliger Klarheit kommt zwischen uns . . . Wie viel verlangst Du, Leopold?«

Ehe Krey eine Antwort geben konnte, war Wendelin 185 hastig zur Thür gesprungen, hatte sie aufgerissen und der im großen Salon beschäftigten Dienerschaft zugerufen:

»Geht hinaus! Ich werde klingeln, wenn Ihr wiederkommen dürft!«

Krey riß sich den Paletot auf. Er atmete schwer – die Luft erschien ihm plötzlich drückend heißt. Die tiefe Verachtung, die in der Frage Katinkas lag, traf auf den Rest von Ehre, der in ihm lebte. Es war eine Zeit gewesen, da er dies junge Weib wirklich geliebt hatte. Verlorene Jahre lagen zwischen damals und heute – aber als er sie mit zuckender Lippe die Beleidigung aussprechen hörte, dachte er daran zurück, daß dieselben Lippen einst seinen Mund geküßt hatten.

Er schwieg. Er war in der festen Absicht hierhergekommen, unter Berufung auf alte Zeiten eine Summe Geldes zu fordern, die ihn für die nächsten Jahre aller Sorgen um die Existenz entheben sollte. Katinka hatte ihn recht beurteilt – und gerade deshalb wär' er am liebsten stracks umgekehrt und hätte wortlos das Haus verlassen. Er kämpfte schwer mit sich selbst – man merkte es an den fest geschlossenen Lippen, den finster gesenkten Brauen und am Blick des Auges. Aber der Kampf währte nicht lange. Aufschauend sah er den Grafen lächeln – ein häßliches, hohnvolles Lächeln. Dann klemmte sich Wendelin das Monocle ins Auge und sagte langsam mit seiner leicht näselnden, einförmig klingenden Stimme:

»Du wirst deine Frage wiederholen müssen, liebe Katinka! Der Herr Baron scheint sie nicht verstanden 186 zu haben – und der Herr Baron hätte doch gerade auf diese Frage vorbereitet sein müssen« . . .

Wie eine Erlösung von dem auf ihm lastenden Banndruck schien Krey den Hohn Wendelins zu empfinden. Er warf seinen Hut neben sich auf den Teppich nieder, reckte sich höher empor und stieß einen tiefen Atemzug aus.

»Ich danke Ihnen, Graf Kölpin,« sagte er; »das Wiedersehen mit der, die mir in besseren Tagen einst nahe gestanden, hat mich weich stimmen können. Sie haben rasch genug diese – thörichte Regung verscheucht. Ich danke Ihnen dafür, Herr Graf – es ist besser, wir bleiben bei der Sache!«

Mit brüsker Bewegung wandte er Wendelin den Rücken und sich der Gräfin zu.

»Dein Gatte hat Recht gehabt, Katinka,« fuhr er rascher fort, »– ich hätte vorbereitet sein müssen auf deine Frage. Ich brauche Geld – es ist wahr, und nur deshalb kam ich hierher. Es soll das letzte Mal gewesen sein, daß ich deine Hilfe in Anspruch nehme« . . .

Katinka vermied es, den vor ihr Stehenden anzusehen; sie hatte den Blick fest auf die in den Teppich gewebten großblumigen Bouquets geheftet.

187 »Wie viel brauchst du?« fragte sie leise.

»Nicht viel für euch – viel für mich,« gab Krey zurück. »Ich will mir einen Beruf suchen, eine Stellung gründen, will in die Gesellschaft zurücktreten. Ich bin des ruhelosen Abenteuerns müde und möchte wieder festen Fuß fassen. Ich werde auch Gelegenheit finden, euch eure Darlehen zurückzuerstatten« – Graf Wendelin lachte heiser auf – »ich will nichts geschenkt haben. Gebt mir zehntausend Mark und laßt mich gehen. Es soll das letzte Mal sein – ich wiederhole es.«

»Wirst du Wort halten?« fragte Katinka, und wie wieder erwachendes Mitleid klang es aus ihrer Frage hervor.

»Ich werde mein Wort halten,« antwortete Krey fest, und er meinte es ehrlich. »Ich habe toll und wüst gelebt, Katinka, seit damals – seit damals! aber zu einer Schlechtigkeit bin ich nicht herabgesunken. Also glaub' an mein Wort. Ein Schuft will ich sein, wenn ich mich noch ein einziges Mal vor euren Augen sehen lasse!« . . .

Graf Kölpin hatte während der Unterredung der beiden nervös mit dem Tuladolche gespielt und nur hin und wieder durch ein hastiges Kopfschütteln, ein kurzes höhnisches Auflachen seine Aufmerksamkeit zu erkennen gegeben. Als sich nun aber Katinka ihm zuwandte und in ihrer leisen, bestimmten Art sagte: »Das letzte Mal, Wendelin – gieb ihm das Geld!« – da fuhr er empört auf, warf das Dolchmesser auf den Tisch zurück und schrie schrill und mißtönig:

»Ich wäre verrückt, wenn ich's thäte – verrückt 188 wär' ich! Das letzte Mal – ja wohl, ich kenne dieses letzte Mal, das sich immer und immer wiederholt! Zehntausend Mark – i Gott bewahre! Der Herr Baron scheint zu glauben, ich schüttele mir das Geld nur so aus den Rockärmeln! Zehntausend Mark sind ein Kapital, Herr von Krey – berücksichtigen Sie das!«

»Nicht für Sie, Herr Graf,« fiel Krey ruhig ein; »Sie sind ein so reicher Mann, daß zehntausend Mark keine Rolle in Ihrem Budget spielen können . . .« Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann mit einem raschen und scheuen Seitenblicke zu Katinka fort: »Ich weiß, ich stehe bereits in Ihrer Schuld, Herr Graf. Aber auch die Kölpins haben eine Schuld an die Familie abzutragen, der ich angehöre – keine materielle Schuld, doch eine moralische, die nicht minder stark ins Gewicht fällt: eine Schuld der Dankbarkeit! Sie entsinnen sich wohl, daß es in besseren Tagen meinem verstorbenen Vater einstmals vergönnt gewesen ist, mit Mißachtung des eigenen Lebens auf einer Eberjagd in Moesthal Ihren Herrn Vater, den Grafen Klaus, vom sicheren Tode zu erretten? Ich zweifle nicht daran, daß Graf Klaus Ihnen von jenem schreckensvollen Kampfe mit einer wütenden Bestie erzählt hat –«

»Ich weiß das – weiß das alles,« fiel Wendelin mit nervösem Mienenspiel ein, »weiß aber auch, daß mein Vater dem Ihren zu dessen Lebzeiten nicht nur mit schönen Worten, sondern mit offener Hand für seine ritterliche Hilfe gedankt hat!«

»Es mag sein« – und ein Klang tiefer Traurigkeit färbte die Stimme des Sprechenden – »denn auch 189 mein Vater war nicht auf Rosen gebettet . . . Ich würde jener Episode nicht Erwähnung gethan haben, Herr Graf, bei Gott nicht, zwänge mich nicht die Not dazu, an Ihr Herz zu rühren. Sie müssen mir helfen – nur noch dies eine Mal!«

»Müssen?« – Graf Wendelin richtete sich auf. »Ich lasse mir nichts befehlen, Baron Krey – Sie sind nicht ganz geschickt in der Wahl Ihres Ausdrucks.«

Krey biß sich auf die Lippen und sein Gesicht wurde fahl.

»In der Situation, in der ich mich befinde,« entgegnete er, »vergißt man zuweilen, die Worte abzuwägen. Indessen – ich bitte um Verzeihung . . . Lassen Sie uns zu Ende kommen, Herr Graf. Ich wiederhole Ihnen, daß ich gewillt bin, Ihnen das Geliehene früher oder später mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen« . . .

Wendelin lachte wieder auf.

»Zurückzahlen? Wovon denn?! – Wovon, wenn ich fragen darf? Sie sagen, daß Sie sich eine Position verschaffen, wieder festen Fuß in der Gesellschaft fassen wollen. Das ist sehr lobenswert von Ihnen und ich billige Ihren Entschluß durchaus, aber ich glaube nicht an seine Ausführung. Nein – ich glaube nicht daran! Dasselbe haben Sie mir mit gleichen Worten schon so und so oft gesagt und geschrieben! – Ich habe auch keine Gelder flüssig – es wird mir Schwierigkeiten machen, die zehntausend Mark zu beschaffen! Es geht nicht – basta!« –

Er zögerte einen Augenblick – dann griff er mit 190 schneller Bewegung in seine Tasche und zog seine Börse hervor, die er klingend auf den Tisch fallen ließ.

»Da! – Wenn ich Ihnen mit ein paar hundert Mark dienen kann – gut, so nehmen Sie! Aber keinen Pfennig mehr! Ich bin außer stande dazu!« . . .

Er schielte zu Krey hinüber, der stumm an der Thür stand und mit finsterm Blicke vor sich hinstarrte. Er war in Verzweiflung. Gestern hatte ihm der Gerichtsvollzieher die letzten Notgroschen, die er aus Amerika mitgebracht, abgenommen – man drohte ihm, auf seine Hunde Beschlag zu legen. Er fühlte, daß von Kölpin nichts mehr zu hoffen war. Und unwillkürlich streckte er seine Hand aus – nach der Richtung hin, wo die Börse lag, durch deren grünseidene Maschen die Goldstücke flimmerten.

Kölpin sah es. In seinem Gesicht spiegelte sich Ekel und Verachtung wieder. Er nahm die Börse und reichte sie Krey – aber ehe dieser zugreifen konnte, ließ Wendelin sie mit einer zuckenden Bewegung der Hand auf den Teppich fallen.

Glührote Lohe schoß Krey in das Gesicht. Seine Augen funkelten und grimmige Wut sprach aus seinen Zügen. Er bückte sich und hob die Börse auf und schleuderte sie dann wuchtig dem zurücktaumelnden Grafen vor die Brust.

»Geiziger Schurke!« schrie er außer sich, »behalte dein Geld! Behalte es – aber denke an mich zurück! Wir werden uns wiederfinden!«

Und er riß die Thür auf und stürmte barhäuptig 191 davon, ohne auf den leisen Schrei zu hören, der ihm nachklang.

Gräfin Katinka hatte ihn ausgestoßen. Mit Entsetzen war sie Zeugin des peinlichen Auftritts zwischen den beiden Männern gewesen. Ihre vornehme Natur widerte die Empfindungsroheit des Einen nicht minder an als die brutale Wut des Andern.

Wendelin machte seinem überschäumenden Zorn in stürmischen Worten Luft und ließ es auch an Spitzen und Anzüglichkeiten gegen seine Frau nicht fehlen. Sein schmales Gesicht mit den sich ziemlich stark ausprägenden Backenknochen war gelb geworden vor Wut, seine Stimme klang fauchend und zischend.

»Eine nette Verwandtschaft!« grollte er, während er im Zimmer auf- und niederschritt und zwischen den Fingern unruhig eine Cigarette zerbröckelte. »Dieser Lump – dieser Hochstapler! Hättest ihn längst in seinem wahren Werte erkennen müssen, Katinka – aber da gab's ja noch immer süße Worte für den Herrn Vetter, für diesen . . . Nun, es kann ja auch so nichts schaden – im Gegenteil! Oho – der kommt nicht wieder nach der Scene von heute, und seine Drohungen verlache ich!« Er lachte heiser auf und fügte noch einmal bekräftigend bei: »Ich verlache sie!«

Die Gräfin strich mit ihrem Taschentuch über die Stirn, auf der winzige, eiskalte Tropfen perlten.

»Gebe Gott, daß du nie anders denken mögest,« erwiderte sie leise. »Du kennst ihn nicht. Er wird sich rächen« . . . Und nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »War's nötig, daß du ihn so maßlos reiztest –!?«

192 »Natürlich – haha, nun bin ich am Ende gar der schuldige Teil! Ich konnt's erwarten! Dankbarkeit kennst du nicht, Katinka – hast du nie gekannt! Tausende hab' ich für diesen Menschen geopfert, weil er dein Vetter ist, weil er deinen Mädchennamen trägt, weil er einmal – – du weißt's allein! Aber es giebt Grenzen, liebe Katinka, die man um seiner Selbst willen einzuhalten verpflichtet ist! Wagt es Leopold Krey, seine Drohungen auszuführen – wagt er mich irgendwie zu belästigen, zu beschimpfen, dann hetze ich ihm erbarmungslos die Gerichte auf den Hals! Ohne Rücksicht, sage ich dir – ohne Rücksicht!«

»Auch ohne Rücksicht auf deine Frau und auf den Namen Krey,« schaltete Katinka mit Betonung ein.

»Mein Name deckt den deinen!« rief Wendelin erregt. »Kein Mensch wird sich unterstehen, deine Ehre anzutasten, weil auch du eine Krey bist! . . . Im übrigen, liebe Katinka, weißt du selber so gut wie ich, wie es von jeher um die Kreys gestanden hat. Ich für meinen Teil habe mich den Teufel darum gekümmert, sondern hab' dich geheiratet um deinetwillen! Nun aber bist du die Gräfin Kölpin, und das vergiß nicht! Wir haben nichts mehr mit deiner Verwandtschaft zu thun – und ich sage dir, ginge es an, daß du deinen Mädchennamen auslöschen könntest, es wäre mir mehr als lieb!« . . .

Die Gräfin zuckte empor, als ringelte sich eine Schlange um ihre Glieder, und ein böser Blick aus ihren Augen traf Wendelin.

»Schweige,« rief sie und durch ihre Stimme grollte ein tiefes Beben, »oder willst du mich lehren, dich zu – hassen?«

193 Sie raffte ihre Schleppe zusammen und schritt an ihm vorüber zum Zimmer hinaus.

Wendelin pfiff durch die Zähne.

»Ich bin zu weit gegangen,« murrte er in sich hinein, »aber der Grimm tobt mir durch alle Adern! Ich hätte ihre Empfindlichkeit schonen müssen – ah bah, sie wird ruhiger werden wie ich selbst!« . . .

Er bückte sich, um die auf der Erde liegende Börse aufzuheben. Aber er nahm sie nicht. Er richtete sich wieder auf und blieb einen Augenblick sinnend stehen. Es regte sich ein etwas in der Brust, seinem Gewissen – etwas wie Widerwillen vor sich selbst . . . Und plötzlich schleuderte er die grünseidene Börse mit der Spitze seines Lackstiefels weit von sich in eine Ecke des Zimmers. 194

 


 


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